Mitglied und Mitklit

Ich gen­de­re ja selbst (sie­he Gen­dern, arbei­ten und der Osten), aber gewis­se Din­ge brin­ge ich ein­fach nicht über das Herz bzw. den Ver­stand. Eins davon ist Beam­tin. Das Nomen Beam­ter ist spe­zi­ell. Es ist eines der weni­gen Nomi­na mit adjek­ti­vi­scher Fle­xi­on: Beam­ter, Gesand­ter, Ver­wand­ter. Adjek­ti­ve pas­sen sich in ihrer Form an die Eigen­schaf­ten des Nomens an:

(1) a. ein grüner Ball
    b. eine grüne Pflanze

Genau­so ist das bei den Nomi­na mit adjek­ti­vi­scher Flexion:

(2) a. ein Beamter
    b. eine Beamte

Das heißt, unse­re lie­be Gram­ma­tik sieht schon eine femi­ni­ne Form für Beam­ter vor. Dum­mer­wei­se gibt es Syn­kre­tis­mus in den For­men, die man braucht, wenn man den defi­ni­ten Arti­kel verwendet:

(3) a. der Beamte
    b. die Beamte

Aber da ist ja das Genus auch durch die Form des Arti­kel vor­ge­ge­ben. Also: Beam­tin, no way!

Edit: Man lernt nie aus. Durch die Dis­kus­si­on auf Mast­o­don habe ich gelernt, dass Beam­tin die nor­ma­le Form ist und zwar schon 1946 belegt. Es ist also kei­ne Form, die sich aus dem Gen­dern und der femi­nis­ti­schen Lin­gu­is­tik erge­ben hat. Mir war Beam­tin 2009 zum ers­ten Mal aufgefallen.

Das ande­re sind die Mitglieder*Innen. Hier wer­den Ver­bre­chen ohne Not began­gen. Es ist das Mit­glied, das heißt, hier liegt ein Neu­trum vor. Der Mit­glied und die Mit­glie­din gibt es im Sin­gu­lar nicht und auch gegen­der­te Plu­ral­for­men sind Unsinn.

Ich foto­gra­fie­re ja seit 2019 die Kli­ma­be­we­gung und war auch beim Grün­dungs­par­tei­tag der Ber­li­ner Kli­ma­lis­te dabei. Ich bin als Foto­graf strikt neu­tral, nie an irgend­wel­chen Dis­kus­sio­nen oder Aktio­nen betei­ligt. Doku­men­tie­re nur. Aber bei die­sem Par­tei­tag habe ich mich dann doch ein­ge­mischt und habe die Kli­ma­lis­te davor bewahrt, das Wort Mitglieder:innen in ihrem Par­tei­pro­gramm zu haben.

Grün­dungs­par­tei­tag radikal:klima, jetzt Kli­ma­lis­te Ber­lin: Vor­stand­mit­glied vor Pro­gramm­ent­wurf, Else, Ber­lin, 09.08.2020

Das Par­tei­pro­gramm mit mei­ner Ände­rung wur­de dann fröh­lich angenommen.

Grün­dungs­par­tei­tag radikal:klima: Abstim­mung, In der Else, Ber­lin, 09.08.2020

In der taz habe ich heu­te gelernt, dass es Men­schen gibt, die statt Mit­glied Mit­klit sagen. Lie­be Frau*innen, ich muss Euch sagen, Ihr seid hier etwas zu sehr penis­fi­xiert. Im Guten oder im Schlech­ten. Schaut man im DWDS bei Mit­glied nach, kommt man auch zu Glied. Und Glied ≠ Pul­ler, auch wenn die­se Bedeu­tung wich­tig ist und bei man­cher oder man­chem zuerst aufblinkert.

  • beweg­li­cher, durch ein Gelenk mit dem Rumpf ver­bun­de­ner Kör­per­teil des Men­schen, der Tiere
  • ein­zel­ner, unab­hän­gig beweg­ba­rer Teil eines Körperteiles
  • einer von vie­len inein­an­der­grei­fen­den Rin­gen, die eine Ket­te bilden 
    • [bild­lich] …
    • [über­tra­gen] Ange­hö­ri­ger, Mitglied
  • Rei­he von zwei oder mehr Per­so­nen in einer in meh­re­ren Rei­hen hin­ter­ein­an­der auf­ge­stell­ten For­ma­ti­on (von Personen) 
    • ⟨in Reih und Glied⟩ 
  • Gene­ra­ti­on, Geschlechterfolge
  • männ­li­ches Geschlechts­teil, Penis

Also: Wenn wir Mit­glied bei der Kli­ma­lis­te wer­den, sind wir einer von vie­len inein­an­der­grei­fen­den Rin­gen und bil­den eine Ket­te. Wie schön! Das hat erst mal noch gar nichts mit Sex zu tun!

Als letz­te Bemer­kung: Mir ist schon klar, dass ich hier letzt­end­lich das­sel­be mache, wie vie­le mei­ner Mega­stars (sie­he Das lei­di­ge The­ma: Gen­dern, und aus­führ­li­cher hier: Das Thea­ter mit dem Gen­dern). Meist sehr alte Linguist*innen ver­su­chen uns zu erklä­ren, dass Gen­dern doof ist und aus den Grün­den X und Y sys­tem­wid­rig und nicht in die deut­sche Gram­ma­tik inte­grier­bar. Mei­ne Ant­wort dar­auf war, dass das natür­lich Unfug ist, denn die Men­schen gen­dern ein­fach, auch wenn es aus gram­ma­ti­scher Sicht ja das gene­ri­sche Mas­ku­li­num usw. gibt. Als deskrip­ti­ve Linguist*innen ist es unse­re Auf­ga­be, den Ist­zu­stand zu beschrei­ben und nicht irgend­wem vor­zu­schrei­ben, was er oder sie oder es zu tun oder zu las­sen hat. Das habe ich so von eben­die­sen Super­stars gelernt. Wenn es nun nur dar­um geht, irgend­wie Stol­per­fal­len in der Spra­che aus­zu­le­gen und zu ner­ven, dann ist natür­lich auch die Ver­wen­dung von Beam­tin und Mit­klit völ­lig legi­tim. Lus­ti­ger­wei­se kann auch Mit­klit nicht von Merz und Baden-Würt­tem­ber­gern ver­bo­ten wer­den, denn es ist völ­lig ortho­gra­fie-kon­form. Es stellt sich natür­lich aber auch die Fra­ge, was mit denen pas­siert, die weder Mit­klit noch Mit­glied sind. Die sind hier wohl in die Rit­ze gefallen. 

Quellen

Neu­kirch, Ralf. 2013. Gleich­be­rech­ti­gung: Sein Name ist Sie. Spie­gel 25/92. (https://www.spiegel.de/politik/sein-name-ist-sie-a-decd60d4-0002–0001-0000–000092536984)

Das Theater mit dem Gendern

Prof. (em) Dr. Hei­de Wege­ner schreibt Arti­kel über das Gen­dern in der WeLT und schickt sie dann an Kolleg*innen. Ich habe auf die­sem Blog schon öfter über das Gen­dern geschrie­ben. Obwohl ich der Mei­nung bin, dass Fra­gen der Gleich­be­rech­ti­gung letzt­end­lich Fra­gen der öko­no­mi­schen Abhän­gig­keit sind, gen­de­re ich inzwi­schen auch (Gen­dern, arbei­ten und der Osten). Da Hei­de Wege­ner in ihren Arti­keln auch immer wie­der Ost-The­men anspricht (z.B. den Gen­der Pay-Gap in Ost und West), kann ich nicht anders als die Arti­kel hier zu kommentieren.

Vor­weg: Der Bei­trag War­um Maria Stuart nicht mehr „König“ sein darf ent­hält zu einem gro­ßen Teil Argu­men­te, die in Ihrem ers­ten Bei­trag Wo gegen­dert wird, ist die Lohn­lü­cke grö­ßer bereits ent­hal­ten waren. Und das trotz mei­ner Dis­kus­si­on mit ihr (Post 1, Post 2). Hei­de Wege­ner muss sich also eine gewis­se Fak­ten­re­sis­tenz vor­wer­fen lassen.

Im jüngs­ten Auf­satz dis­ku­tiert Hei­de Wege­ner das Gen­dern an Thea­tern. Hier­zu eini­ge Anmerkungen:

noch dazu mit For­men, die nach gel­ten­der Recht­schrei­bung falsch sind,

Die gegen­der­ten For­men sind nicht falsch. Es gibt dafür nur noch kei­ne Nor­mie­rung. Der Rat für Deut­sche Recht­schrei­bung hat in sei­ner Äuße­rung dazu fest­ge­hal­ten, dass er eine Nor­mie­rung zum jet­zi­gen Zeit­punkt nicht für sinn­voll hält.

Der Rat hat vor die­sem Hin­ter­grund die Auf­nah­me von Aste­risk („Gen­der-Stern“), Unter­strich („Gen­der-Gap“), Dop­pel­punkt oder ande­ren ver­kürz­ten For­men zur Kenn­zeich­nung mehr­ge­schlecht­li­cher Bezeich­nun­gen im Wort­in­nern in das Amt­li­che Regel­werk der deut­schen Recht­schrei­bung zu die­sem Zeit­punkt nicht empfohlen.

Geschlech­ter­ge­rech­te Schrei­bung: Emp­feh­lun­gen vom 26.03.2021

Hier kann man sich das von einem Voll­ju­ris­ten erklärt noch mal genau durch­le­sen: Kol­ter (2023). Noch mal zum Ver­ständ­nis die­ser Aus­sa­ge: Wenn etwas nicht nor­miert ist, gibt es ein­fach kei­ne offi­zi­el­le Regel für die Schrei­bung. Zum Bei­spiel ist das Jugend­wort des Jah­res 2021 sus in allen Aus­ga­ben des Dudens vor 2021 nicht ent­hal­ten. Wie auch? Den­noch gibt es natür­lich Kon­ven­tio­nen für die Schrei­bung. Aber kei­ne ver­bind­li­che Reg­lung. Viel­leicht wird/wurde es in spä­te­re Auf­la­gen auf­ge­nom­men. Genau­so könn­te eine Nor­mie­rung für „mehr­ge­schlecht­li­che Bezeich­nun­gen“ eines Tages erfolgen.

Und jetzt zum Kulturteil:

Bedau­er­lich ist, dass der Wes­ten 1989 nicht wenigs­tens in der Spra­che dem Osten gefolgt ist. Das Gegen­teil ist der Fall, wie fol­gen­de Bele­ge zei­gen.
Die Thea­ter in Ber­lin Mit­te ste­hen der Char­lot­ten­bur­ger Schaubühne in punc­to Gen­dern in nichts nach, sie unter­schei­den sich ledig­lich durch das gra­phi­sche Zei­chen mit­ten im Wort, statt des Unter­strichs _ wird ein Dop­pel­punkt : eingefügt und wir erhal­ten am Deut­schen Thea­ter Aktivist:innen, Mechaniker:innen, Tüftler:innen, Künstler:innen, sogar in Zusam­men­set­zun­gen, Kurator:innenteam, Autor:innentheatertage bzw am BE Zuschauer:innen, Freund:innen, und sogar Gäst:innen wird wiederbelebt.

Das ist ein lus­ti­ges State­ment und es ist genau­so schräg wie die Aus­füh­run­gen zum Gen­der-Pay-Gap. Man kann in Wiki­pe­dia leicht eine Lis­te der Inten­dan­ten (kei­ne wei­ter Endung nötig) des Deut­schen Thea­ters und des Ber­li­ner Ensem­bles finden: 

Deut­sches Thea­ter:

Ber­li­ner Ensem­ble:

Die Volks­büh­ne und das Maxim-Gor­ki-Thea­ter hat Hei­de Wege­ner nicht erwähnt. Viel­leicht gen­dern die nicht oder sie hat­te kein Pro­gramm­heft. Der Voll­stän­dig­keit hal­ber hier auch die Intendant*innen:

Volks­büh­ne:

Maxim-Gor­ki-Thea­ter:

Seit dem Aus­schei­den der Ossis, sind die Pos­ten am BE und DT mit Aus­nah­me von Ste­phan Susch­ke alle von West-Män­nern besetzt gewe­sen. Am Gor­ki-Thea­ter hat es immer­hin eine Frau geschafft. Auch die ist nicht aus dem Osten. Man muss also bei Ost-West-Ent­wick­lun­gen ein biss­chen genau­er hin­gu­cken. Was man auch her­aus­be­kom­men müss­te, bevor man sol­che State­ments ver­öf­fent­licht, ist, wie das in den Häu­sern gere­gelt ist. Kann jeder schrei­ben, wie er bzw. sie will oder gibt es Haus­re­geln für das Gen­dern? Das mach­te einen gewal­ti­gen Unter­schied. Dazu unten mehr.

Wege­ner wie­der­holt ihr Argu­ment aus dem frü­he­ren Aufsatz:

Etwa stellt die Paar­form Schüler und Schülerinnen für Spre­cher, für die „Schu­le“ ganz selbstverständlich Jun­gen und Mädchen ein­schließt (in Deutsch­land, nicht in Afgha­ni­stan!), kei­nen kom­mu­ni­ka­ti­ven Nut­zen, son­dern eine Zumu­tung dar. Für sie ist die Infor­ma­ti­on, dass neben Schülern auch Schülerinnen gemeint sind, überinformativ und führt des­halb zu Ver­druss. Denn sie verstößt gegen Gri­ces Zwei­te Kon­ver­sa­ti­ons­ma­xi­me der Quantität: „Do not make your con­tri­bu­ti­on more infor­ma­ti­ve than is required.“

Das Argu­ment ist aber lei­der falsch. Für den kon­kre­ten Fall mag es zutref­fend sein, dass kei­ne neue Infor­ma­ti­on in Bezug auf die Grup­pen­zu­sam­men­set­zung mit­ge­lie­fert wird. Nur ist Spra­che eben ein Sys­tem und wenn ansons­ten gegen­dert wird bzw. Paar­for­meln ver­wen­det wer­den, dann wäre hier das Weg­las­sen die­ser län­ge­ren mar­kier­ten Form ein Signal. Es ist alles nicht so ein­fach mit der Pragmatik.

Geglückte Kom­mu­ni­ka­ti­on setzt vor­aus, dass die Infor­ma­ti­on eine Informationslücke schließt, dass beim Gesprächspartner eine Lücke, Unwis­sen­heit also besteht. Eine Infor­ma­ti­on, die kei­ne Lücke schließt, ist nicht nur überflüssig, sie ist belei­di­gend. Denn so dumm ist der Hörer nicht und will auch nicht so behan­delt wer­den. Schon gar nicht mit mora­lisch erho­be­nem Zeigefinger.

Bei Kom­mu­ni­ka­ti­on geht es nicht unbe­dingt um das Schlie­ßen von Infor­ma­ti­ons­lü­cken. Spra­che und Spre­chen hat vie­le Funk­tio­nen. Das müss­te Hei­de Wege­ner auch wis­sen. Eine der Funk­tio­nen des Gen­derns nennt sie ja in ihrem Arti­kel selbst: „Gen­dern dient der Image­pfle­ge, es soll den Spre­cher als woke, als pro­gres­siv ausweisen“.

Woher weiß Hei­de Wege­ner, was Hörer*innen wol­len? Das Gen­dern ist eine Sprach­va­ri­an­te und was Gendern-Gegner*innen tun, ist, Men­schen, die anders spre­chen, zu erklä­ren, war­um sie das, was sie tun, falsch fin­den. Das ist irgend­wie ein inter­es­san­ter Turn in der moder­nen Sprach­wis­sen­schaft, denn eini­ge mei­ner Held*innen erklä­ren nun, dass das, was Sprecher*innen tun, gar nicht gin­ge, denn es sei gegen das Sys­tem der Spra­che. Gegen die Theo­rien, die sie Zeit ihres Lebens aus­ge­ar­bei­tet haben. All die groß­ar­ti­gen Grammatiker*innen wie Bier­wisch, Eisen­berg, Klein, Wege­ner, Wun­der­lich machen einen ent­schei­den­den Feh­ler: Sie schrei­ben ande­ren Men­schen vor, was sie zu tun oder zu las­sen haben. Das ist preskrip­ti­ve, nor­ma­ti­ve Lin­gu­is­tik. Wir waren uns aber eigent­lich immer einig, dass wir deskrip­ti­ve Lin­gu­is­tik machen. Das heißt, wir beschrei­ben das, was Men­schen tun. Die Gra­phe­ma­tik beschäf­tigt sich mit Schreib­va­ri­an­ten. Mit dem, was Men­schen tun. In Blogs und Foren. Die Recht­schreib­feh­ler von heu­te sind die Ortho­gra­phie von mor­gen. Genau­so müs­sen wir als Syntaktiker*innen unse­re Theo­rien ändern, wenn sie nicht mehr passen.

Ob die deut­sche Spra­che durch Gen­der­for­men ernst­haft Scha­den nimmt, kann man erst dann beurteilen.

Das kann doch nicht sein. Das ist bes­te deut­sche Sprach­pfle­ger­ver­ein-Schrei­be. Haben wir die­se Leu­te nicht immer belä­chelt? Wie kann denn die Spra­che Scha­den neh­men? Was soll das denn bedeu­ten? Weil Men­schen ande­res spre­chen, geht die Spra­che kaputt? Dann spre­chen sie eben anders. Wenn es irgend­wann nicht mehr passt, wird es abge­baut oder es bil­den sich ande­re, neue For­men. Nur weil es so ist, wie wir es nicht gewöhnt sind, so, dass es nicht zu unse­ren Theo­rien passt, ist es noch lan­ge nicht kaputt.

Gen­dern ist eine Mode, und Moden sind end­lich. […] Auch die­se Mode wird, wie alle Moden, irgend­wann untergehen.

Aber, lie­be Hei­de, dann ent­spann Dich doch. Genie­ße Dei­nen Lebens­abend und war­te, bis es vor­bei ist. Ich ver­ste­he die Auf­re­gung nicht.

Dein Unbe­ha­gen an der Ver­wen­dung des Par­ti­zips tei­le ich. Aber man kann ja auf ande­re Wei­se gen­dern. Auch die­se Text­tei­le sind Wie­der­ho­lun­gen aus dem ers­ten Auf­satz und die Rad­fah­ren­den kom­men hier wie­der vor. Des­halb hier ein Kom­men­tar dazu:

Die­sel­ben Leu­te, die so viel von Dif­fe­ren­zie­rung reden, opfern die durch­aus sinn­vol­le Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen der Bezeich­nung für eine aktu­el­le Tätigkeit und der für die Rol­le: wie kann ich, ohne gene­ri­sches Mas­ku­li­num, noch sagen, dass „nicht alle Zuhörer auch Zuhörende waren“? Gilt das Schild „Rad­fah­rer abstei­gen“ nicht auch für mich? Rad­fah­rer bin ich auch dann, wenn ich mein Rad schie­be, aber Rad­fah­ren­de eben nicht.

Das Argu­ment ver­ste­he ich nicht. Wenn Du Dein Rad schiebst, musst Du nicht mehr abstei­gen. Viel­leicht wäre rol­lern hier bes­ser für die Argu­men­ta­ti­on: Auch wenn Du nicht rad­fährst, sollst Du nicht auf dem Rad sit­zend durch die Fuß­gän­ger­zo­ne rol­lern. Also „Radfahrer*innen abstei­gen!“. Pro­blem ist hier die Län­ge. Bis man das gele­sen hat, ist man schon vor­bei gera­delt. „Abstei­gen!“ mit Fahr­rad­ver­bots­zei­chen ist eigent­lich ausreichend.

Auch in den News­let­tern und Pro­gramm­hef­ten der Thea­ter schaf­fen es eini­ge Wörter, in der Grund­form zu überleben, beim BE bei­spiels­wei­se Regis­seu­re, Migran­ten, Juden, beim DT sogar die Bürger. Absicht­lich oder ver­se­hent­lich? Aus­schlie­ßen kann man wohl, dass mit die­sen For­men nur Männer gemeint sind. 

Das ist auch ein inter­es­san­tes Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter, das ich aus der Kli­ma­dis­kus­si­on ken­ne: Die Gegener*innen von XY fin­den irgend­wo bei Aktivist*innen einen klei­nen Feh­ler und lei­ten dar­aus ab, dass sie damit wohl nicht für Kli­ma­schutz sein könn­ten, denn sonst wür­den sie ja (nicht) YZ.

Hier for­dert ein Gen­der-Kri­ti­ker (Nein, das geht bei mir nicht mehr, ich muss eine Gen­der-Kri­ti­ke­rin schrei­ben, denn, lie­be Hei­de, das ist Sprach­wan­del, auch wenn Ihr das bestrei­tet.), dass Insti­tu­tio­nen kon­se­quent gen­dern. Aber selbst die taz gen­dert nicht kon­se­quent. Sie stellt es ihren Autor*innen frei. Und so muss das auch sein.

Den Feh­ler habe ich übri­gens selbst auch gemacht. In der Zeit, in der ich noch nicht gegen­dert habe, habe ich mich über einen taz-Arti­kel auf­ge­regt, in dem von Die­ben und Mör­dern gespro­chen wur­de, obwohl es um ein Straf­la­ger für Frau­en ging, in dem Die­bin­nen und Mör­de­rin­nen inhaf­tiert waren. Aber es schreibt eben nicht „die taz“, son­dern ver­schie­de­ne Autor*innen in der taz. Man­che leh­nen das Gen­dern kon­se­quent ab, ande­re tun es bis zum Abwinken.

Prof. Dr. Hel­muth Feil­ke (2022) argu­men­tiert übri­gens für ein maß­vol­les Gen­dern. Das Gen­dern setzt ein Signal. Es reicht aus, wenn nicht alle For­men gegen­dert wer­den, son­dern ab und zu das Signal an die Empfänger*innen geschickt wird.

Dar­aus darf man den Schluss zie­hen, dass man das Gan­ze nicht so ernst neh­men soll­te. Alles nur Theater.

Ja. Durch­sa­ge an alle: Ent­spannt Euch!

Wer­be­kar­te einer Ent­span­nungs­trai­ne­rin auf ver­zo­ge­nem Holztisch.

Nachtrag

Ich bin gegen Sprach­re­ge­lun­gen. Das Gen­dern soll­te nie­man­dem vor­ge­schrie­ben wer­den. Genau­so soll­te es nie­man­dem ver­bo­ten wer­den. Das habe ich bereits 2021 auf­ge­schrie­ben: Gen­dern und Bewer­tun­gen von Arbeits­leis­tun­gen im aka­de­mi­schen Bereich.

Nachtrag 2

Die lus­tigs­te Stel­le im Arti­kel hät­te ich bei­na­he über­se­hen, weil ich Hei­de Wege­ner ja ken­ne und ihre Kurz-Bio­gra­phie nicht gele­sen habe. Dort steht: „Prof. Hei­de Wege­ner ist Linguistin.“

Im Text steht:

Blatz hat­te Recht. Es gibt kei­nen Grund, das Gene­ri­sche Mas­ku­li­num zu mei­den. Im Gegen­teil: Die bes­te, klars­te Art, die Kern­be­deu­tung von Berufs-und Rol­len­be­zeich­nun­gen auszudrücken, ist die endungs­lo­se Grund­form, Freund, Arzt, Viro­lo­ge. Da die­se For­men kein Merk­mal für Geschlecht ent­hal­ten, unter­spe­zi­fi­ziert also sind, schlie­ßen sie alle Geschlech­ter ein und sind dadurch inklusiv.

In der Kurz-Bio hät­te also ste­hen müs­sen: „Prof. Hei­de Wege­ner ist Lin­gu­ist.“ Nun hat Hei­de Wege­ner das wohl nicht selbst geschrie­ben, son­dern ihre Freund*innen aus der WeLT-Redak­ti­on. Die sind nun, was Femi­nis­mus und Gen­dern angeht, sicher­lich kom­plett unver­däch­tig und haben aus frei­en Stü­cken die femi­ni­ne Form gewählt. Wohl weil sie die­se intui­tiv ange­mes­se­ner fan­den. Wenn die endungs­lo­se Grund­form im Wes­ten auch benutzt wur­de, wäre das nun aber der Beweis dafür, dass es Sprach­wan­del in die­sem Bereich gibt, etwas, was Wissenschaftler*innen wie Hei­de Wege­ner und Josef Bay­er vehe­ment bestrei­ten. Wenn nicht, ist es immer­hin noch ein Beweis dafür, dass Sprecher*innen das Bedürf­nis haben, eben nicht das völ­lig aus­rei­chen­de gene­ri­sche Mas­ku­li­num, son­dern eben die femi­ni­ne Form zu benutzen. 

Quellen

Feil­ke, Hel­muth. 2022. Gen­dern mit Grips statt Schrei­ben in Gips: Prak­ti­sche Argu­men­te für ein fle­xi­bles Gen­dern. Deutsch. 1–7. https://www.friedrich-verlag.de/fileadmin/fachwelten/deutsch/blog-downloads/Gendern_Essay-Fassung.pdf.

Kol­ter, Max. 2023. VG Ber­lin zum Gen­dern an Schu­len: Auf die Sprach­kom­pe­tenz kommt es an. LTO.de — Legal Tri­bu­ne Online — Aktu­el­les aus Recht und Jus­tiz. (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/vg-berlin-gendern-schueler-schule-klasse-lehrer-rechtschreibung/)

Das leidige Thema: Diskussion

Prof. Dr. Hei­de Wege­ner hat auf mei­nen Kom­men­tar zu ihrem WeLT-Arti­kel geant­wor­tet und ich dis­ku­tie­re hier eini­ge Punkte. 

Ost-Frau­en erklä­ren mir, sie hät­ten „das nicht nötig“, das = die For­men der Gen­der­spra­che, und ich den­ke, sie haben recht. Ich bewun­de­re sie dafür, dass sie viel frü­her als die im Wes­ten nicht nur Fri­seur, son­dern auch Mecha­ni­ker lern­ten und nicht nur Päd­ago­gik und Kunst­ge­schich­te stu­dier­ten, son­dern auch Maschi­nen­bau und Phy­sik. Und anstatt den Kin­dern For­men wie dem/*der Patient*in bei­zu­brin­gen, soll­ten die Leh­rer sie bes­ser dazu ani­mie­ren, auch die MINT-Fächer zu studieren.

Ja, ganz genau so habe ich auch Jahr­zen­te lang gedacht. Das ist ja auch in mei­nem ers­ten Blog-Post zu dem The­ma (Gen­dern, arbei­ten und der Osten) beschrie­ben. Nach der Wen­de haben die Ost­frau­en die West­frau­en über­haupt nicht ver­stan­den, weil sie deren Pro­ble­me über­haupt nicht hat­ten. Wie Du sagst, liegt das eigent­li­che Pro­blem viel tie­fer, das bedeu­tet aber nicht, dass man nicht das, was man tun kann, schon machen kann. Ich kann nicht für mehr Kin­der­gar­ten­plät­ze sor­gen, aber ich kann weib­li­chen und diver­sen Student*innen1 signa­li­sie­ren, dass sie wert­ge­schätzt wer­den. (Eini­ge, sehr weni­ge, kann ich auch ein­stel­len. Das habe ich auch getan. Auch fle­xi­ble Lösun­gen mit Kin­der­aus­zei­ten gefun­den usw. Aber dar­über hin­aus kann man eben noch Gendern.)

Der ange­führ­te Test prüft musi­ci­an, also For­men im Sin­gu­lar – und damit ist er völ­lig wert­los, was gene­ri­sche Les­art angeht, denn im Sin­gu­lar sind die Nomen nur in amt­li­chen Tex­ten gene­risch, sonst fast nie (Mit dem Abitur erwirbt der Schü­ler…). Das zei­gen auch die Ergeb­nis­se des ange­führ­ten Tests S. 3 : „Es ergibt sich, dass Sin­gu­lar­for­men bei­der Wort­klas­sen zu 83 Pro­zent als „männ­lich“, Plu­ral­for­men aber zu 97 Pro­zent  als „neu­tral“ bewer­tet wer­den. Im Plu­ral gel­ten Berufs­be­zeich­nun­gen zu 94, Rol­len­be­zeich­nun­gen sogar zu 99 Pro­zent als „neu­tral““.  Kon­se­quenz: Im Sin­gu­lar muss man die movier­te Form benut­zen. Des­halb lässt sich auch der Chir­ur­gen­text nicht aufs Deut­sche über­tra­gen. Nie­mand wür­de eine Chir­ur­gin (im refe­ren­zi­el­len Modus!) mit Chir­urg bezeich­nen, nicht mal Ost­frau­en.  Die unter­schei­den sehr genau zwi­schen refe­ren­zi­el­ler und gene­ri­scher Les­art: „Ich bin / sie ist Arzt – aber: Mei­ne Ärz­tin meint

Man kann den Text über­tra­gen: „Einer der Chir­ur­gen soll ope­rie­ren, sagt aber: ‚Ich kann nicht, das Kind ist mein Sohn.’“ Ja, aber dann ist es Plu­ral, wie Du sagst.

Aber auch die Tests mit Plu­ral­for­men bestä­ti­gen nicht die Behaup­tung von Femi­nis­ten, gene­ri­sche Mas­ku­li­na wür­den eher spe­zi­fisch als ‚männ­lich‘ ver­stan­den, weder die ori­gi­na­len Tests von 2001 oder 2008 noch die von Schunack/Binanzer durch­ge­führ­ten Unter­su­chun­gen, s. ZS 2022. Es gibt kei­nen Grund, das GM zu mei­den. Im Gegen­teil: Die bes­te Art, die Kern­be­deu­tung von Berufs-und Rol­len­be­zeich­nun­gen aus­zu­drü­cken, ist die unmar­kier­te Grund­form, Freund, Arzt, Viro­lo­ge. Da die­se For­men kein Merk­mal für Geschlecht ent­hal­ten, unter­spe­zi­fi­ziert also sind, schlie­ßen sie alle Geschlech­ter ein und sind dadurch inklu­siv. Auch das Suf­fix der Nomi­na agen­tis -er ist kein Merk­mal für ‚männ­lich‘, son­dern für den Agens, im Gegen­satz zu -ling für den Pati­ens, Leh­rer — Lehr­ling. Wäre es anders, dann hät­ten wir in  Lehr-er-in  zwei sich gegen­sei­tig aus­schlie­ßen­de Mor­phe­me hin­ter­ein­an­der, etwas, was es m.W. in natür­li­chen Spra­chen nicht gibt.

Das sind alles klu­ge Gedan­ken. Du und ande­re Linguist*innen kön­nen sich jetzt bis an ihr Lebens­en­de damit beschäf­ti­gen, Lai­en zu erklä­ren, war­um die unge­gen­der­ten For­men per­fekt funk­tio­niert haben. Es wird aber den­noch Men­schen geben, die gen­dern, weil sie einen Bedarf dafür haben. Sie­he unten zur Pragmatik.

Ich bezweif­le auch, ob nicht-binä­re oder homo­se­xu­el­le oder Trans-Men­schen wirk­lich den stän­di­gen Hin­weis auf ihr Anders­sein wol­len. Wol­len die nicht viel­leicht lie­ber ein­fach nur dazu­ge­hö­ren? Mit *For­men im Sin­gu­lar (die Autorin A und die Regisseur*in B)  wer­den (nicht)binäre Men­schen gera­de­zu geoutet. Wol­len die das überhaupt?

Das ist ein inter­es­san­ter Punkt. Ich den­ke, dass auch gera­de in der quee­ren Sze­ne viel gegen­dert wird. Prof. Horst Simon, soweit ich weiß, ein glück­lich ver­part­ner­ter cis-Mann, spricht von sich als Linguist*in. Mit die­ser etwas extre­men Art wäre es dann „die Autor*in A und die Regisseur*in B“. Jun­ge Men­schen stel­len sich in Gesprächs­run­den immer vor und geben zusätz­lich zu ihrem Namen ihr bevor­zug­tes Pro­no­men an. Ich war neu­lich bei einem Tref­fen älte­rer Men­schen (50–70) und eine männ­lich gele­se­ne Per­son stell­te sich mit Namen und Pro­no­men sie vor. Damit wuss­ten alle Bescheid. Auf alle ande­ren männ­lich gele­se­nen Per­so­nen wird mit er ver­wie­sen. Es ist ihre Wahl, wie offen sie leben wollen.

Es geht nicht nur um „Unter­bre­chung und mini­ma­le Ver­zö­ge­rung“, die mas­si­ve Ableh­nung durch die spre­chen­de Mehr­heit beruht u.a. auf der über­trie­be­nen, da inhalt­lich nicht gerecht­fer­tig­ten Expli­zi­tät der Gen­der­for­men. Etwa stellt die Paar­form Schü­ler und Schü­le­rin­nen für Spre­cher, für die ‚Schu­le‘ ganz selbst­ver­ständ­lich Jun­gen und Mäd­chen ein­schließt (in Deutsch­land, nicht in Afgha­ni­stan), kei­nen kom­mu­ni­ka­ti­ven Nut­zen, son­dern eine Zumu­tung dar. Für sie ist die Infor­ma­ti­on, dass neben Schü­lern auch Schü­le­rin­nen …, über­in­for­ma­tiv und führt des­halb zu Ver­druss. Sie ver­stößt gegen die Gri­ce­sche Kon­ver­sa­ti­ons­ma­xi­me der Rele­vanz, vgl. Gri­ce (1975:45): „Do not make your con­tri­bu­ti­on more infor­ma­ti­ve than is requi­red.“ Geglück­te Kom­mu­ni­ka­ti­on setzt vor­aus, dass die Infor­ma­ti­on eine Infor­ma­ti­ons­lü­cke schließt, dass beim Gesprächs­part­ner eine Lücke, Unwis­sen­heit also besteht. Eine Infor­ma­ti­on, die kei­ne Lücke schließt, ist nicht nur über­flüs­sig, sie ist belei­di­gend. Denn so dumm ist der Hörer nicht und will auch nicht so behan­delt werden.

Ja, Ver­druss. Das hat­te ich ja gesagt (Das lei­di­ge The­ma: Gen­dern). Das Gen­dern ver­stößt nicht gegen die Maxi­me der Rele­vanz, denn es geht den Sprecher*innen genau um die­sen Effekt. Mit dem Umweg, der län­ge­ren Form wird etwas aus­ge­sagt. Näm­lich: „Ich, die Sprecher*in, gen­de­re, weil ich möch­te, dass Frau­en und Trans-Per­so­nen expli­zit erwähnt wer­den.“ Es ist ein klas­si­sches Form-Bedeu­tungs­paar mit einer erwei­ter­ten Bedeu­tung und die­se, die­ses Das-immer-wie­der-unter-die-Nase-gerie­ben-Bekom­men nervt.

Wenn es dar­um geht, alle anzu­spre­chen, wie oft behaup­tet, so tun wir das doch schon lan­ge, indem wir Sehr geehr­te Damen und Her­ren oder lie­be Zuschau­er und Zuschaue­rin­nen sagen.

Ja. Wenn wir es sagen. Ich sage es manch­mal in Lehr­ver­an­stal­tun­gen statt Glot­tal­ver­schluss. Dann feh­len die Transpersonen.

Wer so argu­men­tiert und damit „geschlech­ter­ge­rech­te“ Spra­che all­ge­mein recht­fer­tigt, ver­kennt den Unter­schied der drei Funk­tio­nen des Sprach­zei­chens (Orga­non­mo­dell): 

In der Anre­de ist das Sprach­zei­chen Signal und erfüllt die Appell­funk­ti­on. Weit über­wie­gend, wenn wir über jn reden, ist es aber Sym­bol und erfüllt die Dar­stel­lungs­funk­ti­on. Schließ­lich ist es Sym­ptom und erfüllt dann die Aus­drucks­funk­ti­on, sagt etwas über den Spre­cher aus. Und in den meis­ten Fäl­len scheint mir das die eigent­li­che Moti­va­ti­on zu sein: Gen­dern dient der Image­pfle­ge, es soll den Spre­cher als woke, als pro­gres­siv aus­wei­sen. Es ist eine Mode, und Moden sind end­lich. Wer erin­nert sich noch an das Pro­no­men “frau”?

Das ist ein Aspekt. Natür­lich sagt mei­ne Spra­che auch etwas über mich aus. 

Ich erin­ne­re mich noch an „frau“. In der taz kommt es noch ab und zu vor. Auch sehr schön ist „maus“. Da gibt es aber nur eine Autorin, die das benutzt. Bzw. eine Autor*in. =:-)

Natür­li­cher Sprach­wan­del geht anders und hat ande­re Zie­le, noch nie haben kom­pli­zier­te­re For­men die ein­fa­che­ren ver­drängt. Hier liegt Sprach­len­kung, der Ver­such einer Sprach­len­kung vor.

Was ist, wenn Sprach­len­kung von vie­len Men­schen ange­nom­men wird und dann ein­fach Ein­gang in die Spra­che fin­det? Espe­ran­to war eine Plan­spra­che. Künst­lich. Inzwi­schen ist es eine leben­di­ge Spra­che. Und ich fin­de „Leh­rer“ in Dei­nem ers­ten Zitat inzwi­schen schon komisch. Man gewöhnt sich an „Lehrer*innen“ und dann sind die „Leh­rer“ eben nur noch männ­li­che Per­so­nen. Das ist Sprachwandel.

Ob er dau­ert, bis die Frau­en gleich­be­rech­tigt sind? In ande­ren Spra­chen hat man die Suf­fi­xe längst abge­schafft, schon M. That­cher woll­te Prime Minis­ter sein, nicht Ministress.

Oh, je. That­cher als Bei­spiel für irgend­was zu benut­zen, ist so, als wür­de man in der WeLT veröffentlichen.

Sind die Bri­ten frau­en­feind­lich, sind sie noch stär­ker als wir unter­drückt vom Patri­ar­chat? Oder sind sie im Gegen­teil eman­zi­pier­ter als wir? 

Ich habe 1992 in Edin­burgh stu­diert. Ein Dozent, den ich irgend­was zur Ver­wen­dung der Pro­no­mi­na gefragt hat­te, hat mir erklärt, dass man­che auch das Pro­no­men ‘they’ ver­wen­den. Ich habe das damals nicht ver­stan­den, wuss­te es nicht ein­zu­ord­nen. Aber die­se Dis­kus­sio­nen gibt es auch in Groß­bri­tan­ni­en schon sehr lan­ge. Ins­ge­samt fällt das nicht so auf, weil das Eng­li­sche eben viel weni­ger rele­van­te gram­ma­tisch mar­kier­te Unter­schie­de hat.

Die „geschlech­ter­ge­rech­ten“ For­men wer­den als dis­kri­mi­nie­rend emp­fun­den: W. Gold­berg „I’m an actor , I can play any­thing“, Cate Blan­chett lehnt actress ab und besteht sogar als Diri­gen­tin im Film auf der Anre­de Maes­tro, nicht Maes­tra. Nele Pol­lat­schek und Sophie Rois leh­nen die deut­schen For­men ab.

Ich den­ke, das soll­te jede*r machen wie er/sie will. Horst ist eben Linguist*in, ich bin Lin­gu­ist und Du Lin­gu­is­tin. Pri­ma. Es gibt nur dann ein Pro­blem, wenn jemand etwas vor­schrei­ben will. Das soll­te es nicht geben.

In der Schweiz, in der zunächst mehr gegen­dert wur­de als in Deutsch­land, was ver­ständ­lich ist, hat­ten dort die Frau­en doch erst 1971 das Wahl­recht erlangt, wird jetzt eine “Renais­sance des Gene­ri­schen Mas­ku­li­nums“ beob­ach­tet, bei Stu­den­tin­nen unter 25 (s. J. Schrö­ter, A.  Lin­ke, N. Buben­ho­fer 2012: „Ich als Lin­gu­ist“. Eine empi­ri­sche Stu­die zur Ein­schät­zung und Ver­wen­dung des Gene­ri­schen Mas­ku­li­nums, in: Susan­ne Günth­ner u.a. Gen­der­lin­gu­is­tik, Sprach­li­che Kon­struk­ti­on von Geschlechts­iden­ti­tät, Ber­lin: de Gruy­ter, 359–379, DOI :10.1515/9783110272901.359

OK. Sie­he oben. Soll jeder machen, wie sie will. (Das war jetzt lus­tig, oder? =;-)

Ich habe kei­nen Zugang zu Stu­den­tin­nen mehr, kann das aber durch ein­zel­ne Teen­ager bestä­ti­gen. Die fin­den Gen­dern doof und kari­kie­ren es durch die Kür­zel die SuS und die LuL und dann wei­ter zu  die Sus und die Lul.

Nun ja. SuS wird von Lehrer*innen bzw. an den Uni­ver­si­tä­ten in der Lehr­amts­aus­bil­dung auch ver­wen­det. Ist eine übli­che Abkür­zung. Ich habe auch noch mal bei Prof. Bea­te Lüt­ke nach­ge­fragt, die in der Lehrer*innenausbildung arbei­tet. Hier ihre Ant­wort zu SuS und LuL und ihrer Sicht auf das Gendern:

SuS und LuL ver­wen­den zumeist Stu­die­ren­de in Unter­richts­ent­wür­fen, weil sie in den Pla­nungs­ta­bel­len wenig Platz fürs Aus­schrei­ben haben. Die­se Abkür­zun­gen tau­chen also eher im Rah­men schul­prak­ti­scher Mate­ria­li­en für den Ein­satz in Schu­len auf. In der wis­sen­schaft­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on wer­den sie nicht ver­wen­det, bei den Grund­schul­kol­le­gin­nen ist mir das bis­her auch nicht auf­ge­fal­len. Als Refe­ren­da­rin habe ich ‘SuS’ auch in mei­nen tabel­la­ri­schen Unter­richts­ent­wür­fen ver­wen­det, weil es dar­in so vor­ge­ge­ben war; das ist aber 20 Jah­re her.

Ich selbst gen­de­re fle­xi­bel und ver­wen­de Gen­der­for­men wie Lehr­kräf­te, Schüler*innen und set­ze in der Dop­pel­form in die Kasus (‘bei Schü­lern und Schü­le­rin­nen’). Ich mache mir kei­ne Sor­gen, dass die deut­sche Spra­che durchs Gen­dern beschä­digt wird. Mein Lese­fluss wird dadurch nicht gestört :). Mir ist wich­tig, dass sich in mei­nen Uni-Kur­sen alle ein­be­zo­gen und ange­spro­chen füh­len. Eine que­e­re Per­son sag­te mir ein­mal in mei­ner Sprach­bil­dungs­vor­le­sung, dass sie sich durch das Gen­der-* erst­ma­lig in Lehr­ver­an­stal­tun­gen ein­be­zo­gen und ange­spro­chen füh­le. Das hat mich ver­an­lasst, dazu eine Umfra­ge zu machen. Die gro­ße Mehr­heit der Grup­pe hat sich für das * ausgesprochen.

Bea­te Lüt­ke, p. M. 2023.

Außer­dem gibt es Kol­la­te­ral­schä­den. Die schon erwähn­ten For­men  dem*der Arzt*in  (in Papie­ren der Cha­ri­té mas­sen­haft) machen die deut­sche Spra­che nun wirk­lich nicht leich­ter für die (DaF)Lerner.

Ja. Ich schrei­be immer die Ärzt*in. Dann hat man sich die Dis­junk­ti­on beim Arti­kel gespart. For­mal ist das für Grammatiker*innen natür­lich die Höl­le, weil es kei­ne Kon­gru­enz zwi­schen Arti­kel und Nomen mehr gibt, aber dann müs­sen sich die­je­ni­gen, die das model­lie­ren wol­len, eben etwas dafür ausdenken.

Und die­sel­ben Leu­te, die so viel von Dif­fe­ren­zie­rung reden, opfern die durch­aus sinn­vol­le Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen der Bezeich­nung für eine aktu­el­le Tätig­keit und der für die Rol­le: wie kann ich, ohne Gene­ri­sches Mas­ku­li­num, sagen, dass “nicht alle Zuhö­rer auch Zuhö­ren­de waren“? Gilt das Schild  “Rad­fah­rer abstei­gen” nicht auch für mich? Rad­fah­rer bin ich auch dann, wenn ich mein Rad schie­be, aber Rad­fah­ren­de eben nicht mehr. Aber nach dem adfc Ber­lin sind sogar Getö­te­te noch Rad­fah­ren­de, nicht nur an Ostern, dem Fest der Auf­er­ste­hung! Es ist gro­tesk. Und wenn Lin­gu­is­ten sol­che For­men emp­feh­len, ist das beschämend. 

Ja. Das fin­de ich nicht gut und mache ich auch nicht. Das Bei­spiel ist schon älter und von Max Goldt: „In der Lob­by lagen tote Stu­die­ren­de.“ Damit macht man das Par­ti­zip mehr­deu­tig. Das wür­de ich nicht so machen, aber wenn es sich durch­set­zen wür­de, dann wäre es eben so. Ich muss es ja nicht aktiv so ver­wen­den, denn die Form „Student*innen“ gibt es ja auch noch. Ande­rer­seits wird Leh­rer dann eben ein­deu­tig mit Bezug auf männ­lich gele­se­ne Personen.

Bea­te Lüt­ke hat mich auf einen Text von Hel­muth Feil­ke (2022) auf­merk­sam gemacht, der im Wesent­li­chen genau die Punk­te bringt, die ich hier auch ver­tre­ten habe, nur bes­ser for­mu­liert. Der Text weist im Vor­über­ge­hen auch auf ein lus­ti­ges neu­es Pro­blem hin, das sich aus der Ver­wen­dung der Par­ti­zip­for­men ergibt: Im Sin­gu­lar gibt es einen Unter­schied in der Fle­xi­on: ein Stu­die­ren­der vs. eine Stu­die­ren­de.

Soll jetzt die­ser Pro-Gen­dern-Text mit einer Kri­tik an einer der ver­wen­de­ten For­men enden? Nein. Er endet mit einem Ja. Ja, zum fle­xi­blen Gen­dern. Wie das genau geht, hat Hel­mut Feil­ke gut beschrieben.

Quellen

Feil­ke, Hel­muth. 2022. Gen­dern mit Grips statt Schrei­ben in Gips: Prak­ti­sche Argu­men­te für ein fle­xi­bles Gen­dern. Deutsch. 1–7. https://www.friedrich-verlag.de/fileadmin/fachwelten/deutsch/ blog-downloads/Gendern_Essay-Fassung.pdf.

Das leidige Thema: Gendern

Heu­te Nacht habe ich von Prof. Dr. Hei­de Wege­ner eine Mail mit dem Betreff „Das lei­di­ge The­ma“ bekom­men. Hei­de Wege­ner schreibt immer wie­der in der WeLT zu die­sem lei­di­gen The­ma. Sie hat mir ein PDF eines WeLT-Arti­kels (pay­wall) geschickt, der eine kür­ze­re Ver­si­on eines Auf­sat­zes ist, der in einem lin­gu­is­ti­schen Sam­mel­band erschei­nen wird.

Ich gen­de­re und habe das in einem Blog­post hier schon erklärt (Gen­dern, arbei­ten und der Osten). Wie ich da geschrie­ben habe, bin ich der Mei­nung, dass die Fra­ge der Gleich­stel­lung eine öko­no­mi­sche ist und dass es des­halb wich­tig ist, die Infra­struk­tur, die Fami­li­en brau­chen, damit alle arbei­ten kön­nen, aus­zu­bau­en und zu finanzieren.

Hier eini­ge kur­ze Kom­men­ta­re zu Hei­de Wege­ners Artikel:

Wege­ner beschäf­tigt sich mit dem gene­ri­schen Mas­ku­li­num und mit Stu­di­en, die zei­gen sol­len, dass es sich nur auf Mas­ku­li­na bezie­hen wür­de. Ich habe das Gen­dern selbst lan­ge abge­lehnt und dann aber, weil ich durch Prof. Dr. Hen­ning Lobin (Lei­ter des Insti­tuts für Deut­sche Spra­che in Mann­heim) auf fol­gen­de Stu­die auf­merk­sam gewor­den bin, mit dem Gen­dern begonnen:

Stahl­berg, Dag­mar, Sabi­ne Sczes­ny & Frie­de­ri­ke Braun. 2001. Name your favo­ri­te musi­ci­an: Effects of mas­cu­li­ne gene­rics and of their alter­na­ti­ves in Ger­man. Jour­nal of Lan­guage and Social Psy­cho­lo­gy 20(4). 464–469. DOI: 10.1177/0261927X01020004004.

Ich weiß noch genau, wie ich mich im DFG-Fach­kol­le­gi­um mit Prof. Hel­muth Feil­ke über die Expe­ri­men­te unter­hal­ten habe und er mein­te, dass das nicht so ein­fach wäre, denn, was man expe­ri­men­tell nach­wei­sen wür­de, wären Kli­schees. Das wür­de auch im Eng­li­schen funk­tio­nie­ren, wo es die ent­spre­chen­den Endun­gen ja gar nicht gibt. Hier ist das ent­spre­chen­de Bei­spiel, das auf die Psy­cho­lo­gin­nen Mikae­la Wap­man und Debo­rah Bel­le zurückgeht. 

Hei­de Wege­ner dis­ku­tiert nun eini­ge Bei­spie­le, die genau das auch für das Deut­sche zeigen.

Eins der Expe­ri­men­te, die betrach­tet wer­den, bestand dar­in, dass Proband*innen Schauspieler*innen, Politiker*innen und Superheld*innen nen­nen soll­ten. Dabei wur­de die Auf­ga­be immer mit gene­ri­schem Mas­ku­li­num, als Paar­form (Poli­ti­ker und Poli­ti­ke­rin­nen) und mit gro­ßem I gestellt.

Dies Ergeb­nis ist von grundsätzlicher Bedeu­tung, zeigt es doch: Real exis­tie­ren­de Ver­tre­ter, zumal in Spit­zen­po­si­tio­nen, mit Bildschirmpräsenz (Kanz­le­rin, Fuß­ball­star), wir­ken prägend, beein­flus­sen Bedeu­tung und Veränderung von Berufs- und Rol­len­bil­dern stärker als sprach­li­che Änderungen. Die Grund­an­nah­me der Femi­nis­ti­schen Lin­gu­is­tik, Spra­che deter­mi­nie­re das Den­ken und die­ses dann die sozia­le Realität, wird hier vom Kopf auf die Füße gestellt.

Dass die Wirk­lich­keit unse­re Kli­schees formt, hat wohl nie­mand jemals wirk­lich in Fra­ge gestellt. Dass die Art, wie wir über Per­so­nen und Din­ge reden, die Welt beein­flusst, wird wohl aber auch kei­ne Sprachwissenschaftler*in ernst­haft abstrei­ten wol­len. Das Stich­wort ist Framing und jede Linguist*in soll­te das Buch LTI von Vic­tor Klem­pe­rer ken­nen, der sich mit der Spra­che der Nazis aus­ein­an­der­setzt. Auch heu­te wird bewusst von Flücht­lings­strö­men, Mes­ser­män­nern und so wei­ter gespro­chen. Spra­che beein­flusst unser Den­ken, das lässt sich nicht von der Hand wei­sen, auch wenn es einem beim Gen­dern gera­de nicht passt.

Setzt man den Ost-West-Unter­schied im Gebrauch von Gen­der­spra­che, die nach Ent­ste­hung und Ver­brei­tung ein eher west­deut­sches Phänomen ist, in Rela­ti­on zu den Zah­len für den Gen­der Pay Gap in den alten und neu­en Bundesländern, so zeigt sich: Wo gegen­dert wird, ist die Lohnlücke größer (alte Bundesländer 19 Pro­zent, neue Bundesländer 6 Pro­zent, unbe­rei­nigt). Der behaup­te­te eman­zi­pa­to­ri­sche Effekt von Gen­der­spra­che erscheint als from­me Schimäre.

Die­se Aus­sa­ge ist inter­es­sant, nur dass das Eine nichts mit dem Ande­ren zu tun hat. Ein Ziel des Gen­derns ist es, Wert­schät­zung für Frau­en und Trans-Men­schen aus­zu­drü­cken, sie sicht­bar zu machen. Gera­de auch dort, wo sie ent­spre­chend der Kli­schees nicht erwar­tet sind. Der Gen­der Pay Gap ist die unter­schied­li­che Ent­loh­nung für die­sel­be Arbeit. Eine Frau bekommt auf der­sel­ben Stel­le weni­ger als ein gleich qua­li­fi­zier­ter Mann. Pro­fes­so­rin­nen bekom­men oft weni­ger als Pro­fes­so­ren, auch weil sie das selbst anders verhandeln. 

Schaut man sich den geo­gra­phi­cal pay gap, den Unter­schied in der Bezah­lung zwi­schen West und Ost für glei­che Arbeit an, so liegt der bei 22,5%. Dirk Osch­mann schreibt Fol­gen­des zu den Details:

Bei Tex­til­fir­men sind die unge­heu­er­li­chen Unter­schie­de mit 69,5 Pro­zent am größ­ten, aber auch die belieb­te Auto­in­dus­trie kann sich mit 41,3 Pro­zent noch sehen las­sen, gefolgt von Maschi­nen­bau mit 40,4 Pro­zent, der Her­stel­lung von IT-Gütern mit 39,8 Pro­zent und der Schiff­fahrt mit 38,9 Pro­zent. Und natür­lich bekommt der Osten signi­fi­kant weni­ger oder gar kein Weih­nachts­geld, wie der Spie­gel im Novem­ber 2022 meldet.

Dirk Osch­mann, 2022, Der Osten – Eine West­deut­sche Erfin­dung, S. 66

Das bedeu­tet, das Frau­en und Män­ner ohne­hin schon weit unter dem West-Niveau bezahlt wer­den. Am größ­ten ist der Unter­schied übri­gens in einem klas­si­schen Frau­en­be­ruf: im Tex­til­be­reich bei den Näher*innen. Dass ein Mann in die­sem Bereich dann nur unwe­sent­lich mehr ver­dient … Tja. Viel­leicht ist die Aus­beu­tung im Osten dann ins­ge­samt so groß, dass man die Frau­en schlecht noch schlech­ter bezah­len kann. Ein kon­kre­tes Bei­spiel aus mei­ner Ver­wandt­schaft: Eine Frau arbei­tet als Ver­käu­fe­rin und fährt mit dem Fleisch­wa­gen übers Land. Wenn sie das Ren­ten­ein­tritts­al­ter erreicht haben wird, wird sie die Min­dest­ren­te bekom­men, denn das Geld, das sie in die Ren­ten­ver­si­che­rung ein­ge­zahlt hat, reicht nicht für mehr und das, obwohl sie ihr Gan­zes Leben Voll­zeit gear­bei­tet hat. Wenn man vor die­sem Hin­ter­grund einen Arti­kel mit dem Titel Wo gegen­dert wird, ist die Lohn­lü­cke grö­ßer in der Sprin­ger-Pres­se ver­öf­fent­licht, ist das an Zynis­mus eigent­lich nicht zu über­bie­ten. Aber wahr­schein­lich ist es ein­fach nur Unwis­sen­heit: Der Osten ist so weit weg, selbst für Professor*innen, die mit­ten drin wohnen.

Die Unter­schie­de zwi­schen West- und Ost-Gesell­schaft sind so gewal­tig, dass Wege­ners Ver­gleich des Gen­der Pay Gaps ohne wei­te­re Auf­schlüs­se­lung rele­van­ter Fak­to­ren ein­fach unzu­läs­sig ist. Im Osten krie­gen die Frau­en seit der Wen­de weni­ger Kin­der, was viel­leicht der Kar­rie­re för­der­lich ist. Die Kin­der­ver­sor­gung all­ge­mein ist bes­ser. In Bay­ern kann Mut­ti das Kind in der Kita abge­ben und dann den Ein­kauf erle­di­gen. Mit­tags kom­men die Kin­der zurück. Im Osten sind Ein­rich­tun­gen mit Ganz­tags­be­treu­ung die Norm (Krip­pe, Kin­der­gar­ten, Schule+Hort). Dass Frau­en Voll­zeit arbei­ten, ist nor­mal. All das müss­te man in Über­le­gun­gen ein­be­zie­hen. Was Wege­ner ver­glei­chen müss­te, ist eine West­deut­sche Gesell­schaft mit und ohne Gen­dern. Das ist nicht so ein­fach, aber viel­leicht gibt es gesell­schaft­li­che Berei­che, in denen man die Aus­wir­kung von inklu­si­ver Spra­che expe­ri­men­tell nach­wei­sen kann.

(Nach­trag vom 20.05.2023: Der MDR hat erklärt, wodurch der gerin­ge­re unbe­rei­nig­te Gen­der-Pay-Gap im Osten zustan­de kommt: Deutsch­land­kar­te zum Gen­der Pay Gap: Lohn­lü­cke im Osten klei­ner. Es liegt dar­an, dass Män­ner im Osten in schlech­ter bezahl­ten Beru­fen arbei­ten. Die gut bezahl­ten Indus­trie-Jobs sind im Wes­ten. Ossis arbei­ten z.B. bei Lager­wirt­schaft, Post und Zustel­lung, Frau­en in ver­gleichs­wei­se bes­ser bezahl­ten Beru­fen wie in der Ver­wal­tung. Der berei­nig­te Gen­der-Pay-Gap [glei­cher Beruf, glei­che Qua­li­fi­ka­ti­on] liegt bei 10,8 % im Osten und 15,3 % im Wes­ten, ein Unter­schied von nur 4,5%, der sich viel­leicht über die von mir oben ange­spro­che­nen Fak­to­ren erklä­ren lässt.)

Das wirft die Fra­ge auf, ob gene­ri­sche und gegen­der­te Sprach­for­men gleich­wer­tig sind. Für die­se Annah­me spricht das der­zei­ti­ge Neben­ein­an­der bei­der For­men: Die meis­ten Deutsch­spre­cher wech­seln heu­te pro­blem­los zwi­schen dem gene­ri­schen Mas­ku­li­num und geschlech­ter­ge­rech­ter Spra­che hin und her, sie gebrau­chen pas­siv in den Medi­en Gen­der­for­men, aktiv aber wei­ter das gene­ri­sche Mas­ku­li­num – ohne Verständigungsprobleme.

Dass es beim gene­ri­schen Mas­ku­li­num Ver­stän­di­gungs­pro­ble­me geben wür­de, hat nie­mand behaup­tet, die Kom­mu­ni­ka­ti­on funk­tio­nier­te in den letz­ten Jahr­hun­der­ten auch. Es ist eine Fra­ge der Inklu­si­on, eine Fra­ge der Höf­lich­keit, ob man eine umständ­li­che­re Form wählt und damit Frau­en und Trans-Per­so­nen expli­zit mit­nennt und expli­zit anspricht.

Viel­leicht kann man das am bes­ten mit einem Bei­spiel ver­deut­li­chen: Wenn wir Behör­den anschrei­ben oder Mails an Empfänger*innen, bei denen wir nicht wis­sen, wer die Mail letzt­end­lich lesen wird, schrei­ben wir „Sehr geehr­te Damen und Her­ren“. Ich habe 2021 eine Kon­fe­renz orga­ni­siert und eine Mail an den all­ge­mei­nen Kon­fe­renz­ac­count bekom­men, die mit „Dear Sirs“ begann. Der Schrei­ber der Mail ist wohl davon aus­ge­gan­gen, dass nur Män­ner die­se Kon­fe­renz orga­ni­sie­ren würden/könnten, was unan­ge­bracht und belei­di­gend für Frau­en auf der Emp­fän­ger­sei­te ist. Man kann ande­re Anre­den wäh­len. „To whom it may con­cern“ oder „Hi“. Im Deut­schen „Hal­lo“, „Lie­bes Glo­be­trot­ter-Team“ oder eben die expli­zi­te Form „Sehr geehr­te Damen und Her­ren“. Alles wird ver­stan­den, aber es gibt Unter­schie­de im Stil und im Register.

Ein Abschnitt in Hei­de Wege­ners Text trägt die Über­schrift „Die Welt prägt die Spra­che, nicht die Spra­che die Welt“. Ich möch­te behaup­ten, dass Spra­che und Welt in einer Wech­sel­wir­kung zuein­an­der ste­hen. Der Ton macht die Musik, wie oben bei den Anre­den gezeigt. Ein wei­te­res Bei­spiel: Es gibt sehr vie­le Wör­ter, mit denen man sich auf Men­schen mit Behin­de­rung bezie­hen kann. Alle wer­den ver­stan­den. Man­che sind wert­schät­zend, man­che ver­let­zend. Ich möch­te in einer inklu­si­ven Welt leben, die es allen erlaubt, ihren Mög­lich­kei­ten ent­spre­chend teil­zu­ha­ben, sich ver­stan­den zu füh­len und mit­ge­nom­men zu werden.

Gendern und Klimakleber

Beim Nach­den­ken über das Gen­dern und die Aktio­nen der Letz­ten Gene­ra­ti­on, Extinc­tion Rebel­li­on und Sci­en­tist Rebel­li­on ist mir klar gewor­den, dass die Ableh­nung und der Hass wahr­schein­lich Ergeb­nis ähn­li­cher Pro­zes­se sind. Die Kli­makle­ber gehen nicht weg. Das hört ein­fach nicht auf. So wie die Kli­ma­kri­se auch nicht auf­hört. Die Klimabürger*innen erin­nern uns täg­lich dar­an, das wir als Gesell­schaft, als der Nor­den eigent­lich auf einem ganz ande­ren Kurs sein müss­ten und dass unse­re Regie­run­gen ver­sa­gen. Genau­so erin­nern Men­schen, die gen­dern, Men­schen, die nicht gen­dern, in jedem Satz an ein struk­tu­rel­les Unrecht, an Ungleich­be­hand­lung, dar­an, dass mann Pri­vi­le­gi­en auf­ge­ben muss. Es stört, es nervt. In etwas so Schö­nem wie der Spra­che. Es stört, es nervt. Bei etwas so Schö­nem Not­wen­di­gem wie dem Weg zur Arbeit.

Die Unter­bre­chung und mini­ma­le Ver­zö­ge­rung durch den Glo­tal­ver­schluss ist dabei nicht gegen die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­part­ner gerich­tet. Sel­bi­ges gilt auch für die Ver­grö­ße­rung der ohne­hin schon vor­han­de­nen Staus. Die­se Unter­bre­chun­gen mar­kie­ren ein­fach Unge­rech­tig­kei­ten und Pro­ble­me, die sich aus unse­rem Wei­ter-So ergeben.

Weil bei­des nervt, gibt es schlaue (und auch dum­me) Men­schen, die Grün­de fin­den, war­um das Gen­dern nicht „funk­tio­nie­ren“ wür­de, was dar­an falsch sei, ein­fach über­se­hend, dass Men­schen es tun und ver­stan­den wer­den. Und so gibt es schlaue (und dum­me) Men­schen, die der Letz­ten Gene­ra­ti­on erklä­ren, was die doch gefäl­ligst tun soll­ten, oft ver­ken­nend, dass sie all das auch tun oder schon getan haben.

Also: All das wird so lan­ge blei­ben, bis Frau­en gleich­be­rech­tigt sind (oder län­ger, weil das Gen­dern dann nor­mal gewor­den ist) und bis wir als Gesell­schaf­ten Wege gefun­den haben, mit der Kli­ma­ka­ta­stro­phe adäquat umzu­ge­hen und noch Schlim­me­res zu ver­hin­dern (und hof­fent­lich nicht län­ger, weil die Stö­run­gen nicht nor­mal werden).

Quellen

Wege­ner, Hei­de. 2023. Wo gegen­dert wird, ist die Lohn­lü­cke grö­ßer. In Mei­nun­ger, André & Trut­kow­ski, Ewa (eds.), Gen­dern – auf Teufel*in komm raus? Ber­lin: Kul­tur­ver­lag Kadmos.

Osch­mann, Dirk. 2023. Der Osten: eine west­deut­sche Erfin­dung. Ber­lin: Ull­stein Buchverlage.

MDR. 2023. Deutsch­land­kar­te zum Gen­der Pay Gap: Lohn­lü­cke im Osten klei­ner. (https://www.mdr.de/wissen/geld-verdienen-lohn-frauen-maenner-luecke-ost-west-equal-pay-day102.html)

Guten Tag, Fediverse

Ich freue mich wie Bol­le, dass jetzt vie­le Leu­te Twit­ter ver­las­sen und zu Mast­o­don wech­seln. Und die Blogs kann man auch ver­net­zen dank Acti­vi­ty­Pub-Plug­in für WordPress.

Also: Wenn Ihr Euch für den Osten aus Sicht eines ein­ge­schnapp­ten [=:-)] Ossis inter­es­siert, folgt Stefan@so-isser-der-ossi.de.

Noch­mal ohne Quatsch: Ossis sind in den Redak­tio­nen unter­re­prä­sen­tiert, sie haben in Fir­men und öffent­li­chen Ein­rich­tun­gen kei­ne Stim­me und ich kom­men­tie­re hier ab und zu gro­be Falsch­dar­stel­lun­gen. Zum Teil auch von Ossis sel­ber. Es geht viel um Nazis, aber auch um Gen­dern, Gleich­be­rech­ti­gung, Kinderverschickungen/Kuren usw.

Gendern und Bewertungen von Arbeitsleistungen im akademischen Bereich

Vor­weg: 1) Ich gen­de­re. 2) Ich war eins der ers­ten Mit­glie­der in Prof. Dr. Gis­bert Fan­se­lows Gesell­schaft gegen den Erhal­tung der deut­schen Spra­che. Gis­bert hat­te auf einer Web-Sei­te „100 gute reasons gegen die pre­ser­va­ti­on von der deut­schen Spra­che“. Mit irgend­wel­chen Sprachpfleger*innen habe ich also nichts zu tun.

Da bei der Deut­schen Gesell­schaft für Sprach­wis­sen­schaft (DGfS) eine Sat­zungs­än­de­rung in Rich­tung gen­der­ge­rech­te Spra­che anstand, habe ich im DGfS-Forum einen Bei­trag geschrie­ben, den ich dann auch außer­halb ver­öf­fent­li­chen woll­te (Gen­dern, arbei­ten und der Osten). Ich habe erst dar­über nach­ge­dacht, den Blog-Bereich der HU dafür zu benut­zen, habe den Bei­trag aber dann auf die­sen Ost-Blog getan, weil die dar­un­ter­lie­gen­den Fra­gen auch etwas mit dem Osten zu tun haben. Ich woll­te eigent­lich gar nicht wei­ter zum The­ma schrei­ben, aber jetzt muss ich doch noch ein­mal. Auf Twit­ter und sonst wo kocht gera­de die Dis­kus­si­on über, ob man denn Prü­fungs­leis­tun­gen von Stu­die­ren­den anders bewer­ten kann oder soll, wenn die­se nicht gendern. 

Bei der Uni­ver­si­tät Kas­sel fin­det man fol­gen­de Anleitung:

Anlei­tung zum Bewer­tungs­kri­te­ri­um gen­der­ge­rech­te Spra­che der Uni­ver­si­tät Kas­sel, 27.02.2021

Hier stellt sich die Fra­ge, wie man mit den Gen­der-Mar­kern all­ge­mein umge­hen soll. Vor drei­ßig Jah­ren wur­de das Binnen‑I z.B. bei der taz und die gespro­che­ne Vari­an­te mit Glot­tal­ver­schluß bei Radio 100 ver­wen­det. Bei­des Avant­gar­de und Nischen­an­ge­bo­te. Ansons­ten kam es in ent­spre­chen­den Zir­keln vor, ver­ein­zelt auch an Uni­ver­si­tä­ten. Ich habe eine Leip­zi­ger Hoch­schul­zeit­schrift von 1992 mit Bin­nen-I-Bei­trag. Inzwi­schen ist das Binnen‑I bzw. das Gen­der­stern­chen im Main­stream angekommen. 

Harald Schmidt gen­dert im Kom­men­tar zur Lan­des­tags­wahl in Baden-Würt­em­berg, 2021

Es wird im Tages­pie­gel ver­wen­det, von Nachrichtensprecher*innen u.s.w. For­schungs­för­de­rungs­ein­rich­tun­gen wie die DFG ver­wen­den es schon meh­re­re Jah­re stan­dard­mä­ßig, Uni­ver­si­tä­ten geben Emp­feh­lun­gen für gen­der­ge­rech­tes Schrei­ben. Vor eini­ger Zeit hat Ulri­ke Win­kel­mann, die Chef­re­dak­teu­rin der taz, einen wei­sen Bei­trag dazu ver­fasst. In der taz gab es immer sone und sol­che. Man­che haben das Gen­dern abge­lehnt1, man­che haben dafür gekämpft. Die taz ist ein bun­ter Hau­fen und das ist auch gut so. Ulri­ke Win­kel­mann hat dafür plä­diert, das Gen­dern nicht vor­zu­schrei­ben und nicht zu erzwingen:

In dem Augen­blick, da eman­zi­pa­ti­ve Sprach­po­li­tik zu einer von einem „Oben“ gesetz­ten Norm wird – und vie­les sieht aktu­ell schon danach aus –, wird sie sich genau die­sem Vor­wurf aus­set­zen müs­sen: dass sie Wirk­lich­kei­ten kon­stru­iert, die vie­le nicht als die ihren begreifen.

Ulrikw Win­ckel­mann, Sprach­kri­tik darf kein Eli­ten­pro­jekt sein, taz, 06.02.2021

Ich den­ke, es ist wich­tig, zwei Din­ge zu unter­schei­den: 1) gibt es Insti­tu­tio­nen, die beschlos­sen haben, Gleich­stel­lungs­aspek­te adäquat zu berück­sich­ti­gen und in der Innen­kom­mu­ni­ka­ti­on und nach außen gen­der­ge­rech­te Spra­che zu ver­wen­den. 2) gibt es Bestre­bun­gen oder zumin­dest die Mög­lich­keit, gen­der­ge­rech­te Spra­che bei ande­ren zu erzwin­gen. 1) ist nor­mal und in Ord­nung, 2) ist nicht in Ord­nung. War­um nicht? 

Wenn man ver­sucht, Sprach­wan­del zu erzwin­gen, stößt man auf Ableh­nung, bei denen, die sol­che Ent­wick­lun­gen kri­tisch sehen oder sich eben ein­fach nicht umstel­len wol­len. Soll man sie ein­fach zwin­gen? Nein. Ich bin aus dem Osten. Damals war es üblich, zu Prü­fun­gen ein FDJ-Hemd anzu­zie­hen. Das war ein Bekennt­nis zum Staat, das von Prüf­lin­gen ver­langt wur­de. Wenn nun gesetz­te Gen­der­stern­chen in die Bewer­tung ein­flie­ßen sol­len, dann erin­nert mich das sehr stark an die­se Zeit. Es war eine wider­wär­ti­ge Zeit. Die Poli­tik war über­all drin. Ich hat­te als 13jähriger eine Auf­nah­me­prü­fung für die Erwei­ter­te Ober­schu­le Hein­rich-Hertz, eine Mathe­schu­le. Die Prü­fung bestand aus zwei Tei­len: einem Mathe­test mit Kno­bel­auf­ga­ben und einem poli­ti­schen Gespräch mit dem stell­ver­tre­ten­den Direk­tor. Der Mathe­test war kein Pro­blem, aber eine der Fra­gen im Auf­nah­me­ge­spräch war, ob ich drei Jah­re zur Armee gehen wür­de. Ich war 13 und hat­te noch nie dar­über nach­ge­dacht. Spon­tan fand ich die Vor­stel­lung nicht so pri­ckelnd. Ich bin des­we­gen abge­lehnt wor­den und nur dem enor­men Ein­satz mei­ner Eltern ist es zu ver­dan­ken, dass ich dann doch auf die­se Schu­le gehen konn­te. Und ich habe zuge­sagt, drei Jah­re zur Armee zu gehen. Wie das im DDR-Bil­dungs­sys­tem lief, kann man sehr gut in Klaus Kordons Buch Kro­ko­dil im Nacken nach­le­sen. Kor­don beschreibt ein Paar, das loy­al und posi­tiv zum Staat ein­ge­stellt ist, was sich in dem Moment ändert, als die Kin­der in die Schu­le kom­men und der Wider­spruch zwi­schen Rea­li­tät und Schul­un­ter­richt so groß wird, dass die Fami­lie einen Flucht­ver­such unter­nimmt. Der schei­tert. Fol­gen: Tren­nung der Fami­lie, Eltern ein­zeln im Gefäng­nis, Kin­der im Heim. Ich bin sehr froh, dass die­se Zeit vor­bei ist, dass mei­ne Kin­der nicht in der Schu­le drei Fächer mit dem­sel­ben Inhalt (Staats­bür­ger­kun­de, Ein­füh­rung in die sozia­lis­ti­sche Pro­duk­ti­on, Geschich­te) haben, in denen man irgend­wel­che Grund­sät­ze des Sozia­lis­mus aus­wen­dig ler­nen muss.

Ich den­ke, das Gen­der­stern­chen hat sich durch­ge­setzt oder ist zumin­dest kurz davor und wir soll­ten den Rest nicht erzwin­gen. Zumin­dest der Osten hat­te sol­chen Zwang schon und wir wür­den damit nur die noAfD stärken.

Gendern, arbeiten und der Osten

Aktua­li­sie­rung 31.07.2022: Auf der Mit­glie­der­ver­samm­lung der Deut­schen Gesell­schaft für Sprach­wis­sen­schaft, die am 24.02.2022 online statt­fand, haben 122 für die neue gen­der­ge­rech­te Sat­zung gestimmt. Es gab 10 Gegen­stim­men und 7 Ent­hal­tun­gen (88% dafür 7% dage­gen). Zum Hin­ter­grund Zitat aus Wiki­pe­dia: Anders als die sprach­pfle­ge­risch oder lai­en­ori­en­tier­ten Sprach­ver­ei­ne ist bei der DGfS ein aka­de­mi­scher Beruf im Bereich der Sprach­wis­sen­schaf­ten Vor­aus­set­zung für den Sta­tus als ordent­li­ches Mit­glied. Somit fun­giert die DGfS auch als Berufs­ver­band der deut­schen Sprachwissenschaftler.

Auf der letz­ten Kon­fe­renz der Deut­schen Gesell­schaft für Sprach­wis­sen­schaft wur­de der Vor­stand damit beauf­tragt, einen Vor­schlag für eine gen­der­ge­rech­te Sat­zungs­än­de­rung zu machen. In Vor­be­rei­tung auf die im März statt­fin­den­de Jah­res­ta­gung fand in einem geschlos­se­nen Online-Forum eine Dis­kus­si­on dazu statt. Hier ist mein Beitrag:

Lie­be Kol­le­gin­nen und Kollegen,

Ich has­se es, wenn mir Men­schen vor­schrei­ben wol­len, was ich zu tun und zu las­sen habe. Das kommt noch aus mei­ner Kind­heit und Jugend, die ich im Osten ver­bracht habe. Bis vor eini­gen Jah­ren habe ich des­halb auch genau­so argu­men­tiert wie XY das in sei­nem Bei­trag getan hat und wie Peter Eisen­berg es in diver­sen Ver­öf­fent­li­chun­gen getan hat. Als taz-Leser habe ich schon sehr lan­ge mit dem Binnen‑I und sei­nen Freund*innen zu tun. Ich habe mich zum Bei­spiel über einen Arti­kel sehr geär­gert, in dem es um Straf­la­ger für Frau­en ging und dann von Die­ben und Mör­dern geschrie­ben wur­de, denn wo, wenn nicht da, hät­te man von Die­bin­nen und Mör­de­rin­nen schrei­ben müs­sen. Der Gip­fel war dann ein Bild mit einem Schild, das als Weg­wei­se­rin bezeich­net wur­de. Ich habe damals mit den Student*innen dar­über gespro­chen und ihnen erklärt, dass die ent­schei­den­de, die alles ent­schei­den­de Fra­ge die öko­no­mi­sche ist. Frau­en wer­den nie gleich­be­rech­tigt sein, wenn sie nicht arbei­ten, wenn sie nicht Kran­füh­re­rin, nicht Fir­men­lei­te­rin, nicht Kli­nik­che­fin, nicht Leh­re­rin, nicht Kin­der­gärt­ne­rin, nicht Pro­fes­so­rin wer­den. Frau­en waren im Osten in einer ganz ande­ren Posi­ti­on, weil sie öko­no­misch unab­hän­gig waren. Wenn der Macker genervt hat, sind sie halt gegan­gen bzw. haben ihn rausgeschmissen. 

Kran­füh­re­rin: Car­men Sei­del aus dem Plat­ten­werk Zwi­ckau, 1981. Bun­des­ar­chiv, Bild 183-Z0331-001 / CC-BY-SA 3.0

Die Frau­en aus der Ost-Frau­en­be­we­gung haben nach der Wen­de die West-Frau­en gar nicht ver­stan­den (und anders­rum), weil die ganz ande­re Pro­ble­me hat­ten. Es gibt eine sehr gute Doku­men­ta­ti­on vom MDR zu die­sem The­ma und dem Roll-Back nach der Wen­de: Ost­rau­en: Selbst­be­wusst. Unab­hän­gig. Erfolg­reich.

Hier auch aus der Emma:

Die Frau­en der DDR waren ­Kran­füh­rer, Mau­rer, Elek­tri­ker, Schlos­ser, Inge­nieur oder Agrar­tech­ni­ker. Ihre Arbeit war das Herz­stück der sozia­lis­ti­schen Lebens­wei­se. Wo der Sozia­lis­mus Arbei­te­rIn­nen brauch­te, da unter­schied er nicht nach Frau oder Mann. Kon­se­quen­ter­wei­se war das „in“ in der Berufs­be­zeich­nung über­flüs­sig.

Emma 11/2009: Die arbeits­lo­se Kranführerin

Ich habe das Binnen‑I also Jahr­zehn­te abge­lehnt und die Kämp­fe dar­um für ver­geu­de­te Zeit gehal­ten. Vor unge­fähr drei Jah­ren habe ich mei­ne Mei­nung geän­dert. Der Grund dafür war ein Tweet von Hen­ning Lobin, durch den ich auf fol­gen­de Stu­die auf­merk­sam gewor­den bin:

Stahl­berg, Dag­mar, Sabi­ne Sczes­ny & Frie­de­ri­ke Braun. 2001. Name your favo­ri­te musi­ci­an: Effects of mas­cu­li­ne gene­rics and of their alter­na­ti­ves in Ger­man. Jour­nal of Lan­guage and Social Psy­cho­lo­gy 20(4). 464–469. DOI: 10.1177/0261927X01020004004.

Die Autorin­nen haben Per­so­nen gebe­ten, ihre Lieb­lings­mu­si­ker zu nen­nen. Das Ergeb­nis war, dass Musi­ker genannt wur­den, näm­lich vor­wie­gend männ­li­che. Wur­de dage­gen nach Lieb­lings­mu­si­kern bzw. Lieb­lings­mu­si­ke­rin­nen gefragt, war der Anteil der Musi­ke­rin­nen grö­ßer. Das heißt, dass all das, was Peter Eisen­berg und XY geschrie­ben haben, zwar rich­tig ist, also alles, was das gram­ma­ti­sche Sys­tem angeht, dass aber den­noch bei den Empfänger*innen etwas im Gehirn pas­siert, das nicht dem „mit­ge­meint“ ent­spricht (oder doch, sie­he unten). Kolleg*innen haben mich dann dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die­ses Phä­no­men nicht spe­zi­fisch für das Deut­sche ist. Was abge­bil­det wird, sind unse­re Ste­reo­ty­pe. Das Bei­spiel mit dem Chir­ur­gen kommt ursprüng­lich auch aus dem Eng­li­schen. Es stammt von den bei­den Psy­cho­lo­gin­nen Mikae­la Wap­man und Debo­rah Belle.

Also: Die gan­ze Sache hat nichts mit dem Deut­schen zu tun, die Ste­reo­ty­pen sind ein Abbild unse­rer Gesell­schaf­ten. Man kann sich das leicht vor Augen füh­ren, indem man über nur­se nach­denkt. Die ist natür­lich weib­lich. Jeden­falls blin­kern zuerst die ent­spre­chen­den Stel­len in unse­ren Gehir­nen auf. Um das zu ändern, müs­sen wir dafür sor­gen, dass Frau­en in allen Posi­tio­nen sicht­bar sind, damit sie nicht nur von der Gram­ma­tik mit­ge­meint sind, son­dern auch von den Emp­fän­gern unse­rer Nach­rich­ten mit­ge­dacht wer­den. Das ist letzt­end­lich wie­der die öko­no­mi­sche Fra­ge und dazu brau­chen wir Quo­ten und Kin­der­be­treu­ung und die Quo­ten haben wir ja inzwi­schen auch, die Kin­der­be­treu­ung wird auch lang­sam bes­ser. Wenn Frau­en in Par­la­men­ten gleich ver­tre­ten sind, ändert sich viel­leicht auch irgend­wann die Bezah­lung für die typi­schen Frau­en­be­ru­fe und es stellt sich ins­ge­samt eine fai­re­re Ver­tei­lung ein.

Wir als DGfS wol­len Frau­en. Wir wol­len Frau­en im Vor­stand, wir wol­len Frau­en auf Pro­fes­su­ren, wir wol­len Frau­en als Lei­te­rin­nen gro­ßer For­schungs­ver­bün­de. Wenn wir Stu­den­tin­nen errei­chen wol­len, wenn wir wol­len, dass sie sich ange­spro­chen füh­len, dass sie den­ken: „Ja, hier bin ich rich­tig!“, dann müs­sen wir sie expli­zit adres­sie­ren. Ich habe das bis vor eini­gen Jah­ren gemacht, in dem ich wie oben in der Anre­de die weib­li­che und die männ­li­che Form benutzt habe. Seit eini­ger Zeit mische ich das mit der Form mit Glot­tal­ver­schluss. Ein Kol­le­ge hat pro­phe­zeit, dass der dann irgend­wann als unöko­no­misch abge­schafft wird und so ist es in der Tat: Dann kommt eben das gene­ri­sche Femi­ni­num raus.

In der Schrift­form ver­wen­de ich das Gen­der­stern­chen. Es ist kür­zer als Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen und man hat die Nicht-Binä­ren noch mit dabei. 

Aber es wur­den ja schon Vor­schlä­ge gemacht, wie man das Pro­blem umschif­fen kann, so dass wir […] zu einer Form kom­men, die Frau­en und Nicht-Binä­ren zeigt, dass wir sie in der DGfS gern sehen.

Herz­li­che Grüße

Ste­fan

PS: Das i mit Stern­chen oben drauf fin­de ich herz­al­ler­liebst, schön ist auch das i mit zwei Punk­ten drü­ber. Ist aber nichts für nor­ma­le Men­schen. Ich set­ze Bücher, glaubt mir.

PPS: Wo wir schon dabei sind: Es gibt noch viel sub­ti­le­re Gen­der-Bia­ses in Syn­tax-Büchern. Ich habe dazu und zu dem, was in die­sem Post steht, etwas im Vor­wort mei­nes Buches über die Syn­tax der ger­ma­ni­schen Spra­chen geschrieben.

PPPS: Ich habe mit einer Kol­le­gin eine Kon­fe­renz orga­ni­siert. Eine Mail an uns begann mit der Anre­de: „Dear Sirs“. Tja.