Ich freue mich wie Bolle, dass jetzt viele Leute Twitter verlassen und zu Mastodon wechseln. Und die Blogs kann man auch vernetzen dank ActivityPub-Plugin für WordPress.
Also: Wenn Ihr Euch für den Osten aus Sicht eines eingeschnappten [=:-)] Ossis interessiert, folgt Stefan@so-isser-der-ossi.de.
Nochmal ohne Quatsch: Ossis sind in den Redaktionen unterrepräsentiert, sie haben in Firmen und öffentlichen Einrichtungen keine Stimme und ich kommentiere hier ab und zu grobe Falschdarstellungen. Zum Teil auch von Ossis selber. Es geht viel um Nazis, aber auch um Gendern, Gleichberechtigung, Kinderlandverschickungen/Kuren usw.
Vorweg: 1) Ich gendere. 2) Ich war eins der ersten Mitglieder in Prof. Dr. Gisbert Fanselows Gesellschaft gegen den Erhaltung der deutschen Sprache. Gisbert hatte auf einer Web-Seite „100 gute reasons gegen die preservation von der deutschen Sprache“. Mit irgendwelchen Sprachpfleger*innen habe ich also nichts zu tun.
Da bei der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft (DGfS) eine Satzungsänderung in Richtung gendergerechte Sprache anstand, habe ich im DGfS-Forum einen Beitrag geschrieben, den ich dann auch außerhalb veröffentlichen wollte (Gendern, arbeiten und der Osten). Ich habe erst darüber nachgedacht, den Blog-Bereich der HU dafür zu benutzen, habe den Beitrag aber dann auf diesen Ost-Blog getan, weil die darunterliegenden Fragen auch etwas mit dem Osten zu tun haben. Ich wollte eigentlich gar nicht weiter zum Thema schreiben, aber jetzt muss ich doch noch einmal. Auf Twitter und sonst wo kocht gerade die Diskussion über, ob man denn Prüfungsleistungen von Studierenden anders bewerten kann oder soll, wenn diese nicht gendern.
Bei der Universität Kassel findet man folgende Anleitung:
Hier stellt sich die Frage, wie man mit den Gender-Markern allgemein umgehen soll. Vor dreißig Jahren wurde das Binnen‑I z.B. bei der taz und die gesprochene Variante mit Glottalverschluß bei Radio 100 verwendet. Beides Avantgarde und Nischenangebote. Ansonsten kam es in entsprechenden Zirkeln vor, vereinzelt auch an Universitäten. Ich habe eine Leipziger Hochschulzeitschrift von 1992 mit Binnen-I-Beitrag. Inzwischen ist das Binnen‑I bzw. das Gendersternchen im Mainstream angekommen.
Harald Schmidt gendert im Kommentar zur Landestagswahl in Baden-Würtemberg, 2021
Es wird im Tagespiegel verwendet, von Nachrichtensprecher*innen u.s.w. Forschungsförderungseinrichtungen wie die DFG verwenden es schon mehrere Jahre standardmäßig, Universitäten geben Empfehlungen für gendergerechtes Schreiben. Vor einiger Zeit hat Ulrike Winkelmann, die Chefredakteurin der taz, einen weisen Beitrag dazu verfasst. In der taz gab es immer sone und solche. Manche haben das Gendern abgelehnt1, manche haben dafür gekämpft. Die taz ist ein bunter Haufen und das ist auch gut so. Ulrike Winkelmann hat dafür plädiert, das Gendern nicht vorzuschreiben und nicht zu erzwingen:
In dem Augenblick, da emanzipative Sprachpolitik zu einer von einem „Oben“ gesetzten Norm wird – und vieles sieht aktuell schon danach aus –, wird sie sich genau diesem Vorwurf aussetzen müssen: dass sie Wirklichkeiten konstruiert, die viele nicht als die ihren begreifen.
Ich denke, es ist wichtig, zwei Dinge zu unterscheiden: 1) gibt es Institutionen, die beschlossen haben, Gleichstellungsaspekte adäquat zu berücksichtigen und in der Innenkommunikation und nach außen gendergerechte Sprache zu verwenden. 2) gibt es Bestrebungen oder zumindest die Möglichkeit, gendergerechte Sprache bei anderen zu erzwingen. 1) ist normal und in Ordnung, 2) ist nicht in Ordnung. Warum nicht?
Wenn man versucht, Sprachwandel zu erzwingen, stößt man auf Ablehnung, bei denen, die solche Entwicklungen kritisch sehen oder sich eben einfach nicht umstellen wollen. Soll man sie einfach zwingen? Nein. Ich bin aus dem Osten. Damals war es üblich, zu Prüfungen ein FDJ-Hemd anzuziehen. Das war ein Bekenntnis zum Staat, das von Prüflingen verlangt wurde. Wenn nun gesetzte Gendersternchen in die Bewertung einfließen sollen, dann erinnert mich das sehr stark an diese Zeit. Es war eine widerwärtige Zeit. Die Politik war überall drin. Ich hatte als 13jähriger eine Aufnahmeprüfung für die Erweiterte Oberschule Heinrich-Hertz, eine Matheschule. Die Prüfung bestand aus zwei Teilen: einem Mathetest mit Knobelaufgaben und einem politischen Gespräch mit dem stellvertretenden Direktor. Der Mathetest war kein Problem, aber eine der Fragen im Aufnahmegespräch war, ob ich drei Jahre zur Armee gehen würde. Ich war 13 und hatte noch nie darüber nachgedacht. Spontan fand ich die Vorstellung nicht so prickelnd. Ich bin deswegen abgelehnt worden und nur dem enormen Einsatz meiner Eltern ist es zu verdanken, dass ich dann doch auf diese Schule gehen konnte. Und ich habe zugesagt, drei Jahre zur Armee zu gehen. Wie das im DDR-Bildungssystem lief, kann man sehr gut in Klaus Kordons Buch Krokodil im Nacken nachlesen. Kordon beschreibt ein Paar, das loyal und positiv zum Staat eingestellt ist, was sich in dem Moment ändert, als die Kinder in die Schule kommen und der Widerspruch zwischen Realität und Schulunterricht so groß wird, dass die Familie einen Fluchtversuch unternimmt. Der scheitert. Folgen: Trennung der Familie, Eltern einzeln im Gefängnis, Kinder im Heim. Ich bin sehr froh, dass diese Zeit vorbei ist, dass meine Kinder nicht in der Schule drei Fächer mit demselben Inhalt (Staatsbürgerkunde, Einführung in die sozialistische Produktion, Geschichte) haben, in denen man irgendwelche Grundsätze des Sozialismus auswendig lernen muss.
Ich denke, das Gendersternchen hat sich durchgesetzt oder ist zumindest kurz davor und wir sollten den Rest nicht erzwingen. Zumindest der Osten hatte solchen Zwang schon und wir würden damit nur die noAfD stärken.
Aktualisierung 31.07.2022: Auf der Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft, die am 24.02.2022 online stattfand, haben 122 für die neue gendergerechte Satzung gestimmt. Es gab 10 Gegenstimmen und 7 Enthaltungen (88% dafür 7% dagegen). Zum Hintergrund Zitat aus Wikipedia: Anders als die sprachpflegerisch oder laienorientierten Sprachvereine ist bei der DGfS ein akademischer Beruf im Bereich der Sprachwissenschaften Voraussetzung für den Status als ordentliches Mitglied. Somit fungiert die DGfS auch als Berufsverband der deutschen Sprachwissenschaftler.
Auf der letzten Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft wurde der Vorstand damit beauftragt, einen Vorschlag für eine gendergerechte Satzungsänderung zu machen. In Vorbereitung auf die im März stattfindende Jahrestagung fand in einem geschlossenen Online-Forum eine Diskussion dazu statt. Hier ist mein Beitrag:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ich hasse es, wenn mir Menschen vorschreiben wollen, was ich zu tun und zu lassen habe. Das kommt noch aus meiner Kindheit und Jugend, die ich im Osten verbracht habe. Bis vor einigen Jahren habe ich deshalb auch genauso argumentiert wie XY das in seinem Beitrag getan hat und wie Peter Eisenberg es in diversen Veröffentlichungen getan hat. Als taz-Leser habe ich schon sehr lange mit dem Binnen‑I und seinen Freund*innen zu tun. Ich habe mich zum Beispiel über einen Artikel sehr geärgert, in dem es um Straflager für Frauen ging und dann von Dieben und Mördern geschrieben wurde, denn wo, wenn nicht da, hätte man von Diebinnen und Mörderinnen schreiben müssen. Der Gipfel war dann ein Bild mit einem Schild, das als Wegweiserin bezeichnet wurde. Ich habe damals mit den Student*innen darüber gesprochen und ihnen erklärt, dass die entscheidende, die alles entscheidende Frage die ökonomische ist. Frauen werden nie gleichberechtigt sein, wenn sie nicht arbeiten, wenn sie nicht Kranführerin, nicht Firmenleiterin, nicht Klinikchefin, nicht Lehrerin, nicht Kindergärtnerin, nicht Professorin werden. Frauen waren im Osten in einer ganz anderen Position, weil sie ökonomisch unabhängig waren. Wenn der Macker genervt hat, sind sie halt gegangen bzw. haben ihn rausgeschmissen.
Kranführerin: Carmen Seidel aus dem Plattenwerk Zwickau, 1981. Bundesarchiv, Bild 183-Z0331-001 / CC-BY-SA 3.0
Die Frauen aus der Ost-Frauenbewegung haben nach der Wende die West-Frauen gar nicht verstanden (und andersrum), weil die ganz andere Probleme hatten. Es gibt eine sehr gute Dokumentation vom MDR zu diesem Thema und dem Roll-Back nach der Wende: Ostrauen: Selbstbewusst. Unabhängig. Erfolgreich.
Hier auch aus der Emma:
Die Frauen der DDR waren Kranführer, Maurer, Elektriker, Schlosser, Ingenieur oder Agrartechniker. Ihre Arbeit war das Herzstück der sozialistischen Lebensweise. Wo der Sozialismus ArbeiterInnen brauchte, da unterschied er nicht nach Frau oder Mann. Konsequenterweise war das „in“ in der Berufsbezeichnung überflüssig.
Ich habe das Binnen‑I also Jahrzehnte abgelehnt und die Kämpfe darum für vergeudete Zeit gehalten. Vor ungefähr drei Jahren habe ich meine Meinung geändert. Der Grund dafür war ein Tweet von Henning Lobin, durch den ich auf folgende Studie aufmerksam geworden bin:
Stahlberg, Dagmar, Sabine Sczesny & Friederike Braun. 2001. Name your favorite musician: Effects of masculine generics and of their alternatives in German. Journal of Language and Social Psychology 20(4). 464–469. DOI: 10.1177/0261927X01020004004.
Die Autorinnen haben Personen gebeten, ihre Lieblingsmusiker zu nennen. Das Ergebnis war, dass Musiker genannt wurden, nämlich vorwiegend männliche. Wurde dagegen nach Lieblingsmusikern bzw. Lieblingsmusikerinnen gefragt, war der Anteil der Musikerinnen größer. Das heißt, dass all das, was Peter Eisenberg und XY geschrieben haben, zwar richtig ist, also alles, was das grammatische System angeht, dass aber dennoch bei den Empfänger*innen etwas im Gehirn passiert, das nicht dem „mitgemeint“ entspricht (oder doch, siehe unten). Kolleg*innen haben mich dann darauf hingewiesen, dass dieses Phänomen nicht spezifisch für das Deutsche ist. Was abgebildet wird, sind unsere Stereotype. Das Beispiel mit dem Chirurgen kommt ursprünglich auch aus dem Englischen. Es stammt von den beiden Psychologinnen Mikaela Wapman und Deborah Belle.
Also: Die ganze Sache hat nichts mit dem Deutschen zu tun, die Stereotypen sind ein Abbild unserer Gesellschaften. Man kann sich das leicht vor Augen führen, indem man über nurse nachdenkt. Die ist natürlich weiblich. Jedenfalls blinkern zuerst die entsprechenden Stellen in unseren Gehirnen auf. Um das zu ändern, müssen wir dafür sorgen, dass Frauen in allen Positionen sichtbar sind, damit sie nicht nur von der Grammatik mitgemeint sind, sondern auch von den Empfängern unserer Nachrichten mitgedacht werden. Das ist letztendlich wieder die ökonomische Frage und dazu brauchen wir Quoten und Kinderbetreuung und die Quoten haben wir ja inzwischen auch, die Kinderbetreuung wird auch langsam besser. Wenn Frauen in Parlamenten gleich vertreten sind, ändert sich vielleicht auch irgendwann die Bezahlung für die typischen Frauenberufe und es stellt sich insgesamt eine fairere Verteilung ein.
Wir als DGfS wollen Frauen. Wir wollen Frauen im Vorstand, wir wollen Frauen auf Professuren, wir wollen Frauen als Leiterinnen großer Forschungsverbünde. Wenn wir Studentinnen erreichen wollen, wenn wir wollen, dass sie sich angesprochen fühlen, dass sie denken: „Ja, hier bin ich richtig!“, dann müssen wir sie explizit adressieren. Ich habe das bis vor einigen Jahren gemacht, in dem ich wie oben in der Anrede die weibliche und die männliche Form benutzt habe. Seit einiger Zeit mische ich das mit der Form mit Glottalverschluss. Ein Kollege hat prophezeit, dass der dann irgendwann als unökonomisch abgeschafft wird und so ist es in der Tat: Dann kommt eben das generische Femininum raus.
In der Schriftform verwende ich das Gendersternchen. Es ist kürzer als Kolleginnen und Kollegen und man hat die Nicht-Binären noch mit dabei.
Aber es wurden ja schon Vorschläge gemacht, wie man das Problem umschiffen kann, so dass wir […] zu einer Form kommen, die Frauen und Nicht-Binären zeigt, dass wir sie in der DGfS gern sehen.
Herzliche Grüße
Stefan
PS: Das i mit Sternchen oben drauf finde ich herzallerliebst, schön ist auch das i mit zwei Punkten drüber. Ist aber nichts für normale Menschen. Ich setze Bücher, glaubt mir.