Der titel-fixierte Ossi?

Simo­ne Schmol­lack, die ich sehr schät­ze und die vie­le wich­ti­ge und rich­ti­ge Arti­kel über den Osten geschrie­ben hat, hat heu­te einen Bei­trag in der taz über pro­mo­vier­te Sta­si-Mit­ar­bei­te­rIn­nen und über Jahns Vor­schlag, Dok­tor­ti­tel, die an der Sta­si-Hoch­schu­le in Pots­dam erwor­ben wur­den, statt als Dr. Jur. als Dr. Stas ein­zu­ord­nen. Ich stim­me ins­ge­samt in allem mit Simo­ne Schmol­lack über­ein, nur eine klei­ne Text­stel­le hat mich geärgert: 

Denn so ein Dok­tor­ti­tel ver­zückt, das hat er schon immer getan, beson­ders im obrig­keits- und titel­ori­en­tie­ren Osten.

Obrig­keits­ori­en­tiert? Weiß ich nicht. Vie­le Men­schen haben sich ein­fach aus­ge­klinkt und sich ins Pri­va­te zurück­ge­zo­gen. Titel­ori­en­tiert war der Osten sicher nicht. Im Wes­ten hat­te und hat ein Pro­fes­sor, Offi­zier, Arzt viel höhe­res Anse­hen als es die­se Beru­fe im Osten je hat­ten. Ich wür­de sogar soweit gehen, den Osten als intel­lek­tu­el­len­feind­lich ein­zu­stu­fen. Man hat es tun­lichst ver­mie­den, sei­nen Dok­tor­ti­tel in den Per­so­nal­aus­weis zu schrei­ben, weil einem das bei Kon­trol­len eher scha­den als nüt­zen konn­te. Sozia­le Hier­ar­chien waren in der DDR eher flach. Intel­lek­tu­el­le waren im All­tag zu nichts zu gebrau­chen, viel wich­ti­ger waren Bezie­hun­gen zu Men­schen, die begehr­te Waren ver­kauf­ten oder zu Hand­wer­kern. Hand­wer­ke­rIn­nen ver­dien­ten viel, viel mehr Geld als Wis­sen­schaft­le­rIn­nen und waren auch ent­spre­chend ange­se­hen. Zu stu­die­ren bedeu­te­te, dass man erst mal zur Armee muss­te und dann fünf Jah­re lang kein Geld ver­dien­te. Irgend­wann kam man irgend­wo an, aber die Men­schen mit Lehr­be­ruf ver­dien­ten schon jah­re­lang. Schön blöd. 

Nach­trag vom 26.01.2020: Ich möch­te mei­nen Blog­post mit die­sem Zitat aus einem Buch de Sozio­lo­gen Prof. Dr. Stef­fen Mau stär­ken. (Ich weiß, das ist lustig …):

In unse­rer Klas­se blick­te die gro­ße Mehr­heit, die eine Berufs­aus­bil­dung anstreb­te, ver­ächt­lich auf die »Stre­ber«, und es war schwer zu ver­mit­teln, war­um man wei­ter die Schul­bank drü­cken soll­te, wenn es doch dar­um ging, schnell Geld zu ver­die­nen und auf eige­nen Füßen zu ste­hen. Ein Hoch­schul­stu­di­um erschien nicht allen als Gip­fel des Glücks, was sicher­lich auch damit zu tun hat­te, dass die damit ver­bun­de­nen Ein­kom­mens­ge­win­ne mar­gi­nal blie­ben (ein Argu­ment, das noch stär­ker zu Buche schlägt, wenn man die län­ge­re Bil­dungs­pha­se einrechnet).

Stef­fen Mau. 2019. Lüt­ten Klein, Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung, BD 10490 bzw. Suhr­kamp.

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