(Ost-)Deutsche Christen in Ost und West

In den letz­ten Jah­ren gibt es mit dem Erstar­ken der AfD wie­der eine grö­ße­re Debat­te zu Nazis in der DDR. Es wird immer wie­der die offi­zi­el­le Geschich­te des nazifrei­en Lan­des zitiert. Dass die DDR nazifrei war ist sicher nicht rich­tig, aber dass die Nazi-Dich­te gerin­ger war und dass sie eben nicht – im Unter­schied zu Nazi-Grö­ßen wie Hans Glob­ke und Hans Fil­bin­ger – in Füh­rungs­po­si­tio­nen waren ist und bleibt wahr. Im Wikip­deia-Arti­kel zu Rechts­extre­mis­mus in der DDR wer­den drei Per­so­nen exem­pla­risch genannt: Arno von Len­ski, Franz Füh­mann oder Erhard Mau­ers­ber­ger. Per­so­nen wie Arno von Len­ski habe ich schon in einem frü­he­ren Post bespro­chen. Len­ski war in Sta­lin­grad in sowje­ti­sche Gefan­gen­schaft gera­ten und hat dann die Sei­ten gewechselt:

Nach eini­gem Zögern trat Len­ski am 7. Mai 1944 dem Natio­nal­ko­mi­tee Frei­es Deutsch­land und dem Bund Deut­scher Offi­zie­re bei. Dafür wur­de er von einem Kriegs­ge­richt in Tor­gau in Abwe­sen­heit zum Tode ver­ur­teilt. Er war Mit­ar­bei­ter der Zei­tung und des Sen­ders Frei­es Deutsch­land in Luno­wo. Von Dezem­ber 1944 bis Mai 1945 stu­dier­te er Gesell­schafts­wis­sen­schaf­ten und Poli­ti­sche Öko­no­mie in der Anti­fa-Schu­le in Kras­no­gorsk. Von März 1946 bis August 1949 war er mili­tä­ri­scher Fach­be­ra­ter bei Mos­film für den Doku­men­tar­film Die Schlacht um Sta­lin­grad.

Wiki­pe­dia-Ein­trag von Len­ski, abge­ru­fen 22.06.2024

Franz Füh­mann war eben­falls auf einer Anti­fa-Schu­le und hat dann als Assis­tenz­leh­rer an Anti­fa-Schu­len gelehrt. Wenn wir über Faschis­mus und Faschis­ten reden, dann nicht über sol­che, die zu Antifaschist*innen wur­den, son­dern sol­che, die unbe­hel­ligt ihr Leben füh­ren konn­ten und es zum Teil noch füh­ren. Sol­che wie Karl M.:

Der drit­te Name ist Erhard Mau­ers­ber­ger, der Mit­ar­bei­ter des Insti­tuts zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben war. Er hat dar­an mit­ge­wirkt, Kir­chen­lie­der umzu­dich­ten. Das wur­de zu DDR-Zei­ten nicht auf­ge­ar­bei­tet und ist in der Tat unakzeptabel.

Inter­es­sant ist, dass das Insti­tut sei­ne Mit­ar­bei­ter ver­öf­fent­licht hat, so dass man jetzt unter­su­chen kann, was aus den Nazis und Anti­se­mi­ten, die bis 1945 im Osten gelebt haben, gewor­den ist. Wiki­pe­dia hat eine lan­ge Lis­te mit Namen, von denen vie­le ver­linkt sind. Um zu zei­gen, dass nach dem Krieg weni­ger Nazis im Osten waren, muss man nur die Ost-Nazis anschau­en und unter­su­chen, wie vie­le von ihnen in den Wes­ten gegan­gen sind, denn es wird wohl kaum ein West-Nazi sein Leben auf­ge­ge­ben haben, um zu den Rus­sen in den Osten zu zie­hen. (Das setzt natür­lich eine Gleich­ver­tei­lung von Nazis in Ost und West direkt nach dem Krieg voraus.)

Die Wiki­pe­dia-Sei­te lis­tet die Mit­ar­bei­ter in drei Rubriken:

  • Mit­ar­bei­ter in kir­chen­lei­ten­der Funktion
  • Geist­li­che bzw. Pfarrer
  • Hoch­schul­leh­rer bzw. Akademiker

Im fol­gen­den sor­tie­re ich die Lis­ten nach Ster­be- oder Wohn­ort nach 1945 in West, Ost, unbekannt/irrelevant. Irrele­vant ist der Ster­be­ort zum Bei­spiel bei Per­so­nen, die in Kriegs­ge­fan­gen­schaft gestor­ben sind. Irrele­vant sind auch die­je­ni­gen, die schon vor Kriegs­en­de im Wes­ten waren.

In kirchenleitender Funktion

In den Westen gegangen 

  1. Bischof Fried­rich Peter, Ber­lin, gestor­ben 1960, Gro­nau, NRW „Obgleich Peter 1948 aus dem Pfarr­amt ent­las­sen wur­de, blie­ben ihm die geist­li­chen Rech­te erhal­ten. So erhielt er Beschäf­ti­gungs­auf­trä­ge in der Evan­ge­li­schen Kir­che von West­fa­len, zunächst in Oeding und seit 1953 in Gro­nau (Westf.).“
  2. Lan­des­bi­schof Walt­her Schultz, Schwe­rin, gestor­ben 1957 in Schna­cken­burg, Nie­der­sach­sen „Nach Kriegs­en­de wur­de Schultz, zusam­men mit Kon­sis­to­ri­al­prä­si­dent Her­mann Schmidt zur Ned­den, am 25. Juni 1945 von der bri­ti­schen Besat­zungs­macht ver­haf­tet und inter­niert. Zwei Tage spä­ter leg­te er sein Amt nie­der. Im Jah­re 1948 wur­de er aus dem Dienst der Lan­des­kir­che Meck­len­burgs ent­las­sen. Im Jah­re 1950 wur­de Schultz mit der pfarr­amt­li­chen Hil­fe­leis­tung in der St.-Dionysius-Kirchengemeinde Fal­ling­bos­tel in der Lüne­bur­ger Hei­de beauf­tragt. Als für die­se Auf­ga­be dort eine neue Pfarr­stel­le errich­tet wur­de, muss­te Schultz die Gemein­de ver­las­sen und über­nahm in Schna­cken­burg an der Elbe ein Gemein­de­pfarr­amt, das er bis zu sei­nem Tode innehatte.“
  3. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Theo­dor Ell­wein, Ber­lin, gestor­ben 1962 Mün­chen „Nach der Ent­las­sung im Dezem­ber 1949 wur­de er 1950 von kirch­li­cher Sei­te in den Ruhe­stand ver­setzt. Im Jah­re 1951 wur­de er Reli­gi­ons­leh­rer am Gym­na­si­um Pasing und Lehr­be­auf­trag­ter an der Leh­rer­bil­dungs­an­stalt Mün­chen-Pasing. Von 1954 bis 1961 war er Lei­ter der Päd­ago­gi­schen Arbeits­stel­le der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Bad Boll bei Göp­pin­gen. 1955 war er Mit­glied der Stu­di­en­kom­mis­si­on für Leh­rer­bil­dung („Tutz­in­ger Emp­feh­lun­gen“) in der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Tutz­ing. 1961 trat er in den Ruhestand.“
  4. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Hans Hohl­wein, Eisen­ach, gestor­ben 1996 in Solin­gen „Nach 1945 wirk­te Hohl­wein als theo­lo­gi­scher Hilfs­ar­bei­ter in der Props­tei Hal­ber­stadt, und von 1947 bis 1951 ver­wal­te­te er die Pfarr­stel­le Heu­de­ber in der Kir­chen­pro­vinz Sach­sen. Im Jah­re 1951 erfolg­te sei­ne Über­sied­lung in die Bun­des­re­pu­blik Deutschland.“
  5. Kir­chen­rat Wil­helm Bau­er, Eisen­ach, gestor­ben 1969 in Bay­ern „In dem von ihm 1935 her­aus­ge­ge­be­nen Buch „Fei­er­stun­den Deut­scher Chris­ten“ kamen neben Bibel­zi­ta­ten auch Autoren wie Adolf Hit­ler zu Wort. Zugleich betä­tig­te er sich als Schrift­lei­ter der Zeit­schrift „Deut­sche Fröm­mig­keit“, in der die Posi­tio­nen der Deut­schen Chris­ten ver­tre­ten wur­den. In einer ihrer Aus­ga­ben bekun­de­te er: „Wir sind Natio­nal­so­zia­lis­ten. Der Natio­nal­so­zia­lis­mus bedeu­tet uns die Wie­der­auf­rich­tung einer wahr­haf­ten Volks­ord­nung auf dem Grun­de der ewi­gen Geset­ze unse­res Blu­tes und unse­rer Hei­mat­er­de.“ Im Jah­re 1939 erklär­te er sei­ne Mit­ar­beit am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben. Zu Beginn der 1940er Jah­re wur­de er stell­ver­tre­ten­der Stu­di­en­lei­ter des Thü­rin­ger Pre­di­ger­se­mi­nars. Nach der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus leb­te Bau­er in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, publi­zier­te dort wei­ter und starb in einem Ort des Frei­staats Bayern.“
  6. Lan­des­su­per­in­ten­dent Fried­rich Kent­mann, Güs­trow, gestor­ben 1953 in Ham­burg „Nach dem Ende von Natio­nal­so­zia­lis­mus und Zwei­tem Welt­krieg 1945 wur­de er sei­nes Amtes als Lan­des­su­per­in­ten­dent ent­ho­ben und vom pfarr­amt­li­chen Dienst sus­pen­diert. Sein Nach­fol­ger als Lan­des­su­per­in­ten­dent wur­de mit Wir­kung vom 1. Okto­ber 1945 der Güs­trower BK-Pas­tor Sibrand Sie­gert (1890–1954). 1950 erfolg­te die Ent­las­sung Kent­manns aus dem Dienst der meck­len­bur­gi­schen Landeskirche.“
  7. Super­in­ten­dent Ger­hard Span­gen­berg, Alten­wed­din­gen, gestor­ben 1975 in Dül­men, NRW „Bis zum Antritt der Pfarr­stel­le im west­fä­li­schen Dül­men, wo er bis zu sei­nem Tod leb­te, arbei­te­te er als Ver­wal­ter einer Obst­fir­ma und spä­ter als Kran­ken­haus­ver­wal­ter. Die Kir­chen­lei­tun­gen ver­lang­ten zur Wie­der­auf­nah­me in den Dienst zunächst die Wie­der­ho­lung des Ordi­na­ti­ons­ge­lüb­des, ein Kol­lo­qui­um und die zeit­wei­li­ge Tätig­keit als Hilfs­pre­di­ger, was er ablehn­te. Den­noch stimm­te 1955 die Kir­chen­lei­tung in Bie­le­feld sei­ner Wahl zum Pfar­rer der Gemein­de in Dül­men zu, wo er nach sei­nem Ruhe­stand auch als Mili­tär­pfar­rer wirkte.“

Im Osten geblieben

  1. Reichs­vi­kar Fritz Engel­ke, Schwe­rin, gestor­ben 1956 in Schwe­rin „Nach 1945 wirk­te er als Pas­tor der Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Lan­des­kir­che Meck­len­burgs in Schwe­rin. Ab 1950 ver­trat er den im Gulag Worku­ta inhaf­tier­ten Aurel von Jüchen an der Kir­che St. Niko­lai (Schelf­kir­che) Schwerin.
  2. Ober­lan­des­kir­chen­rat Wil­ly Kretz­schmar, Dres­den, gestor­ben 1962 in Dres­den „Nach Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges 1945 erfolg­te zunächst sei­ne Ent­las­sung aus dem akti­ven Kir­chen­dienst. 1946 stell­te er den erfolg­rei­chen Antrag auf Reha­bi­li­tie­rung, in dem er sei­ne Mit­ar­beit im „Ent­ju­dungs­in­sti­tut“ in Eisen­ach extrem her­un­ter­spiel­te. In sei­nem Reha­bil­tie­rungs­an­trag an das säch­si­sche Lan­des­kir­chen­amt in Dres­den stell­te er sich selbst „als Ver­führ­ten der NSDAP“ dar. Spä­tes­tens seit 1939 habe er sich „zu akti­ven Geg­ner des NS-Regimes gewan­delt“ und sich anti­na­tio­na­lis­tisch und par­tei­schäd­lich ver­hal­ten sowie Grund­sät­ze der NSDAP bekämpft. 1959 ging Kretz­schmar als kirch­li­cher Finanz­ver­wal­ter der Lan­des­kir­che Sach­sens in den Ruhestand.“
  3. Ober­lan­des­kir­chen­rat Hein­rich Seck, Dres­den, gestor­ben 1947 in Stadt Weh­len „In die­ser Eigen­schaft und als Mit­glied der Deut­schen Chris­ten war er Mit­ar­bei­ter am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben und wur­de des­halb nach Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges 1945 aus dem akti­ven Kir­chen­dienst ent­las­sen. Er zog in die Säch­si­sche Schweiz, wo er im Alter von 51 Jah­ren in Stadt Weh­len starb.“
  4. Ober­kir­chen­rat Fried­rich Busch­töns, Ber­lin, gestor­ben 1962 in Ber­lin „1945 über­nahm er die Auf­sicht über die kirch­li­chen Ver­mö­gens­wer­te im Schloss Ilsen­burg und wenig spä­ter über das kirch­li­che Flücht­lings­la­ger in Stol­berg. 1946 wur­de Busch­töns in den Ruhe­stand ver­setzt. Er hat aber auch danach noch pfarr­amt­li­che Diens­te geleis­tet, so etwa in Klein­mach­now. 1955 gehör­te er zum Her­aus­ge­ber- und Redak­ti­ons­kreis der vom ZK der SED ange­reg­ten Zeit­schrift Glau­be und Gewis­sen: eine pro­tes­tan­ti­sche Monats­schrift.
  5. Kir­chen­rat Erhard Mau­ers­ber­ger, Eisen­ach, gestor­ben 1982 Leip­zig, Chor­lei­ter, Lei­ter Bach-Komi­tee, 1972 bei poli­ti­scher Säu­be­rung aus Chor­lei­tung entfernt. 

Unbekannt / irrelevant

  1. Lan­des­bi­schof Mar­tin Sas­se, Eisen­ach, gestor­ben 1942 an Schlaganfall
  2. Lan­des­bi­schof Erwin Bal­zer, Lübeck
  3. Lan­des­bi­schof Adal­bert Paul­sen, Kiel
  4. Bischof Wil­helm Sta­edel, Her­mann­stadt
  5. Bischof Hein­rich Josef Ober­heid, Bad Godesberg
  6. Prä­si­dent Chris­ti­an Kin­der, Kiel
  7. Prä­si­dent Fried­rich Wer­ner, Ber­lin-Char­lot­ten­burg
  8. Vize­prä­si­dent Hahn, Berlin-Charlottenburg
  9. Ober­kir­chen­rat Johan­nes Sie­vers, Lübeck
  10. Super­in­ten­dent Thie­me, Solingen
  11. Dekan Wal­ter Mulot, Wiesbaden
  12. Ober­kir­chen­rat Fröh­lich, Leipzig
  13. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Schön­rock, Schwerin
  14. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Schultz, Schwerin
  15. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Wie­ne­ke, Berlin
  16. Kir­chen­re­gie­rungs­rat Erwin Brau­er, Eisen­ach, gestor­ben 1946 Buchen­wald „Nach der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­lor er sei­ne Ämter und wur­de von den sowje­ti­schen Mili­tär­be­hör­den im Spe­zi­al­la­ger Nr. 2 in Buchen­wald inter­niert, wo er am 19. Dezem­ber 1946 verstarb.“
  17. Kir­chen­rat Ger­hard Braun­schweig, Dresden
  18. Kon­sis­to­ri­al­rat Hans Pohl­mann, Schnei­de­mühl
  19. Gene­ral­su­per­in­ten­dent Hans Schött­ler, Buch­schlag
  20. Lan­des­su­per­in­ten­dent Hans Hein­rich Fölsch, Neustrelitz
  21. Lan­des­ju­gend­pfar­rer Gar­ten­schlä­ger, Potsdam
  22. Kir­chen­rat Volk­mar Franz, Eisenach
  23. Propst Johan­nes Grell (1875–1947), Lei­ter der Kir­chen­pro­vinz Grenz­mark Posen-West­preu­ßen, Schneidemühl
  24. Super­in­ten­dent Krü­ger, Sagan
  25. Super­in­ten­dent Hugo Pich, Eisen­ach

Zwi­schen­fa­zit: Von den Nazi-Chris­ten mit kirch­li­cher Funk­ti­on im Osten sind 7 in den Wes­ten gegan­gen und 5 im Osten geblie­ben. Das bedeu­tet ers­tens, dass die Mehr­heit in den Wes­ten gegan­gen ist und zwei­tens, dass es im Osten sie­ben Nazis weni­ger und im Wes­ten sie­ben Nazis mehr gab als vor der Befreiung.

Geistliche bzw. Pfarrer

Die Lis­te der Geist­li­chen ist lang. Nur weni­ge sind in Wiki­pe­dia ver­linkt. Ich lis­te hier nur die ver­link­ten auf.

In den Westen gegangen 

  1. Pfar­rer Her­men­au, Pots­dam, gestor­ben 1981 Wies­ba­den „Im Jah­re 1939 erklär­te er sei­ne Mit­ar­beit am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben. In zahl­rei­chen Publi­ka­tio­nen ver­trat er sei­ne Über­zeu­gung von der Rol­le der deut­schen Frau im Reich Adolf Hit­lers. […] 1972: Ver­dienst­kreuz 1. Klas­se der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land“ Zur Ent­na­zi­fi­zie­rung und zum Grund für das Bun­des­ver­dienst­kreuz steht nichts in Wikipedia. 
  2. Pfar­rer Hosen­thien, Mag­de­burg, gestor­ben 1972 in Braun­schweig „1949 folg­te Albert Hosen­thien sei­nem Sohn und zog nach Fort Bliss in El Paso (Texas), kehr­te jedoch, da er mit den dor­ti­gen Gege­ben­hei­ten nicht zurecht­kam, 1954 wie­der nach Deutsch­land zurück. Da die Regi­on Mag­de­burg jetzt in der DDR lag, sie­del­te er sich in Braun­schweig, im west­li­chen Teil Deutsch­lands an. Er arbei­te­te hier auch wie­der als Pfarrer.“
  3. Pfar­rer Hun­ger, Eisen­ach, gestor­ben 1995 Müns­ter, NRW „Nach 1945 ori­en­tier­te er sich auf das Gebiet der Sexu­al­erzie­hung, was ihm den Spitz­na­men „Sex-Hun­ger“ ein­trug. Bis Ende der 1960er Jah­re publi­zier­te er sei­ne christ­lich-kon­ser­va­ti­ve Sexu­al­mo­ral im Güters­lo­her Ver­lags­haus. Er wur­de auch Redak­ti­ons­lei­ter der Zeit­schrift Der evan­ge­li­sche Reli­gi­ons­leh­rer an der Berufs­schu­le, die vom Schrif­ten­mis­si­ons­ver­lag Glad­beck her­aus­ge­ge­ben wurde.“ 
  4. Pfar­rer Kers­ten-Thie­le, Köthen, gestor­ben 1988 Göt­tin­gen, Nie­der­sach­sen „Nach 1945 wirk­te Kers­ten-Thie­le im Vor­stand der Deut­schen Ost­asi­en-Mis­si­on und publi­zier­te in deren Sin­ne meh­re­re Bücher. 1948 war er Pfar­rer in Göt­tin­gen-Gro­ne und 1954 in Düs­sel­dorf. Von 1960 bis 1964 war er Reli­gi­ons­leh­rer am Rethel-Gym­na­si­um (bzw. Jaco­bi-Gym­na­si­um) Düs­sel­dorf und zwi­schen 1968 und 1973 war er als Pas­tor in Sereetz tätig. Anschlie­ßend ging er in die Rhei­ni­sche Lan­des­kir­che zurück.“ 
  5. Pfar­rer Kuhl, Ber­lin, gestor­ben 1959 Kas­sel „Spä­te­re Wohn­sit­ze waren Nord­kir­chen, wo er von 1949 bis 1956 Pfar­rer war. Hier grün­de­te er einen Kirch­bau­ver­ein, um in Nord­kir­chen ein Gemein­de­zen­trum schaf­fen zu kön­nen. Im Jahr 1956 wur­de ihm von der evan­ge­lisch-theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn die Ehren­dok­tor­wür­de ver­lie­hen. Nach­dem Kuhl 1957 in den Ruhe­stand gegan­gen war, leb­te er bis zu sei­nem Tod 1959 in Kas­sel und hin­ter­ließ eine Frau und zwei Kin­der. In sei­nen letz­ten Lebens­jah­ren hat­te er einen Lehr­auf­trag an der Georg-August-Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen. Gemein­sam mit Bo Rei­cke arbei­te­te er ab 1958 am Biblisch-his­to­ri­schen Hand­wör­ter­buch für den Ver­lag Van­den­hoeck & Ruprecht. Kuhl war von 1921 bis zu sei­nem Tod Mit­glied der Deut­schen Mor­gen­län­di­schen Gesellschaft.“
  6. Pfar­rer Schmidt-Claus­ing, Pots­dam-Babels­berg, gestor­ben 1984 in West-Ber­lin „Nach dem Zwei­ten Welt­krieg lei­te­te Schmidt-Claus­ing den Wie­der­auf­bau der Gemein­de von 1947 bis 1962 als Pfar­rer an der Ber­li­ner Kai­ser-Fried­rich-Gedächt­nis­kir­che. In der Kir­chen­rui­ne wur­de die ein­zi­ge ver­blie­be­ne Glo­cke wie­der gang­bar gemacht und bis in die 1950er Jah­re zum Begrü­ßungs­läu­ten für die Ber­li­ner Russ­land­heim­keh­rer benutzt. Im begin­nen­den Kal­ten Krieg setz­te Schmidt-Claus­ing damit ein poli­ti­sches Zei­chen und mach­te sei­ne Gemein­de bekannt – bis hin zur US-ame­ri­ka­ni­schen Wochen­schau, die das The­ma dank­bar auf­nahm. Fritz Schmidt-Claus­ing starb in einem West-Ber­li­ner Pfle­ge­heim und wur­de auf dem Fried­hof Wil­mers­dorf beigesetzt.“

Hans-Joa­chim Thi­lo hat sich neu­ori­en­tiert, so dass ich ihn hier extra auf­zäh­le. Prin­zi­pi­ell ist das bei den sechs oben genann­ten Per­so­nen natür­lich auch denk­bar, es steht aber ncihts dazu­in Wikipedia.

  1. Pas­tor Thi­lo, Pir­na, gestor­ben 2003 in Lübeck „Thi­los Erfah­run­gen im Kriegs­dienst, sei­ne Ver­wun­dung bei Kiew und sei­ne Kriegs­ge­fan­gen­schaft, zunächst in Kana­da, dann in Eng­land, führ­ten ihn zu einem Umden­ken und Neu­an­fang. Im Dezem­ber 1947 kehr­te er nach Deutsch­land zurück und erhielt eine Pfarr­stel­le der Kir­chen­ge­mein­de am Liet­zen­see in Ber­lin-Witz­le­ben. Gleich­zei­tig bau­te er hier die kirch­li­che Bera­tungs­ar­beit auf. Von 1956 bis 1961 wirk­te er an der Deut­schen Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Kir­che in Genf. Anschlie­ßend war er Refe­rent an der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Bad Boll, bis er 1966 zum Pas­tor der Mari­en­kir­che in Lübeck beru­fen wur­de, wo er bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung wirk­te. 1973 habi­li­tier­te er sich an der Uni­ver­si­tät Ham­burg für das Fach Prak­ti­sche Theo­lo­gie. Er blieb Gemein­de­pas­tor, hielt jedoch regel­mä­ßig Lehr­ver­an­stal­tun­gen in Ham­burg. 1979 wur­de ihm der Titel Pro­fes­sor verliehen.“

Im Osten geblieben

  1. Ober­pfar­rer Ungern von Stern­berg, Ron­ne­burg, gestor­ben 1949 in Gera „Noch im Janu­ar 1945 gehör­te er zu den Thü­rin­ger Pröps­ten, die den DC-Kir­chen­prä­si­den­ten Hugo Rönck dazu dräng­ten, den Bischofs­ti­tel anzu­neh­men.[2] Auf­grund des Geset­zes zur Über­prü­fung der Pfar­rer­schaft und der Ver­wal­tung der Thü­rin­ger evan­ge­li­schen Kir­che (Rei­ni­gungs­ge­setz) vom 12. Dezem­ber 1945 wur­de Ungern-Stern­berg aus dem Pfarr­dienst ent­las­sen und die Dienst­be­zeich­nung „Super­in­ten­dent im War­te­stand“ wur­de ihm aberkannt. Er wur­de aber zunächst kom­mis­sa­risch als Pfar­rer in Ron­ne­burg wei­ter­be­schäf­tigt, ab dem 1. Dezem­ber 1947 wur­de er dann wie­der offi­zi­ell als Pfar­rer in Nie­der­pöll­nitz eingesetzt.“
  2. Pfar­rer Busch, Dres­den, gestor­ben 1952, Pir­na, Sachsen 
  3. Pfar­rer Del­ling, Leip­zig, gestor­ben 1986 in Hal­le „Im Jah­re 1945 geriet Del­ling in Däne­mark in Kriegs­ge­fan­gen­schaft und wirk­te bis 1947 als Seel­sor­ger im Inter­nie­rungs­la­ger Aar­hus. Nach sei­ner Ent­las­sung ging er nach Pom­mern und erhielt 1947 einen Lehr­auf­trag an der Ernst-Moritz-Arndt-Uni­ver­si­tät Greifs­wald. 1948 habi­li­tier­te er sich hier mit der Schrift Got­tes­dienst im Neu­en Tes­ta­ment (gedruckt 1952) für das Fach Neu­es Tes­ta­ment. Im Jah­re 1950 wur­de Del­ling als Pro­fes­sor mit Lehr­auf­trag an die Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg beru­fen, 1952 bekam er den vol­len Lehr­auf­trag, die Beför­de­rung zum Pro­fes­sor mit Lehr­stuhl für spät­an­ti­ke Reli­gi­ons­ge­schich­te erfolg­te 1953. 1955 erhielt er durch Kurt Aland, dem Lei­ter der Kom­mis­si­on für spät­an­ti­ke Reli­gi­ons­ge­schich­te der Deut­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten zu Ber­lin, eine Stel­le zur Reor­ga­ni­sa­ti­on des Cor­pus Hel­le­ni­sti­cum. 1955/56 über­nahm Del­ling eine Gast­pro­fes­sur an der Uni­ver­si­tät Leip­zig, eine Beru­fung kam jedoch eben­so wenig zustan­de wie die von Tei­len der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät in den 1960er Jah­ren gewünsch­te Ver­set­zung nach Ber­lin. An der Uni­ver­si­tät Hal­le bau­te Del­ling das Insti­tut für spät­an­ti­ke Reli­gi­ons­ge­schich­te auf, dem er seit 1963 als Direk­tor vor­stand. Nach der IV. Hoch­schul­re­form wur­de Del­ling 1969 zum ordent­li­chen Pro­fes­sor ernannt und 1970 eme­ri­tiert. Del­ling forsch­te vor allem zur Über­lie­fe­rungs­ge­schich­te des Neu­en Tes­ta­ments und zum anti­ken Juden­tum (Das Zeit­ver­ständ­nis des Neu­en Tes­ta­ments, 1940; Jüdi­sche Leh­re und Fröm­mig­keit in den para­li­po­me­na Jere­miae, 1967; gesam­mel­te Auf­sät­ze: Stu­di­en zum Neu­en Tes­ta­ment und zum hel­le­nis­ti­schen Juden­tum, 1950–1968, 1970; Stu­di­en zum Früh­ju­den­tum, 1971–1987, 2000). Außer­dem gab er Biblio­gra­phien zur jüdisch-hel­le­nis­ti­schen For­schung her­aus und arbei­te­te am Cor­pus Hel­le­ni­sti­cum Novi Tes­ta­men­ti mit. Die Uni­ver­si­tät Greifs­wald ver­lieh ihm 1964 die Ehren­dok­tor­wür­de. Del­ling ver­starb am 18. Juni 1986, im Alter von 81 Jah­ren, in Halle.“
  4. Pfar­rer Ohl­and, Unkero­da (Thü­rin­gen), gestor­ben 1953 in Frie­dels­hau­sen, Thü­rin­gen „Im Jah­re 1946 ver­lor Ohl­and sein Amt, durf­te aber seit 1948 in Beh­run­gen als Pfarr­vi­kar wie­der amtie­ren, seit 1952 als Pfar­rer in Friedelshausen.“

Irrelevant

  1. Pfar­rer Dungs, Essen
  2. Pfar­rer Jäger, Frei­burg
  3. Pfar­rer Peters­mann, Bres­lau
  4. Pfar­rer Rie­ge, Lübeck
  5. Pfar­rer Joseph Roth, Diers­heim, gestor­ben 1941 Tirol
  6. Pas­tor Dungs, Wei­mar, gestor­ben 1947 durch Hin­rich­tung oder 1949 in Haft

Zwi­schen­fa­zit: Von den Nazi-Pfar­rern im Osten sind 7 in den Wes­ten gegan­gen und 4 im Osten geblie­ben. Zählt man Hans-Joa­chim Thi­lo zu den irrele­van­ten Fäl­len, weil es bei ihm ein Umden­ken und Neu­an­fang gab, blei­ben 6 in den Wes­ten gegan­ge­ne, die zu den Nazis, die ohne­hin aus dem Wes­ten waren, dazu­ge­kom­men sind und den Osten ver­las­sen haben.

Hochschullehrer bzw. Akademiker

In den Westen gegangen

  1. Johan­nes Hem­pel, Ber­lin, gestor­ben 1964 in Göt­tin­gen „Er über­nahm die Her­aus­ge­ber­schaft der Zeit­schrift für die alt­tes­ta­ment­li­che Wis­sen­schaft. Im Jah­re 1937 wur­de er nach Ber­lin beru­fen und lei­te­te das Insti­tu­tum Judai­cum zur Erfor­schung des Juden­tums „vom Boden der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Welt­an­schau­ung aus“. Im Jah­re 1939 erklär­te Hem­pel sei­ne Mit­ar­beit am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben als Lei­ter der Arbeits­grup­pe Altes Tes­ta­ment. Auf der Arbeits­ta­gung im März 1941 refe­rier­te er über Die Auf­ga­be von Theo­lo­gie und Kir­che von der Front her gese­hen. Wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges fun­gier­te er als Mili­tär­pfar­rer. Das Kriegs­en­de erleb­te er 1945 in einem Laza­rett an der Nord­see. Im Jah­re 1947 wur­de Hem­pel Pfarr­ver­we­ser in Salz­git­ter-Lebens­tedt, einem Ort im Gebiet der Braun­schwei­gi­schen Lan­des­kir­che. Im Jah­re 1955 wur­de er Hono­rar­pro­fes­sor in Göt­tin­gen und betrieb ab 1958 als Eme­ri­tus sei­ne wis­sen­schaft­li­che Arbeit wei­ter, beson­ders für die von ihm betreu­te Zeitschrift.“
  2. Wolf Mey­er-Erlach, Jena, gestor­ben 1982 in Idstein, Hes­sen „Im Jah­re 1945 ging er aller Ämter ver­lus­tig, auch eine Wie­der­ein­stel­lung in der baye­ri­schen Lan­des­kir­che blieb ihm ver­sagt. 1950 flüch­te­te Mey­er-Erlach aus der DDR. Von 1951 bis 1963 wur­de er Pfarr­ver­wal­ter in Wall­ra­ben­stein und Wörs­dorf bei Idstein im Tau­nus (Evan­ge­li­sche Kir­che in Hes­sen und Nas­sau). Von ihm wur­den his­to­ri­sche Sujets wie das Stück „Anno 1634“ aufgeführt.“
  3. Max Adolf Wagen­füh­rer, Jena, gestor­ben 2010 irgend­wo im Wes­ten „Nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs kam er an die Luther­kir­che nach Köln-Nip­pes und wur­de zunächst in den Pfarr­dienst der Rhei­ni­schen Kir­che über­nom­men. 1949 wur­de er wegen sei­ner feh­len­den Ordi­na­ti­on vor­über­ge­hend sus­pen­diert und wech­sel­te in den Schul­dienst. 1953 kam er zurück in den Pfarr­dienst, wur­de ordi­niert und erhielt eine Beru­fung an die neu­erbau­te Erlö­ser­kir­che in Wei­den­pesch. Von 1970 bis 1982 war er Pfar­rer in Prien am Chiemsee.“

Im Osten geblieben

  1. Richard Barth, Jena, gestor­ben nach 1946 „Nach der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­lor er sein Amt. Ab 1946 arbei­te­te er als Grund­schul­leh­rer in Jena.“
  2. Paul Fie­big, Leip­zig, gestor­ben 1949 in Kal­be Sach­sen Anhalt 
  3. Rein­hard Lie­be, Frei­berg (Sach­sen), gestor­ben 1956 in Frei­berg. Der Wiki­pe­dia-Ein­trag lässt zu wün­schen übrig.
  4. Heinz Erich Eisen­huth, Jena, gestor­ben 1983 Pferdsdorf/Werra, Thü­rin­gen „Nach­dem er 1945 aus dem Uni­ver­si­täts­dienst ent­las­sen wor­den war, wur­de er 1946 zunächst kom­mis­sa­risch, spä­ter im Haupt­amt Pfar­rer in Jena-Zwät­zen. 1952 wur­de er Super­in­ten­dent in Eisen­ach. Anders als in der For­schungs­li­te­ra­tur bis­wei­len behaup­tet wird, über­nahm er jedoch nie die Lei­tung der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Thü­rin­gen. Er gehör­te aber zeit­wei­se der Syn­ode an und erhielt meh­re­re Lehr­auf­trä­ge am Theo­lo­gi­schen Semi­nar Leip­zig. Nach­dem er 1967 in den War­te­stand getre­ten war, ging er 1969 in den Ruhestand.“
  5. Wil­helm Knevels, Ros­tock, gestor­ben 1978 in West-Ber­lin „Im Jah­re 1950 erhielt er einen Lehr­auf­trag an der Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg. Nach sei­ner Eme­ri­tie­rung leb­te er in West-Ber­lin und wirk­te dort wei­ter an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin. Er ist auf dem Wald­fried­hof Dah­lem bestat­tet. Auf dem Grab­stein steht unter den Lebens­da­ten: „Theo­lo­ge des drit­ten Weges / = Selbst­be­sin­nung des Glau­bens / zwi­schen Fun­da­men­ta­lis­mus / und Exis­ten­zi­al­theo­lo­gie / Unser Glau­be ist der Sieg / der die Welt über­win­det“.“ Knevels ist 1897 geboh­ren, die Eme­ri­tie­rung muss also gegen 1962 gewe­sen sein. Ich lis­te ihn hier unter Im Osten geblie­ben, weil er sein gesam­tes Berufs­le­ben im Osten ver­bracht hat.
  6. Wil­helm Koepp, Greifs­wald, gestor­ben 1965 Klein­mach­now „1952 erhielt er den Lehr­stuhl an der Uni­ver­si­tät Ros­tock. 1954 eme­ri­tiert, lehr­te er noch bis zu sei­nem Tode an der Uni­ver­si­tät Ros­tock weiter.“
  7. Johan­nes Lei­poldt, Leip­zig, gestor­ben 1965 in Leip­zig „Nach 1945 war er Dom­herr des Hoch­stifts Mei­ßen und erhielt eine Pro­fes­sur mit Lehr­stuhl für Neu­tes­ta­ment­li­che Wis­sen­schaft in Leip­zig. Er wur­de als ordent­li­ches Mit­glied in die Säch­si­sche Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten auf­ge­nom­men und 1954 mit dem Vater­län­di­schen Ver­dienst­or­den in Sil­ber und 1960 in Gold aus­ge­zeich­net. […] Lei­poldt war von 1953 bis 1963 als Ver­tre­ter der CDU Abge­ord­ne­ter der Volkskammer.“
  8. Her­bert von Hint­zen­s­tern, Eisen­ach, gestor­ben 1996 in Wei­mar „Seit August 1945 war er in Lauscha, ab 1948 als Pfar­rer. Dort trat er der DDR-CDU bei, sein Par­tei­aus­tritt erfolg­te zum 1. Mai 1947. Im Jah­re 1952 wur­de er zum Lan­des­ju­gend­pfar­rer der Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Kir­che in Thü­rin­gen beru­fen. Seit 1956 lei­te­te er die Evan­ge­li­sche Aka­de­mie Thü­rin­gen und die Pres­se­stel­le der Kir­che. Gleich­zei­tig wur­de er zum Chef­re­dak­teur der Kir­chen­zei­tung Glau­be und Hei­mat beru­fen. 1962 wur­de er zum Kir­chen­rat ernannt. Von 1968 bis 1986 war er neben­amt­li­cher Lei­ter des Pfarr­haus­ar­chivs im Luther­hau­ses in Eisen­ach. 1981 ging er in den Ruhestand.“
  9. Rudolf Mey­er, Leip­zig, gestor­ben 1991 in Jena, Thü­rin­gen „Im Jah­re 1947 wur­de er außer­plan­mä­ßi­ger Pro­fes­sor und 1948 […] Ordi­na­ri­us für Altes Tes­ta­ment an der Fried­rich-Schil­ler-Uni­ver­si­tät Jena. Hier unter­rich­te­te er Gene­ra­tio­nen von Theo­lo­gie­stu­den­ten in Hebrä­isch, der Geschich­te des Vol­kes Isra­el und der Theo­lo­gie des Alten Tes­ta­ments. Zusam­men mit […] wur­de ihm 1952 von der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin die Ehren­dok­tor­wür­de ver­lie­hen. Mey­er war seit 1959 ordent­li­ches Mit­glied der Säch­si­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten und seit 1978 kor­re­spon­die­ren­des Mit­glied der Hei­del­ber­ger Aka­de­mie der Wissenschaften.“
  10. Sieg­fried Morenz, Leip­zig, gestor­ben 1970 Leip­zig „Morenz wur­de 1946 Dozent an der Uni­ver­si­tät Leip­zig und habi­li­tier­te sich im sel­ben Jahr bei Wil­helm Schub­art mit einer Schrift zu Ägyp­tens Bei­trag zur wer­den­den Kir­che. Ab 1948 lei­te­te Morenz, zunächst kom­mis­sa­risch, das Ägyp­to­lo­gi­sche Insti­tut der Uni­ver­si­tät Leip­zig. Im Febru­ar 1952 wur­de er Pro­fes­sor mit Lehr­auf­trag, im Sep­tem­ber des Jah­res mit vol­lem Lehr­auf­trag und zwi­schen 1954 und 1961 schließ­lich als Lehr­stuhl­in­ha­ber für Ägyp­to­lo­gie und hel­le­nis­ti­sche Reli­gi­ons­ge­schich­te. Zwi­schen 1952 und 1958 nahm Morenz zudem neben­amt­lich die Lei­tung der Ägyp­ti­schen Abtei­lung der Staat­li­chen Muse­en zu Ber­lin in Ost-Ber­lin wahr. Zwi­schen 1961 und 1966 lehr­te Morenz als Lehr­stuhl­in­ha­ber an der Uni­ver­si­tät Basel, lei­te­te jedoch im Neben­amt wei­ter­hin das Leip­zi­ger Ägyp­to­lo­gi­sche Insti­tut. Danach kehr­te er nach Leip­zig zurück, wo er bis zu sei­nem Tod 1970 wie­der den Lehr­stuhl für Ägyp­to­lo­gie innehatte.“
  11. Kon­rad Weiß, Ber­lin, gestor­ben 1979 in Ros­tock „1946 wur­de Weiß außer­or­dent­li­cher Pro­fes­sor für neu­tes­ta­ment­li­che Theo­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Ros­tock, 1948 wur­de er dort auf eine ordent­li­che Pro­fes­sur beru­fen und 1972 eme­ri­tiert. Die Uni­ver­si­tät Kiel zeich­ne­te Weiß 1961 mit der Ehren­dok­tor­wür­de aus.“

Unbekannt / irrelevant

Die Aus­wer­tung der Lebens­da­ten der Hoch­schul­leh­rer ist ver­blüf­fend. Nur drei sind in den Wes­ten gegan­gen. 11 sind im Osten geblie­ben. Man müss­te die Ein­zel­fäl­le näher anse­hen und erfor­schen, wie inten­siv ihre Mit­ar­beit im Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben war und was davon zu Leb­zei­ten bekannt war. Teil­wei­se hat­ten die Wis­sen­schaft­ler Ehren­dok­tor­tit­le von Uni­ver­si­tä­ten in Ost und West.

Weitere Nazis aus dem Umfeld der Deutschen Christen / dem Institut

In den Westen gegangen

  1. Hugo Rönck deut­scher evan­ge­li­scher Pfar­rer und Bischof, gestor­ben 1990, bis 1976 Pas­tor in Eutin, Schles­wig-Hol­stein. „Im Jah­re 1945 nahm er „kurz vor dem Ein­marsch der amerikan[ischen] Trup­pen“ den Titel Lan­des­bi­schof an. Im April 1945 wur­de er von den Ver­tre­tern der inner­kirch­li­chen Oppo­si­ti­on um Moritz Mit­zen­heim, Erich Hertzsch und Ger­hard Kühn zum Amts­ver­zicht gedrängt und weni­ge Tage spä­ter von US-ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen ver­haf­tet. Im August 1945 ent­ließ ihn die Thü­rin­ger Kir­che aus dem kirch­li­chen Dienst. Spä­ter war er von 1947 bis 1976 Pas­tor in Eutin.“

Im Osten geblieben

  1. Johan­nes Klot­sche gestor­ben 1963, Stadt Weh­len, Pir­na, Sach­sen, „Der „fana­ti­sche Anti­se­mit“ Klot­sche unter­zeich­ne­te im April 1939 gemein­sam mit zehn ande­ren Lan­des­kir­chen­lei­tern die Bekannt­ma­chung über Gemein­schafts­ar­beit von Lan­des­kir­chen­lei­tern, deren ers­te Maß­nah­me in der Grün­dung des Insti­tuts zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben bestand. Im Dezem­ber 1941 wur­den Chris­ten jüdi­scher Her­kunft aus der Lan­des­kir­che aus­ge­schlos­sen, womit das Sakra­ment der Tau­fe in Sach­sen par­ti­ell außer Kraft gesetzt war. Bis 1942 gehör­te er dem Ver­wal­tungs­rat des sog. Ent­ju­dungs­in­sti­tuts an. Nach Kriegs­en­de absol­vier­te er 1951/52 eine Aus­bil­dung zum volks­mis­sio­na­ri­schen Dienst an der Pre­di­ger­schu­le Pau­li­num in Ost-Berlin.“
  2. Wal­ter Grund­mann gestor­ben 1976 in Eisen­ach „1930 wur­de er Mit­glied der NSDAP und 1933 akti­ves Mit­glied der Deut­schen Chris­ten, deren im gan­zen Deut­schen Reich gül­ti­ge Richt­li­ni­en er ver­fass­te. 1939 wur­de er zum aka­de­mi­schen Direk­tor des neu gegrün­de­ten Insti­tuts zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben in Eisen­ach ernannt, das im Dienst des staat­li­chen Anti­se­mi­tis­mus die „Ent­ju­dung“ der Bibel und der theo­lo­gi­schen Aus­bil­dung betrieb. Unge­ach­tet sei­ner NS-Ver­gan­gen­heit erlang­te Grund­mann in der DDR als Theo­lo­ge erheb­li­ches Anse­hen: 1954 erteil­ten ihm das Kate­che­ti­sche Ober­se­mi­nar Naum­burg (Saa­le) und das Theo­lo­gi­sche Semi­nar Leip­zig Lehr­auf­trä­ge und er wur­de Rek­tor des Eisen­acher Kate­che­ten­se­mi­nars; sei­ne ab 1959 erschie­ne­nen Evan­ge­li­en­kom­men­ta­re waren Stan­dard­li­te­ra­tur und wer­den bis heu­te (2022) zitiert. Er arbei­te­te für das Minis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit, unter dem Deck­na­men GI Berg. […] In der DDR galt Grund­mann bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung 1975 trotz sei­ner NS-Ver­gan­gen­heit als ange­se­he­ner theo­lo­gi­scher Leh­rer. 1974 ver­lieh die Kir­chen­lei­tung ihm noch­mals den Titel eines „Kir­chen­rats“, um sei­ne Arbeit anzu­er­ken­nen und um sei­ne Pen­si­on zu erhö­hen.“ Sei­ne Wiki­pe­dia-Sei­te ent­hält eine aus­führ­li­che­re Schil­de­rung der Stasi-Tätigkeit.

Irrelevant

  1. Fried­rich Coch gestor­ben Sep­tem­ber 1945 in ame­ri­ka­ni­scher Gefan­gen­schaft „Füh­rer der Glau­bens­ge­mein­schaft Deut­sche Chris­ten in Sach­sen und Her­aus­ge­ber der Monats­zeit­schrift Chris­ten­kreuz und Haken­kreuz.“

Schlussfolgerung

7 + 6 + 3 der Per­so­nen, die in der NSDAP waren und sich öffent­lich zum Anti­se­mi­tis­mus bekannt hat­ten, sind vom Osten in den Wes­ten gegan­gen. Dazu noch min­des­tens ein lei­ten­des Mit­glied der Deut­schen Chris­ten. Damit hat sich die Anzahl der Anti­se­mi­ten und Nazis im Osten ver­rin­gert und im Wes­ten erhöht. Von eini­gen die­ser Per­so­nen ist klar, dass sie wirk­lich har­te Nazis und Ras­sis­ten waren. Ande­re waren even­tu­ell weni­ger invol­viert, eini­ge haben sich viel­leicht gewan­delt. Das geht aus Wiki­pe­dia nicht hervor.

„Ines Geipel lügt“

In Der Ossi und der Holo­caust habe ich die Behaup­tun­gen von Anet­ta Kaha­ne und Ines Gei­pel zum Umgang der DDR mit dem Holo­caust unter­sucht und bin zum Schluss gekom­men, dass bei­de Autorin­nen ent­we­der kei­ne Ahnung haben oder lügen. 

Die West-Gesell­schaft des direk­ten Nach­kriegs, die sich manisch schön­putz­te, die schier mär­chen­gleich Koh­le mach­te und sich in ihrer Unfä­hig­keit zu trau­ern ver­pupp­te. Die post­fa­schis­ti­sche DDR der fünf­zi­ger Jah­re dage­gen wur­de zur Syn­the­se zwi­schen ein­ge­kap­sel­tem Hit­ler und neu­er Sta­lin-Dik­ta­tur, pla­niert durch einen roten Anti­fa­schis­mus, der ein­zig eine Hel­den­sor­te zuließ: den deut­schen Kom­mu­nis­ten als Über­win­der Hit­lers. Mit die­ser instru­men­tel­len Ver­ges­sens­po­li­tik wur­de im sel­ben Atem­zug der Holo­caust für 40 Jah­re in den Ost-Eis­schrank gescho­ben. Er kam öffent­lich nicht vor.

Ines Gei­pel, Das Ding mit dem Osten, Frank­fur­ter All­ge­mei­ne, 14.08.2019

Im Blog-Post zei­ge ich recht deut­lich, dass die Ver­bre­chen an den Juden über­all the­ma­ti­siert wur­den. In den Geschichts­bü­chern der neun­ten Klas­se, im Lite­ra­tur­un­ter­richt, in Büchern, Fil­men, Stra­ßen­nah­men usw.

Beim taz-Lab gab es eine Podi­ums­dis­kus­si­on mit der His­to­ri­ke­rin Kat­ja Hoyer und dem Schrift­stel­ler Mar­co Mar­tin, bei der letz­te­rer sag­te, das mit der Geschichts­schrei­bung durch die Sie­ger im Ver­ei­ni­gungs­pro­zess sei doch eine Mär, denn es gäbe doch auch ost­deut­sche Stim­men wie Ines Gei­pel und Anne Rabe. Ich habe dann im Dis­kus­si­ons­teil dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Anet­ta Kaha­ne und Ines Gei­pel kei­ne glaub­wür­di­gen Quel­len sei­en, da sie ent­we­der kei­ne Ahnung hät­ten oder lügen wür­den, was zu gro­ßer Ent­rüs­tung führ­te. Lei­der kann­te ich zu die­sem Zeit­punkt eine Doku­men­ta­ti­on des MDRs noch nicht, denn aus die­ser geht her­vor, dass Ines Gei­pel erheb­li­che Pro­ble­me mit der Wahr­heit in Bezug auf ihr eige­nes Leben hat. Auch die Zah­len der Doping­be­trof­fe­nen, die sie als Che­fin der Doping­op­fer­hil­fe ver­tre­ten hat, hiel­ten einer Über­prü­fung nicht stand.

Das ist der MDR-Beitrag:

Doping und Dich­tung: Bei­trag vom MDR über Behaup­tun­gen von Ines Geipel

Ines Gei­pel hat behaup­tet, dass die Sta­si bei einer Blind­darm-Ope­ra­ti­on ihre Bauch­mus­ku­la­tur und all ihre Orga­ne zer­schnit­ten habe. 

Eine Unter­leibs­ope­ra­ti­on 1984 bot die Gele­gen­heit, „sie zumin­dest für län­ge­re Zeit auf Eis zu legen“, wie sie aus den Akten zitier­te. Ein Chir­urg der Virch­ow-Kli­nik in Ber­lin stell­te 2004, zwan­zig Jah­re nach der per­fi­den Tat, fest, was die Ärz­te in der DDR ihr ange­tan hat­ten. „Mein gesam­ter Bauch war samt Mus­ku­la­tur durch­schnit­ten wor­den“, erfuhr sie. „Alle inne­ren Orga­ne waren verletzt.“

Reinsch, Micha­el. 12.04.2011. Ines Gei­pel: Der Schre­cken steht mit­ten im Raum. Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung. Frankfurt/Main.

In der Doku­men­ta­ti­on wur­de sie bei einem Sprint-Wett­be­werb zwei Mona­te nach der OP gezeigt. Mit ver­letz­ten Orga­nen läuft man kei­ne 100m, weil man auch vor dem Wett­kampf trai­nie­ren muss. 

Den kom­plet­ten Bauch auf­schnei­den, wer glaubt in so einen Unsinn? Da könn­te man nicht mehr lau­fen. Ich habe ja erst vor ein paar Tagen wie­der gele­sen, dass alle inne­re inne­ren Orga­ne wur­den ver­letzt. Das ist ein Unding. Das geht nicht und da kann man vor allen Din­gen nicht sechs Wochen oder acht Wochen spä­ter lau­fen. Schlecht wie immer – aber gelau­fen ist sie.

Uwe Trö­mer im MDR-Bei­trag Doping und Dichtung

Bezüg­lich ihrer Blind­darm­ope­ra­ti­on gibt sie an, dass sie als Fol­ge der durch die Sta­si durch­ge­führ­ten Ope­ra­ti­on kei­ne Kin­der mehr bekom­men konn­te (Ein­zel­kämp­fer bei 1:24:15). Laut MDR-Fak­ten­check (2023: 60) steht im OP-Bericht vom 17.01.2003 nichts von Ver­let­zun­gen ande­rer Orga­ne oder Ver­let­zun­gen, die Kin­der­lo­sig­keit hät­ten ver­ur­sacht haben können.

Gei­pel gibt mit Welt­re­kor­den an und damit Olym­pio­ni­kin gewe­sen zu sein, sie hat aber nie eine gewon­nen, ja, sie hat nicht ein­mal an einer Olym­pia­de teil­ge­nom­men. Bei Sprint-Wett­kämp­fen lan­de­te sie trotz hoher Doping­wer­te auf hin­te­ren Plät­zen. In die natio­na­le Aus­wahl der Sprint­staf­fel kam sie nicht, weil es bes­se­re Läu­fe­rin­nen gab. 

Nach Aus­strah­lung der MDR-Doku leg­te Ines Gei­pel eine Pro­gramm­be­schwer­de ein (doku­men­tiert auf ihrer Web-Sei­te: Pro­gramm­be­schwer­de Doping und Dich­tung). Die­se ist eigent­lich noch schlim­mer, als das, was man aus der Doku erfährt, denn sie zeigt, wie Ines Gei­pel arbei­tet. Mit bewuss­ten Aus­las­sun­gen, Ver­dre­hun­gen und Mani­pu­la­tio­nen. Der MDR hat die Pro­gramm­be­schwer­de durch zwei renom­mier­te Sportjournalist*innen prü­fen las­sen und auf 101 Sei­ten ist die gan­ze Unge­heu­er­lich­keit des Vor­gangs doku­men­tiert. Die Autor*innen nen­nen Gei­pel dar­in eine Lüg­ne­rin und Hoch­stap­le­rin, die Wör­ter Unver­fro­ren­heit und Dreis­tig­keit kom­men vor. Nur ein Bei­spiel: In Gei­pels Sta­si-Akte steht:

Die­ser Darm­ver­schluss ergab sich jedoch, da dies bei jun­gen Men­schen noch der Fall ist oder mög­lich ist; ansons­ten wäre eine wei­te­re Ope­ra­ti­on nötig gewe­sen. Danach soll­te Gei­pel wie­der in ein Kran­ken­haus wegen ihrer .… Geschich­te. Dies wäre die Chan­ce gewe­sen, sie für län­ge­re Zeit auf Eis zu legen. Sie ist jetzt z.Z. in einer Pha­se der Rehabilitation …

BStU, nach Screen­shot aus MDR-Doku.

BStU, Screen­shot aus MDR-Doku.

Die­se Aus­sa­ge belegt, dass das eine Chan­ce gewe­sen wäre, d.h. das Auf-Eis-Legen ist nicht erfolgt. Gei­pel lässt in ihren Zita­ten das Wort gewe­sen ein­fach weg: „Das ist die Chan­ce, sie für län­ge­re Zeit auf Eis zu legen.“ (In Ein­zel­kämp­fer, 2013: 1:26:15 kann man sehen, wie sie die Pas­sa­ge „vor­liest“).

Man kann also schlie­ßen, dass Ines Gei­pel kei­ne glaub­wür­di­ge Zeu­gin in Bezug auf die DDR-Geschich­te ist. 

Denn der ver­ant­wor­tungs­vol­le Umgang mit der Wahr­heit gehört augen­schein­lich nicht zu den Stär­ken der 62 Jah­re alten Berlinerin.

Lud­wig, Udo & Neu­mann, Thi­lo & Pursch­ke, Tho­mas. 2023. Ver­lei­hung des Erich-Loest-Prei­ses: Ines Gei­pel und der schwie­ri­ge Umgang mit der Wahr­heit. Der Spie­gel. 23.02.2023

Ich hat­te ja in der Aus­ein­an­der­set­zung über den Umgang mit dem Holo­caust in der DDR als Ergeb­nis die bei­den Mög­lich­kei­ten „kei­ne Ahnung“ und „lügen“. Theo­re­tisch ist es immer noch mög­lich, dass Ines Gei­pel kei­ne Ahnung in Bezug auf das The­ma Holo­caust hat­te bzw. hat, aber die Lügen-Mög­lich­keit erhält mit die­ser Infor­ma­ti­on über Ines Gei­pel mehr Plausibilität.

Nachtrag

Die Doku­men­te auf Ines Gei­pels Web-Sei­te sind mir bekannt. Sie wer­den im Fak­ten­check in der Erwi­de­rung auf die Pro­gramm­be­schwer­de gegen den MDR bespro­chen. Die von Gei­pel bei­gebrach­ten Doku­men­te wider­le­gen nichts von dem, was oben aus den Doku­men­ta­tio­nen zitiert wurde.

Quellen

Kar­te, Uwe. 2023. Doping und Dich­tung: Das schwie­ri­ge Erbe des DDR-Sports. 2023. mdr. (https://www.youtube.com/watch?v=FUInTLwH4fI)

Kau­del­ka, San­dra. 2013. Ein­zel­kämp­fer. ZDF. (https://youtu.be/Vdhu-cNkWcc?t=5054)

Kowal­c­zuk, Ilko-Sascha. 2022. Getrüb­te Erin­ne­run­gen? Über ein Buch, das nicht erschie­nen ist. Deutsch­land Archiv. (https://www.bpb.de/513987)

Kowal­c­zuk, Ilko-Sascha. 2023. Der Fall Gei­pel und Gesin­nungs­kämp­fe: Doping und Praw­da. taz 16.12.2023. Ber­lin. (https://taz.de/Der-Fall-Geipel-und-Gesinnungskaempfe/!5977524/)

Lud­wig, Udo & Neu­mann, Thi­lo & Pursch­ke, Tho­mas. 2022. Wir­bel um Ver­tre­te­rin von Doping-Opfern: Lügen, betrü­gen, täu­schen. Der Spie­gel 21. (https://www.spiegel.de/sport/ines-geipel-vertreterin-von-doping-opfern-luegen-betruegen-taeuschen-a-4f0bebfd-c8f3-4eda-bc21-0baf6ecaf7ea)

Lud­wig, Udo & Neu­mann, Thi­lo & Pursch­ke, Tho­mas. 2023. Ver­lei­hung des Erich-Loest-Prei­ses: Ines Gei­pel und der schwie­ri­ge Umgang mit der Wahr­heit. Der Spie­gel. (https://www.spiegel.de/sport/ddr-dopingsystem-ines-geipel-und-der-schwierige-umgang-mit-der-wahrheit-a-7e209638-b5ce-4ad7-b35f-9d096b33e04b)

MDR Haupt­re­dak­ti­on Sport. 2023. MDR-Doku­men­ta­ti­on „Doping und Dich­tung“ Fak­ten­check. Leip­zig. 24.08.2023.

Reinsch, Micha­el. 2011. Ines Gei­pel: Der Schre­cken steht mit­ten im Raum. Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung. 12.04.2011. Frankfurt/Main. (https://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/doping/ines-geipel-der-schrecken-steht-mitten-im-raum-1621434.html)

Antwort auf abgedruckte Leserbriefe (Directors cut = viel zu lange Version)

Ich möch­te mich recht herz­lich für alle Emails, Brie­fe und Päck­chen bedan­ken, die ich nach der Ver­öf­fent­li­chung mei­nes Arti­kels zu Anne Rabes Buch Die Mög­lich­keit von Glück erhal­ten habe. Ich hat­te das nicht erwar­tet, aber das Feed­back war im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes über­wäl­ti­gend. Von den Brie­fen waren sechs kritisch/negativ und 23 posi­tiv. Ich habe die kritischen/negativen unge­kürzt in mei­nen Blog auf­ge­nom­men und dis­ku­tie­re sie dort detail­liert: https://so-isser-der-ossi.de/2024/05/27/anne-rabe-leserbriefe/, auch den zum Jam­mer-Ossi. Auf die in der Ber­li­ner Zei­tung abge­druck­ten Tei­le der Leser­brie­fe möch­te ich im Fol­gen­den ein­ge­hen. In mei­nem Blog und auch im ver­öf­fent­lich­ten Bei­trag in der BLZ geht es mir dar­um, wel­chen Ein­druck Anne Rabe von der DDR ver­mit­telt und was dar­aus abge­lei­tet wird. Den ers­ten Blog-Ein­trag Gewalt­er­fah­run­gen und 1968 für den Osten habe ich auch zu einem Arti­kel in der taz geschrie­ben, bevor ich Anne Rabes Roman über­haupt gele­sen hat­te. Anne Rabe argu­men­tiert grob ver­ein­fa­chend für eine Töpf­chen­theo­rie 2.0: Weil es Fami­li­en gab, in denen es Gewalt gab, war der ganz Osten so und man kann dar­aus letzt­end­lich alles ablei­ten: Ras­sis­mus, Faschis­mus, Natio­na­lis­mus, Anti­se­mi­tis­mus. Alles, wovor sich das Bil­dungs­bür­ger­tum zu Recht gru­selt. Und es ist pri­ma: Das alles ist nur im Osten zu ver­or­ten. Dun­kel­deutsch­land eben. Dabei ist es lei­der so, dass es im gesam­ten Land ziem­lich fins­ter aus­sieht, ja, sogar in Euro­pa. Die Rechts­extre­mis­mus-Stu­die hat das für Deutsch­land dis­ku­tiert. Der Autor der Stu­die hat in der Ber­li­ner Zei­tung (BLZ, 08.07.2023) her­vor­ge­ho­ben, dass der Rechts­extre­mis­mus mit der Struk­tur der Bevöl­ke­rung im Osten zusam­men­hängt und in struk­tu­rell ähn­li­chen Gebie­ten im Wes­ten ähn­li­che Ein­stel­lun­gen nach­zu­wei­sen sind. Das bedeu­tet also, dass man für die Wahl­er­fol­ge der AfD im Osten oder ras­sis­ti­sche Ein­stel­lun­gen kei­ne gewalt­tä­ti­gen Eltern als Erklä­rung benö­tigt. Die empi­ri­sche For­schung lie­fert Grün­de. Auch bricht Anne Rabes Töpf­chen­theo­rie sofort in sich zusam­men, wenn man ihren auto­fik­tio­na­len Roman genau­er liest, denn dort fin­det sich die fol­gen­de Passage: 

Alle Fami­li­en haben sol­che Geschich­ten. Gemein­sa­me Erleb­nis­se, die eine Fami­lie zu einer Fami­lie machen. Geschich­ten, die man sich immer wie­der erzählt. Die Geschich­ten von einem miss­glück­ten Weih­nachts­bra­ten, von Irr­fahr­ten zu einem lang ersehn­ten Urlaubs­ziel, Miss­ge­schi­cke und Toll­pat­schig­kei­ten, die einem noch immer die Lach­trä­nen in die Augen trei­ben. Die­se Geschich­ten, an die man denkt, wenn man Zuhau­se denkt.

Was Tim und ich uns erzäh­len, wenn wir über unse­re Kind­heit spre­chen, sind Geschich­ten davon, wie wir gelernt haben, still zu sein.

Rabe, Anne. 2023. Die Mög­lich­keit von Glück. Stutt­gart: Klett-Cot­ta. S. 23

Das bedeu­tet, dass Anne Rabe bzw. die Ich-Erzäh­le­rin die­se Fami­lie als unnor­mal ein­stuft. Wenn sie aber unnor­mal war, dann kann man aus der Exis­tenz die­ser Fami­lie nicht auf die Bevöl­ke­rung eines gan­zen Lan­des schlie­ßen. Wie hoch die Antei­le von auto und fik­tio­nal an der auto­fik­tio­na­len Geschich­te sind, wer­den wir nie her­aus­fin­den, denn Anne Rabe äußert sich in Inter­views zu dies­be­züg­li­chen Fra­gen nicht (zum Bei­spiel beim taz-Lab-Gespräch mit Simo­ne Schmol­lack).

Zwei Brie­fe spre­chen die Fra­ge nach den abso­lu­ten und den rela­ti­ven Zah­len bei Kinds­tö­tun­gen an und einer unter­stellt mir eine bewuss­te Falsch­dar­stel­lung. Die Poli­zei­li­che Kri­mi­nal­sta­tis­tik (PKS) ver­wen­det rela­ti­ve Zah­len, um die Zah­len über­haupt ver­gleich­bar zu machen. Ich möch­te das an einem Bei­spiel erklä­ren: Im Fall der so genann­ten Neo­na­ti­zide, also der Kinds­tö­tun­gen direkt nach der Geburt, sind abso­lu­te Zah­len nicht aus­sa­ge­kräf­tig, denn in Bre­men wur­den zum Bei­spiel im Jahr 2022 nur 6.720 Kin­der gebo­ren. In NRW waren es im sel­ben Zeit­raum dage­gen 164.496 Kin­der. Wenn in bei­den Bun­des­län­dern jeweils ein Kind getö­tet wor­den wäre, wäre die abso­lu­te Anzahl gleich, aber für Bre­men wäre die rela­ti­ve Anzahl, also die Anzahl im Ver­gleich zu den Kin­dern, die über­haupt Opfer hät­ten wer­den kön­nen, viel grö­ßer. Neh­men wir an, in Bre­men wären 6.720 Kin­der getö­tet wor­den, dann wären es 100% gewe­sen. 6.270 Kin­der in NRW wären aber nur 4,1%. Der Ver­gleich abso­lu­ter Zah­len ist also offen­sicht­lich unsin­nig. In der PKS wird des­halb der abso­lu­te Wert auf Opfer pro 100.000 mög­li­che Opfer umge­rech­net. In Bre­men wäre die ermit­tel­te Zahl dann also grö­ßer als die tat­säch­li­che Zahl und in NRW klei­ner. So wer­den die Neo­na­ti­zi­de in Bre­men und NRW ver­gleich­bar. Das ist auch in der zitier­ten Stu­die zu den Kinds­tö­tun­gen auf S. 337 erklärt (Höynck, Behn­sen & Zäh­rin­ger, 2015). Ich zitie­re genau die­se Sei­te in mei­nem Blog-Post vom 20.02.2024, der die Kinds­tö­tun­gen aus­führ­li­cher bespricht, als das in der Ber­li­ner mög­lich war. Im Arti­kel, der als Print-Ver­si­on erschie­nen ist, sind die Quel­len aus Platz­grün­den aus­ge­la­gert wor­den. Wenn man nun über die Kinds­tö­tun­gen von Kin­dern unter 6 Jah­ren spricht, muss man als Bezugs­grö­ße 100.000 Kin­der in den jewei­li­gen Bun­des­län­dern anneh­men. Ein Bezug auf die Gesamt­be­völ­ke­rungs­zahl, wie von einem Leser vor­ge­schla­gen, wäre nicht kor­rekt. In mei­ner Ori­gi­nal­ein­rei­chung war ein Satz zu den rela­ti­ven Zah­len bzgl. 100.000 mög­li­chen Opfern ent­hal­ten. Ich wur­de gebe­ten, das noch bes­ser zu erklä­ren und habe des­halb die Sät­ze ein­ge­fügt, die dar­le­gen, wie absurd das Ergeb­nis wür­de, wenn man von abso­lu­ten Zah­len aus­gin­ge. Die PKS und auch die Pres­se­be­rich­te dar­über haben sich auf rela­ti­ve Zah­len (Fach­wort Opferzahlen/OZ) bezo­gen, Anne Rabe hat aber geschrie­ben: „Die Zahl der Kinds­tö­tun­gen ist im Osten Deutsch­lands in den 90er und 00er Jah­ren dop­pelt so hoch wie im Wes­ten und steigt im Jahr 2006 sogar auf das Vier­fa­che an.“ Die­se Aus­sa­ge ist fak­tisch falsch. Ein Leser schrieb mir AR hät­te die rela­ti­ve Zahl gemeint. Was jemand gemeint hat, ist aber nicht rele­vant, ent­schei­dend ist, was jemand ver­öf­fent­licht hat. Als Sprach­wis­sen­schaft­ler kann ich ein­schät­zen, was ein Satz bedeu­tet und als Mathe­ma­ti­ker und pro­mo­vier­ter Infor­ma­ti­ker weiß ich, was Anne Rabe statt­des­sen hät­te schrei­ben müs­sen. Dass ich das jetzt nicht hin­ter­her irgend­wie zurecht­ge­bo­gen habe, sieht man, wenn man sich den Print-Arti­kel ansieht: Dort sind die Bevöl­ke­rungs­grö­ße und die Gebur­ten­ra­ten erwähnt. Nur der eine Satz mit der Bezugs­grö­ße 100.000 ist lei­der im Ping-Pong mit der Redak­ti­on ver­lo­ren gegan­gen. Ich hät­te bes­ser auf­pas­sen müs­sen. Der Punkt mit den abso­lu­ten und rela­ti­ven Zah­len hat jetzt in der Dis­kus­si­on und auch im Arti­kel einen viel zu gro­ßen Raum ein­ge­nom­men. Wich­tig ist, und das sagen Höynck, Behn­sen & Zäh­rin­ger (2015: 337) auch sehr klar (auch an ande­ren Stel­len in ihrem im renom­mier­ten Wis­sen­schafts­ver­lag Sprin­ger erschie­nen Buch), dass man aus der PKS nichts ablei­ten kann. Der wich­tigs­te Punkt ist, dass die Zah­len (glück­li­cher­wei­se) zu klein sind. Die Autorin­nen lis­ten wei­te­re Pro­ble­me auf, die zei­gen, dass das Zie­hen von Schlüs­sen aus der PKS zu Kinds­tö­tun­gen unzu­läs­sig ist. Es wur­de in vie­len Brie­fen kri­ti­siert, dass ich auf Wiki­pe­dia ver­wie­sen habe. Ich bin Pro­fes­sor und bil­de zukünf­ti­ge Wissenschaftler*innen aus. Ich weiß sehr wohl, was Wiki­pe­dia kann und was Wiki­pe­dia nicht kann. In mei­nem Blog-Bei­trag zu den Leser­brie­fen gehen ich dar­auf auch genau­er ein. Der Punkt ist hier, dass genau die­se Stu­die und auch die ent­spre­chen­de Sei­te im Wiki­pe­dia-Ein­trag zu Kinds­tö­tun­gen zitiert wird. Wenn also jemand einen Quick­check zu Anne Rabes Behaup­tun­gen hät­te machen wol­len (Ver­lag, Jury, Rezen­sen­ten), so wäre es ein Leich­tes gewe­sen, in Wiki­pe­dia die Stel­le für wei­te­re Nach­for­schun­gen zu fin­den. Das Pro­blem für die­ses Land ist, dass nie­mand sich die Mühe gemacht hat. Die Gru­sel­ge­schich­te war doch zu schön.

Bern­hard Kave­mann liest aus mei­nem Arti­kel, dass ich kein Ver­ständ­nis für Kau­sa­li­tät hät­te. Ich habe in mathe­ma­ti­scher Logik eine 1,0 im Stu­di­um gehabt, habe ein Sys­tem mit Dis­kurs­re­prä­sen­ta­ti­ons­theo­rie imple­men­tiert und Logik und Com­pu­ta­tio­na­le Seman­tik an diver­sen Unis gelehrt. Wie Schlüs­se funk­tio­nie­ren, weiß ich sehr wohl. Ich habe nir­gends behaup­tet, dass es im Osten kei­ne Nazis gab. Wes­halb wäre ich sonst wohl 1989 im Anti­fa-Block mar­schiert (was ich im Arti­kel auch erwähnt habe). Ich habe behaup­tet, dass Anne Rabe fak­tisch fal­sche Behaup­tun­gen in ihren Roman ein­ge­baut hat. Den Nach­weis dafür haben ich im Arti­kel und noch detail­lier­ter in den Blog-Posts erbracht. Bern­hard Kave­mann schreibt wei­ter: „Der Ver­such mit den AfD-Poli­ti­kern geht eben­falls dane­ben: „Höcke und Kal­bitz sind aus dem Wes­ten.“ Ja, aber da sind sie nichts gewor­den, waren klei­ne Lich­ter, groß sind sie erst im Osten gewor­den.“ Im Arti­kel habe ich bereits Georg Maa­ßen erwähnt, der nicht im Osten groß gewor­den ist, son­dern im Ver­fas­sungs­schutz. Das Bun­des­ka­bi­nett hat ihn 2012 auf Vor­schlag des Bun­des­in­nen­mi­nis­ters Hans-Peter Fried­rich (CSU) zum Chef gemacht. Inzwi­schen wird Maa­ßen von der Behör­de, der er vor­saß, beob­ach­tet. Auch Dr. Alex­an­der „Wir wer­den sie jagen“ Gau­land ist nicht durch Ossis groß gewor­den. Vogel­schiss-Gau­land war von 1973 bis 2013 in der CDU, war im Magis­trat von Frankfurt/Main, und lei­te­te von 1987 bis 1991 die Hes­si­sche Staats­kanz­lei. Er ist jetzt Ehren­vor­sit­zen­der der Höcke-AfD und Vor­sit­zen­der der Bun­des­tags­frak­ti­on. Alle die­je­ni­gen, die noch ein biss­chen Anstand haben, sind bereits aus der AfD aus­ge­tre­ten. Wo kom­men die füh­ren­den Nazis her? Wer hat sie groß gemacht? Gern bit­te in mei­nem Blog in der Rubrik Nazis nachlesen. 

Hel­gard Most merkt an, dass man bei der Dis­kus­si­on mit Anne Rabe beim taz-Lab mei­ne Behaup­tun­gen nicht nach­prü­fen konn­te. Dafür habe ich den Blog geschrie­ben und den Arti­kel in der Ber­li­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht. Die Blog-Bei­trä­ge hat­te ich aus­ge­druckt beim taz-Lab mit. 80 Sei­ten. Ich hät­te sie Anne Rabe geschenkt. Wirk­lich. HM behaup­tet wei­ter: „Wir Leser*innen sind intel­li­gent genug, zwi­schen einem Roman, der Anre­gun­gen für eige­ne Gedan­ken geben soll, und der Pau­scha­li­sie­rung einer gan­zen Bevölkerung, wie Herr Müller sie behaup­tet, zu unter­schei­den.“ Das mag für Frau Most zutref­fen, ist aber im All­ge­mei­nen lei­der nicht rich­tig. Mein ers­ter Anne Rabe-Post im Blog bezog sich des­halb auch nicht auf den Roman, den ich damals noch nicht gele­sen hat­te, son­dern auf die Dis­kus­si­on, den die­ser Roman aus­ge­löst hat. Da wird pau­scha­li­siert, die Mär von der gewalt­tä­ti­gen DDR wird ver­brei­tet. End­lich eine Erklä­rung dafür, wie komisch die Ossis sind. Ich möch­te hier ein wei­te­res wich­ti­ges Bei­spiel für die Roman/­Sach­buch-Dis­kus­si­on geben. Anne Rabe behaup­tet: „Auch waren Anti­se­mi­tis­mus und Natio­na­lis­mus wich­ti­ge Bestand­tei­le der sowje­ti­schen und real­so­zia­lis­ti­schen Ideo­lo­gie.“ Das ist eine Tat­sa­chen­be­haup­tung. Der Kon­text ist:

In der DDR droh­te die Dik­ta­tur zudem stän­dig, einen für die Ver­gan­gen­heit zur Ver­ant­wor­tung zu zie­hen. Auch des­halb wur­de geschwie­gen. In einem Land, in dem der Anti­fa­schis­mus Staats­rä­son war, wie soll man da über das spre­chen, was man in der »faschis­ti­schen Wehr­macht« getan hat­te? Auch waren Anti­se­mi­tis­mus und Natio­na­lis­mus wich­ti­ge Bestand­tei­le der sowje­ti­schen und real­so­zia­lis­ti­schen Ideologie.

S. 215

Das ist nicht ein Satz, den irgend­ei­ne Per­son im Roman sagt. Das ist eine Erklä­rung für den Leser. Und sie ist fak­tisch falsch. Ich habe das in mei­nem Blog-Post zum Holo­caust aus­führ­lich bespro­chen und es gibt auch diver­se ande­re Posts, zum Bei­spiel einen, der eine wis­sen­schaft­li­che Stu­die zu Poli­ti­kern in Ost und West aus­wer­tet. Im Osten gab es in den ver­schie­de­nen Regie­run­gen neun, dann acht, dann einen jüdi­schen Poli­ti­ker. Unter ande­rem Klaus Gysi. Im Wes­ten gab es nie in irgend­ei­ner Regie­rung einen. Null. Wich­ti­ge Poli­ti­ker, Musi­ker, Künst­ler der DDR waren Juden. Der Vater von Anet­ta Kaha­ne war ganz vorn mit dabei: Er hat die Nach­rich­ten­agen­tur ADN auf­ge­baut und lei­te­te das Neue Deutsch­land. Wolf Bier­mann hat­te mit Mar­got Hon­ecker meh­re­re Jah­re in einem Haus­halt gelebt. Mari­on Brasch hat als Jüdin Yas­sir Ara­fat am Wer­bel­lin­see begrüßt. Als ich einen Bre­mer Pro­fes­sor für Poli­tik­wis­sen­schaft nach sei­ner Evi­denz bezüg­lich tra­dier­ten Anti­se­mi­tis­mus’ in der DDR frag­te, schrieb er mir zurück, ich sol­le doch mal das Buch von Anne Rabe lesen. Das ist das Niveau, auf dem die Dis­kus­si­on läuft. Ein Wis­sen­schaft­ler ver­weist mich auf ein Buch, das nicht als Sach­buch bewer­tet wur­de und des­halb auch nicht das wis­sen­schaft­li­che Qua­li­täts­si­che­rungs­sys­tem durch­lau­fen hat. Beim taz-Lab gab es eine Dis­kus­si­on zwi­schen dem Schrift­stel­ler Mar­co Mar­tin und der His­to­ri­ke­rin Kat­ja Hoyer. Ich habe Hoyers Buch noch nicht gele­sen und kann zu sei­ner Qua­li­tät nichts sagen, aber Mar­co Mar­tin behaup­te­te, dass es nicht wahr sei, dass die Sie­ger die Geschich­te schrei­ben, und führt zum Bei­spiel Ines Gei­pel und Anne Rabe als ost­deut­sche Stim­men an, die ja den Gegen­part zu den Sie­gern über­näh­men. Das heißt, dass Anne Rabe auf eine Stu­fe mit His­to­ri­kern gestellt wird, die in einem Qua­li­täts­si­che­rungs­sys­tem arbei­ten und ver­öf­fent­li­chen. So wird aus einem Roman ein Sach­buch. Zu Ines Gei­pel gibt es eine Doku­men­ta­ti­on des MDR, die dis­ku­tiert, dass Gei­pel weder Olym­pio­ni­kin, noch Welt­re­kord­hal­te­rin war, dass die Zah­len der Doping­op­fer, die sie als Che­fin der Doping­op­fer­hil­fe genannt hat, viel zu hoch waren. Gei­pel hat eine Pro­gramm­be­schwer­de beim Rund­funk­rat ein­ge­legt. Die 101-sei­ti­ge Erwi­de­rung des MDR liegt mir vor. Die Autor*innen nen­nen Gei­pel dar­in eine Lüg­ne­rin und Hoch­stap­le­rin, die Wör­ter Unver­fro­ren­heit und Dreis­tig­keit kom­men vor. Wie­so soll jemand, der in Bezug auf sei­ne eige­ne Geschich­te lügt, eine glaub­wür­di­ge Quel­le für unser aller Geschich­te sein? Über den Holo­caust schreibt Gei­pel: „Mit die­ser instru­men­tel­len Ver­ges­sens­po­li­tik wur­de im sel­ben Atem­zug der Holo­caust für 40 Jah­re in den Ost-Eis­schrank gescho­ben. Er kam öffent­lich nicht vor.“ Das ist fak­tisch falsch, wie ich aus­führ­lich in Der Ossi und der Holo­caust nach­ge­wie­sen habe.  Anne Rabe und ihre (ehe­ma­li­ge?) Freun­din Ines Gei­pel sind kei­ne ver­läss­li­chen Quel­len, was die Geschich­te der DDR angeht. Das in Bezug auf Anne Rabe zu zei­gen, war das Ziel mei­nes Bei­trags in der Ber­li­ner Zei­tung. Und dann bleibt die Fra­ge: Wer schreibt unse­re Geschichte?

Den Leser­brief zu den Blu­men­töp­fen ver­ste­he ich nicht. Ich weiß nicht, war­um die Leser­brief­re­dak­ti­on ihn aus­ge­sucht hat. 

Rein­hard Brett­schnei­der wirft mir vor, dass ich die Spal­tung erhal­ten will. Nichts liegt mir fer­ner. Wie gesagt: Ich habe mich bis 2013 nicht als Ossi gese­hen. Die Spal­tung ist jedoch real. Vie­les wird man nicht mehr repa­rie­ren kön­nen. Eigen­tums­struk­tu­ren wer­den immer so blei­ben: Ver­mie­ter woh­nen im Wes­ten, die Ein­nah­men flie­ßen dort­hin ab. Fir­men­sit­ze lie­gen im Wes­ten, Ein­nah­men und Paten­te gehen in den Wes­ten. Steu­ern wer­den nicht im Osten gezahlt, son­dern am Fir­men­sitz. Aber man könn­te eini­ge Din­ge ändern, die zur Ver­hei­lung eini­ger Wun­den bei­tra­gen könn­ten. Dazu gehört, dass respekt­voll über den Osten geschrie­ben wird, ja, dass die Men­schen dort über­haupt als sol­che wahr­ge­nom­men wer­den. Ich habe in mei­nem Blog eini­ge Fäl­le dis­ku­tiert, in denen West-Autoren und ‑Wis­sen­schaft­ler über den Osten reden, als wäre er nicht Teil des Lan­des. Und das in Arti­keln, die einen posi­ti­ven Bei­trag zur Ost-West-Debat­te leis­ten wol­len. Ich kämp­fe dafür, dass für die­se Pro­ble­me über­haupt erst mal ein Bewusst­sein ent­steht. Das ist drin­gend not­wen­dig, denn ein ver­nünf­ti­ges Mit­ein­an­der ist auch ein Betrag im Kampf gegen den Faschis­mus. In der taz schreibt Georg Seeß­len: „Die Men­schen, die einem Maxi­mi­li­an Krah zuju­beln, […] trotz der Nach­rich­ten über die­sen Mann, müs­sen einen fun­da­men­ta­len Bruch voll­zo­gen haben.“ Der Punkt hier ist: Die­se Men­schen wur­den von den rele­van­ten Nach­rich­ten wahr­schein­lich nicht erreicht, denn sie sind nicht mehr Teil des gesell­schaft­li­chen Dis­kur­ses. 2021 schrieb Anne Fromm in der taz: „2,5 Pro­zent ihrer Gesamt­auf­la­ge ver­kauft die Süd­deut­sche Zei­tung in den Neu­en Bun­des­län­dern. 3,4 Pro­zent sind es bei der FAZ, etwa 4 Pro­zent beim Spie­gel. Bei der taz sind es, das steht nicht in der Stu­die, rund 6 Pro­zent. […] Die Ost­deut­schen lesen also kei­ne Zei­tun­gen, zumin­dest kei­ne über­re­gio­na­len mit Sitz in der alten BRD.“ War­um soll ich Geld für Druckerzeug­nis­se bezah­len, in denen dau­ernd merk­wür­di­ge Din­ge über mich ste­hen? Ich möch­te, dass es wie­der einen Dis­kurs gibt. Dass wir mit­ein­an­der reden, nicht über­ein­an­der. Ich bin also kein Spal­ter. Ich kämp­fe für ein Mit­ein­an­der, eine Eini­gung, für die deut­sche Ein­heit! Wer hät­te das 1989 gedacht?

Quellen

Beer, Maxi­mi­li­an & Hol­ler­sen, Wieb­ke. 2023. „Es hat eher wenig mit der DDR zu tun“: For­scher über Rechts­extre­mis­mus in Ost­deutsch­land. Ber­li­ner Zei­tung. 08.07.2023. (https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/die-these-vom-rechtsruck-ist-unsinn-forscher-ueber-ostdeutschland-extremismus-und-afd-li.366563)

Fromm, Anne. 2021. Pres­se in Ost­deutsch­land: Wer strei­chelt unse­re See­le? taz, 09.03.2021. Ber­lin. (https://taz.de/Presse-in-Ostdeutschland/!5756271/)

Höynck, The­re­sia & Behn­sen, Mira & Zäh­rin­ger, Ulri­ke. 2015. Tötungs­de­lik­te an Kin­dern unter 6 Jah­ren in Deutsch­land: Eine kri­mi­no­lo­gi­sche Unter­su­chung anhand von Straf­ver­fah­rens­ak­ten (1997–2006). Wies­ba­den: Sprin­ger. (https://doi.org/10.1007/978–3‑658–07587‑3)

Kar­te, Uwe. 2023. Doping und Dich­tung – Das schwie­ri­ge Erbe des DDR-Sports. mdr. 21.01.2023 (https://www.youtube.com/watch?v=FUInTLwH4fI)

MDR Haupt­re­dak­ti­on Sport. 2023. MDR-Doku­men­ta­ti­on „Doping und Dich­tung“ Fak­ten­check. Leip­zig.

Teuw­sen, Peer. 2023. Ver­heim­lich­te Nähe. Neue Züri­cher Zei­tung. 30.09.2023. (https://www.nzz.ch/feuilleton/anne-rabe-verheimlichte-naehe-ld.1782626)