(Ost-)Deutsche Christen in Ost und West

In den letz­ten Jah­ren gibt es mit dem Erstar­ken der AfD wie­der eine grö­ße­re Debat­te zu Nazis in der DDR. Es wird immer wie­der die offi­zi­el­le Geschich­te des nazifrei­en Lan­des zitiert. Dass die DDR nazifrei war ist sicher nicht rich­tig, aber dass die Nazi-Dich­te gerin­ger war und dass sie eben nicht – im Unter­schied zu Nazi-Grö­ßen wie Hans Glob­ke und Hans Fil­bin­ger – in Füh­rungs­po­si­tio­nen waren ist und bleibt wahr. Im Wikip­deia-Arti­kel zu Rechts­extre­mis­mus in der DDR wer­den drei Per­so­nen exem­pla­risch genannt: Arno von Len­ski, Franz Füh­mann oder Erhard Mau­ers­ber­ger. Per­so­nen wie Arno von Len­ski habe ich schon in einem frü­he­ren Post bespro­chen. Len­ski war in Sta­lin­grad in sowje­ti­sche Gefan­gen­schaft gera­ten und hat dann die Sei­ten gewechselt:

Nach eini­gem Zögern trat Len­ski am 7. Mai 1944 dem Natio­nal­ko­mi­tee Frei­es Deutsch­land und dem Bund Deut­scher Offi­zie­re bei. Dafür wur­de er von einem Kriegs­ge­richt in Tor­gau in Abwe­sen­heit zum Tode ver­ur­teilt. Er war Mit­ar­bei­ter der Zei­tung und des Sen­ders Frei­es Deutsch­land in Luno­wo. Von Dezem­ber 1944 bis Mai 1945 stu­dier­te er Gesell­schafts­wis­sen­schaf­ten und Poli­ti­sche Öko­no­mie in der Anti­fa-Schu­le in Kras­no­gorsk. Von März 1946 bis August 1949 war er mili­tä­ri­scher Fach­be­ra­ter bei Mos­film für den Doku­men­tar­film Die Schlacht um Sta­lin­grad.

Wiki­pe­dia-Ein­trag von Len­ski, abge­ru­fen 22.06.2024

Franz Füh­mann war eben­falls auf einer Anti­fa-Schu­le und hat dann als Assis­tenz­leh­rer an Anti­fa-Schu­len gelehrt. Wenn wir über Faschis­mus und Faschis­ten reden, dann nicht über sol­che, die zu Antifaschist*innen wur­den, son­dern sol­che, die unbe­hel­ligt ihr Leben füh­ren konn­ten und es zum Teil noch füh­ren. Sol­che wie Karl M.:

Der drit­te Name ist Erhard Mau­ers­ber­ger, der Mit­ar­bei­ter des Insti­tuts zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben war. Er hat dar­an mit­ge­wirkt, Kir­chen­lie­der umzu­dich­ten. Das wur­de zu DDR-Zei­ten nicht auf­ge­ar­bei­tet und ist in der Tat unakzeptabel.

Inter­es­sant ist, dass das Insti­tut sei­ne Mit­ar­bei­ter ver­öf­fent­licht hat, so dass man jetzt unter­su­chen kann, was aus den Nazis und Anti­se­mi­ten, die bis 1945 im Osten gelebt haben, gewor­den ist. Wiki­pe­dia hat eine lan­ge Lis­te mit Namen, von denen vie­le ver­linkt sind. Um zu zei­gen, dass nach dem Krieg weni­ger Nazis im Osten waren, muss man nur die Ost-Nazis anschau­en und unter­su­chen, wie vie­le von ihnen in den Wes­ten gegan­gen sind, denn es wird wohl kaum ein West-Nazi sein Leben auf­ge­ge­ben haben, um zu den Rus­sen in den Osten zu zie­hen. (Das setzt natür­lich eine Gleich­ver­tei­lung von Nazis in Ost und West direkt nach dem Krieg voraus.)

Die Wiki­pe­dia-Sei­te lis­tet die Mit­ar­bei­ter in drei Rubriken:

  • Mit­ar­bei­ter in kir­chen­lei­ten­der Funktion
  • Geist­li­che bzw. Pfarrer
  • Hoch­schul­leh­rer bzw. Akademiker

Im fol­gen­den sor­tie­re ich die Lis­ten nach Ster­be- oder Wohn­ort nach 1945 in West, Ost, unbekannt/irrelevant. Irrele­vant ist der Ster­be­ort zum Bei­spiel bei Per­so­nen, die in Kriegs­ge­fan­gen­schaft gestor­ben sind. Irrele­vant sind auch die­je­ni­gen, die schon vor Kriegs­en­de im Wes­ten waren.

In kirchenleitender Funktion

In den Westen gegangen 

  1. Bischof Fried­rich Peter, Ber­lin, gestor­ben 1960, Gro­nau, NRW „Obgleich Peter 1948 aus dem Pfarr­amt ent­las­sen wur­de, blie­ben ihm die geist­li­chen Rech­te erhal­ten. So erhielt er Beschäf­ti­gungs­auf­trä­ge in der Evan­ge­li­schen Kir­che von West­fa­len, zunächst in Oeding und seit 1953 in Gro­nau (Westf.).“
  2. Lan­des­bi­schof Walt­her Schultz, Schwe­rin, gestor­ben 1957 in Schna­cken­burg, Nie­der­sach­sen „Nach Kriegs­en­de wur­de Schultz, zusam­men mit Kon­sis­to­ri­al­prä­si­dent Her­mann Schmidt zur Ned­den, am 25. Juni 1945 von der bri­ti­schen Besat­zungs­macht ver­haf­tet und inter­niert. Zwei Tage spä­ter leg­te er sein Amt nie­der. Im Jah­re 1948 wur­de er aus dem Dienst der Lan­des­kir­che Meck­len­burgs ent­las­sen. Im Jah­re 1950 wur­de Schultz mit der pfarr­amt­li­chen Hil­fe­leis­tung in der St.-Dionysius-Kirchengemeinde Fal­ling­bos­tel in der Lüne­bur­ger Hei­de beauf­tragt. Als für die­se Auf­ga­be dort eine neue Pfarr­stel­le errich­tet wur­de, muss­te Schultz die Gemein­de ver­las­sen und über­nahm in Schna­cken­burg an der Elbe ein Gemein­de­pfarr­amt, das er bis zu sei­nem Tode innehatte.“
  3. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Theo­dor Ell­wein, Ber­lin, gestor­ben 1962 Mün­chen „Nach der Ent­las­sung im Dezem­ber 1949 wur­de er 1950 von kirch­li­cher Sei­te in den Ruhe­stand ver­setzt. Im Jah­re 1951 wur­de er Reli­gi­ons­leh­rer am Gym­na­si­um Pasing und Lehr­be­auf­trag­ter an der Leh­rer­bil­dungs­an­stalt Mün­chen-Pasing. Von 1954 bis 1961 war er Lei­ter der Päd­ago­gi­schen Arbeits­stel­le der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Bad Boll bei Göp­pin­gen. 1955 war er Mit­glied der Stu­di­en­kom­mis­si­on für Leh­rer­bil­dung („Tutz­in­ger Emp­feh­lun­gen“) in der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Tutz­ing. 1961 trat er in den Ruhestand.“
  4. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Hans Hohl­wein, Eisen­ach, gestor­ben 1996 in Solin­gen „Nach 1945 wirk­te Hohl­wein als theo­lo­gi­scher Hilfs­ar­bei­ter in der Props­tei Hal­ber­stadt, und von 1947 bis 1951 ver­wal­te­te er die Pfarr­stel­le Heu­de­ber in der Kir­chen­pro­vinz Sach­sen. Im Jah­re 1951 erfolg­te sei­ne Über­sied­lung in die Bun­des­re­pu­blik Deutschland.“
  5. Kir­chen­rat Wil­helm Bau­er, Eisen­ach, gestor­ben 1969 in Bay­ern „In dem von ihm 1935 her­aus­ge­ge­be­nen Buch „Fei­er­stun­den Deut­scher Chris­ten“ kamen neben Bibel­zi­ta­ten auch Autoren wie Adolf Hit­ler zu Wort. Zugleich betä­tig­te er sich als Schrift­lei­ter der Zeit­schrift „Deut­sche Fröm­mig­keit“, in der die Posi­tio­nen der Deut­schen Chris­ten ver­tre­ten wur­den. In einer ihrer Aus­ga­ben bekun­de­te er: „Wir sind Natio­nal­so­zia­lis­ten. Der Natio­nal­so­zia­lis­mus bedeu­tet uns die Wie­der­auf­rich­tung einer wahr­haf­ten Volks­ord­nung auf dem Grun­de der ewi­gen Geset­ze unse­res Blu­tes und unse­rer Hei­mat­er­de.“ Im Jah­re 1939 erklär­te er sei­ne Mit­ar­beit am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben. Zu Beginn der 1940er Jah­re wur­de er stell­ver­tre­ten­der Stu­di­en­lei­ter des Thü­rin­ger Pre­di­ger­se­mi­nars. Nach der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus leb­te Bau­er in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, publi­zier­te dort wei­ter und starb in einem Ort des Frei­staats Bayern.“
  6. Lan­des­su­per­in­ten­dent Fried­rich Kent­mann, Güs­trow, gestor­ben 1953 in Ham­burg „Nach dem Ende von Natio­nal­so­zia­lis­mus und Zwei­tem Welt­krieg 1945 wur­de er sei­nes Amtes als Lan­des­su­per­in­ten­dent ent­ho­ben und vom pfarr­amt­li­chen Dienst sus­pen­diert. Sein Nach­fol­ger als Lan­des­su­per­in­ten­dent wur­de mit Wir­kung vom 1. Okto­ber 1945 der Güs­trower BK-Pas­tor Sibrand Sie­gert (1890–1954). 1950 erfolg­te die Ent­las­sung Kent­manns aus dem Dienst der meck­len­bur­gi­schen Landeskirche.“
  7. Super­in­ten­dent Ger­hard Span­gen­berg, Alten­wed­din­gen, gestor­ben 1975 in Dül­men, NRW „Bis zum Antritt der Pfarr­stel­le im west­fä­li­schen Dül­men, wo er bis zu sei­nem Tod leb­te, arbei­te­te er als Ver­wal­ter einer Obst­fir­ma und spä­ter als Kran­ken­haus­ver­wal­ter. Die Kir­chen­lei­tun­gen ver­lang­ten zur Wie­der­auf­nah­me in den Dienst zunächst die Wie­der­ho­lung des Ordi­na­ti­ons­ge­lüb­des, ein Kol­lo­qui­um und die zeit­wei­li­ge Tätig­keit als Hilfs­pre­di­ger, was er ablehn­te. Den­noch stimm­te 1955 die Kir­chen­lei­tung in Bie­le­feld sei­ner Wahl zum Pfar­rer der Gemein­de in Dül­men zu, wo er nach sei­nem Ruhe­stand auch als Mili­tär­pfar­rer wirkte.“

Im Osten geblieben

  1. Reichs­vi­kar Fritz Engel­ke, Schwe­rin, gestor­ben 1956 in Schwe­rin „Nach 1945 wirk­te er als Pas­tor der Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Lan­des­kir­che Meck­len­burgs in Schwe­rin. Ab 1950 ver­trat er den im Gulag Worku­ta inhaf­tier­ten Aurel von Jüchen an der Kir­che St. Niko­lai (Schelf­kir­che) Schwerin.
  2. Ober­lan­des­kir­chen­rat Wil­ly Kretz­schmar, Dres­den, gestor­ben 1962 in Dres­den „Nach Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges 1945 erfolg­te zunächst sei­ne Ent­las­sung aus dem akti­ven Kir­chen­dienst. 1946 stell­te er den erfolg­rei­chen Antrag auf Reha­bi­li­tie­rung, in dem er sei­ne Mit­ar­beit im „Ent­ju­dungs­in­sti­tut“ in Eisen­ach extrem her­un­ter­spiel­te. In sei­nem Reha­bil­tie­rungs­an­trag an das säch­si­sche Lan­des­kir­chen­amt in Dres­den stell­te er sich selbst „als Ver­führ­ten der NSDAP“ dar. Spä­tes­tens seit 1939 habe er sich „zu akti­ven Geg­ner des NS-Regimes gewan­delt“ und sich anti­na­tio­na­lis­tisch und par­tei­schäd­lich ver­hal­ten sowie Grund­sät­ze der NSDAP bekämpft. 1959 ging Kretz­schmar als kirch­li­cher Finanz­ver­wal­ter der Lan­des­kir­che Sach­sens in den Ruhestand.“
  3. Ober­lan­des­kir­chen­rat Hein­rich Seck, Dres­den, gestor­ben 1947 in Stadt Weh­len „In die­ser Eigen­schaft und als Mit­glied der Deut­schen Chris­ten war er Mit­ar­bei­ter am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben und wur­de des­halb nach Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges 1945 aus dem akti­ven Kir­chen­dienst ent­las­sen. Er zog in die Säch­si­sche Schweiz, wo er im Alter von 51 Jah­ren in Stadt Weh­len starb.“
  4. Ober­kir­chen­rat Fried­rich Busch­töns, Ber­lin, gestor­ben 1962 in Ber­lin „1945 über­nahm er die Auf­sicht über die kirch­li­chen Ver­mö­gens­wer­te im Schloss Ilsen­burg und wenig spä­ter über das kirch­li­che Flücht­lings­la­ger in Stol­berg. 1946 wur­de Busch­töns in den Ruhe­stand ver­setzt. Er hat aber auch danach noch pfarr­amt­li­che Diens­te geleis­tet, so etwa in Klein­mach­now. 1955 gehör­te er zum Her­aus­ge­ber- und Redak­ti­ons­kreis der vom ZK der SED ange­reg­ten Zeit­schrift Glau­be und Gewis­sen: eine pro­tes­tan­ti­sche Monats­schrift.
  5. Kir­chen­rat Erhard Mau­ers­ber­ger, Eisen­ach, gestor­ben 1982 Leip­zig, Chor­lei­ter, Lei­ter Bach-Komi­tee, 1972 bei poli­ti­scher Säu­be­rung aus Chor­lei­tung entfernt. 

Unbekannt / irrelevant

  1. Lan­des­bi­schof Mar­tin Sas­se, Eisen­ach, gestor­ben 1942 an Schlaganfall
  2. Lan­des­bi­schof Erwin Bal­zer, Lübeck
  3. Lan­des­bi­schof Adal­bert Paul­sen, Kiel
  4. Bischof Wil­helm Sta­edel, Her­mann­stadt
  5. Bischof Hein­rich Josef Ober­heid, Bad Godesberg
  6. Prä­si­dent Chris­ti­an Kin­der, Kiel
  7. Prä­si­dent Fried­rich Wer­ner, Ber­lin-Char­lot­ten­burg
  8. Vize­prä­si­dent Hahn, Berlin-Charlottenburg
  9. Ober­kir­chen­rat Johan­nes Sie­vers, Lübeck
  10. Super­in­ten­dent Thie­me, Solingen
  11. Dekan Wal­ter Mulot, Wiesbaden
  12. Ober­kir­chen­rat Fröh­lich, Leipzig
  13. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Schön­rock, Schwerin
  14. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Schultz, Schwerin
  15. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Wie­ne­ke, Berlin
  16. Kir­chen­re­gie­rungs­rat Erwin Brau­er, Eisen­ach, gestor­ben 1946 Buchen­wald „Nach der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­lor er sei­ne Ämter und wur­de von den sowje­ti­schen Mili­tär­be­hör­den im Spe­zi­al­la­ger Nr. 2 in Buchen­wald inter­niert, wo er am 19. Dezem­ber 1946 verstarb.“
  17. Kir­chen­rat Ger­hard Braun­schweig, Dresden
  18. Kon­sis­to­ri­al­rat Hans Pohl­mann, Schnei­de­mühl
  19. Gene­ral­su­per­in­ten­dent Hans Schött­ler, Buch­schlag
  20. Lan­des­su­per­in­ten­dent Hans Hein­rich Fölsch, Neustrelitz
  21. Lan­des­ju­gend­pfar­rer Gar­ten­schlä­ger, Potsdam
  22. Kir­chen­rat Volk­mar Franz, Eisenach
  23. Propst Johan­nes Grell (1875–1947), Lei­ter der Kir­chen­pro­vinz Grenz­mark Posen-West­preu­ßen, Schneidemühl
  24. Super­in­ten­dent Krü­ger, Sagan
  25. Super­in­ten­dent Hugo Pich, Eisen­ach

Zwi­schen­fa­zit: Von den Nazi-Chris­ten mit kirch­li­cher Funk­ti­on im Osten sind 7 in den Wes­ten gegan­gen und 5 im Osten geblie­ben. Das bedeu­tet ers­tens, dass die Mehr­heit in den Wes­ten gegan­gen ist und zwei­tens, dass es im Osten sie­ben Nazis weni­ger und im Wes­ten sie­ben Nazis mehr gab als vor der Befreiung.

Geistliche bzw. Pfarrer

Die Lis­te der Geist­li­chen ist lang. Nur weni­ge sind in Wiki­pe­dia ver­linkt. Ich lis­te hier nur die ver­link­ten auf.

In den Westen gegangen 

  1. Pfar­rer Her­men­au, Pots­dam, gestor­ben 1981 Wies­ba­den „Im Jah­re 1939 erklär­te er sei­ne Mit­ar­beit am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben. In zahl­rei­chen Publi­ka­tio­nen ver­trat er sei­ne Über­zeu­gung von der Rol­le der deut­schen Frau im Reich Adolf Hit­lers. […] 1972: Ver­dienst­kreuz 1. Klas­se der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land“ Zur Ent­na­zi­fi­zie­rung und zum Grund für das Bun­des­ver­dienst­kreuz steht nichts in Wikipedia. 
  2. Pfar­rer Hosen­thien, Mag­de­burg, gestor­ben 1972 in Braun­schweig „1949 folg­te Albert Hosen­thien sei­nem Sohn und zog nach Fort Bliss in El Paso (Texas), kehr­te jedoch, da er mit den dor­ti­gen Gege­ben­hei­ten nicht zurecht­kam, 1954 wie­der nach Deutsch­land zurück. Da die Regi­on Mag­de­burg jetzt in der DDR lag, sie­del­te er sich in Braun­schweig, im west­li­chen Teil Deutsch­lands an. Er arbei­te­te hier auch wie­der als Pfarrer.“
  3. Pfar­rer Hun­ger, Eisen­ach, gestor­ben 1995 Müns­ter, NRW „Nach 1945 ori­en­tier­te er sich auf das Gebiet der Sexu­al­erzie­hung, was ihm den Spitz­na­men „Sex-Hun­ger“ ein­trug. Bis Ende der 1960er Jah­re publi­zier­te er sei­ne christ­lich-kon­ser­va­ti­ve Sexu­al­mo­ral im Güters­lo­her Ver­lags­haus. Er wur­de auch Redak­ti­ons­lei­ter der Zeit­schrift Der evan­ge­li­sche Reli­gi­ons­leh­rer an der Berufs­schu­le, die vom Schrif­ten­mis­si­ons­ver­lag Glad­beck her­aus­ge­ge­ben wurde.“ 
  4. Pfar­rer Kers­ten-Thie­le, Köthen, gestor­ben 1988 Göt­tin­gen, Nie­der­sach­sen „Nach 1945 wirk­te Kers­ten-Thie­le im Vor­stand der Deut­schen Ost­asi­en-Mis­si­on und publi­zier­te in deren Sin­ne meh­re­re Bücher. 1948 war er Pfar­rer in Göt­tin­gen-Gro­ne und 1954 in Düs­sel­dorf. Von 1960 bis 1964 war er Reli­gi­ons­leh­rer am Rethel-Gym­na­si­um (bzw. Jaco­bi-Gym­na­si­um) Düs­sel­dorf und zwi­schen 1968 und 1973 war er als Pas­tor in Sereetz tätig. Anschlie­ßend ging er in die Rhei­ni­sche Lan­des­kir­che zurück.“ 
  5. Pfar­rer Kuhl, Ber­lin, gestor­ben 1959 Kas­sel „Spä­te­re Wohn­sit­ze waren Nord­kir­chen, wo er von 1949 bis 1956 Pfar­rer war. Hier grün­de­te er einen Kirch­bau­ver­ein, um in Nord­kir­chen ein Gemein­de­zen­trum schaf­fen zu kön­nen. Im Jahr 1956 wur­de ihm von der evan­ge­lisch-theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn die Ehren­dok­tor­wür­de ver­lie­hen. Nach­dem Kuhl 1957 in den Ruhe­stand gegan­gen war, leb­te er bis zu sei­nem Tod 1959 in Kas­sel und hin­ter­ließ eine Frau und zwei Kin­der. In sei­nen letz­ten Lebens­jah­ren hat­te er einen Lehr­auf­trag an der Georg-August-Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen. Gemein­sam mit Bo Rei­cke arbei­te­te er ab 1958 am Biblisch-his­to­ri­schen Hand­wör­ter­buch für den Ver­lag Van­den­hoeck & Ruprecht. Kuhl war von 1921 bis zu sei­nem Tod Mit­glied der Deut­schen Mor­gen­län­di­schen Gesellschaft.“
  6. Pfar­rer Schmidt-Claus­ing, Pots­dam-Babels­berg, gestor­ben 1984 in West-Ber­lin „Nach dem Zwei­ten Welt­krieg lei­te­te Schmidt-Claus­ing den Wie­der­auf­bau der Gemein­de von 1947 bis 1962 als Pfar­rer an der Ber­li­ner Kai­ser-Fried­rich-Gedächt­nis­kir­che. In der Kir­chen­rui­ne wur­de die ein­zi­ge ver­blie­be­ne Glo­cke wie­der gang­bar gemacht und bis in die 1950er Jah­re zum Begrü­ßungs­läu­ten für die Ber­li­ner Russ­land­heim­keh­rer benutzt. Im begin­nen­den Kal­ten Krieg setz­te Schmidt-Claus­ing damit ein poli­ti­sches Zei­chen und mach­te sei­ne Gemein­de bekannt – bis hin zur US-ame­ri­ka­ni­schen Wochen­schau, die das The­ma dank­bar auf­nahm. Fritz Schmidt-Claus­ing starb in einem West-Ber­li­ner Pfle­ge­heim und wur­de auf dem Fried­hof Wil­mers­dorf beigesetzt.“

Hans-Joa­chim Thi­lo hat sich neu­ori­en­tiert, so dass ich ihn hier extra auf­zäh­le. Prin­zi­pi­ell ist das bei den sechs oben genann­ten Per­so­nen natür­lich auch denk­bar, es steht aber ncihts dazu­in Wikipedia.

  1. Pas­tor Thi­lo, Pir­na, gestor­ben 2003 in Lübeck „Thi­los Erfah­run­gen im Kriegs­dienst, sei­ne Ver­wun­dung bei Kiew und sei­ne Kriegs­ge­fan­gen­schaft, zunächst in Kana­da, dann in Eng­land, führ­ten ihn zu einem Umden­ken und Neu­an­fang. Im Dezem­ber 1947 kehr­te er nach Deutsch­land zurück und erhielt eine Pfarr­stel­le der Kir­chen­ge­mein­de am Liet­zen­see in Ber­lin-Witz­le­ben. Gleich­zei­tig bau­te er hier die kirch­li­che Bera­tungs­ar­beit auf. Von 1956 bis 1961 wirk­te er an der Deut­schen Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Kir­che in Genf. Anschlie­ßend war er Refe­rent an der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Bad Boll, bis er 1966 zum Pas­tor der Mari­en­kir­che in Lübeck beru­fen wur­de, wo er bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung wirk­te. 1973 habi­li­tier­te er sich an der Uni­ver­si­tät Ham­burg für das Fach Prak­ti­sche Theo­lo­gie. Er blieb Gemein­de­pas­tor, hielt jedoch regel­mä­ßig Lehr­ver­an­stal­tun­gen in Ham­burg. 1979 wur­de ihm der Titel Pro­fes­sor verliehen.“

Im Osten geblieben

  1. Ober­pfar­rer Ungern von Stern­berg, Ron­ne­burg, gestor­ben 1949 in Gera „Noch im Janu­ar 1945 gehör­te er zu den Thü­rin­ger Pröps­ten, die den DC-Kir­chen­prä­si­den­ten Hugo Rönck dazu dräng­ten, den Bischofs­ti­tel anzu­neh­men.[2] Auf­grund des Geset­zes zur Über­prü­fung der Pfar­rer­schaft und der Ver­wal­tung der Thü­rin­ger evan­ge­li­schen Kir­che (Rei­ni­gungs­ge­setz) vom 12. Dezem­ber 1945 wur­de Ungern-Stern­berg aus dem Pfarr­dienst ent­las­sen und die Dienst­be­zeich­nung „Super­in­ten­dent im War­te­stand“ wur­de ihm aberkannt. Er wur­de aber zunächst kom­mis­sa­risch als Pfar­rer in Ron­ne­burg wei­ter­be­schäf­tigt, ab dem 1. Dezem­ber 1947 wur­de er dann wie­der offi­zi­ell als Pfar­rer in Nie­der­pöll­nitz eingesetzt.“
  2. Pfar­rer Busch, Dres­den, gestor­ben 1952, Pir­na, Sachsen 
  3. Pfar­rer Del­ling, Leip­zig, gestor­ben 1986 in Hal­le „Im Jah­re 1945 geriet Del­ling in Däne­mark in Kriegs­ge­fan­gen­schaft und wirk­te bis 1947 als Seel­sor­ger im Inter­nie­rungs­la­ger Aar­hus. Nach sei­ner Ent­las­sung ging er nach Pom­mern und erhielt 1947 einen Lehr­auf­trag an der Ernst-Moritz-Arndt-Uni­ver­si­tät Greifs­wald. 1948 habi­li­tier­te er sich hier mit der Schrift Got­tes­dienst im Neu­en Tes­ta­ment (gedruckt 1952) für das Fach Neu­es Tes­ta­ment. Im Jah­re 1950 wur­de Del­ling als Pro­fes­sor mit Lehr­auf­trag an die Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg beru­fen, 1952 bekam er den vol­len Lehr­auf­trag, die Beför­de­rung zum Pro­fes­sor mit Lehr­stuhl für spät­an­ti­ke Reli­gi­ons­ge­schich­te erfolg­te 1953. 1955 erhielt er durch Kurt Aland, dem Lei­ter der Kom­mis­si­on für spät­an­ti­ke Reli­gi­ons­ge­schich­te der Deut­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten zu Ber­lin, eine Stel­le zur Reor­ga­ni­sa­ti­on des Cor­pus Hel­le­ni­sti­cum. 1955/56 über­nahm Del­ling eine Gast­pro­fes­sur an der Uni­ver­si­tät Leip­zig, eine Beru­fung kam jedoch eben­so wenig zustan­de wie die von Tei­len der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät in den 1960er Jah­ren gewünsch­te Ver­set­zung nach Ber­lin. An der Uni­ver­si­tät Hal­le bau­te Del­ling das Insti­tut für spät­an­ti­ke Reli­gi­ons­ge­schich­te auf, dem er seit 1963 als Direk­tor vor­stand. Nach der IV. Hoch­schul­re­form wur­de Del­ling 1969 zum ordent­li­chen Pro­fes­sor ernannt und 1970 eme­ri­tiert. Del­ling forsch­te vor allem zur Über­lie­fe­rungs­ge­schich­te des Neu­en Tes­ta­ments und zum anti­ken Juden­tum (Das Zeit­ver­ständ­nis des Neu­en Tes­ta­ments, 1940; Jüdi­sche Leh­re und Fröm­mig­keit in den para­li­po­me­na Jere­miae, 1967; gesam­mel­te Auf­sät­ze: Stu­di­en zum Neu­en Tes­ta­ment und zum hel­le­nis­ti­schen Juden­tum, 1950–1968, 1970; Stu­di­en zum Früh­ju­den­tum, 1971–1987, 2000). Außer­dem gab er Biblio­gra­phien zur jüdisch-hel­le­nis­ti­schen For­schung her­aus und arbei­te­te am Cor­pus Hel­le­ni­sti­cum Novi Tes­ta­men­ti mit. Die Uni­ver­si­tät Greifs­wald ver­lieh ihm 1964 die Ehren­dok­tor­wür­de. Del­ling ver­starb am 18. Juni 1986, im Alter von 81 Jah­ren, in Halle.“
  4. Pfar­rer Ohl­and, Unkero­da (Thü­rin­gen), gestor­ben 1953 in Frie­dels­hau­sen, Thü­rin­gen „Im Jah­re 1946 ver­lor Ohl­and sein Amt, durf­te aber seit 1948 in Beh­run­gen als Pfarr­vi­kar wie­der amtie­ren, seit 1952 als Pfar­rer in Friedelshausen.“

Irrelevant

  1. Pfar­rer Dungs, Essen
  2. Pfar­rer Jäger, Frei­burg
  3. Pfar­rer Peters­mann, Bres­lau
  4. Pfar­rer Rie­ge, Lübeck
  5. Pfar­rer Joseph Roth, Diers­heim, gestor­ben 1941 Tirol
  6. Pas­tor Dungs, Wei­mar, gestor­ben 1947 durch Hin­rich­tung oder 1949 in Haft

Zwi­schen­fa­zit: Von den Nazi-Pfar­rern im Osten sind 7 in den Wes­ten gegan­gen und 4 im Osten geblie­ben. Zählt man Hans-Joa­chim Thi­lo zu den irrele­van­ten Fäl­len, weil es bei ihm ein Umden­ken und Neu­an­fang gab, blei­ben 6 in den Wes­ten gegan­ge­ne, die zu den Nazis, die ohne­hin aus dem Wes­ten waren, dazu­ge­kom­men sind und den Osten ver­las­sen haben.

Hochschullehrer bzw. Akademiker

In den Westen gegangen

  1. Johan­nes Hem­pel, Ber­lin, gestor­ben 1964 in Göt­tin­gen „Er über­nahm die Her­aus­ge­ber­schaft der Zeit­schrift für die alt­tes­ta­ment­li­che Wis­sen­schaft. Im Jah­re 1937 wur­de er nach Ber­lin beru­fen und lei­te­te das Insti­tu­tum Judai­cum zur Erfor­schung des Juden­tums „vom Boden der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Welt­an­schau­ung aus“. Im Jah­re 1939 erklär­te Hem­pel sei­ne Mit­ar­beit am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben als Lei­ter der Arbeits­grup­pe Altes Tes­ta­ment. Auf der Arbeits­ta­gung im März 1941 refe­rier­te er über Die Auf­ga­be von Theo­lo­gie und Kir­che von der Front her gese­hen. Wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges fun­gier­te er als Mili­tär­pfar­rer. Das Kriegs­en­de erleb­te er 1945 in einem Laza­rett an der Nord­see. Im Jah­re 1947 wur­de Hem­pel Pfarr­ver­we­ser in Salz­git­ter-Lebens­tedt, einem Ort im Gebiet der Braun­schwei­gi­schen Lan­des­kir­che. Im Jah­re 1955 wur­de er Hono­rar­pro­fes­sor in Göt­tin­gen und betrieb ab 1958 als Eme­ri­tus sei­ne wis­sen­schaft­li­che Arbeit wei­ter, beson­ders für die von ihm betreu­te Zeitschrift.“
  2. Wolf Mey­er-Erlach, Jena, gestor­ben 1982 in Idstein, Hes­sen „Im Jah­re 1945 ging er aller Ämter ver­lus­tig, auch eine Wie­der­ein­stel­lung in der baye­ri­schen Lan­des­kir­che blieb ihm ver­sagt. 1950 flüch­te­te Mey­er-Erlach aus der DDR. Von 1951 bis 1963 wur­de er Pfarr­ver­wal­ter in Wall­ra­ben­stein und Wörs­dorf bei Idstein im Tau­nus (Evan­ge­li­sche Kir­che in Hes­sen und Nas­sau). Von ihm wur­den his­to­ri­sche Sujets wie das Stück „Anno 1634“ aufgeführt.“
  3. Max Adolf Wagen­füh­rer, Jena, gestor­ben 2010 irgend­wo im Wes­ten „Nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs kam er an die Luther­kir­che nach Köln-Nip­pes und wur­de zunächst in den Pfarr­dienst der Rhei­ni­schen Kir­che über­nom­men. 1949 wur­de er wegen sei­ner feh­len­den Ordi­na­ti­on vor­über­ge­hend sus­pen­diert und wech­sel­te in den Schul­dienst. 1953 kam er zurück in den Pfarr­dienst, wur­de ordi­niert und erhielt eine Beru­fung an die neu­erbau­te Erlö­ser­kir­che in Wei­den­pesch. Von 1970 bis 1982 war er Pfar­rer in Prien am Chiemsee.“

Im Osten geblieben

  1. Richard Barth, Jena, gestor­ben nach 1946 „Nach der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­lor er sein Amt. Ab 1946 arbei­te­te er als Grund­schul­leh­rer in Jena.“
  2. Paul Fie­big, Leip­zig, gestor­ben 1949 in Kal­be Sach­sen Anhalt 
  3. Rein­hard Lie­be, Frei­berg (Sach­sen), gestor­ben 1956 in Frei­berg. Der Wiki­pe­dia-Ein­trag lässt zu wün­schen übrig.
  4. Heinz Erich Eisen­huth, Jena, gestor­ben 1983 Pferdsdorf/Werra, Thü­rin­gen „Nach­dem er 1945 aus dem Uni­ver­si­täts­dienst ent­las­sen wor­den war, wur­de er 1946 zunächst kom­mis­sa­risch, spä­ter im Haupt­amt Pfar­rer in Jena-Zwät­zen. 1952 wur­de er Super­in­ten­dent in Eisen­ach. Anders als in der For­schungs­li­te­ra­tur bis­wei­len behaup­tet wird, über­nahm er jedoch nie die Lei­tung der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Thü­rin­gen. Er gehör­te aber zeit­wei­se der Syn­ode an und erhielt meh­re­re Lehr­auf­trä­ge am Theo­lo­gi­schen Semi­nar Leip­zig. Nach­dem er 1967 in den War­te­stand getre­ten war, ging er 1969 in den Ruhestand.“
  5. Wil­helm Knevels, Ros­tock, gestor­ben 1978 in West-Ber­lin „Im Jah­re 1950 erhielt er einen Lehr­auf­trag an der Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg. Nach sei­ner Eme­ri­tie­rung leb­te er in West-Ber­lin und wirk­te dort wei­ter an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin. Er ist auf dem Wald­fried­hof Dah­lem bestat­tet. Auf dem Grab­stein steht unter den Lebens­da­ten: „Theo­lo­ge des drit­ten Weges / = Selbst­be­sin­nung des Glau­bens / zwi­schen Fun­da­men­ta­lis­mus / und Exis­ten­zi­al­theo­lo­gie / Unser Glau­be ist der Sieg / der die Welt über­win­det“.“ Knevels ist 1897 geboh­ren, die Eme­ri­tie­rung muss also gegen 1962 gewe­sen sein. Ich lis­te ihn hier unter Im Osten geblie­ben, weil er sein gesam­tes Berufs­le­ben im Osten ver­bracht hat.
  6. Wil­helm Koepp, Greifs­wald, gestor­ben 1965 Klein­mach­now „1952 erhielt er den Lehr­stuhl an der Uni­ver­si­tät Ros­tock. 1954 eme­ri­tiert, lehr­te er noch bis zu sei­nem Tode an der Uni­ver­si­tät Ros­tock weiter.“
  7. Johan­nes Lei­poldt, Leip­zig, gestor­ben 1965 in Leip­zig „Nach 1945 war er Dom­herr des Hoch­stifts Mei­ßen und erhielt eine Pro­fes­sur mit Lehr­stuhl für Neu­tes­ta­ment­li­che Wis­sen­schaft in Leip­zig. Er wur­de als ordent­li­ches Mit­glied in die Säch­si­sche Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten auf­ge­nom­men und 1954 mit dem Vater­län­di­schen Ver­dienst­or­den in Sil­ber und 1960 in Gold aus­ge­zeich­net. […] Lei­poldt war von 1953 bis 1963 als Ver­tre­ter der CDU Abge­ord­ne­ter der Volkskammer.“
  8. Her­bert von Hint­zen­s­tern, Eisen­ach, gestor­ben 1996 in Wei­mar „Seit August 1945 war er in Lauscha, ab 1948 als Pfar­rer. Dort trat er der DDR-CDU bei, sein Par­tei­aus­tritt erfolg­te zum 1. Mai 1947. Im Jah­re 1952 wur­de er zum Lan­des­ju­gend­pfar­rer der Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Kir­che in Thü­rin­gen beru­fen. Seit 1956 lei­te­te er die Evan­ge­li­sche Aka­de­mie Thü­rin­gen und die Pres­se­stel­le der Kir­che. Gleich­zei­tig wur­de er zum Chef­re­dak­teur der Kir­chen­zei­tung Glau­be und Hei­mat beru­fen. 1962 wur­de er zum Kir­chen­rat ernannt. Von 1968 bis 1986 war er neben­amt­li­cher Lei­ter des Pfarr­haus­ar­chivs im Luther­hau­ses in Eisen­ach. 1981 ging er in den Ruhestand.“
  9. Rudolf Mey­er, Leip­zig, gestor­ben 1991 in Jena, Thü­rin­gen „Im Jah­re 1947 wur­de er außer­plan­mä­ßi­ger Pro­fes­sor und 1948 […] Ordi­na­ri­us für Altes Tes­ta­ment an der Fried­rich-Schil­ler-Uni­ver­si­tät Jena. Hier unter­rich­te­te er Gene­ra­tio­nen von Theo­lo­gie­stu­den­ten in Hebrä­isch, der Geschich­te des Vol­kes Isra­el und der Theo­lo­gie des Alten Tes­ta­ments. Zusam­men mit […] wur­de ihm 1952 von der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin die Ehren­dok­tor­wür­de ver­lie­hen. Mey­er war seit 1959 ordent­li­ches Mit­glied der Säch­si­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten und seit 1978 kor­re­spon­die­ren­des Mit­glied der Hei­del­ber­ger Aka­de­mie der Wissenschaften.“
  10. Sieg­fried Morenz, Leip­zig, gestor­ben 1970 Leip­zig „Morenz wur­de 1946 Dozent an der Uni­ver­si­tät Leip­zig und habi­li­tier­te sich im sel­ben Jahr bei Wil­helm Schub­art mit einer Schrift zu Ägyp­tens Bei­trag zur wer­den­den Kir­che. Ab 1948 lei­te­te Morenz, zunächst kom­mis­sa­risch, das Ägyp­to­lo­gi­sche Insti­tut der Uni­ver­si­tät Leip­zig. Im Febru­ar 1952 wur­de er Pro­fes­sor mit Lehr­auf­trag, im Sep­tem­ber des Jah­res mit vol­lem Lehr­auf­trag und zwi­schen 1954 und 1961 schließ­lich als Lehr­stuhl­in­ha­ber für Ägyp­to­lo­gie und hel­le­nis­ti­sche Reli­gi­ons­ge­schich­te. Zwi­schen 1952 und 1958 nahm Morenz zudem neben­amt­lich die Lei­tung der Ägyp­ti­schen Abtei­lung der Staat­li­chen Muse­en zu Ber­lin in Ost-Ber­lin wahr. Zwi­schen 1961 und 1966 lehr­te Morenz als Lehr­stuhl­in­ha­ber an der Uni­ver­si­tät Basel, lei­te­te jedoch im Neben­amt wei­ter­hin das Leip­zi­ger Ägyp­to­lo­gi­sche Insti­tut. Danach kehr­te er nach Leip­zig zurück, wo er bis zu sei­nem Tod 1970 wie­der den Lehr­stuhl für Ägyp­to­lo­gie innehatte.“
  11. Kon­rad Weiß, Ber­lin, gestor­ben 1979 in Ros­tock „1946 wur­de Weiß außer­or­dent­li­cher Pro­fes­sor für neu­tes­ta­ment­li­che Theo­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Ros­tock, 1948 wur­de er dort auf eine ordent­li­che Pro­fes­sur beru­fen und 1972 eme­ri­tiert. Die Uni­ver­si­tät Kiel zeich­ne­te Weiß 1961 mit der Ehren­dok­tor­wür­de aus.“

Unbekannt / irrelevant

Die Aus­wer­tung der Lebens­da­ten der Hoch­schul­leh­rer ist ver­blüf­fend. Nur drei sind in den Wes­ten gegan­gen. 11 sind im Osten geblie­ben. Man müss­te die Ein­zel­fäl­le näher anse­hen und erfor­schen, wie inten­siv ihre Mit­ar­beit im Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben war und was davon zu Leb­zei­ten bekannt war. Teil­wei­se hat­ten die Wis­sen­schaft­ler Ehren­dok­tor­tit­le von Uni­ver­si­tä­ten in Ost und West.

Weitere Nazis aus dem Umfeld der Deutschen Christen / dem Institut

In den Westen gegangen

  1. Hugo Rönck deut­scher evan­ge­li­scher Pfar­rer und Bischof, gestor­ben 1990, bis 1976 Pas­tor in Eutin, Schles­wig-Hol­stein. „Im Jah­re 1945 nahm er „kurz vor dem Ein­marsch der amerikan[ischen] Trup­pen“ den Titel Lan­des­bi­schof an. Im April 1945 wur­de er von den Ver­tre­tern der inner­kirch­li­chen Oppo­si­ti­on um Moritz Mit­zen­heim, Erich Hertzsch und Ger­hard Kühn zum Amts­ver­zicht gedrängt und weni­ge Tage spä­ter von US-ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen ver­haf­tet. Im August 1945 ent­ließ ihn die Thü­rin­ger Kir­che aus dem kirch­li­chen Dienst. Spä­ter war er von 1947 bis 1976 Pas­tor in Eutin.“

Im Osten geblieben

  1. Johan­nes Klot­sche gestor­ben 1963, Stadt Weh­len, Pir­na, Sach­sen, „Der „fana­ti­sche Anti­se­mit“ Klot­sche unter­zeich­ne­te im April 1939 gemein­sam mit zehn ande­ren Lan­des­kir­chen­lei­tern die Bekannt­ma­chung über Gemein­schafts­ar­beit von Lan­des­kir­chen­lei­tern, deren ers­te Maß­nah­me in der Grün­dung des Insti­tuts zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben bestand. Im Dezem­ber 1941 wur­den Chris­ten jüdi­scher Her­kunft aus der Lan­des­kir­che aus­ge­schlos­sen, womit das Sakra­ment der Tau­fe in Sach­sen par­ti­ell außer Kraft gesetzt war. Bis 1942 gehör­te er dem Ver­wal­tungs­rat des sog. Ent­ju­dungs­in­sti­tuts an. Nach Kriegs­en­de absol­vier­te er 1951/52 eine Aus­bil­dung zum volks­mis­sio­na­ri­schen Dienst an der Pre­di­ger­schu­le Pau­li­num in Ost-Berlin.“
  2. Wal­ter Grund­mann gestor­ben 1976 in Eisen­ach „1930 wur­de er Mit­glied der NSDAP und 1933 akti­ves Mit­glied der Deut­schen Chris­ten, deren im gan­zen Deut­schen Reich gül­ti­ge Richt­li­ni­en er ver­fass­te. 1939 wur­de er zum aka­de­mi­schen Direk­tor des neu gegrün­de­ten Insti­tuts zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben in Eisen­ach ernannt, das im Dienst des staat­li­chen Anti­se­mi­tis­mus die „Ent­ju­dung“ der Bibel und der theo­lo­gi­schen Aus­bil­dung betrieb. Unge­ach­tet sei­ner NS-Ver­gan­gen­heit erlang­te Grund­mann in der DDR als Theo­lo­ge erheb­li­ches Anse­hen: 1954 erteil­ten ihm das Kate­che­ti­sche Ober­se­mi­nar Naum­burg (Saa­le) und das Theo­lo­gi­sche Semi­nar Leip­zig Lehr­auf­trä­ge und er wur­de Rek­tor des Eisen­acher Kate­che­ten­se­mi­nars; sei­ne ab 1959 erschie­ne­nen Evan­ge­li­en­kom­men­ta­re waren Stan­dard­li­te­ra­tur und wer­den bis heu­te (2022) zitiert. Er arbei­te­te für das Minis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit, unter dem Deck­na­men GI Berg. […] In der DDR galt Grund­mann bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung 1975 trotz sei­ner NS-Ver­gan­gen­heit als ange­se­he­ner theo­lo­gi­scher Leh­rer. 1974 ver­lieh die Kir­chen­lei­tung ihm noch­mals den Titel eines „Kir­chen­rats“, um sei­ne Arbeit anzu­er­ken­nen und um sei­ne Pen­si­on zu erhö­hen.“ Sei­ne Wiki­pe­dia-Sei­te ent­hält eine aus­führ­li­che­re Schil­de­rung der Stasi-Tätigkeit.

Irrelevant

  1. Fried­rich Coch gestor­ben Sep­tem­ber 1945 in ame­ri­ka­ni­scher Gefan­gen­schaft „Füh­rer der Glau­bens­ge­mein­schaft Deut­sche Chris­ten in Sach­sen und Her­aus­ge­ber der Monats­zeit­schrift Chris­ten­kreuz und Haken­kreuz.“

Schlussfolgerung

7 + 6 + 3 der Per­so­nen, die in der NSDAP waren und sich öffent­lich zum Anti­se­mi­tis­mus bekannt hat­ten, sind vom Osten in den Wes­ten gegan­gen. Dazu noch min­des­tens ein lei­ten­des Mit­glied der Deut­schen Chris­ten. Damit hat sich die Anzahl der Anti­se­mi­ten und Nazis im Osten ver­rin­gert und im Wes­ten erhöht. Von eini­gen die­ser Per­so­nen ist klar, dass sie wirk­lich har­te Nazis und Ras­sis­ten waren. Ande­re waren even­tu­ell weni­ger invol­viert, eini­ge haben sich viel­leicht gewan­delt. Das geht aus Wiki­pe­dia nicht hervor.

„Ines Geipel lügt“

In Der Ossi und der Holo­caust habe ich die Behaup­tun­gen von Anet­ta Kaha­ne und Ines Gei­pel zum Umgang der DDR mit dem Holo­caust unter­sucht und bin zum Schluss gekom­men, dass bei­de Autorin­nen ent­we­der kei­ne Ahnung haben oder lügen. 

Die West-Gesell­schaft des direk­ten Nach­kriegs, die sich manisch schön­putz­te, die schier mär­chen­gleich Koh­le mach­te und sich in ihrer Unfä­hig­keit zu trau­ern ver­pupp­te. Die post­fa­schis­ti­sche DDR der fünf­zi­ger Jah­re dage­gen wur­de zur Syn­the­se zwi­schen ein­ge­kap­sel­tem Hit­ler und neu­er Sta­lin-Dik­ta­tur, pla­niert durch einen roten Anti­fa­schis­mus, der ein­zig eine Hel­den­sor­te zuließ: den deut­schen Kom­mu­nis­ten als Über­win­der Hit­lers. Mit die­ser instru­men­tel­len Ver­ges­sens­po­li­tik wur­de im sel­ben Atem­zug der Holo­caust für 40 Jah­re in den Ost-Eis­schrank gescho­ben. Er kam öffent­lich nicht vor.

Ines Gei­pel, Das Ding mit dem Osten, Frank­fur­ter All­ge­mei­ne, 14.08.2019

Im Blog-Post zei­ge ich recht deut­lich, dass die Ver­bre­chen an den Juden über­all the­ma­ti­siert wur­den. In den Geschichts­bü­chern der neun­ten Klas­se, im Lite­ra­tur­un­ter­richt, in Büchern, Fil­men, Stra­ßen­nah­men usw.

Beim taz-Lab gab es eine Podi­ums­dis­kus­si­on mit der His­to­ri­ke­rin Kat­ja Hoyer und dem Schrift­stel­ler Mar­co Mar­tin, bei der letz­te­rer sag­te, das mit der Geschichts­schrei­bung durch die Sie­ger im Ver­ei­ni­gungs­pro­zess sei doch eine Mär, denn es gäbe doch auch ost­deut­sche Stim­men wie Ines Gei­pel und Anne Rabe. Ich habe dann im Dis­kus­si­ons­teil dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Anet­ta Kaha­ne und Ines Gei­pel kei­ne glaub­wür­di­gen Quel­len sei­en, da sie ent­we­der kei­ne Ahnung hät­ten oder lügen wür­den, was zu gro­ßer Ent­rüs­tung führ­te. Lei­der kann­te ich zu die­sem Zeit­punkt eine Doku­men­ta­ti­on des MDRs noch nicht, denn aus die­ser geht her­vor, dass Ines Gei­pel erheb­li­che Pro­ble­me mit der Wahr­heit in Bezug auf ihr eige­nes Leben hat. Auch die Zah­len der Doping­be­trof­fe­nen, die sie als Che­fin der Doping­op­fer­hil­fe ver­tre­ten hat, hiel­ten einer Über­prü­fung nicht stand.

Das ist der MDR-Beitrag:

Doping und Dich­tung: Bei­trag vom MDR über Behaup­tun­gen von Ines Geipel

Ines Gei­pel hat behaup­tet, dass die Sta­si bei einer Blind­darm-Ope­ra­ti­on ihre Bauch­mus­ku­la­tur und all ihre Orga­ne zer­schnit­ten habe. 

Eine Unter­leibs­ope­ra­ti­on 1984 bot die Gele­gen­heit, „sie zumin­dest für län­ge­re Zeit auf Eis zu legen“, wie sie aus den Akten zitier­te. Ein Chir­urg der Virch­ow-Kli­nik in Ber­lin stell­te 2004, zwan­zig Jah­re nach der per­fi­den Tat, fest, was die Ärz­te in der DDR ihr ange­tan hat­ten. „Mein gesam­ter Bauch war samt Mus­ku­la­tur durch­schnit­ten wor­den“, erfuhr sie. „Alle inne­ren Orga­ne waren verletzt.“

Reinsch, Micha­el. 12.04.2011. Ines Gei­pel: Der Schre­cken steht mit­ten im Raum. Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung. Frankfurt/Main.

In der Doku­men­ta­ti­on wur­de sie bei einem Sprint-Wett­be­werb zwei Mona­te nach der OP gezeigt. Mit ver­letz­ten Orga­nen läuft man kei­ne 100m, weil man auch vor dem Wett­kampf trai­nie­ren muss. 

Den kom­plet­ten Bauch auf­schnei­den, wer glaubt in so einen Unsinn? Da könn­te man nicht mehr lau­fen. Ich habe ja erst vor ein paar Tagen wie­der gele­sen, dass alle inne­re inne­ren Orga­ne wur­den ver­letzt. Das ist ein Unding. Das geht nicht und da kann man vor allen Din­gen nicht sechs Wochen oder acht Wochen spä­ter lau­fen. Schlecht wie immer – aber gelau­fen ist sie.

Uwe Trö­mer im MDR-Bei­trag Doping und Dichtung

Bezüg­lich ihrer Blind­darm­ope­ra­ti­on gibt sie an, dass sie als Fol­ge der durch die Sta­si durch­ge­führ­ten Ope­ra­ti­on kei­ne Kin­der mehr bekom­men konn­te (Ein­zel­kämp­fer bei 1:24:15). Laut MDR-Fak­ten­check (2023: 60) steht im OP-Bericht vom 17.01.2003 nichts von Ver­let­zun­gen ande­rer Orga­ne oder Ver­let­zun­gen, die Kin­der­lo­sig­keit hät­ten ver­ur­sacht haben können.

Gei­pel gibt mit Welt­re­kor­den an und damit Olym­pio­ni­kin gewe­sen zu sein, sie hat aber nie eine gewon­nen, ja, sie hat nicht ein­mal an einer Olym­pia­de teil­ge­nom­men. Bei Sprint-Wett­kämp­fen lan­de­te sie trotz hoher Doping­wer­te auf hin­te­ren Plät­zen. In die natio­na­le Aus­wahl der Sprint­staf­fel kam sie nicht, weil es bes­se­re Läu­fe­rin­nen gab. 

Nach Aus­strah­lung der MDR-Doku leg­te Ines Gei­pel eine Pro­gramm­be­schwer­de ein (doku­men­tiert auf ihrer Web-Sei­te: Pro­gramm­be­schwer­de Doping und Dich­tung). Die­se ist eigent­lich noch schlim­mer, als das, was man aus der Doku erfährt, denn sie zeigt, wie Ines Gei­pel arbei­tet. Mit bewuss­ten Aus­las­sun­gen, Ver­dre­hun­gen und Mani­pu­la­tio­nen. Der MDR hat die Pro­gramm­be­schwer­de durch zwei renom­mier­te Sportjournalist*innen prü­fen las­sen und auf 101 Sei­ten ist die gan­ze Unge­heu­er­lich­keit des Vor­gangs doku­men­tiert. Die Autor*innen nen­nen Gei­pel dar­in eine Lüg­ne­rin und Hoch­stap­le­rin, die Wör­ter Unver­fro­ren­heit und Dreis­tig­keit kom­men vor. Nur ein Bei­spiel: In Gei­pels Sta­si-Akte steht:

Die­ser Darm­ver­schluss ergab sich jedoch, da dies bei jun­gen Men­schen noch der Fall ist oder mög­lich ist; ansons­ten wäre eine wei­te­re Ope­ra­ti­on nötig gewe­sen. Danach soll­te Gei­pel wie­der in ein Kran­ken­haus wegen ihrer .… Geschich­te. Dies wäre die Chan­ce gewe­sen, sie für län­ge­re Zeit auf Eis zu legen. Sie ist jetzt z.Z. in einer Pha­se der Rehabilitation …

BStU, nach Screen­shot aus MDR-Doku.

BStU, Screen­shot aus MDR-Doku.

Die­se Aus­sa­ge belegt, dass das eine Chan­ce gewe­sen wäre, d.h. das Auf-Eis-Legen ist nicht erfolgt. Gei­pel lässt in ihren Zita­ten das Wort gewe­sen ein­fach weg: „Das ist die Chan­ce, sie für län­ge­re Zeit auf Eis zu legen.“ (In Ein­zel­kämp­fer, 2013: 1:26:15 kann man sehen, wie sie die Pas­sa­ge „vor­liest“).

Man kann also schlie­ßen, dass Ines Gei­pel kei­ne glaub­wür­di­ge Zeu­gin in Bezug auf die DDR-Geschich­te ist. 

Denn der ver­ant­wor­tungs­vol­le Umgang mit der Wahr­heit gehört augen­schein­lich nicht zu den Stär­ken der 62 Jah­re alten Berlinerin.

Lud­wig, Udo & Neu­mann, Thi­lo & Pursch­ke, Tho­mas. 2023. Ver­lei­hung des Erich-Loest-Prei­ses: Ines Gei­pel und der schwie­ri­ge Umgang mit der Wahr­heit. Der Spie­gel. 23.02.2023

Ich hat­te ja in der Aus­ein­an­der­set­zung über den Umgang mit dem Holo­caust in der DDR als Ergeb­nis die bei­den Mög­lich­kei­ten „kei­ne Ahnung“ und „lügen“. Theo­re­tisch ist es immer noch mög­lich, dass Ines Gei­pel kei­ne Ahnung in Bezug auf das The­ma Holo­caust hat­te bzw. hat, aber die Lügen-Mög­lich­keit erhält mit die­ser Infor­ma­ti­on über Ines Gei­pel mehr Plausibilität.

Nachtrag

Die Doku­men­te auf Ines Gei­pels Web-Sei­te sind mir bekannt. Sie wer­den im Fak­ten­check in der Erwi­de­rung auf die Pro­gramm­be­schwer­de gegen den MDR bespro­chen. Die von Gei­pel bei­gebrach­ten Doku­men­te wider­le­gen nichts von dem, was oben aus den Doku­men­ta­tio­nen zitiert wurde.

Quellen

Kar­te, Uwe. 2023. Doping und Dich­tung: Das schwie­ri­ge Erbe des DDR-Sports. 2023. mdr. (https://www.youtube.com/watch?v=FUInTLwH4fI)

Kau­del­ka, San­dra. 2013. Ein­zel­kämp­fer. ZDF. (https://youtu.be/Vdhu-cNkWcc?t=5054)

Kowal­c­zuk, Ilko-Sascha. 2022. Getrüb­te Erin­ne­run­gen? Über ein Buch, das nicht erschie­nen ist. Deutsch­land Archiv. (https://www.bpb.de/513987)

Kowal­c­zuk, Ilko-Sascha. 2023. Der Fall Gei­pel und Gesin­nungs­kämp­fe: Doping und Praw­da. taz 16.12.2023. Ber­lin. (https://taz.de/Der-Fall-Geipel-und-Gesinnungskaempfe/!5977524/)

Lud­wig, Udo & Neu­mann, Thi­lo & Pursch­ke, Tho­mas. 2022. Wir­bel um Ver­tre­te­rin von Doping-Opfern: Lügen, betrü­gen, täu­schen. Der Spie­gel 21. (https://www.spiegel.de/sport/ines-geipel-vertreterin-von-doping-opfern-luegen-betruegen-taeuschen-a-4f0bebfd-c8f3-4eda-bc21-0baf6ecaf7ea)

Lud­wig, Udo & Neu­mann, Thi­lo & Pursch­ke, Tho­mas. 2023. Ver­lei­hung des Erich-Loest-Prei­ses: Ines Gei­pel und der schwie­ri­ge Umgang mit der Wahr­heit. Der Spie­gel. (https://www.spiegel.de/sport/ddr-dopingsystem-ines-geipel-und-der-schwierige-umgang-mit-der-wahrheit-a-7e209638-b5ce-4ad7-b35f-9d096b33e04b)

MDR Haupt­re­dak­ti­on Sport. 2023. MDR-Doku­men­ta­ti­on „Doping und Dich­tung“ Fak­ten­check. Leip­zig. 24.08.2023.

Reinsch, Micha­el. 2011. Ines Gei­pel: Der Schre­cken steht mit­ten im Raum. Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung. 12.04.2011. Frankfurt/Main. (https://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/doping/ines-geipel-der-schrecken-steht-mitten-im-raum-1621434.html)

Antwort auf abgedruckte Leserbriefe (Directors cut = viel zu lange Version)

Ich möch­te mich recht herz­lich für alle Emails, Brie­fe und Päck­chen bedan­ken, die ich nach der Ver­öf­fent­li­chung mei­nes Arti­kels zu Anne Rabes Buch Die Mög­lich­keit von Glück erhal­ten habe. Ich hat­te das nicht erwar­tet, aber das Feed­back war im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes über­wäl­ti­gend. Von den Brie­fen waren sechs kritisch/negativ und 23 posi­tiv. Ich habe die kritischen/negativen unge­kürzt in mei­nen Blog auf­ge­nom­men und dis­ku­tie­re sie dort detail­liert: https://so-isser-der-ossi.de/2024/05/27/anne-rabe-leserbriefe/, auch den zum Jam­mer-Ossi. Auf die in der Ber­li­ner Zei­tung abge­druck­ten Tei­le der Leser­brie­fe möch­te ich im Fol­gen­den ein­ge­hen. In mei­nem Blog und auch im ver­öf­fent­lich­ten Bei­trag in der BLZ geht es mir dar­um, wel­chen Ein­druck Anne Rabe von der DDR ver­mit­telt und was dar­aus abge­lei­tet wird. Den ers­ten Blog-Ein­trag Gewalt­er­fah­run­gen und 1968 für den Osten habe ich auch zu einem Arti­kel in der taz geschrie­ben, bevor ich Anne Rabes Roman über­haupt gele­sen hat­te. Anne Rabe argu­men­tiert grob ver­ein­fa­chend für eine Töpf­chen­theo­rie 2.0: Weil es Fami­li­en gab, in denen es Gewalt gab, war der ganz Osten so und man kann dar­aus letzt­end­lich alles ablei­ten: Ras­sis­mus, Faschis­mus, Natio­na­lis­mus, Anti­se­mi­tis­mus. Alles, wovor sich das Bil­dungs­bür­ger­tum zu Recht gru­selt. Und es ist pri­ma: Das alles ist nur im Osten zu ver­or­ten. Dun­kel­deutsch­land eben. Dabei ist es lei­der so, dass es im gesam­ten Land ziem­lich fins­ter aus­sieht, ja, sogar in Euro­pa. Die Rechts­extre­mis­mus-Stu­die hat das für Deutsch­land dis­ku­tiert. Der Autor der Stu­die hat in der Ber­li­ner Zei­tung (BLZ, 08.07.2023) her­vor­ge­ho­ben, dass der Rechts­extre­mis­mus mit der Struk­tur der Bevöl­ke­rung im Osten zusam­men­hängt und in struk­tu­rell ähn­li­chen Gebie­ten im Wes­ten ähn­li­che Ein­stel­lun­gen nach­zu­wei­sen sind. Das bedeu­tet also, dass man für die Wahl­er­fol­ge der AfD im Osten oder ras­sis­ti­sche Ein­stel­lun­gen kei­ne gewalt­tä­ti­gen Eltern als Erklä­rung benö­tigt. Die empi­ri­sche For­schung lie­fert Grün­de. Auch bricht Anne Rabes Töpf­chen­theo­rie sofort in sich zusam­men, wenn man ihren auto­fik­tio­na­len Roman genau­er liest, denn dort fin­det sich die fol­gen­de Passage: 

Alle Fami­li­en haben sol­che Geschich­ten. Gemein­sa­me Erleb­nis­se, die eine Fami­lie zu einer Fami­lie machen. Geschich­ten, die man sich immer wie­der erzählt. Die Geschich­ten von einem miss­glück­ten Weih­nachts­bra­ten, von Irr­fahr­ten zu einem lang ersehn­ten Urlaubs­ziel, Miss­ge­schi­cke und Toll­pat­schig­kei­ten, die einem noch immer die Lach­trä­nen in die Augen trei­ben. Die­se Geschich­ten, an die man denkt, wenn man Zuhau­se denkt.

Was Tim und ich uns erzäh­len, wenn wir über unse­re Kind­heit spre­chen, sind Geschich­ten davon, wie wir gelernt haben, still zu sein.

Rabe, Anne. 2023. Die Mög­lich­keit von Glück. Stutt­gart: Klett-Cot­ta. S. 23

Das bedeu­tet, dass Anne Rabe bzw. die Ich-Erzäh­le­rin die­se Fami­lie als unnor­mal ein­stuft. Wenn sie aber unnor­mal war, dann kann man aus der Exis­tenz die­ser Fami­lie nicht auf die Bevöl­ke­rung eines gan­zen Lan­des schlie­ßen. Wie hoch die Antei­le von auto und fik­tio­nal an der auto­fik­tio­na­len Geschich­te sind, wer­den wir nie her­aus­fin­den, denn Anne Rabe äußert sich in Inter­views zu dies­be­züg­li­chen Fra­gen nicht (zum Bei­spiel beim taz-Lab-Gespräch mit Simo­ne Schmol­lack).

Zwei Brie­fe spre­chen die Fra­ge nach den abso­lu­ten und den rela­ti­ven Zah­len bei Kinds­tö­tun­gen an und einer unter­stellt mir eine bewuss­te Falsch­dar­stel­lung. Die Poli­zei­li­che Kri­mi­nal­sta­tis­tik (PKS) ver­wen­det rela­ti­ve Zah­len, um die Zah­len über­haupt ver­gleich­bar zu machen. Ich möch­te das an einem Bei­spiel erklä­ren: Im Fall der so genann­ten Neo­na­ti­zide, also der Kinds­tö­tun­gen direkt nach der Geburt, sind abso­lu­te Zah­len nicht aus­sa­ge­kräf­tig, denn in Bre­men wur­den zum Bei­spiel im Jahr 2022 nur 6.720 Kin­der gebo­ren. In NRW waren es im sel­ben Zeit­raum dage­gen 164.496 Kin­der. Wenn in bei­den Bun­des­län­dern jeweils ein Kind getö­tet wor­den wäre, wäre die abso­lu­te Anzahl gleich, aber für Bre­men wäre die rela­ti­ve Anzahl, also die Anzahl im Ver­gleich zu den Kin­dern, die über­haupt Opfer hät­ten wer­den kön­nen, viel grö­ßer. Neh­men wir an, in Bre­men wären 6.720 Kin­der getö­tet wor­den, dann wären es 100% gewe­sen. 6.270 Kin­der in NRW wären aber nur 4,1%. Der Ver­gleich abso­lu­ter Zah­len ist also offen­sicht­lich unsin­nig. In der PKS wird des­halb der abso­lu­te Wert auf Opfer pro 100.000 mög­li­che Opfer umge­rech­net. In Bre­men wäre die ermit­tel­te Zahl dann also grö­ßer als die tat­säch­li­che Zahl und in NRW klei­ner. So wer­den die Neo­na­ti­zi­de in Bre­men und NRW ver­gleich­bar. Das ist auch in der zitier­ten Stu­die zu den Kinds­tö­tun­gen auf S. 337 erklärt (Höynck, Behn­sen & Zäh­rin­ger, 2015). Ich zitie­re genau die­se Sei­te in mei­nem Blog-Post vom 20.02.2024, der die Kinds­tö­tun­gen aus­führ­li­cher bespricht, als das in der Ber­li­ner mög­lich war. Im Arti­kel, der als Print-Ver­si­on erschie­nen ist, sind die Quel­len aus Platz­grün­den aus­ge­la­gert wor­den. Wenn man nun über die Kinds­tö­tun­gen von Kin­dern unter 6 Jah­ren spricht, muss man als Bezugs­grö­ße 100.000 Kin­der in den jewei­li­gen Bun­des­län­dern anneh­men. Ein Bezug auf die Gesamt­be­völ­ke­rungs­zahl, wie von einem Leser vor­ge­schla­gen, wäre nicht kor­rekt. In mei­ner Ori­gi­nal­ein­rei­chung war ein Satz zu den rela­ti­ven Zah­len bzgl. 100.000 mög­li­chen Opfern ent­hal­ten. Ich wur­de gebe­ten, das noch bes­ser zu erklä­ren und habe des­halb die Sät­ze ein­ge­fügt, die dar­le­gen, wie absurd das Ergeb­nis wür­de, wenn man von abso­lu­ten Zah­len aus­gin­ge. Die PKS und auch die Pres­se­be­rich­te dar­über haben sich auf rela­ti­ve Zah­len (Fach­wort Opferzahlen/OZ) bezo­gen, Anne Rabe hat aber geschrie­ben: „Die Zahl der Kinds­tö­tun­gen ist im Osten Deutsch­lands in den 90er und 00er Jah­ren dop­pelt so hoch wie im Wes­ten und steigt im Jahr 2006 sogar auf das Vier­fa­che an.“ Die­se Aus­sa­ge ist fak­tisch falsch. Ein Leser schrieb mir AR hät­te die rela­ti­ve Zahl gemeint. Was jemand gemeint hat, ist aber nicht rele­vant, ent­schei­dend ist, was jemand ver­öf­fent­licht hat. Als Sprach­wis­sen­schaft­ler kann ich ein­schät­zen, was ein Satz bedeu­tet und als Mathe­ma­ti­ker und pro­mo­vier­ter Infor­ma­ti­ker weiß ich, was Anne Rabe statt­des­sen hät­te schrei­ben müs­sen. Dass ich das jetzt nicht hin­ter­her irgend­wie zurecht­ge­bo­gen habe, sieht man, wenn man sich den Print-Arti­kel ansieht: Dort sind die Bevöl­ke­rungs­grö­ße und die Gebur­ten­ra­ten erwähnt. Nur der eine Satz mit der Bezugs­grö­ße 100.000 ist lei­der im Ping-Pong mit der Redak­ti­on ver­lo­ren gegan­gen. Ich hät­te bes­ser auf­pas­sen müs­sen. Der Punkt mit den abso­lu­ten und rela­ti­ven Zah­len hat jetzt in der Dis­kus­si­on und auch im Arti­kel einen viel zu gro­ßen Raum ein­ge­nom­men. Wich­tig ist, und das sagen Höynck, Behn­sen & Zäh­rin­ger (2015: 337) auch sehr klar (auch an ande­ren Stel­len in ihrem im renom­mier­ten Wis­sen­schafts­ver­lag Sprin­ger erschie­nen Buch), dass man aus der PKS nichts ablei­ten kann. Der wich­tigs­te Punkt ist, dass die Zah­len (glück­li­cher­wei­se) zu klein sind. Die Autorin­nen lis­ten wei­te­re Pro­ble­me auf, die zei­gen, dass das Zie­hen von Schlüs­sen aus der PKS zu Kinds­tö­tun­gen unzu­läs­sig ist. Es wur­de in vie­len Brie­fen kri­ti­siert, dass ich auf Wiki­pe­dia ver­wie­sen habe. Ich bin Pro­fes­sor und bil­de zukünf­ti­ge Wissenschaftler*innen aus. Ich weiß sehr wohl, was Wiki­pe­dia kann und was Wiki­pe­dia nicht kann. In mei­nem Blog-Bei­trag zu den Leser­brie­fen gehen ich dar­auf auch genau­er ein. Der Punkt ist hier, dass genau die­se Stu­die und auch die ent­spre­chen­de Sei­te im Wiki­pe­dia-Ein­trag zu Kinds­tö­tun­gen zitiert wird. Wenn also jemand einen Quick­check zu Anne Rabes Behaup­tun­gen hät­te machen wol­len (Ver­lag, Jury, Rezen­sen­ten), so wäre es ein Leich­tes gewe­sen, in Wiki­pe­dia die Stel­le für wei­te­re Nach­for­schun­gen zu fin­den. Das Pro­blem für die­ses Land ist, dass nie­mand sich die Mühe gemacht hat. Die Gru­sel­ge­schich­te war doch zu schön.

Bern­hard Kave­mann liest aus mei­nem Arti­kel, dass ich kein Ver­ständ­nis für Kau­sa­li­tät hät­te. Ich habe in mathe­ma­ti­scher Logik eine 1,0 im Stu­di­um gehabt, habe ein Sys­tem mit Dis­kurs­re­prä­sen­ta­ti­ons­theo­rie imple­men­tiert und Logik und Com­pu­ta­tio­na­le Seman­tik an diver­sen Unis gelehrt. Wie Schlüs­se funk­tio­nie­ren, weiß ich sehr wohl. Ich habe nir­gends behaup­tet, dass es im Osten kei­ne Nazis gab. Wes­halb wäre ich sonst wohl 1989 im Anti­fa-Block mar­schiert (was ich im Arti­kel auch erwähnt habe). Ich habe behaup­tet, dass Anne Rabe fak­tisch fal­sche Behaup­tun­gen in ihren Roman ein­ge­baut hat. Den Nach­weis dafür haben ich im Arti­kel und noch detail­lier­ter in den Blog-Posts erbracht. Bern­hard Kave­mann schreibt wei­ter: „Der Ver­such mit den AfD-Poli­ti­kern geht eben­falls dane­ben: „Höcke und Kal­bitz sind aus dem Wes­ten.“ Ja, aber da sind sie nichts gewor­den, waren klei­ne Lich­ter, groß sind sie erst im Osten gewor­den.“ Im Arti­kel habe ich bereits Georg Maa­ßen erwähnt, der nicht im Osten groß gewor­den ist, son­dern im Ver­fas­sungs­schutz. Das Bun­des­ka­bi­nett hat ihn 2012 auf Vor­schlag des Bun­des­in­nen­mi­nis­ters Hans-Peter Fried­rich (CSU) zum Chef gemacht. Inzwi­schen wird Maa­ßen von der Behör­de, der er vor­saß, beob­ach­tet. Auch Dr. Alex­an­der „Wir wer­den sie jagen“ Gau­land ist nicht durch Ossis groß gewor­den. Vogel­schiss-Gau­land war von 1973 bis 2013 in der CDU, war im Magis­trat von Frankfurt/Main, und lei­te­te von 1987 bis 1991 die Hes­si­sche Staats­kanz­lei. Er ist jetzt Ehren­vor­sit­zen­der der Höcke-AfD und Vor­sit­zen­der der Bun­des­tags­frak­ti­on. Alle die­je­ni­gen, die noch ein biss­chen Anstand haben, sind bereits aus der AfD aus­ge­tre­ten. Wo kom­men die füh­ren­den Nazis her? Wer hat sie groß gemacht? Gern bit­te in mei­nem Blog in der Rubrik Nazis nachlesen. 

Hel­gard Most merkt an, dass man bei der Dis­kus­si­on mit Anne Rabe beim taz-Lab mei­ne Behaup­tun­gen nicht nach­prü­fen konn­te. Dafür habe ich den Blog geschrie­ben und den Arti­kel in der Ber­li­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht. Die Blog-Bei­trä­ge hat­te ich aus­ge­druckt beim taz-Lab mit. 80 Sei­ten. Ich hät­te sie Anne Rabe geschenkt. Wirk­lich. HM behaup­tet wei­ter: „Wir Leser*innen sind intel­li­gent genug, zwi­schen einem Roman, der Anre­gun­gen für eige­ne Gedan­ken geben soll, und der Pau­scha­li­sie­rung einer gan­zen Bevölkerung, wie Herr Müller sie behaup­tet, zu unter­schei­den.“ Das mag für Frau Most zutref­fen, ist aber im All­ge­mei­nen lei­der nicht rich­tig. Mein ers­ter Anne Rabe-Post im Blog bezog sich des­halb auch nicht auf den Roman, den ich damals noch nicht gele­sen hat­te, son­dern auf die Dis­kus­si­on, den die­ser Roman aus­ge­löst hat. Da wird pau­scha­li­siert, die Mär von der gewalt­tä­ti­gen DDR wird ver­brei­tet. End­lich eine Erklä­rung dafür, wie komisch die Ossis sind. Ich möch­te hier ein wei­te­res wich­ti­ges Bei­spiel für die Roman/­Sach­buch-Dis­kus­si­on geben. Anne Rabe behaup­tet: „Auch waren Anti­se­mi­tis­mus und Natio­na­lis­mus wich­ti­ge Bestand­tei­le der sowje­ti­schen und real­so­zia­lis­ti­schen Ideo­lo­gie.“ Das ist eine Tat­sa­chen­be­haup­tung. Der Kon­text ist:

In der DDR droh­te die Dik­ta­tur zudem stän­dig, einen für die Ver­gan­gen­heit zur Ver­ant­wor­tung zu zie­hen. Auch des­halb wur­de geschwie­gen. In einem Land, in dem der Anti­fa­schis­mus Staats­rä­son war, wie soll man da über das spre­chen, was man in der »faschis­ti­schen Wehr­macht« getan hat­te? Auch waren Anti­se­mi­tis­mus und Natio­na­lis­mus wich­ti­ge Bestand­tei­le der sowje­ti­schen und real­so­zia­lis­ti­schen Ideologie.

S. 215

Das ist nicht ein Satz, den irgend­ei­ne Per­son im Roman sagt. Das ist eine Erklä­rung für den Leser. Und sie ist fak­tisch falsch. Ich habe das in mei­nem Blog-Post zum Holo­caust aus­führ­lich bespro­chen und es gibt auch diver­se ande­re Posts, zum Bei­spiel einen, der eine wis­sen­schaft­li­che Stu­die zu Poli­ti­kern in Ost und West aus­wer­tet. Im Osten gab es in den ver­schie­de­nen Regie­run­gen neun, dann acht, dann einen jüdi­schen Poli­ti­ker. Unter ande­rem Klaus Gysi. Im Wes­ten gab es nie in irgend­ei­ner Regie­rung einen. Null. Wich­ti­ge Poli­ti­ker, Musi­ker, Künst­ler der DDR waren Juden. Der Vater von Anet­ta Kaha­ne war ganz vorn mit dabei: Er hat die Nach­rich­ten­agen­tur ADN auf­ge­baut und lei­te­te das Neue Deutsch­land. Wolf Bier­mann hat­te mit Mar­got Hon­ecker meh­re­re Jah­re in einem Haus­halt gelebt. Mari­on Brasch hat als Jüdin Yas­sir Ara­fat am Wer­bel­lin­see begrüßt. Als ich einen Bre­mer Pro­fes­sor für Poli­tik­wis­sen­schaft nach sei­ner Evi­denz bezüg­lich tra­dier­ten Anti­se­mi­tis­mus’ in der DDR frag­te, schrieb er mir zurück, ich sol­le doch mal das Buch von Anne Rabe lesen. Das ist das Niveau, auf dem die Dis­kus­si­on läuft. Ein Wis­sen­schaft­ler ver­weist mich auf ein Buch, das nicht als Sach­buch bewer­tet wur­de und des­halb auch nicht das wis­sen­schaft­li­che Qua­li­täts­si­che­rungs­sys­tem durch­lau­fen hat. Beim taz-Lab gab es eine Dis­kus­si­on zwi­schen dem Schrift­stel­ler Mar­co Mar­tin und der His­to­ri­ke­rin Kat­ja Hoyer. Ich habe Hoyers Buch noch nicht gele­sen und kann zu sei­ner Qua­li­tät nichts sagen, aber Mar­co Mar­tin behaup­te­te, dass es nicht wahr sei, dass die Sie­ger die Geschich­te schrei­ben, und führt zum Bei­spiel Ines Gei­pel und Anne Rabe als ost­deut­sche Stim­men an, die ja den Gegen­part zu den Sie­gern über­näh­men. Das heißt, dass Anne Rabe auf eine Stu­fe mit His­to­ri­kern gestellt wird, die in einem Qua­li­täts­si­che­rungs­sys­tem arbei­ten und ver­öf­fent­li­chen. So wird aus einem Roman ein Sach­buch. Zu Ines Gei­pel gibt es eine Doku­men­ta­ti­on des MDR, die dis­ku­tiert, dass Gei­pel weder Olym­pio­ni­kin, noch Welt­re­kord­hal­te­rin war, dass die Zah­len der Doping­op­fer, die sie als Che­fin der Doping­op­fer­hil­fe genannt hat, viel zu hoch waren. Gei­pel hat eine Pro­gramm­be­schwer­de beim Rund­funk­rat ein­ge­legt. Die 101-sei­ti­ge Erwi­de­rung des MDR liegt mir vor. Die Autor*innen nen­nen Gei­pel dar­in eine Lüg­ne­rin und Hoch­stap­le­rin, die Wör­ter Unver­fro­ren­heit und Dreis­tig­keit kom­men vor. Wie­so soll jemand, der in Bezug auf sei­ne eige­ne Geschich­te lügt, eine glaub­wür­di­ge Quel­le für unser aller Geschich­te sein? Über den Holo­caust schreibt Gei­pel: „Mit die­ser instru­men­tel­len Ver­ges­sens­po­li­tik wur­de im sel­ben Atem­zug der Holo­caust für 40 Jah­re in den Ost-Eis­schrank gescho­ben. Er kam öffent­lich nicht vor.“ Das ist fak­tisch falsch, wie ich aus­führ­lich in Der Ossi und der Holo­caust nach­ge­wie­sen habe.  Anne Rabe und ihre (ehe­ma­li­ge?) Freun­din Ines Gei­pel sind kei­ne ver­läss­li­chen Quel­len, was die Geschich­te der DDR angeht. Das in Bezug auf Anne Rabe zu zei­gen, war das Ziel mei­nes Bei­trags in der Ber­li­ner Zei­tung. Und dann bleibt die Fra­ge: Wer schreibt unse­re Geschichte?

Den Leser­brief zu den Blu­men­töp­fen ver­ste­he ich nicht. Ich weiß nicht, war­um die Leser­brief­re­dak­ti­on ihn aus­ge­sucht hat. 

Rein­hard Brett­schnei­der wirft mir vor, dass ich die Spal­tung erhal­ten will. Nichts liegt mir fer­ner. Wie gesagt: Ich habe mich bis 2013 nicht als Ossi gese­hen. Die Spal­tung ist jedoch real. Vie­les wird man nicht mehr repa­rie­ren kön­nen. Eigen­tums­struk­tu­ren wer­den immer so blei­ben: Ver­mie­ter woh­nen im Wes­ten, die Ein­nah­men flie­ßen dort­hin ab. Fir­men­sit­ze lie­gen im Wes­ten, Ein­nah­men und Paten­te gehen in den Wes­ten. Steu­ern wer­den nicht im Osten gezahlt, son­dern am Fir­men­sitz. Aber man könn­te eini­ge Din­ge ändern, die zur Ver­hei­lung eini­ger Wun­den bei­tra­gen könn­ten. Dazu gehört, dass respekt­voll über den Osten geschrie­ben wird, ja, dass die Men­schen dort über­haupt als sol­che wahr­ge­nom­men wer­den. Ich habe in mei­nem Blog eini­ge Fäl­le dis­ku­tiert, in denen West-Autoren und ‑Wis­sen­schaft­ler über den Osten reden, als wäre er nicht Teil des Lan­des. Und das in Arti­keln, die einen posi­ti­ven Bei­trag zur Ost-West-Debat­te leis­ten wol­len. Ich kämp­fe dafür, dass für die­se Pro­ble­me über­haupt erst mal ein Bewusst­sein ent­steht. Das ist drin­gend not­wen­dig, denn ein ver­nünf­ti­ges Mit­ein­an­der ist auch ein Betrag im Kampf gegen den Faschis­mus. In der taz schreibt Georg Seeß­len: „Die Men­schen, die einem Maxi­mi­li­an Krah zuju­beln, […] trotz der Nach­rich­ten über die­sen Mann, müs­sen einen fun­da­men­ta­len Bruch voll­zo­gen haben.“ Der Punkt hier ist: Die­se Men­schen wur­den von den rele­van­ten Nach­rich­ten wahr­schein­lich nicht erreicht, denn sie sind nicht mehr Teil des gesell­schaft­li­chen Dis­kur­ses. 2021 schrieb Anne Fromm in der taz: „2,5 Pro­zent ihrer Gesamt­auf­la­ge ver­kauft die Süd­deut­sche Zei­tung in den Neu­en Bun­des­län­dern. 3,4 Pro­zent sind es bei der FAZ, etwa 4 Pro­zent beim Spie­gel. Bei der taz sind es, das steht nicht in der Stu­die, rund 6 Pro­zent. […] Die Ost­deut­schen lesen also kei­ne Zei­tun­gen, zumin­dest kei­ne über­re­gio­na­len mit Sitz in der alten BRD.“ War­um soll ich Geld für Druckerzeug­nis­se bezah­len, in denen dau­ernd merk­wür­di­ge Din­ge über mich ste­hen? Ich möch­te, dass es wie­der einen Dis­kurs gibt. Dass wir mit­ein­an­der reden, nicht über­ein­an­der. Ich bin also kein Spal­ter. Ich kämp­fe für ein Mit­ein­an­der, eine Eini­gung, für die deut­sche Ein­heit! Wer hät­te das 1989 gedacht?

Quellen

Beer, Maxi­mi­li­an & Hol­ler­sen, Wieb­ke. 2023. „Es hat eher wenig mit der DDR zu tun“: For­scher über Rechts­extre­mis­mus in Ost­deutsch­land. Ber­li­ner Zei­tung. 08.07.2023. (https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/die-these-vom-rechtsruck-ist-unsinn-forscher-ueber-ostdeutschland-extremismus-und-afd-li.366563)

Fromm, Anne. 2021. Pres­se in Ost­deutsch­land: Wer strei­chelt unse­re See­le? taz, 09.03.2021. Ber­lin. (https://taz.de/Presse-in-Ostdeutschland/!5756271/)

Höynck, The­re­sia & Behn­sen, Mira & Zäh­rin­ger, Ulri­ke. 2015. Tötungs­de­lik­te an Kin­dern unter 6 Jah­ren in Deutsch­land: Eine kri­mi­no­lo­gi­sche Unter­su­chung anhand von Straf­ver­fah­rens­ak­ten (1997–2006). Wies­ba­den: Sprin­ger. (https://doi.org/10.1007/978–3‑658–07587‑3)

Kar­te, Uwe. 2023. Doping und Dich­tung – Das schwie­ri­ge Erbe des DDR-Sports. mdr. 21.01.2023 (https://www.youtube.com/watch?v=FUInTLwH4fI)

MDR Haupt­re­dak­ti­on Sport. 2023. MDR-Doku­men­ta­ti­on „Doping und Dich­tung“ Fak­ten­check. Leip­zig.

Teuw­sen, Peer. 2023. Ver­heim­lich­te Nähe. Neue Züri­cher Zei­tung. 30.09.2023. (https://www.nzz.ch/feuilleton/anne-rabe-verheimlichte-naehe-ld.1782626)

Wir, die Soziologin und die aus dem zwar vorbildlichen, aber abweichenden Osten

Ich habe schon im Bei­trag über Kling Klang und den Osten dar­über geschrie­ben, dass Zei­tungs­bei­trä­ge die Ossis ein­fach nicht zur Leser­schaft zäh­len. Es wird über sie geschrie­ben. Selbst in Fäl­len in denen die Autor*innen das eigent­lich ändern wol­len und auf eine bes­se­re Ver­stän­di­gung und mehr Respekt hin­ar­bei­ten. Hier möch­te ich ein par­al­le­les Bei­spiel aus der Wis­sen­schaft diskutieren.

Die Sozio­lo­gin Prof. Jut­ta All­men­din­ger spricht über Kin­der­be­treu­ung und wie sich das alles bei „uns“ ver­än­dert und ver­bes­sert hat. Wie „wir“ mit gewis­sen Pro­ble­men umge­hen und erwähnt dann lobend und ver­glei­chend den Osten. Wenn man genau hin­hört oder hin­ter­her noch mal drü­ber nach­denkt, merkt man, dass der Osten nicht zu „wir“ gehört. Der Osten ist immer das Ande­re, das Abwei­chen­de. Etwas mit dem man sich ver­glei­chen kann. 

Wir sind halt kei­ne dop­pel­ten Lott­chen. Wir leben in unse­rer Gesell­schaft. Wir kön­nen hier nur Ver­glei­che anziehn. Bei­spiels­wei­se zu den ost­deut­schen Län­dern, wo immer noch es viel, viel selbst­ver­ständ­li­cher ist, dass Frau­en auch erwerbs­tä­tig, auch ganz­tags erwerbs­tä­tig sind.

Zer­back, Sarah, 15. Mai 2024: Sozio­lo­gin zu Fami­li­en: 33-Stun­den-Woche für bei­de Eltern­tei­le ide­al Inter­view mit Prof. Jut­ta All­men­din­ger. Rele­van­ter Teil beginnt ab 4:03.

Als Wissenschaftler*in müss­te man sagen: Bei uns ist das so: Einer­seits haben wir X im Wes­ten und ande­rer­seits haben wir Y im Osten.

Dass es Unter­schie­de gibt, lässt sich nicht leug­nen. Aber die gibt es auch zwi­schen Nord und Süd (zum Bei­spiel im Fleischverbrauch).

Vie­le Ossis woll­ten lan­ge dazu­ge­hö­ren. Jetzt haben sie auf­ge­ge­ben. Die Schlumpf­par­tei hört ihnen zu. Alle ande­ren haben ver­sagt. Ver­sa­gen immer noch.

Und wie man sieht, ist das Gan­ze nicht nur ein Pro­blem der (West-)Medien, son­dern auch eins der Intel­li­genz, der wis­sen­schaft­li­chen Elite.

Kling, klang, Du und ich – Und was ist mit mir?

Das war lus­tig: Peter Unfried fragt in der taz: „Wer von Ihnen hat schon zu „Kling Klang“ getanzt?“ Ich denk so bei mir: „Äh, Kling Klang? Was meint er? Keim­zeit kann’s ja nicht sein, ist doch ein Wes­si.“ Und dann geht es im Arti­kel dar­um, dass das ein Ossi-Wes­si-Test ist, mit dem man ermit­teln kann, wo jemand herkommt.

Keim­zeit ist Schla­ger. Biss­chen über banal. Das Lus­ti­ge ist, dass mir Nor­bert Lei­se­gang als Sup­port von San­dow unter­ge­kom­men ist, wes­halb ich ihn sogar foto­gra­fiert habe.

Peter Unfried schreibt: 

Eine vol­le Tanz­flä­che bei „Kling Klang“ wird es nicht rei­ßen, aber es wäre ein Anfang, eine Ges­te des kul­tu­rell-bio­gra­fi­schen Respekts, die du und ich uns echt abrin­gen sollten.

Peter Unfried: Ossis und Wes­sis: Wer hat zu „Kling Klang“ getanzt? taz, 23.04.2024

Es gibt drei Mög­lich­kei­ten, wie ich auf die­se Zei­len ant­wor­ten kann.

  • Ich schreie drei mal India­ner! Weil die Wes­sis sich jetzt ein­fach unse­re Kul­tur aneig­nen! Selbst #Keim­zeit wol­len sie uns wegnehmen.
  • Ich sage schlicht, dass ich nie zu Keim­zeit tan­zen wer­de. Dann lie­ber gleich zu Sandow.
  • Ich wei­se dar­auf hin, dass die­ser ver­damm­te Wes­si Peter Unfried für dich und für sich sel­ber geschrie­ben hat, aber nicht für uns, denn Wes­sis reden nicht mit uns, son­dern über uns und dass sie mal nett zu uns sein sollten.

Ich habe das Gan­ze für Mast­o­don etwas zuge­spitzt, aber das Bei­spiel illus­triert doch recht schön, dass „die Medi­en“ über uns schrei­ben, als wären wir nicht im sel­ben (Diskurs-)Raum. Selbst wenn sie wie Peter Unfried im Kon­kre­ten und die taz im All­ge­mei­nen das Pro­blem erkannt haben und eine Wie­der­ver­ei­ni­gung her­bei­füh­ren wol­len. Der Osten, das sind immer die Ande­ren. Selbst bei Wissenschaftler*innen, die doch neu­tra­ler und sys­te­ma­ti­scher vor­ge­hen soll­ten. Sie­he Blog-Post über ein Radio-Inter­view mit Jut­ta Allmendinger.

PS: Mir ist erst spä­ter auf­ge­fal­len, dass das „Du und ich“ eine geschick­te Wie­der­auf­nah­me des Lied­tex­tes war. Nur ist sie lei­der für alle, die „Born in the GDR“ sind, dane­ben gegangen.

Kai-Uwe Kohl­schmidt, Sän­ger von Sandow
her­vor­ge­ho­be­ner Leser­brief in der taz, die zum taz-Lab erschie­nen ist.
Leser­brief in der taz, die zum taz-Lab erschie­nen ist.

Anne Rabe – Leserbriefe

Ich habe vie­le, vie­le Reak­tio­nen zu mei­nem Arti­kel über Anne Rabes Buch in der Ber­li­ner Zei­tung bekom­men: Leser­brie­fe über die BLZ, Emails direkt an mich, Brie­fe und Post-Kar­ten, Anru­fe, Hin­wei­se auf Bücher mit eige­nen Bio­gra­fien, ja sogar ein Päck­chen mit einem sol­chen Buch. Eine Zuschrift war eine Inter­view­an­fra­ge eines Ham­bur­ger Radio-Sen­ders. Das Inter­view in „Hei­ße Tas­se“ hat inzwi­schen statt­ge­fun­den und ist auch Bestand­teil mei­nes Blogs gewor­den. Ins­ge­samt waren von den Zuschrif­ten 30 posi­tiv und sechs in ein­zel­nen Punk­ten kri­tisch oder ins­ge­samt nega­tiv (Stand 14.06.2024). Zu den negativen/kritischen möch­te ich hier Stel­lung neh­men. Tei­le posi­ti­ver und nega­ti­ver Brie­fe wur­den in der Ber­li­ner Zei­tung am 01.06.2024 ver­öf­fent­licht. Dazu gibt es eine Ant­wort in der BLZ vom 15.06.2024. Der ursprüng­li­che Ant­wort­text war 17.000 Zei­chen lang und lag somit deut­lich über den 5.000 zur Ver­fü­gung ste­hen­den Zei­chen. Die­ser Text über­lappt sich etwas mit den Ant­wor­ten hier.

Saarbrücken ist nicht Neunkirchen

Auf Mast­o­don und von einem Leser wur­de ich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Erich Hon­ecker nicht in Saar­brü­cken son­dern in Neun­kir­chen gebo­ren ist. Die­ser Feh­ler tut mir Leid. Er war im ursprüng­li­chen Blog­post nicht ent­hal­ten und mei­ne Erin­ne­rung hat mich wohl der Poin­te wegen beim Schrei­ben des Arti­kels getäuscht. Da ich den gedruck­ten Arti­kel in der Ber­li­ner Zei­tung nicht mehr ändern kann, wer­de ich den Hon­ecker-Ein­trag in der Wiki­pe­dia ändern. (Das war ein Scherz, der zum nächs­ten Abschnitt überleitet.)

Wikipedia ist keine wissenschaftliche Quelle

Mehr­fach kam der Ein­wand, dass Wiki­pe­dia kei­ne wis­sen­schaft­li­che Quel­le ist. Das ist mir durch­aus bewusst. Ich bil­de Student*innen im wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten aus (sie­he hier mei­ne Richt­li­ni­en für Haus­ar­bei­ten). In der Online-Ver­si­on des Arti­kels sind die wis­sen­schaft­li­chen Quel­len zitiert. Im Druck-Arti­kel war dafür kein Platz, aber am Ende des Arti­kels gibt es einen Ver­weis auf die Online-Ver­si­on.

Wiki­pe­dia ist auch für Wissenschaftler*innen ein ers­ter Anlauf­punkt. Man kann dort nach­le­sen und dann die dort zitier­te Fach­li­te­ra­tur kon­sul­tie­ren. Im Fall der Amok­läu­fe und der Kinds­tö­tun­gen habe ich das getan. Der Ver­weis auf Wiki­pe­dia im BLZ-Arti­kel und hier im Blog-Post hat­te den Sinn zu zei­gen, wie ein­fach es gewe­sen wäre, einen Start­punkt für wei­te­re Recher­chen zu fin­den. Weder Anne Rabe noch irgendeine*r der Buchpreis-Juror*innen oder Rezensent*innen (Aus­nah­me Wieb­ke Hol­ler­sen) hat das getan. Ich zitie­re hier mei­nen Artikel:

Zusam­men­fas­send kann man sagen, dass Anne Rabes Buch an vie­len wich­ti­gen Stel­len gra­vie­ren­de Feh­ler ent­hält, die oft­mals durch nur einen Klick in die ent­spre­chen­den Wiki­pe­dia-Arti­kel oder einen zwei­ten Klick in die dort ver­link­te Fach­li­te­ra­tur als sol­che erkannt wer­den können.

Ein wei­te­rer Grund, Wiki­pe­dia in bestimm­ten Situa­tio­nen zu ver­wen­den, ist, dass Argu­men­ta­tio­nen nach­voll­zieh­bar sein sol­len. Die ver­link­ten Doku­men­te müs­sen dazu zugäng­lich sein. Das ist bei Fach­pu­bli­ka­tio­nen lei­der immer noch nicht der Fall. Eine Zusam­men­stel­lung der Fak­ten über die Wehr­sport­grup­pe Hoff­mann wäre zum Bei­spiel nicht zu leis­ten. Ich müss­te dazu im Prin­zip Wiki­pe­dia replizieren.

Absolute und relative Zahlen

Ein Pro­fes­sor schreibt mir:

Wenn Herr Pro­fes­sor Mül­ler so stark auf die Rich­tig­keit der Fak­ten abstellt, was die Aus­sa­gen von Frau Rabe in Ihrem Buch „Die Mög­lich­keit von Glück“ angeht, so ist das nicht zu bean­stan­den. Es stimmt mich aber bedenk­lich — und das stellt dann auch den gan­zen Arti­kel in Fra­ge — wenn die Aus­sa­gen der Autorin bewusst (?) nicht rich­tig inter­pre­tiert wer­den. Wenn im Jah­re 2006 im Wes­ten 48 und im Osten 34 Kinds­tö­tun­gen erfolg­ten, dann kann man nicht ein­fach sagen, dass dies 29% weni­ger Tötun­gen im Osten waren als im Wes­ten. Wer die­se Zah­len näm­lich ins Ver­hält­nis zum Bevöl­ke­rungs­an­teil setzt, der stellt fest, dass 2006 4x mehr West­deut­sche als Ost­deut­sche in Deutsch­land leb­ten. Wenn ich die Zahl 48 mit 4 mul­ti­pli­zie­re, dann ist das Ergeb­nis 192. Die Aus­sa­ge von Frau Rabe — rich­tig inter­pre­tiert — fällt sogar noch güns­tig für die Ost­deut­schen aus. 

Herr Pro­fes­sor Mül­ler: Wenn man so anspruchs­voll daher­kommt, soll­te man sich schon etwas mehr Mühe geben.

Leser­brief OL

Die­se Aus­sa­ge ent­hält die Unter­stel­lung, ich hät­te die Autorin bewusst fehl­in­ter­pre­tiert. Hier ist die zitier­te Stel­le aus mei­nem BLZ-Artikel:

Als letz­ten Punkt möch­te ich die Kinds­tö­tun­gen anspre­chen. Anne Rabe behaup­tet in ihrem Nicht-Sach­buch, dass die Zahl der Kinds­tö­tun­gen in den 90er- und 2000er-Jah­ren im Osten dop­pelt so hoch war wie im Wes­ten und im Jahr 2006 auf das Vier­fa­che anstieg. Schaut man in Stu­di­en zur Poli­zei­li­chen Kri­mi­nal­sta­tis­tik (PKS) die­ser Jah­re, stellt man fest, dass die Fall­zah­len ins­ge­samt so klein sind, dass man kei­ne sta­tis­tisch rele­van­ten Aus­sa­gen machen kann. 

Außer­dem wei­sen die Autorin­nen dar­auf hin, dass die Fäl­le mit dem Jahr der Erfas­sung in die PKS ein­ge­hen. Das war für die neun Kinds­tö­tun­gen, die in Frank­furt (Oder) zwi­schen 1988 und 1999 statt­fan­den, das Jahr 2006. Dadurch ist der extre­me Anstieg von 2006 zu erklä­ren, denn die Fall­zah­len ins­ge­samt sind sehr klein. Zu guter Letzt ist die Aus­sa­ge von Anne Rabe, die Zahl der Kinds­tö­tun­gen sei im Osten dop­pelt so hoch wie im Wes­ten gewe­sen, schlicht falsch. Wenn dem so wäre, wäre das wirk­lich extrem, denn im Osten gibt es viel weni­ger Men­schen und viel gerin­ge­re Gebur­ten­ra­ten als im Westen.

Die abso­lu­ten Zah­len für 2006 betra­gen 48 tote Kin­der für West­deutsch­land und 34 für Ost­deutsch­land – das sind 29 Pro­zent weni­ger. Wenn die abso­lu­ten Zah­len im Osten vier­mal so groß wie im Wes­ten gewe­sen wären, hät­ten es 192 statt 34 Kinds­tö­tun­gen sein müssen.

Die Kri­tik des Lesers ist sehr merk­wür­dig, denn ich habe im Satz vor den abso­lu­ten Zah­len geschrie­ben, dass es im Osten viel weni­ger Men­schen und viel nied­ri­ge­re Geburts­ra­ten gibt als im Wes­ten und dass man, wenn man die abso­lu­ten Zah­len betrach­ten wür­de, nicht auf eine um den Fak­tor vier höhe­re Tötungs­zahl kom­men könn­te. Im von mir ein­ge­reich­ten Bei­trag stand auch noch ein Satz zur Ermitt­lung der Opfer­zif­fern (OZ). Rele­vant sind die Kinds­tö­tun­gen pro 100.000 Men­schen im rele­van­ten Alter (Kin­der unter sechs Jahren). 

Lei­der ist die­ser Satz im Redak­ti­ons­pro­zess ver­lo­ren gegan­gen, was mir nicht auf­ge­fal­len ist. Ich hät­te den gan­zen Absatz noch ein­mal sorg­fäl­tig lesen müs­sen. Jetzt steht fol­gen­des in der Online-Version:

Die abso­lu­ten Zah­len für 2006 sind für West­deutsch­land 48 und für Ost­deutsch­land 34. Was unter­sucht wur­de, ist die Anzahl der Kinds­tö­tun­gen pro 100.000 Kin­dern unter sechs Jahren. 

Im Ori­gi­nal-Blog­post zum The­ma ist das rich­tig. Hier noch ein­mal die Gra­fik aus der Poli­zei­sta­tis­tik mit den rela­ti­ven und abso­lu­ten Zahlen:

Man sieht sehr schön, dass die rela­ti­ven Zah­len (West 1,28 vs. Ost 5,76) sich anders ver­hal­ten als die abso­lu­ten (48 vs. 34). Die rela­ti­ven Zah­len sind in der Tat um den Fak­tor vier höher, die abso­lu­ten Zah­len sind aber um 29 % niedriger.

Wer spricht?

Leser Rein­hard Brett­schnei­der schreibt:

Sehr geehr­ter Herr Mül­ler, lie­be Ber­li­ner Zei­tung, es ist sehr gut, dass die Ber­li­ner Zei­tung so viel­fäl­tig und frei Men­schen ihre Mei­nung schrei­ben lässt. Ich fin­de es super, Herr Mül­ler, dass Sie die­sen Frei­raum nut­zen. Ich bin froh, dass ich, sei­ner­zeit 29 Jah­re alt, mit dem Ende der DDR die­se Frei­hei­ten auch dort erle­ben konn­te.

Ich fin­de mich in Ihren Arti­kel in kei­ner Wei­se wie­der. Für mich ein Arti­kel mehr, der Spal­tung zwi­schen Ost und West erhal­ten will. Und ich per­sön­lich bin sehr froh, dass ich sowohl per­sön­lich als auch beruf­lich die­sen Spal­ter­geist nicht erle­be.

Eine Sache hat mich beson­ders irri­tiert. Gleich am Anfang schlie­ßen Sie
2 Grup­pen aus dem Dis­kurs aus und Ihre Begrün­dun­gen klin­gen für mich wie „nied­ri­ge Beweg­grün­de“ mit denen bei­de Grup­pe, ihre Mei­nung zur DDR bil­den.. Wenn ich ehe­ma­li­ge Oppo­si­tio­nel­le in Medi­en oder anders­wo erle­be, so haben sie sehr unter­schied­li­che und dif­fe­ren­zier­te Mei­nun­gen.
Zu der ande­ren Grup­pe hat­te und habe ich zu wenig Kon­takt.

Ich bin Phy­si­ker und des­halb etwas zah­len­af­fin. Herr Mül­ler, Sie haben voll­kom­men recht, dass Frau Rabe falsch liegt, wenn sie behaup­tet hat, dass die abso­lu­te Zahl der Kinds­tö­tun­gen in in den neu­en Bun­des­län­dern über den der alten Län­der lag. Ich ken­ne das Ori­gi­nal­zi­tat von Frau Rabe nicht, aber üblich sind in sol­chen Fäl­len für Ver­glei­che natür­lich rela­ti­ve Zah­len.
Gro­be Zah­len zum ein­fa­chen Rech­nen: Neue Län­der ca. 14 Mio (inkl. 1,4 Mio Ber­lin), alte Län­der 70 Mio., 25 (=34–9 wegen des Son­der­ef­fekts) vs.
48 macht einen Anteil von 1,8 pro Mio Ein­woh­ner gegen 0,7 pro 1 Mio. Das ist etwa das 2,5 fache. Das ist schon eine deut­li­che Kor­re­la­ti­on, ins­be­son­de­re wenn es über einen lan­gen Zeit­raum so war. Kor­re­la­ti­on ist kei­ne Kau­sa­li­tät. Und ich ver­mu­te, dass die abso­lu­te Zahl (zum Glück) so klein ist, dass die gewiss viel­fäl­ti­gen Ursa­chen nicht wis­sen­schaft­lich erforscht wer­den.

Lie­be Ber­li­ner Zei­tung, auch wenn Sie für die OS-Arti­kel inhalt­li­che Ver­ant­wor­tung aus­schlie­ßen, wäre ein Fak­ten­check bei einem Arti­kel, der sich auf Fak­ten beruft, viel­leicht doch angebracht.

Leser­brief Rein­hard Brettschneider

Hier die ein­zel­nen Punk­te kommentiert:

Für mich ein Arti­kel mehr, der Spal­tung zwi­schen Ost und West erhal­ten will. Und ich per­sön­lich bin sehr froh, dass ich sowohl per­sön­lich als auch beruf­lich die­sen Spal­ter­geist nicht erlebe.

Leser­brief Rein­hard Brettschneider

Sehr geehr­ter Herr Brett­schnei­der, ein ers­ter Bei­trag zur Hei­lung wäre ein ange­mes­se­ne Wahr­neh­mung der Tat­sa­chen, eine fai­re Bericht­erstat­tung in den Medi­en. Die­se ist nicht gege­ben, wes­halb ich die­sen Blog betrei­be. Ich erle­be die­sen Spal­ter­geist auch weder beruf­lich noch per­sön­lich. Wir hat­ten gera­de eine pri­va­te Par­ty mit ca. 70 Men­schen, bei denen wahr­schein­lich 80 Pro­zent aus dem Wes­ten waren. Wir waren mit Fami­li­en aus dem Wes­ten im Urlaub usw. In mei­nem Umfeld an der Hum­boldt-Uni kom­me ich prims­tens mit allen aus. Eini­ge mei­ner Kolleg*innen haben mich auch auf den Arti­kel ange­spro­chen. Posi­tiv. Die Spal­tung ist real. Gera­de auch bei Pro­fes­su­ren zeigt sie sich. Ich bin an unse­rem Insti­tut an einer Ost-Uni der ein­zi­ge Ossi von neun Pro­fes­su­ren. Von 22 Jura-Professor*innen sind zwei aus dem Osten. Ich habe in Ich will was sagen über mei­ne Ent­wick­lung zum Ossi und die Grün­de für die­sen Blog geschrie­ben. Spal­tung liegt mir fern. Wis­sen­schaft geht auch ohne­hin nur gemein­sam. Ich habe lan­ge Jah­re in Saar­brü­cken, Bre­men, in Jena und auch an der FU-Ber­lin gear­bei­tet. Aus­schließ­lich mit West-Professor*innen. Ich bin auch ins DFG-Fach­kol­le­gi­um gewählt wor­den. Das Fach­kol­le­gi­um ver­gibt die For­schungs­mit­tel, die Wissenschaftler*innen bean­tra­gen kön­nen. Wäh­len dür­fen alle im betref­fen­den Fach Pro­mo­vier­ten. Auch dort war ich der ein­zi­ge Ossi. Ich habe als Ossi im beruf­li­chen Umfeld kei­ner­lei Pro­ble­me. Ich möch­te hier auf Miss­stän­de hin­wei­sen und die Spal­tung über­win­den. Dazu ist es wich­tig, dass ten­den­ziö­ser Bericht­erstat­tung etwas ent­ge­gen­ge­stellt wird. 

Eine Sache hat mich beson­ders irri­tiert. Gleich am Anfang schlie­ßen Sie
2 Grup­pen aus dem Dis­kurs aus und Ihre Begrün­dun­gen klin­gen für mich wie „nied­ri­ge Beweg­grün­de“ mit denen bei­de Grup­pe, ihre Mei­nung zur DDR bil­den.. Wenn ich ehe­ma­li­ge Oppo­si­tio­nel­le in Medi­en oder anders­wo erle­be, so haben sie sehr unter­schied­li­che und dif­fe­ren­zier­te Mei­nun­gen.
Zu der ande­ren Grup­pe hat­te und habe ich zu wenig Kontakt.

Leser­brief Rein­hard Brettschneider

Ich habe zu die­sem Punkt in einem Blog-Post über einen Arti­kel von Patri­ce Pou­trus geschrie­ben. Ad homi­nem-Argu­men­te sind immer schwach, in bestimm­ten Dis­kus­sio­nen sogar schlecht, eine Form von What­a­bou­tism. Aber in der aktu­el­len Situa­ti­on ist es schon wich­tig zu schau­en, wer spricht. Mir geht es um extre­me Ansich­ten. Es gibt His­to­ri­ker oder ande­re Autor*innen, die kein gutes Haar an der DDR las­sen und eben auch fak­tisch Fal­sches oder logisch Unhalt­ba­res von sich geben. Und man fragt sich dann, war­um sie das tun. Patri­ce Pou­trus war in der DDR haupt­amt­li­cher FDJ-Sekre­tär. Er hat vor der Wen­de ange­fan­gen Geschich­te zu stu­die­ren. Das waren nur die rötes­ten Socken. Genau­so kommt Ines Gei­pel aus einem Eltern­haus mit Sta­si-IM, der für Ter­ror­an­schlä­ge auf dem Gebiet der BRD zustän­dig war. Kaha­ne ist die Toch­ter eines füh­ren­den DDR-Jour­na­lis­ten. Die­se Men­schen haben sich irgend­wann von ihrer Ver­gan­gen­heit gelöst, sind dabei aber über das Ziel hin­aus­ge­schos­sen. Sie sind kei­ne ver­läss­li­chen his­to­ri­schen Zeit­zeu­gen, so wie Anne Rabe auch kei­ne ver­läss­li­che Quel­le in Bezug auf die DDR ist. Der Abschnitt mit der Selbst­vor­stel­lung in der Ber­li­ner Zei­tung ist – gemes­sen an dem, was ich hät­te auch noch sagen wol­len und müs­sen – viel­leicht etwas zu lang gera­ten. Er war nötig, um zu zei­gen, dass ich kein „Im Osten war alles dufte“-Mensch bin, kein Ost­al­gi­ker und kein Jam­mer-Ossi (ein Begriff zur pau­scha­len Zurück­wei­sung aller Klagen).

Übri­gens war ich beim taz-Lab mit zwei Ost­le­rin­nen, die bei­de in der Jun­gen Gemein­de waren. Eine der bei­den ist in der zehn­ten Klas­se aus poli­ti­schen Grün­den von der Schu­le geflo­gen. Sie hat einen Aus­rei­se­an­trag gestellt und durf­te zwei Wochen vor Mau­er­öff­nung in den Wes­ten aus­rei­sen. Wir fan­den es alle drei kuri­os, dass jetzt die Dissident*innen die DDR ver­tei­di­gen müs­sen. Also: Es gibt immer sone und sol­che. Ich ver­su­che, ein dif­fe­ren­zier­tes Bild von der DDR zu zeichnen.

Ich bin Phy­si­ker und des­halb etwas zah­len­af­fin. Herr Mül­ler, Sie haben voll­kom­men recht, dass Frau Rabe falsch liegt, wenn sie behaup­tet hat, dass die abso­lu­te Zahl der Kinds­tö­tun­gen in in den neu­en Bun­des­län­dern über den der alten Län­der lag. Ich ken­ne das Ori­gi­nal­zi­tat von Frau Rabe nicht, aber üblich sind in sol­chen Fäl­len für Ver­glei­che natür­lich rela­ti­ve Zah­len.
Gro­be Zah­len zum ein­fa­chen Rech­nen: Neue Län­der ca. 14 Mio (inkl. 1,4 Mio Ber­lin), alte Län­der 70 Mio., 25 (=34–9 wegen des Son­der­ef­fekts) vs.
48 macht einen Anteil von 1,8 pro Mio Ein­woh­ner gegen 0,7 pro 1 Mio. Das ist etwa das 2,5 fache. Das ist schon eine deut­li­che Kor­re­la­ti­on, ins­be­son­de­re wenn es über einen lan­gen Zeit­raum so war. Kor­re­la­ti­on ist kei­ne Kau­sa­li­tät. Und ich ver­mu­te, dass die abso­lu­te Zahl (zum Glück) so klein ist, dass die gewiss viel­fäl­ti­gen Ursa­chen nicht wis­sen­schaft­lich erforscht wer­den.

Lie­be Ber­li­ner Zei­tung, auch wenn Sie für die OS-Arti­kel inhalt­li­che Ver­ant­wor­tung aus­schlie­ßen, wäre ein Fak­ten­check bei einem Arti­kel, der sich auf Fak­ten beruft, viel­leicht doch angebracht.

Leser­brief Rein­hard Brettschneider

Lie­ber Herr Brett­schnei­der, ich habe ange­fan­gen, Mathe­ma­tik zu stu­die­ren, dann – als es den Fach­be­reich gab – zu Infor­ma­tik gewech­selt und in Infor­ma­tik pro­mo­viert. Ich bin auch zah­len­af­fin. Im vori­gen Abschnitt habe ich erklärt, was schief gegan­gen ist. Der Satz bezüg­lich der Kinds­tö­tun­gen pro 100.000 Gebur­ten ist dem Ping-Pong mit der zustän­di­gen Redak­teu­rin zum Opfer gefal­len. Sie hat­te ange­merkt, dass mit den abso­lu­ten Zah­len etwas unklar sei, wes­halb ich dann noch ein­ge­fügt hat­te, wie hoch die abso­lu­ten Zah­len sein müss­ten, wenn man Anne Rabes Aus­sa­ge zugrun­de­le­gen wür­de. Hier kön­nen Sie auch sehen, dass die Redak­ti­on durch­aus auch inhalt­lich mit mir an dem Arti­kel gear­bei­tet hat. Die Ver­öf­fent­li­chung wur­de um meh­re­re Wochen ver­zö­gert, weil da noch Din­ge geprüft wur­den. Es wäre übri­gens nicht kor­rekt, wie Sie vor­ge­schla­gen haben, die Bevöl­ke­rungs­grö­ßen zum Ver­gleich her­an­zu­zie­hen. Das kann man sehen, wenn man sich über­legt, was wäre, wenn in den neu­en Bun­des­län­dern in einem Jahr nur ein Kind gebo­ren wür­de. Wenn die­ses dann getö­tet wür­de, wäre die Zahl der getö­te­ten Kin­der pro Ein­woh­ner extrem gering. Die Zahl der Kinds­tö­tun­gen pro Geburt läge aber bei 100%. Was in der Poli­zei­sta­tis­tik also ange­ge­ben wur­de sind die Zahl der Kinds­tö­tun­gen pro 100.000 Gebur­ten. Das wäre ver­gleich­bar, wenn es nicht Pro­ble­me mit Dun­kel- und Hell­feld in der Erfas­sung und das Pro­blem der ins­ge­samt zu nied­ri­gen Fall­zah­len gäbe, die Sie ja auch anspre­chen. Man kann dar­aus abso­lut nichts ablei­ten. Das habe ich im Arti­kel auch geschrieben:

Schaut man in Stu­di­en zur Poli­zei­li­chen Kri­mi­nal­sta­tis­tik (PKS) die­ser Jah­re, stellt man fest, dass die Fall­zah­len ins­ge­samt so klein sind, dass man kei­ne sta­tis­tisch rele­van­ten Aus­sa­gen machen kann.

Die Autorin­nen der zitier­ten Stu­die schrei­ben das auch expli­zit (Höynck, Behn­sen & Zäh­rin­ger. 2015: 337). Sie kön­nen in der Stu­die auch noch wei­te­re pro­ble­ma­ti­sche Aspek­te fin­den. Zum Bei­spiel Auf­nah­me des Falls durch die Poli­zei vs. Ankla­ge vs. Ver­ur­tei­lung. Die PKS lis­tet die Fäl­le erst mal nur aus der Sicht der Poli­zei. Es kann sich dann immer noch her­aus­stel­len, dass die Sach­la­ge anders war. Ich bit­te Sie, noch mei­nen ori­gi­na­len Blog-Post zu dem The­ma Kinds­tö­tun­gen zu lesen. Da sind die Grün­de, war­um man aus der PKS nichts ablei­ten kann, genau erklärt. Lei­der konn­te ich auf der einen Sei­te, die mir zur Ver­fü­gung stand, nicht tie­fer ins Detail gehen.

Kausalität und Faktencheck

Im fol­gen­den Leser­brief geht es um die Tat­sa­che, dass der Faschis­mus im Osten in sei­ner jet­zi­gen Aus­prä­gung nicht ohne den Wes­ten mög­lich gewe­sen wäre. Wie ich im Ori­gi­nal-Arti­kel aus­ge­führt habe, haben die Poli­zei und auch zustän­di­ge Politiker*innen in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen mas­siv ver­sagt. Alle betei­lig­ten waren aus dem Wes­ten und trotz Ankün­di­gung der Aus­schrei­tun­gen im Wochen­en­de. Par­tei­struk­tu­ren wur­den von Neo­na­zis auf­ge­baut (Deut­sche Alter­na­ti­ve), rech­te und rechts­extre­me Akti­vi­tä­ten von Gerich­ten und Ver­fas­sungs­schutz geschützt oder gedeckt. Ich gebe hier einen Leser­brief kom­plett wie­der und gehe dann auf Details ein:

Das Lesen des Bei­tra­ges von Herrn Ste­fan Mül­ler hat mich doch etwas ärger­lich gemacht, denn von einem Hoch­schul­leh­rer hät­te ich doch ein wenig mehr erwar­tet. Aber mal im ein­zel­nen: Ich fand den Ton des Bei­tra­ges schon etwas gei­fernd, was eigent­lich unnö­tig ist, denn wenn man jeman­den Feh­ler nach­wei­sen kann, kommt das in sach­li­cher Ton­la­ge durch­aus bes­ser an. Ein Ver­ständ­nis von Kau­sa­li­tät, was ist  Ursa­che und was ist Fol­ge, hat Herr Mül­ler offen­bar auch nicht so recht. Denn zu den Aus­schrei­tun­gen in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen schriebt er tri­um­phie­rend: „Die Neo­na­zis aus dem Wes­ten kam am zwei­ten Tag“ – ja, wenn es einen ers­ten Tag, völ­lig ohne Neo­na­zis aus dem Wes­ten nicht gege­ben hät­te, dann hät­te es auch kei­nen zwei­ten Tag geben kön­nen. Der Ver­such ging dann doch in die Hose. Und der Ver­such mit Höcke und Kal­bitz geht dane­ben: „Höcke und Kal­bitz sind aus dem Wes­ten“. Ja, natür­lich, aber da sind sie nichts gewor­den, waren klei­ne Lich­ter, groß sind sie erst im Osten gewor­den. Und ein paar Zei­len spä­ter sieht Herr Mül­ler das dann offen­bar auch selbst ein: „Natür­lich gehört zum Erfolg der Nazis in Ost­deutsch­land das Fuß­volk, das begeis­tert mit­macht“. Ja, natür­lich, ohne Fuß­volk kann man in der Poli­tik gar nichts werden. 

Und dann die Geschich­te mit den „Nazi-Auf­mär­schen“. Dass die Ver­samm­lungs­frei­heit ein hohes Gut ist, ist gera­de erst zum 75. Jubi­lä­um des Grund­ge­set­zes wie­der betont wor­den, und dass es hohe Hür­den gibt, bevor eine Demons­tra­ti­on ver­bo­ten wer­den kann soll­te auch bekannt sein. Dafür die Ver­wal­tungs­rich­ter in Gera zu schel­ten und dann auch noch dar­auf hin­zu­wei­sen, dass alle drei „Wes­sis“ sind, das geht nun wirk­lich an der Sache vor­bei. Es gibt in der Bun­des­re­pu­blik – anders als frü­her in der DDR – eine poli­tisch unab­hän­gi­ge Jus­tiz, die nach Recht und Gesetz zu ent­schei­den hat und nicht nach poli­ti­scher Oppor­tu­ni­tät. Dass das manch­mal schwer aus­zu­hal­ten ist, ver­ste­he ich, zumal der zitier­te Jena­er Bür­ger­meis­ter, der den Auf­marsch ver­bie­ten woll­te, ein Par­tei­freund von mir ist. Aber das gehört lei­der nun mal zu einem frei­heit­li­chen Rechts­staat dazu.

Leser­brief Bern­hard Kavemann

Ich ver­ste­he die Emo­tio­na­li­tät des Leser­brief­schrei­bers. Ich bin auch manch­mal emotional.

Nun zu den Details:

Ein Ver­ständ­nis von Kau­sa­li­tät, was ist  Ursa­che und was ist Fol­ge, hat Herr Mül­ler offen­bar auch nicht so recht. Denn zu den Aus­schrei­tun­gen in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen schriebt er tri­um­phie­rend: „Die Neo­na­zis aus dem Wes­ten kam am zwei­ten Tag“ – ja, wenn es einen ers­ten Tag, völ­lig ohne Neo­na­zis aus dem Wes­ten nicht gege­ben hät­te, dann hät­te es auch kei­nen zwei­ten Tag geben können. 

Leser­brief Bern­hard Kavemann

Wer am ers­ten Tag da war, weiß ich nicht. Dar­um geht es auch in dem Bei­trag nicht. Es geht um die Fak­ten bzgl. Ros­tock-Lich­ten­ha­gen und da liegt Anne Rabe falsch. Bit­te lesen Sie auch den Blog-Abschnitt „Nazis aus dem Wes­ten“ zu die­sem The­ma. Man hät­te die­se Aus­schrei­tun­gen sofort unter­bin­den müs­sen. Das ist nicht gesche­hen, weil die Poli­zei­füh­rung und Poli­ti­ker alle­samt zuhau­se waren und der Mob trotz mona­te­lan­ger vor­he­ri­ger Ankün­di­gung unge­hin­dert toben konn­te. Nazi-Ver­bre­chen sind nie kon­se­quent ver­folgt wor­den, wes­halb sich das Pro­blem immer wei­ter zuge­spitzt hat.

Und der Ver­such mit Höcke und Kal­bitz geht dane­ben: „Höcke und Kal­bitz sind aus dem Wes­ten“. Ja, natür­lich, aber da sind sie nichts gewor­den, waren klei­ne Lich­ter, groß sind sie erst im Osten gewor­den. Und ein paar Zei­len spä­ter sieht Herr Mül­ler das dann offen­bar auch selbst ein: „Natür­lich gehört zum Erfolg der Nazis in Ost­deutsch­land das Fuß­volk, das begeis­tert mit­macht“. Ja, natür­lich, ohne Fuß­volk kann man in der Poli­tik gar nichts werden. 

Leser­brief Bern­hard Kavemann

Bit­te lesen Sie die Zusam­men­stel­lung der rechts­extre­men AfD-Politiker*innen und auch der Lan­des­vor­sit­zen­den, die auch aus der Online-Ver­si­on des Arti­kels ver­linkt ist. Da kön­nen Sie sehen, wel­che ande­ren AfD­ler es noch gibt und gab. Sie kön­nen ihre Lebens­läu­fe stu­die­ren und selbst nach­prü­fen, ob aus den jewei­li­gen Per­so­nen im Wes­ten nichts gewor­den ist. Die AfD ist von neo­li­be­ra­len Professor*innen aus dem Wes­ten gegrün­det wor­den. Die­se waren Mit­glie­der der CDU/CSU, der FDP und ja, sogar der SPD. Die Par­tei wur­de nach und nach immer extre­mer. Nicht nur im Osten sind extrem rech­te Politiker*innen am Werk. Die im Wes­ten wer­den auch von ihren Lan­des­ver­bän­den immer wie­der gewählt. Auch trotz Aus­schluss­ver­fah­ren wegen Holo­caust-Leug­nung und so wei­ter. Alles bes­tens ver­linkt. Ich erin­ne­re nur an Dr. Alex­an­der „Wir wer­den sie jagen“ Gau­land, Oberst a. D. Georg Paz­der­ski, Dr. Ali­ce Wei­del, Offi­zier Mar­tin Rei­chardt, Doris von Sayn-Witt­gen­stein, PD Dr. phil. Hans-Tho­mas Till­schnei­der, Dr. Wolf­gang Gede­on. Das sind Men­schen mit hohem Bil­dungs­ni­veau, aus denen im Wes­ten schon was gewor­den war. Der ein­drück­lichs­te Beweis:

Gau­land war von 1973 bis 2013 Mit­glied der CDU. Er war im Lau­fe sei­ner Par­tei­kar­rie­re im Frank­fur­ter Magis­trat und im Bun­des­um­welt­mi­nis­te­ri­um tätig und lei­te­te von 1987 bis 1991 die Hes­si­sche Staats­kanz­lei unter Minis­ter­prä­si­dent Wal­ter Wall­mann, der sein Men­tor war.

Und viel­leicht soll­te man auch den Chef des Bun­des­ver­fas­sung­schut­zes Hans-Georg Maa­ßen erwäh­nen, der durch Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Horst See­ho­fer ins Amt geholt wor­den war und der nun selbst durch sei­ne eige­ne Behör­de beob­ach­tet wird. Wie wird man groß?

Und dann die Geschich­te mit den “Nazi-Auf­mär­schen”. Dass die Ver­samm­lungs­frei­heit ein hohes Gut ist, ist gera­de erst zum 75. Jubi­lä­um des Grund­ge­set­zes wie­der betont wor­den, und dass es hohe Hür­den gibt, bevor eine Demons­tra­ti­on ver­bo­ten wer­den kann soll­te auch bekannt sein. Dafür die Ver­wal­tungs­rich­ter in Gera zu schel­ten und dann auch noch dar­auf hin­zu­wei­sen, dass alle drei „Wes­sis“ sind, das geht nun wirk­lich an der Sache vor­bei. Es gibt in der Bun­des­re­pu­blik – anders als frü­her in der DDR – eine poli­tisch unab­hän­gi­ge Jus­tiz, die nach Recht und Gesetz zu ent­schei­den hat und nicht nach poli­ti­scher Oppor­tu­ni­tät. Dass das manch­mal schwer aus­zu­hal­ten ist, ver­ste­he ich, zumal der zitier­te Jena­er Bür­ger­meis­ter, der den Auf­marsch ver­bie­ten woll­te, ein Par­tei­freund von mir ist. Aber das gehört lei­der nun mal zu einem frei­heit­li­chen Rechts­staat dazu.

Leser­brief Bern­hard Kavemann

Bit­te lesen Sie den auch ver­link­ten Arti­kel über die drei Rich­ter in der taz. Wenn man sich anguckt, wie ihre Urtei­le im Ver­gleich zum Bun­des­ge­biet aus­fal­len, ist klar, wer da sitzt. 

In Jena durf­te die NPD Mär­sche im Geden­ken an die Reichs­po­grom­nacht und an den Tod von Hit­ler­stell­ver­tre­ter Rudolf Heß durch­füh­ren. Die Neo­na­zi-Grup­pe „Thügida/Wir lie­ben Ost­thü­rin­gen“ durf­te Hit­lers Geburts­tag am 20. April 2016 mit einem Fackel­zug in Jena fei­ern. Das Gericht kas­sier­te dabei immer wie­der zuvor ver­häng­te Ver­samm­lungs­ver­bo­te des dama­li­gen SPD-Ober­bür­ger­meis­ters Albrecht Schröter.

Wag­ner, Joa­chim. 2024. AfD-nahe Jus­tiz: Die rech­ten Rich­ter von Gera. taz. Ber­lin.

Ist das von der Ver­samm­lungs­frei­heit gedeckt? Freu­den­mär­sche zur Reichs­pro­grom­nacht? Fei­ern zu Hit­lers Geburts­tag? Wirk­lich? Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt sah das bezüg­lich Heß-Auf­mär­schen in Wun­sie­del anders:

Der erwei­ter­te Para­graf 130 stel­le tat­säch­lich einen Ein­griff in die Mei­nungs­frei­heit dar, urteil­ten jetzt die Leip­zi­ger Rich­ter. Die­ser sei jedoch gerecht­fer­tigt, weil es dem Schutz des öffent­li­chen Frie­dens und der Men­schen­wür­de der Opfer und ihrer Nach­kom­men die­ne. Der ver­bo­te­ne Auf­marsch in Wun­sie­del hät­te laut Urteil den öffent­li­chen Frie­den gestört. Er hät­te weit über die Stadt hin­aus Beach­tung gefun­den und ins­be­son­de­re bei Opfern des NS-Regimes die ver­ständ­li­che Furcht aus­ge­löst vor der gefähr­li­chen Aus­brei­tung des Gedan­ken­guts der Neo­na­zis, hieß es.

Erleich­tert reagier­te Wun­sie­dels Bür­ger­meis­ter Karl-Wil­li Beck (CSU): “Wir sind wirk­lich sehr froh. Damit ist ein gewich­ti­ger Kelch an uns vor­über gegan­gen.” Die Ent­schei­dung sei jedoch nicht nur für die Kom­mu­ne von gro­ßer Bedeu­tung, son­dern bundesweit.

“Wir freu­en uns, dass der Spuk im August been­det ist”, sag­te Wun­sie­dels Land­rat, Karl Döh­ler (CSU). Die Rich­ter hät­ten sei­ne Behör­de auf der gesam­ten Linie bestä­tigt. Bay­erns Minis­ter­prä­si­dent Gün­ter Beck­stein (CSU) sprach von einem “guten Tag für den Rechts­staat”. Die Ent­schei­dung stär­ke die­sen gegen Verfassungsfeinde.

dpa. 2019. Ver­schärf­tes Ver­samm­lungs­recht bestä­tigt. Frank­fur­ter Rund­schau. Frankfurt/Main.

Auch zu ande­ren Gele­gen­hei­ten wur­den NPD-Demos ver­bo­ten. Ich habe im fol­gen­den nur Fäl­le auf­ge­führt, bei denen kei­ne beson­de­ren Ver­bots­grün­de (Coro­na-Infek­ti­ons­schutz­maß­nah­men, poli­zei­li­che Über­las­tung am 1. Mai usw.) ange­führt wurden:

Rechts­extre­mis­ti­sche Auf­zü­ge an geschichts­träch­ti­gen Orten und Gedenk­ta­gen sind künf­tig leich­ter zu ver­bie­ten. Laut einer Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts muss einer zuerst ange­mel­de­ten Demons­tra­ti­on nicht zwin­gend Vor­rang gewährt werden.

Der Spie­gel. 2005. Karls­ru­he erleich­tert Ver­bot von NPD-Demos. Der Spie­gel. Hamburg.10.06.2005

Das deut­sche Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVG) in Karls­ru­he hat die für Sams­tag geplan­te Demons­tra­ti­on der rechts­extre­men NPD (Natio­nal­de­mo­kra­ti­sche Par­tei Deutsch­lands) in Ber­lin end­gül­tig ver­bo­ten. Das teil­te ein Spre­cher der Ber­li­ner Poli­zei mit. Das Gericht wies in letz­ter Instanz eine Beschwer­de der Par­tei gegen das poli­zei­li­che Ver­bot des Auf­mar­sches zurück und bestä­tig­te damit eine ent­spre­chen­de Ent­schei­dung der Vorinstanzen.

Zuvor hat­ten bereits das Ver­wal­tungs­ge­richt (VG) und das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Ber­lin das Ver­bot bestä­tigt. In den Vor­in­stan­zen hat­ten die Gerich­te das Ver­bot der Demons­tra­ti­on damit begrün­det, dass bei dem Auf­marsch mit Straf­ta­ten wie Volks­ver­het­zung zu rech­nen sei. Zudem zie­le das Mot­to der gegen isla­mi­sche Zen­tren in der Stadt gerich­te­ten Demons­tra­ti­on — “Ber­lin bleibt deutsch” — dar­auf ab, Feind­se­lig­kei­ten gegen mos­le­mi­sche Bür­ger und ins­be­son­de­re gegen Tür­ken zu schü­ren. Die Ver­an­stal­ter hat­ten rund tau­send Teil­neh­mer erwartet.

Der Stan­dard. 2004. Ver­fas­sungs­ge­richt bestä­tigt Ver­bot von NPD-Demons­tra­ti­on. Der Stan­dard. 26.09.2004

Es scho­ckiert mich, dass ein SPD­ler im Eil­ent­scheid auf­ge­ho­be­ne Ver­bo­te von NPD-Demos zum Hit­ler­ge­burts­tag nor­mal fin­det, wäh­rend sogar CSU­ler für ein Ver­bot von Demos am Todes­tag von Hit­lers Stell­ver­tre­ter gefoch­ten haben und erleich­tert sind, dass der Spuk vor­bei ist. 

Herr Kave­mann, Mit­glie­der mei­ner Fami­lie haben im KZ geses­sen (sie­he Blog-Post zur Kol­lek­tiv­schuld bei Anne Rabe) oder sind gera­de noch so einer Ver­haf­tung ent­gan­gen (aus bei­den Tei­len der Fami­lie). Sie waren alle in Ihrer Par­tei bzw. deren Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on SAJ. Und Sie schrei­ben mir, dass es schon ok ist, dass eine ver­fas­sungs­feind­li­che Orga­ni­sa­ti­on am Hit­ler­ge­burts­tag mit Fackeln durch die Stadt zieht?

Wie die Zita­te oben zei­gen, gibt es Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten. Die rech­ten Rich­ter hät­ten also anders ent­schei­den kön­nen. Und selbst wenn dem nicht so wäre: Die Rich­ter spre­chen unser Recht. Wir kön­nen es ändern. Wir könn­ten dafür sor­gen, dass sol­che Auf­mär­sche ver­bo­ten wären, so wie es für Wun­sie­del ja auch getan wur­de. Wenn so eine Rechts­an­pas­sung für Ver­bo­te von NPD-Auf­mär­schen nötig wäre, so müss­te das von den zustän­di­gen Stel­len umge­setzt wer­den, die haupt­säch­lich mit West-Jurist*innen besetzt sind. Wir sind also wie­der da gelan­det, wo wir ange­fan­gen haben: Das gan­ze Land hat ein Pro­blem und an den Posi­tio­nen, wo man etwas tun kann, sit­zen über­wie­gend Westler.

Jammer-Ossi

Brief aus Rostock.

ich,  „Wes­si“ lebe und arbei­te in Rostock. 

Ich lebe hier ger­ne und bin die­ses Ost- West ziem­lich müde.

Was mich an die­sem (lei­der pseu­do- wis­sen­schaft­li­chen) Arti­kel mas­siv stört, ist das was ich hier so oft höre.

Die man­geln­de Über­nah­me der Eigen­ver­ant­wor­tung. Man war ja doch nur Opfer, man bekam etwas über­ge­stülpt, es gibt doch einen gro­ßen Wes­si Plan hin­ter allem, dahin­ter ste­cken doch ame­ri­ka­ni­sche Mulits und „es gab auch sehr viel Gutes in der DDR“..  das Soft­eis und der Ori­gi­nal DDR Eierlikör… 

Ich kann’s nicht mehr hören! 

1. Es gab und gibt vie­le “Ossi” die Gewin­ner sind. Ros­tock ist voll von gut situ­ier­ten gebür­ti­gen Ros­to­ckern, auch  die ehe­ma­li­gen LPG Vor­sit­zen­den im Land­kreis haben sich gut bedient.

2. Zur Wahr­heit gehört auch: MV ist das Bun­des­land mit der höchs­ten Alko­ho­li­ker­quo­te, der höchs­ten Schul­ab­bre­cher Quo­te, die höchs­te Rate an Dia­be­ti­kern,… ( Ich arbei­te im Gesund­heits­we­sen…). Das ist jetzt mal kein Wes­si Ding aus, denn das war zu Zei­ten der DDR nicht anders- nur bes­ser vertuscht. 

3. Fragt man nach Bewei­sen, wo genau die Wes­si über­all hin­ter ste­cken… Kommt nix! Auch mit den ame­ri­ka­ni­schen Mul­tis… Nix.

Was für eine beque­me mär 

4. Unwis­sen­schaft­lich: In MV (dar­über weiß ich inzwi­schen gut Bescheid — auch über Lich­ten­ha­gen) leben 1.7 Mio. Men­schen. Ten­denz stei­gend — lei­der nur durch Zuzug 65+ Men­schen aus dem Westen). 

Wenn man schon Zah­len ver­gleicht, Herr Pro­fes­sor, dann soll­te die Bezugs­ba­sis stim­men. 1.7 Mio Men­schen leben allei­ne in der Regi­on Han­no­ver mit Braun­schweig, da kom­me ich ursprüng­lich her.

Es nervt total, dass sich die „Ossis“ sel­ber ger­ne schön rechnen.…dann braucht man ja nicht ins Han­deln zu kommen.

Wiki­pe­dia ist übri­gens kei­ne akzep­tier­te Quel­le… Eher hier zur Ver­dum­mung des Lesers genutzt.

Auch das die lini­en­treu­en Rich­ter, Poli­zis­ten, sprich der Kader, initi­al durch Wes­sis aus­ge­tauscht wur­de, ist jetzt kein Geheim­nis und war auch rich­tig – oder soll­ten die SED­ler wei­ter machen? Mein Onkel gehör­te zum Kader auch dazu – und ist noch heu­te so was von lini­en­treu… wür­de  alles zurück­dre­hen. Echt unerträglich!

Es gibt hier (in MV) echt vie­le Pro­ble­me – genau­so wie im Westen.

Mit dem Unter­schied, daß sich dort nie­mand mit Wen­de, die Wes­sis, … raus­re­den kann. 

Und die­ses Nar­ra­tiv soll­te jetzt hier end­lich auch mal aufhören. 

Es gibt vie­le Ros­to­cker die anpa­cken, die gestalten. 

Es gibt aber auch vie­le, die genau so einen Arti­kel nut­zen um sich ent­spannt zurück zu leh­nen, als Opfer rum­stöh­nen, anstatt sich der eige­nen Geschich­te und Ver­ant­wor­tung kri­tisch zu stel­len.  Es gibt ihn schon: den Jam­mer Ossi.

Recht­fer­ti­gen tun sich die Ossis nur dau­ernd vor sich sel­ber… und ver­ge­wis­sern sich, das sie ja nichts machen können. 

Kann das end­lich mal aufhören?!

Leser­brief HR

Ich war mir erst nicht sicher, ob der Vor­stel­lungs­teil, in dem ich über mei­nen Hin­ter­grund geschrie­ben habe, nicht zu lang war. Jetzt bin ich froh, dass ich ihn geschrie­ben habe. Zur man­geln­den Über­nah­me von Eigen­ver­ant­wor­tung kann ich sagen, dass ich das aus eige­ner Anschau­ung bestä­ti­gen kann. Ich habe nach der Wen­de mit Glück eine Stel­le im Wis­sen­schaft­ler­in­te­gra­ti­ons­pro­gramm bekom­men. Die­ses Pro­gramm war für Ostwissenschaftler*innen als Brü­cke gedacht. Sie wur­den drei Jah­re finan­ziert und soll­ten die­se Jah­re dazu benut­zen, sich in das neue aka­de­mi­sche Sys­tem zu inte­grie­ren. Ich hat­te kurz nach der Wen­de bei Prof. Kun­ze an der Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten eine Hilfs­kraft­stel­le und habe dann, als er an die Hum­boldt-Uni­ver­si­tät wech­sel­te, eine Mit­ar­bei­ter­stel­le bekom­men, weil sei­ne Inte­gra­ti­ons­mit­tel frei wur­den, da er einen Lehr­stuhl an der HU bekam. Kurz vor Ablauf der Drei­jah­res­frist gab es ein Tref­fen all der­je­ni­gen, die in die­sem Pro­gramm waren. Ich war auch dabei und war erschüt­tert: Alle klag­ten dar­über, dass sie nun arbeits­los wer­den wür­den und fan­den, die Poli­tik müs­se etwas tun. Dabei wäre es an ihnen gewe­sen, sich irgend­wie inner­halb die­ser drei Jah­re zu bewerben. 

Ich möch­te Ihren Brief jetzt nach den Punk­ten beantworten:

1. Es gab und gibt vie­le „Ossi“ die Gewin­ner sind. Ros­tock ist voll von gut situ­ier­ten gebür­ti­gen Ros­to­ckern, auch  die ehe­ma­li­gen LPG Vor­sit­zen­den im Land­kreis haben sich gut bedient.

Leser­brief HR

Ich sehe mich als abso­lu­ten Gewin­ner an. Das habe ich auch in Ich will was sagen so geschrie­ben. Ich habe eine Fami­lie, ein tol­les Fahr­rad (von 1997), eine Woh­nung und eine Arbeit, die mir gro­ßen Spaß macht. Ich bin Pro­fes­sor am bes­ten sprach­wis­sen­schaft­li­chen Insti­tut, das es in die­sem Land gibt. Zur Zeit bin ich sogar Direk­tor die­ses Insti­tuts. Ich habe über 500.000€ an Dritt­mit­teln ein­ge­wor­ben und damit vie­len Men­schen eine Arbeits­stel­le in mei­nen Pro­jek­ten geben kön­nen. Seit 2014 bin ich Mit­glied in der Aca­de­mia Euro­paea, Sec­tion Lin­gu­i­stic Stu­dies. Mei­ne Erdős-Zahl ist 4. Mein h‑index liegt bei 35 (Goog­le-Scho­lar-Pro­fil). Ich habe mit mei­nem Leip­zi­ger Kol­le­gen Prof. Dr. Mar­tin Has­pel­math (aus dem Wes­ten und sehr in Ord­nung) den wis­sen­schaft­li­chen Ver­lag Lan­guage Sci­ence Press gegrün­det, der sprach­wis­sen­schaft­li­che Bücher im Open Access ver­öf­fent­licht. Über tau­send Autor*innen haben bei uns ver­öf­fent­licht, der Ver­lag hat ins­ge­samt über 2 Mio Down­loads. Noam Chom­sky ist einer unse­rer pro­mi­nen­ten Unterstützer*innen. Ste­ven Pin­ker gehört auch dazu. Ich habe mich nir­gends bedient, das war alles har­te Arbeit. Poli­tisch aktiv bin ich auch: 2021 war ich Kanz­ler­kan­di­dat für die Par­tei Die PARTEI. Außer­dem arbei­te ich neben­be­ruf­lich als Foto­graf. Mein Leben ist erfüllt, man könn­te auch sagen über­füllt. Man­geln­de Eigen­in­itia­ti­ve kön­nen Sie mir sicher nicht vorwerfen.

Mein klei­ner Bru­der ist Pro­fes­sor, mei­ne klei­ne Schwes­ter pro­mo­viert. Uns allen geht es gut. Mei­ne Eltern sind bis auf kur­ze Unter­bre­chun­gen bei mei­ner Mut­ter sogar als Wissenschaftler*innen durch die Wen­de gekom­men. Es tut mir Leid, wenn ich Sie ner­ve, aber ich jam­me­re nicht. Ich beschwe­re mich! Ich tue das, um Pro­ble­me zu lösen, um Din­ge zu ändern. Nicht für mich, son­dern für die­ses Land. Sehen Sie sich die Wahl­er­geb­nis­se an, dann ver­ste­hen Sie viel­leicht mei­ne Motivation.

Von Lebens­mit­teln habe ich im Arti­kel über Anne Rabe nichts geschrie­ben. Im Gegen­teil ich stim­me ihr sogar zu: Schla­ger­süß­ta­fel ist eklig! (sie­he Blog-Post zu Anne Rabe und Schla­ger­süß­ta­fel. In einem frü­he­ren Blog-Post habe ich beschrie­ben, was ich mit mei­nem Freund mit Schla­ger­süß­ta­fel gemacht habe: Schla­ger­süß­ta­fel und Klas­sen­kei­le)

Zu 2. habe ich nichts zu sagen. Ich weiß nicht, was das mit mei­nem Bei­trag zu tun hat.

3. Fragt man nach Bewei­sen, wo genau die Wes­si über­all hin­ter ste­cken… Kommt nix! Auch mit den ame­ri­ka­ni­schen Mul­tis… Nix.

Was für eine beque­me mär 

Leser­brief HR

Ich habe in mei­nem Bei­trag kon­kre­te Per­so­nen bzw. Ereig­nis­se genannt, an denen West-Per­so­nen betei­ligt waren. Politiker*innen und Poli­zis­ten in Lich­ten­ha­gen, Poli­ti­ker, die ehe­mals Ver­fas­sungs­schutz­prä­si­den­ten waren, die rech­ten Rich­ter aus Gera, die Poli­ti­ker der AfD.

Ansons­ten gibt es inzwi­schen auch viel Infor­ma­ti­on zur Treu­hand. Der ers­te Chef von Kahla-Thü­rin­gen Por­zel­lan hat­te kei­ne Ahnung von Por­zel­lan. Sei­ne ein­zi­ge Qua­li­fi­ka­ti­on bestand dar­in, dass er einen Bru­der bei der Treu­hand hat­te. Er hat dann auch sehr schnel­le eine Plei­te hin­ge­legt. Zum Glück war sein Nach­fol­ger ein Por­zel­laner von Rosen­thal. Über die Abwick­lung von Elmo in Wer­ni­ge­ro­de können Sie auch in der Ber­li­ner Zei­tung lesen. Die Vor­stel­lun­gen von Bir­git Breu­el und Det­lef Roh­wed­der kön­nen Sie auch dem Arti­kel ent­neh­men. Aber eigent­lich war das nicht The­ma des Artikels.

Zu vier­tens: Was die Ein­woh­ner­zahl von MV mit irgend etwas, was in dem Arti­kel bespro­chen wur­de, zu tun haben soll, ist mir unklar. Zu Wiki­pe­dia sie­he oben.

Auch das die lini­en­treu­en Rich­ter, Poli­zis­ten, sprich der Kader, initi­al durch Wes­sis aus­ge­tauscht wur­de, ist jetzt kein Geheim­nis und war auch rich­tig – oder soll­ten die SED­ler wei­ter machen? Mein Onkel gehör­te zum Kader auch dazu – und ist noch heu­te so was von lini­en­treu… wür­de  alles zurück­dre­hen. Echt unerträglich!

Leser­brief HR

Ja, das stimmt, denn das Fach­wis­sen war auf Ost­sei­te außer bei ein paar Fachanwält*innen, die bei Schalk-Golod­kow­ski gear­bei­tet haben, nicht vor­han­den. Durch den selbst gewähl­ten Anschluss galt plötz­lich das west­deut­sche Rechts­sys­tem. Man hät­te aber den Auf­bau-Ost anders gestal­ten kön­nen und zum Bei­spiel Ost-West-Tan­dems für Pos­ten bil­den kön­nen. Ossi wird ein­ge­ar­bei­tet und über­nimmt dann spä­ter. Statt­des­sen gab es das Gefühl fremd­be­stimmt zu sein. Das rächt sich jetzt bit­ter, weil vie­le rechts­extrem wäh­len. Die AfD holt die Frus­trier­ten ab.

Es gibt hier (in MV) echt vie­le Pro­ble­me – genau­so wie im Westen.

Mit dem Unter­schied, daß sich dort nie­mand mit Wen­de, die Wes­sis, … raus­re­den kann. 

Leser­brief HR

Bit­te schau­en Sie sich sta­tis­ti­sche Kar­ten an. Sie wer­den immer die Umris­se der DDR erken­nen. Der Wohl­stand ist ver­schie­den ver­teilt. Die Fir­men sit­zen im Wes­ten und besit­zen den Osten. Steu­ern wer­den im Wes­ten am Fir­men­sitz gezahlt nicht vor Ort. Paten­te wer­den im Wes­ten am Fir­men­sitz ange­mel­det. Dar­über kann man schon kla­gen. Übri­gens ist der Pas­sus mit den „gleich­ar­ti­gen Lebens­ver­hält­nis­sen“ in allen Lan­des­tei­len 1994 aus dem Grund­ge­setz gestri­chen worden.

War in Arti­kel 72 Grund­ge­setz einst das Hand­lungs­ziel „ein­heit­li­cher Lebensverhältnisse“ ver­an­kert, wur­de das Adjek­tiv „ein­heit­lich“ 1994 durch das inter­prera­ri­ons­of­fe­ne­re „gleich­wer­tig“ ersetzt.

Mau, Stef­fen (2019). Lüt­ten Klein. S. 163

Das Buch mei­nes Kol­le­gen Prof. Dr. Stef­fen Mau kann ich Ihnen nur wärms­tens emp­feh­len. Er ist Sozio­lo­ge und prä­sen­tiert Ihnen noch wei­te­re Fak­ten. Auch zur Abwick­lung der Eli­ten im Osten und zu den Trans­for­ma­tio­nen im Ost-Block allgemein.

Es gibt aber auch vie­le, die genau so einen Arti­kel nut­zen um sich ent­spannt zurück zu leh­nen, als Opfer rum­stöh­nen, anstatt sich der eige­nen Geschich­te und Ver­ant­wor­tung kri­tisch zu stel­len.  Es gibt ihn schon: den Jam­mer Ossi.

Leser­brief HR

Das kann schon sein. Mir geht es um die ande­re Sei­te, die den gesam­ten Osten seit Jahr­zehn­ten pau­schal beschimpft. So wie auch Sie es getan haben. Ich wei­se dar­auf hin, dass die Schuld am Faschis­mus nicht der Osten allein trägt. Und ich kann das tun, weil ich kein Jam­mer-Ossi son­dern ein erfolg­rei­cher Wis­sen­schaft­ler bin. Und nein, das hört nicht auf. Ich fan­ge gera­de erst an.

Kinderverschickung

Es erstaunt, dass ein deut­scher pro­fes­sor stän­dig wiki­pe­dia als beweis bemüht. Sei­ne mei­nung über kinds­tö­tun­gen ist ein­sei­tig: im wes­ten hat nie­mand gleich meh­re­re neu­ge­bo­re­ne in blu­men­töp­fen abge­legt. Aber im wes­ten hat bis­her nie­mand alle blu­men­töp­fe unter­sucht und das ergeb­nis bei wiki­pe­dia ver­ewigt.
Die erwähn­te „kin­der­land­ver­schi­ckung“ fand übri­gens im bom­ben­krieg statt.
Gemeint ist hier schlicht die kin­der­ver­schi­ckung – bei der es im osten wie im wes­ten zu gewalt und miss­brauch kam. Das soll­te man bei wiki­pe­dia nachtragen. 

Leser­brief F.F., Berlin-wilmersdorf

Es stimmt, es hät­te Kin­der­ver­schi­ckung hei­ßen müs­sen. Vie­len Dank für den Hin­weis, das wur­de jetzt im Arti­kel und über­all hier im Blog kor­ri­giert. Kin­der­ver­schi­ckung habe ich in einem Blog-Post dis­ku­tiert. Soweit ich weiß, sind kei­ne Fäl­le von Miss­brauch bekannt. Das gan­ze Gesund­heits­sys­tem war anders orga­ni­siert. Nicht über­wie­gend kirch­lich und nicht pro­fit­ori­en­tiert. Die Prü­gel­stra­fe war – anders als im Wes­ten – bereits 1949 abge­schafft wor­den (sie­he Blog-Bei­trag Gewalt­er­fah­run­gen und 1968 für den Osten), die staat­li­che und gesell­schaft­li­che Kon­trol­le war in allen Berei­chen des Lebens strikter.

Was haben die Blu­men­töp­fe mit der Dis­kus­si­on zu tun? Es geht um die Anzahl der Kinds­tö­tun­gen pro 100.000 Gebur­ten pro Jahr. Dazu gibt es die Poli­zei­li­che Kri­mi­nal­sta­tis­tik. Und Forschungsliteratur.

Dunkeldeutschland

Auch, dass es ein „Dun­kel­deutsch­land“ gar nicht gab, son­dern eine Erfin­dung von Anne Rabe ist.  Ich war übri­gens bei der Lesung und Dis­kus­si­on des Romans auf dem taz Kon­gress und habe die aggres­si­ven, atem­los vor­ge­tra­ge­nen detail­lier­ten Vor­wür­fe des Herrn Ste­fan Mül­ler mit ange­hört. Sei­ne Wut war kaum zu brem­sen. Nie­mand konn­te sei­ne Behaup­tun­gen nachprüfen. 

Wir Leser*innen sind intel­li­gent genug, zwi­schen einem Roman, der Anre­gun­gen für eige­ne Gedan­ken geben soll, und einer Pau­scha­li­sie­rung einer gan­zen Bevöl­ke­rung wie Herr Mül­ler behaup­tet, zu unter­schei­den. Herr Mül­ler war touché.

Ich habe nicht gesagt, dass es Dun­kel­deutsch­land nicht gab. 

Weil es so eine schö­ne Geschich­te ist, die zu allem passt, was man über Dun­kel­deutsch­land zu wis­sen glaubt.

Zitat aus mei­nem Artikel

Ich ver­wen­de den Begriff ja sogar selbst. Wenn auch sar­kas­tisch. Ich möch­te vor­schla­gen, dass man sei­ne Ver­wen­dung auf das gan­ze Land aus­wei­tet, denn es sieht all­ge­mein recht fins­ter aus (Man rech­ne nur mal die Wahl­er­geb­nis­se von CSU, Frei­en Wäh­lern und AfD in Bay­ern zusam­men.) Übri­gens habe ich im dun­kels­ten Erlan­gen für einen Auf­bau West gekämpft. Laut CSU hat Erlan­gen maro­de Stra­ßen­lam­pen, wes­halb da nur ein Pla­kat dran hän­gen darf. Das von der CSU. Lei­der hat es nicht für eine Mehr­heit gereicht.

Hier ist das Video vom taz-Lab an der Stel­le mit mei­nem Kom­men­tar. Ich hat­te Anne Rabe ange­bo­ten, ihr einen 80seitigen Aus­druck mei­ner Blog-Posts zu über­las­sen. Sie woll­te ihn nicht haben und auch nicht dar­über reden. Damit man mei­ne Behaup­tun­gen nach­prü­fen kann, habe ich die Blog-Posts mit Quel­len­an­ga­ben und dann den Arti­kel in der Ber­li­ner geschrie­ben. Die Behaup­tun­gen über den „Ossi an sich“ fin­den sich im Roman, der kein Sach­buch ist. Zum Bei­spiel an den Stel­len über Amok­läu­fe, zum Bei­spiel an den Stel­len über die Kinds­tö­tun­gen. An Stel­len, wo ein­fach mal behaup­tet wird, dass Anti­se­mi­tis­mus Bestand­teil der real­so­zia­lis­ti­schen Ideo­lo­gie war:

Auch waren Anti­se­mi­tis­mus und Natio­na­lis­mus wich­ti­ge Bestand­tei­le der sowje­ti­schen und real­so­zia­lis­ti­schen Ideologie.

Rabe, Anne. 2023. Die Mög­lich­keit von Glück. Stutt­gart: Klett-Cot­ta.
S. 271

Sie­he Blog-Post zu die­sem The­ma.

Anne Rabe wird dann von einem Bre­mer Poli­tik­pro­fes­sor als Quel­le für sei­ne nicht beleg­ten Behaup­tun­gen bezüg­lich Anti­se­mi­tis­mus zitiert. Das ist ein sich gegen­sei­tig stüt­zen­des Netz von Falsch­be­haup­tun­gen. Hier der Blog-Post zum Poli­tik-Pro­fes­sor. Und falls es Fra­gen zum Anti­se­mi­tis­mus und zu offi­zi­el­len Ein­stel­lun­gen zum Holo­caust in der DDR gibt, kann ich gleich noch den Blog-Bei­trag Der Ossi und der Holo­caust empfehlen.

Danksagungen

Ich möch­te mich bei allen Leserbriefschreiber*innen bedan­ken. Außer­dem dan­ke ich allen Nutzer*innen von Mast­o­don, die sich an der Dis­kus­si­on betei­ligt haben und auch bei der Suche nach NPD-Gerichts­ur­tei­len Tipps gege­ben haben.

Quellen

Der Spie­gel. 2005. Karls­ru­he erleich­tert Ver­bot von NPD-Demos. Der Spie­gel. 10.06.2005. Ham­burg. (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/verfassungsgericht-karlsruhe-erleichtert-verbot-von-npd-demos-a-359875.html)

Der Stan­dard. 2004. Ver­fas­sungs­ge­richt bestä­tigt Ver­bot von NPD-Demons­tra­ti­on. Der Stan­dard. 26.09.2004 (https://www.derstandard.at/story/1804305/verfassungsgericht-bestaetigt-verbot-von-npd-demonstration)

dpa. 2019. Ver­schärf­tes Ver­samm­lungs­recht bestä­tigt. Frank­fur­ter Rund­schau. Frankfurt/Main. (https://www.fr.de/politik/verschaerftes-versammlungsrecht-bestaetigt-11568632.html)

Karls­ru­he erleich­tert Ver­bot von NPD-Demos. 2005. Der Spie­gel. Ham­burg.

Höynck, The­re­sia & Behn­sen, Mira & Zäh­rin­ger, Ulri­ke. 2015. Tötungs­de­lik­te an Kin­dern unter 6 Jah­ren in Deutsch­land: Eine kri­mi­no­lo­gi­sche Unter­su­chung anhand von Straf­ver­fah­rens­ak­ten (1997–2006). Wies­ba­den: Sprin­ger. (https://doi.org/10.1007/978–3‑658–07587‑3)

Hol­ler­sen, Wieb­ke. 2023. Erzie­hung in der DDR: Gibt es im Osten „eine ver­erb­te Bru­ta­li­tät“? Ber­li­ner Zei­tung. Ber­lin. (https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/erziehung-in-der-ddr-gibt-es-im-osten-eine-vererbte-brutalitaet-li.418237)

Mül­ler, Ste­fan. 2024. Pro­fes­sor kri­ti­siert Anne Rabe: „Es geht mir auf die Ner­ven, wie über die DDR geschrie­ben wird“. Ber­li­ner Zei­tung. Ber­lin. (https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/berliner-professor-stefan-mueller-kritisiert-anne-rabe-es-geht-mir-auf-die-nerven-wie-ueber-die-ddr-geschrieben-wird-li.2213032)

Wag­ner, Joa­chim. 2024. AfD-nahe Jus­tiz: Die rech­ten Rich­ter von Gera. taz. Ber­lin. (https://taz.de/AfD-nahe-Justiz/!5999618/)

Ossis of Colour, Allerleirauh, Mode im Osten und die Todesstrafe

Ges­tern war ich beim taz­lab zum The­ma Osten und es war groß­ar­tig. Vie­le par­al­lel statt­fin­den­de Ver­an­stal­tun­gen zu The­men, die mich auch hier immer wie­der beschäf­ti­gen. Ras­sis­mus in der DDR ist ein The­ma und die Fra­ge ist, ob die DDR ras­sis­tisch war oder nicht. Es gab eine spe­zi­el­le Dis­kus­si­ons­run­de mit „Ossis of Colour“. (Auf­zeich­nung auf You­tube)

Ossis of Colour beim taz-Lab: Patri­ce Pou­trus, His­to­ri­ker, Peg­gy Kur­ka, Autorin, Katha­ri­na War­da, Autorin & Sozio­lo­gin und Mode­ra­to­rin Adef­un­mi Ola­nig­an, taz-Volon­tä­rin, Ber­lin, 27.04.2024

Rassismus

Patri­ce Potrous hat von einer Bege­ben­heit erzählt, bei der er einen ras­sis­ti­schen Vor­fall bei der NVA mel­den woll­te und die­ser ein­fach nicht ver­folgt wur­de. Der Offi­zier habe das ein­fach abge­bü­gelt mit der Bemer­kung: „Willst Du etwa sagen, dass es in der DDR Ras­sis­mus gäbe?“ Was nicht sein kann, dass nicht sein darf. 

Katha­ri­na War­da wur­de 1985 in der DDR gebo­ren. Ihr Vater war Wider­stands­kämp­fer im ANC und ist geflo­hen. Der ANC wur­de in der Bun­des­re­pu­blik nicht unter­stützt, so also DDR. Katha­ri­na War­das Eltern wur­den bei der Schwan­ger­schaft der Mut­ter vor die Wahl Aus­rei­se oder Abtrei­bung gestellt. Wie es dazu kam, dass sie doch in der DDR gebo­ren wur­de, hat sie nicht erklärt.

Alle drei waren sich einig, dass sie froh sein kön­nen, die DDR und die Nach­wen­de­zeit über­lebt zu haben. Katha­ri­na War­da hat davon berich­tet, dass Per­so­nen, die mit ihr über Ras­sis­mus im Osten reden, immer ihre vor­ge­fass­te Mei­nung bestä­tigt sehen wol­len. Sie mein­te, dass Ras­sis­mus kein spe­zi­fi­sches DDR-Pro­blem gewe­sen und der Wes­ten genau­so gewe­sen sei.

Inter­es­sant war, dass alle irgend­wie nicht schwarz sein woll­ten und irgend­wie nicht auf­fal­len wollten. 

Ich habe die meis­te Zeit in der DDR damit zuge­bracht den Genos­se­nen zu bewei­sen, dass man zu mir Ver­trau­en haben kann, dass ich irgend­wie doch nicht anders bin. Das ging soweit, dass ich zeit­wei­se sogar im Som­mer mich gewei­gert habe, mich in die Son­ne zu stel­len, weil es zu einer signi­fi­kan­ten Ver­än­de­rung mei­nes Äuße­ren führte.

Patri­ce Potrous beim taz­lab, 27.04.2024

Ande­re schwar­ze Ost­deut­sche haben was sehr Ähn­li­ches in dem Bereich erlebt, war unglaub­lich heil­sam für mich, denn ich fin­de auch, und ich weiß nicht wie das in West­deutsch­land ablief oder in der alten BRD, aber wir hat­ten das ja eben schon beschrie­ben: Wir hät­ten uns nicht mal Hal­lo gesagt wahr­schein­lich frü­her und zumin­dest hät­ten wir kein Inter­es­se anein­an­der gehabt. Das ist ein Effekt von Ras­sis­mus und ein ande­rer Effekt von Ras­sis­mus, der damit ein­her­geht, ist eine enor­me Ein­sam­keit, die ich emp­fun­den habe im Her­an­wach­sen, weil eben genau die­se Per­spek­ti­ve so blind gemacht wur­de so mit Scham auf­ge­la­den war und über­haupt nicht besprech­bar war und ich nie jeman­den hat­te, mit dem ich die­sen Bal­last der auch du hat­test gesagt: „Dass du noch am Leben bist, ist ein Wun­der.“ und ich sag das oft auch: Ich füh­le mich als Über­le­ben­de der Zeit vor allem was die 90er Jah­re angeht und das mei­ne ich auch so, denn vie­le ande­re haben es nicht über­lebt, aber was man da alles mit sich trägt, sich nie dar­über aus­tau­schen zu kön­nen und nie jeman­den zu sehen, dem es ähn­lich geht und ich immer in sei­nem Schwarz­sein ver­ste­cken zu müs­sen oder sich als Per­son ver­ste­cken zu müs­sen, sich klein machen zu müs­sen, die­se Last der Ein­sam­keit ist ein Teil von Ras­sis­mus und dar­über zu spre­chen und zu mer­ken „So, wir haben da doch was gemein­sam.“, ist unglaub­lich befreiend.

Katha­ri­na War­da beim taz­lab, 27.04.2024

Patri­ce Potrous mein­te, wenn man ande­re PoCs getrof­fen hat, dann hat man nicht gesagt: „Hey, Du bist ja Schwarz. Wie ich. Wie geht es Dir?“. Bei der Ver­an­stal­tung, die danach auf der­sel­ben Büh­ne statt­fand, war Prof. Dr. Nai­ka Forou­tan, Sozio­lo­gin an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin, zu Gast. Sie hat­te ja 2018 Ossis und Migrant*innen ver­gli­chen (taz, 13.05.2018).

Prof. Dr. Nai­ka Forou­tan, Sozio­lo­gin an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin beim taz­lab, Ber­lin, 27.04.2024

Dar­an muss­te ich den­ken, als ich neu­lich eine Frau in einem Kli­ma­camp Thü­rin­gisch spre­chen hör­te. Ich sprach sie an, ob sie aus dem Osten sei, wegen ihrem Dia­lekt. Sie ent­schul­dig­te sich und sag­te, dass sie den manch­mal nicht unter­drü­cken kön­ne. Ich war scho­ckiert, denn ich bin ja aus Jena und habe mich sehr gefreut, jeman­den zu tref­fen, der Dia­lekt spricht. Ich den­ke, dass das das­sel­be Phä­no­men ist, obwohl die Gefah­ren, die sich aus einer nicht-wei­ßen Haut und einem nicht west­deut­schen Spra­che erge­ben, nicht zu ver­glei­chen sind. 

Ganz ähn­lich hat­te Osch­mann auch über das Säch­si­sche geschrieben:

Und schon vor 1989 ist das Säch­si­sche als die am deut­lichs­ten im Ost­teil des Lan­des zu ver­or­ten­de Sprach­va­rie­tät in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung zum Inbe­griff des gesam­ten Ostens »auf­ge­stie­gen«, das heißt zum Inbe­griff des Häss­li­chen, Schlech­ten, Unfä­hi­gen und Unge­bil­de­ten, zum Inbe­griff all des­sen, was man nicht haben will und was man selbst nicht zu sein glaubt. Ich habe in Sach­sen auf­ge­wach­se­ne Bekann­te, die Schu­lun­gen belegt haben, um lupen­rei­nes Hoch­deutsch zu erler­nen, weil sie schmerz­lich erfah­ren muss­ten, wegen ihres Hei­ma­t­idi­oms unab­läs­sig dis­kri­mi­niert zu wer­den und gesell­schaft­lich chan­cen­los zu sein. Dazu passt eine Dresd­ner Zei­tungs­an­non­ce aus den Neun­zi­ger­jah­ren: »Säch­si­scher Dia­lekt in der frei­en Markt­wirt­schaft? Undenk­bar! Neh­men Sie Sprech­un­ter­richt!« Tho­mas Rosen­lö­cher teilt das mit und mar­kiert das Säch­si­sche prä­gnant als »Ver­lier­er­spa­che«. Ganz auf die­ser Linie habe ich mei­nen eige­nen Kin­dern ange­droht, ihnen das Taschen­geld zu strei­chen, soll­ten sie je anfan­gen, Säch­sisch zu spre­chen. Wie schlimm aber ist es um eine Regi­on bestellt, die nicht mehr wagt, ihre Spra­che zu pfle­gen, weil sie Sank­tio­nen aller Art, mehr noch die Beschä­di­gung ihrer gesam­ten Exis­tenz fürch­ten muss?! Was ist das für ein gesell­schaft­li­ches Kli­ma, was für ein Land, in dem ein gro­ßer Teil der Men­schen die eige­ne Mut­ter­spra­che able­gen und die eige­ne Her­kunft ver­leug­nen muss, wenn er gesell­schaft­lich der Stig­ma­ti­sie­rung ent­ge­hen möch­te? Was für ein Land, in dem sich Men­schen ihrer Spra­che, ihrer Her­kunft und ihrer Ver­gan­gen­heit schä­men sol­len, mit­hin zen­tra­ler unhin­ter­geh­ba­rer Exis­ten­zia­li­en, was für ein Land, in wel­chem sie sich aus­ge­rech­net von dem distan­zie­ren sol­len, was sie fun­da­men­tal aus­macht und aller­erst in der Welt beheimatet?

Osch­mann, Dirk. 2023. Der Osten – eine west­deut­sche Erfin­dung, Ullstein.

Ossis ver­su­chen, nicht auf­zu­fal­len. Wie man dem Roman von Lutz Sei­ler Stern 111 ent­neh­men kann, wur­de ihnen das auch von Wes­sis expli­zit bei­gebracht. Sein Vater, der fünf Pro­gram­mier­spra­chen konn­te und im Wes­ten Schu­lun­gen durch­ge­führt hat, soll­te unbe­dingt dar­auf ach­ten, dass die Schulungsteilnehmer*innen nicht merk­ten, dass sie etwas von einem Ossi erklärt beka­men. Einem Ossi! Für 1000 DM/Tag kriegt man nur einen Ossi. Über die Vor­stel­lung, dass die Ossis alle doof waren, und die Ver­wun­de­rung dar­über, dass jemand im Osten (!) fünf (!) Programmier(!)sprachen(!) konn­te, habe ich auch in Wis­sen, Unwis­sen, Igno­ranz und Arro­ganz geschrieben.

Man sieht den Ossis ihre Her­kunft weni­ger an als PoCs, aber man­che „ver­ra­ten“ sich halt über die Spra­che. (1995 war ein Kol­le­ge von mir total geschockt, weil er, nach­dem wir eine Woche zusam­men gear­bei­tet haben, her­aus­ge­fun­den hat­te, dass ich ein Ossi bin. Ich hat­te „Plas­te“ gesagt.) Spra­che oder Haa­re, bei­des nicht gut und viel­leicht kom­men wir ja irgend­wann in einer Gesell­schaft an, die das ver­stan­den hat. Und alle Kin­der bekom­men Taschen­geld und Lie­be, egal wie sie aus­se­hen oder sprechen. 

Mode unter Lebensgefahr?

Peg­gy Kur­ka und Katha­ri­na War­da waren Punks, was sicher kein Spaß war. Schon als wei­ßer Punk hat­te man es nicht unbe­dingt leicht. Peg­gy Kur­ka war außer­dem noch Model. Sie sprach davon, dass Mode in der DDR sub­ver­siv gewe­sen ist und dass man unter Todes­dro­hung leb­te. Sie erwähn­te auch die Mode­grup­pe Aller­lei­rauh:

Ich neh­me jetzt mal mein Feld: Man hat, es gab Aller­lei­rauh, es gab eine Moden­schau, wenn die eine Moden­schau gemacht haben, dann haben die ihr Leben ris­kiert für die­se Modenschau.

Peg­gy Kur­ka: taz­lab Ossis of Colour, 27.04.2024, Stel­le im Viedeo

Mich und die bei­den Ost-Frau­en, die anwe­send waren, hat das eini­ger­ma­ßen ver­wun­dert, denn die Ost-Mode hat­te ziem­lich gro­ße Frei­hei­ten. Es gab die Sibyl­le, in der immer in sehr guten Foto­stre­cken abge­dreh­te Mode prä­sen­tiert wur­de. Eine mei­ner Beglei­te­rin­nen war mit den Kin­dern der Mitarbeiter*innen vom Mode­insti­tut im Feri­en­la­ger und berich­te­te auch von den gro­ßen Frei­räu­men im Modebereich.

Ich habe spe­zi­fisch zu Aller­lei­rauh in der Wiki­pe­dia nach­ge­se­hen und – Was soll ich sagen? – die Aus­sa­ge von Peg­gy Kur­ka ist ein­fach falsch. All­ge­mein wür­de ich behaup­ten wol­len, dass in den 80er Jah­ren nie­mand mehr ein­fach so ermor­det wur­de und schon gar nicht für Mode. In Wiki­pe­dia kann man lesen, dass Katha­ri­na Rein­wald und Ange­li­ka Kro­ker 1988 in den Ver­band Bil­den­der Künst­ler der DDR (VBK) auf­ge­nom­men wur­den. Lei­der hat der Prä­si­dent des VBK im Jahr 1988 gewech­selt, so dass man nicht genau sagen kan­ne, wer den VBK zur Zeit des Ein­tritts der bei­den Desi­gne­rin­nen gelei­tet hat. Von 1974 bis 1988 war der wegen sei­ner schin­ken­las­ti­gen Arbeiter*innengemälde all­seits gefürch­te­te Wil­li Sit­te Prä­si­dent (Lie­ber vom Leben gezeich­net, als von Sit­te gemalt.). Danach der Desi­gner Clauss Die­tel. Von 1986 bis 1989 war Sit­te Mit­glied des Zen­tral­ko­mi­tees der SED (ZK der SED). Clauss Die­tel war Mit­glied der Bezirks­lei­tung der SED in Karl-Marx-Stadt. Das heißt, der VBK war fest in SED-Hand, wie eigent­lich alle grö­ße­ren Struk­tu­ren und Ver­ei­ne. Man kann also sicher ablei­ten, dass die Modedesigner*innen ihrem Beruf nicht unter Ein­satz ihres Lebens ausübten.

Dem Arti­kel über Aller­lei­rauh kann man ent­neh­men, dass die Grup­pe gro­ße Auf­trit­te hatte:

Als Höhe­punkt gilt das Aller­lei­rauh-Hap­pe­ning im Jahr 1988, das an drei Aben­den vor 600 Zuschau­ern im aus­ver­kauf­ten Haus der jun­gen Talen­te in Ost-Ber­lin statt­fand. Die Rock­band Pan­kow spie­le live, die Man­ne­quins tra­ten in Män­teln aus Leder­fli­cken und geschupp­ten 3‑D-Klei­dern auf. 

Wiki­pe­dia-Ein­trag für Aller­lei­rauh, 28.04.2024

Das HdjT war staat­lich ver­wal­tet. Nie­mand, der schon mit einem Bein im Knast stand konn­te dort auf­tre­ten. Die Rock­grup­pe Herbst in Peking hat­te zum Bei­spiel nach einer Schwei­ge­mi­nu­te für die Opfer des Mas­sa­kers am Tian’anmen-Platz Auf­tritts­ver­bot. Das heißt, dass Aller­lei­rauh staat­lich aner­kannt war und es heißt auch, dass die­se Mode-Designer*innen und Models sich nicht irgend­wel­chen Gefah­ren aus­ge­setzt haben. 

Ein Schul­freund von mir war Ensem­ble­mit­glied beim Mode­thea­ter Lari­fa­ri, das auch im Wiki­pe­dia­ein­trag von Aller­lei­rauh erwähnt wird. Er hat mir zum The­ma Fol­gen­des geschrieben:

Ich kann das, wie auch du, so nicht bestä­ti­gen. Mei­ne Tätig­keit war beim Mode­insti­tut und bei einer frei­en Trup­pe namens Lari­fa­ri. Natür­lich waren wir sta­si­durch­setzt, was ich zu DDR-Zei­ten nicht wahr­ha­ben woll­te, spä­ter dann offen­sicht­lich wur­de. Mein Aus­schluss aus bei­den vor­ge­nann­ten 1987 scheint damit in Zusam­men­hang gestan­den zu haben – ich habe das nicht wei­ter recher­chiert, bis­her nicht in die Akte schau­en wol­len. Die Sze­ne und der Bedarf waren sicher nicht zu ver­hin­dern, so gab es die Ven­til­me­tho­dik. Ich kann mich gut an 1986/87 erin­nern. Wir sind durch die Lan­de getin­gelt und als Farb­tup­fer will­kom­men gewe­sen, das sogar auf den Arbei­ter­fest­spie­len. Eine unse­rer Damen war sogar im Zen­tral­rat der FDJ. Hast du den Film „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ gese­hen? Für mich war er ein Aus­flug in mei­ne Jugend – logi­scher­wei­se alles sehr kom­pri­miert, Sta­si an Frank Schä­fer – klar, aber auch vie­le Frei­hei­ten und knall­har­te Kon­kur­renz, was sicher gewis­se Äuße­run­gen moti­viert. Sybil­le war nicht so nah am Mode­insti­tut, wie es der Film sagt. Eine mir suspek­te Sze­ne mit Grenz­hun­den an der Ost­see woll­te ich bei Gele­gen­heit hin­ter­fra­gen. Ein Trach­ten nach Leben ist mir nicht bekannt.

Email 30.04.204

Ich kann es nicht direkt nach­wei­sen, aber es soll­te mich sehr wun­dern, wenn irgend­wer in der DDR wegen Mode mit dem Tode bedroht wor­den sein soll­te oder ins Gefäng­nis kam. Nein, man kam in die Sibyl­le.

(Was Peg­gy Kur­ka vor­her im Video über abwei­chen­de Mei­nun­gen in der DDR sagt, stimmt. Es wur­de alles unter­drückt, aber ganz so krass war es dann doch nicht.)

Schlussfolgerung

Lie­be Wes­sis, lie­be Ossis, lie­be Nach­ge­bo­re­ne: Die Mes­sit­sch ist sim­pel. Glaubt uns nicht. Auch wenn die Sto­ries zu Euren Geschich­ten und Kli­schees pas­sen. Die DDR ist nun zum Glück lan­ge Geschich­te, aber Erin­ne­run­gen ver­schie­ben sich und man­che Men­schen erzäh­len auch bewusst fal­sche Din­ge. Guckt ein­fach mal in Wiki­pe­dia nach. Das ist die Schmal­spur­va­ri­an­te der his­to­ri­schen For­schung, aber Wiki­pe­dia gibt ja immer Quel­len an. Da könnt Ihr dann weitermachen.

Quellen

Osch­mann, Dirk. 2023. Der Osten: eine west­deut­sche Erfin­dung. Ber­lin: Ull­stein Buchverlage.

Schulz, Dani­el. 2018. Pro­fes­so­rin über Iden­ti­tä­ten: „Ost­deut­sche sind auch Migran­ten“. taz. Ber­lin. (https://taz.de/Professorin-ueber-Identitaeten/!5501987/)

Die rechten Richter von Gera

In der taz vom 22.04.2024 gibt es einen Arti­kel über rech­te Rich­ter von Gera. Bespro­chen wird, dass zwei Rich­ter Asyl­an­trä­ge signi­fi­kant häu­fi­ger ableh­nen, als das im bun­des­wei­ten Durch­schnitt der Fall ist. 

In einem „For­de­rungs­pa­pier zur Jus­tiz in Thü­rin­gen“ aus dem April 2022 bekla­gen neun Ver­ei­ne aus der Flücht­lings­hil­fe eine „Ent­schei­dungs­pra­xis“ des Ver­wal­tungs­ge­richts Gera in Asyl­ver­fah­ren, die „min­des­tens eine ten­den­ziö­se Recht­spre­chung ver­mu­ten lässt“. Unter Rechts­an­wäl­ten sei es ein „offe­nes Geheim­nis“, dass es dort fast unmög­lich ist, Asyl­ver­fah­ren afri­ka­ni­scher Klä­ger zu gewin­nen. Im Faden­kreuz der Kri­tik ste­hen die Rich­ter Fuchs und Ame­lung. MDR-Recher­chen und eine Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Klei­ne Anfra­ge der Links­frak­ti­on im Bun­des­tag bestä­ti­gen die Pra­xis­er­fah­run­gen der Anwäl­te und Flüchtlingshelfer.

Außer­dem sind Rich­ter des­sel­ben Gerichts für Geneh­mi­gun­gen von Nazi-Ver­an­stal­tun­gen zuständig:

Die Asyl­rechts­spre­chung ist aber nicht der ein­zi­ge Bereich, der in Gera Fra­gen auf­wirft. Auch die Ent­schei­dungs­pra­xis des Prä­si­den­ten des Ver­wal­tungs­ge­richts Gera, Micha­el Obhues, als Vor­sit­zen­der der 1. Kam­mer ist poli­tisch umstrit­ten. Die­se hat einer Neo­na­zi-Grup­pe und der NDP (heu­te „Die Hei­mat“) über Jah­re erstaun­lich viel Raum für Demons­tra­tio­nen, Pro­test­ak­tio­nen und rech­te Rock­kon­zer­te eröffnet.

In Jena durf­te die NPD Mär­sche im Geden­ken an die Reichs­po­grom­nacht und an den Tod von Hit­ler­stell­ver­tre­ter Rudolf Heß durch­füh­ren. Die Neo­na­zi-Grup­pe „Thügida/Wir lie­ben Ost­thü­rin­gen“ durf­te Hit­lers Geburts­tag am 20. April 2016 mit einem Fackel­zug in Jena fei­ern. Das Gericht kas­sier­te dabei immer wie­der zuvor ver­häng­te Ver­samm­lungs­ver­bo­te des dama­li­gen SPD-Ober­bür­ger­meis­ters Albrecht Schröter.

Typisch für die­se Gerichts­be­schlüs­se ist, dass die Kam­mer den Vor­trä­gen der brau­nen Anmel­der eher glaub­te als denen des Ober­bür­ger­meis­ters – wenn sie zum Bei­spiel vor­ga­ben, mit Demos die Mei­nungs­frei­heit zu ver­tei­di­gen oder gegen „lin­ken Ter­ror“ zu pro­tes­tie­ren, obwohl sie tat­säch­lich Hit­ler oder Heß hul­di­gen woll­ten. Dass die offi­zi­ell genann­ten Demons­tra­ti­ons­zie­le nur zur Tar­nung vor­ge­scho­ben waren und die Pro­tes­te in Wirk­lich­keit Tarn­ver­samm­lun­gen für brau­ne Anlie­gen waren, hiel­ten die Ver­wal­tungs­rich­ter in Gera für nicht hin­rei­chend belegt.

Und wie Joa­chim Wag­ner fest­stellt: „Die Fol­ge die­ser Spruch­pra­xis: Zwi­schen 2006 und 2016 hat­te sich Jena zur einem Pro­te­stel­do­ra­do für NPD und Neo­na­zis entwickelt.“

Das­sel­be Gericht hat ent­schie­den, dass die AfD nicht wirk­lich ver­fas­sungs­feind­lich sei, obwohl der Ver­fas­sungs­schutz, der sich ja mit der Ein­ord­nung von Par­tei­en als rechts­extrem auch nicht leicht tut, das nach jah­re­lan­ger Detail­ar­beit inzwi­schen her­aus­ge­fun­den hat­te. Ein AfD-Sport­schüt­ze durf­te sei­ne Waf­fe behalten:

Hier kam die Kam­mer im August 2023 neben­bei zum Ergeb­nis, dass die Ver­fas­sungs­schüt­zer bis­lang nicht „trag­fä­hig nach­ge­wie­sen“ hät­ten, dass der Thü­rin­ger AfD-Lan­des­ver­band „erwie­sen rechts­extre­mis­tisch“ sei. Der AfD-Sport­schüt­ze durf­te sei­ne Waf­fen­be­sitz­kar­te vor­erst behalten.

Sehr guter Arti­kel. Es fehl­ten nur eini­ge Details, die im Ost-West-Dis­kurs aber sehr wich­tig sind: Wer sind die­se Rich­ter? Wo kom­men sie her? Dr. Bengt-Chris­ti­an Fuchs, Vize­prä­si­dent des Ver­wal­tungs­ge­richts Gera, ist laut lin­ke­dIn-Pro­fil Bank­kauf­mann und hat 1984–1986 in Han­no­ver und Lon­don gear­bei­tet. Er ist außer­dem Oberst­leut­nant der Bun­des­wehr. Dr. Bernd Ame­lung hat von 1982–1989 an der Georg-August-Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen sein ers­tes Staats­examen in Öffent­li­chem Recht gemacht. Micha­el Obhues, Prä­si­dent des Ver­wal­tungs­ge­richts Gera, wur­de in Erwit­te/Westfalen gebo­ren. Er stu­dier­te 1986–1992 an der Universität in Münster Rechts­wis­sen­schaf­ten. Details zu sei­ner Kar­rie­re als Jurist fin­det man in den ThürVBl. 8/2006, S. III.

Stef­fen Mau hat in Lüt­ten Klein fest­ge­stellt, dass Richter*innen im Osten meis­tens aus dem Wes­ten sind: 

In den weni­gen Berei­chen, wo die Ost­deut­schen auf­ho­len konn­ten, reden wir von Fort­schrit­ten im nied­ri­gen ein­stel­li­gen Pro­zent­be­reich: in der Rich­ter­schaft ins­ge­samt von 11,8 auf 13,3 Pro­zent, bei den Prä­si­den­ten und Vize­prä­si­den­ten der obers­ten Gerich­te sowie den Vor­sit­zen­den Rich­tern der ein­zel­nen Sena­te von 3,4 auf 5,9 Pro­zent. Jeweils in Ost­deutsch­land wohl­ge­merkt, nicht bundesweit.

Mau, Stef­fen. 2020. Lüt­ten Klein: Leben in der ost­deut­schen Trans­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft (Schrif­ten­rei­he 10490). Bonn: Zen­tra­le für Poli­ti­sche Bil­dung. S. 182

Und so ist es auch in die­sem Fall. Was ich mir von der taz wün­sche, ist, dass die Her­kunft von Nazis oder von Men­schen, die Nazi-Aktio­nen ermög­li­chen, ange­ge­ben wird. Das ist wich­tig, weil durch die Bericht­erstat­tung ohne die­se Infor­ma­ti­on das Kli­schee ver­fes­tigt wird, dass im Osten alles Nazis sei­en. Hier am kon­kre­ten Fall von Jena kann man sehen, dass die Wähler*innen einen SPD-Bür­ger­meis­ter gewählt haben, der sich red­lich müh­te, die Nazis aus der Stadt zu hal­ten, was aber durch Richter*innen aus dem Wes­ten tor­pe­diert wurde. 

Nach der Wen­de wur­de die kom­plet­te Jus­tiz und Poli­zei und auch der Ver­fas­sungs­schutz von West­lern auf­ge­baut. Wie wir jetzt wis­sen, waren vie­le der invol­vier­ten Per­so­nen extrem rechts. (Maa­ßen war der gemä­ßig­te Ersatz für jeman­den, der mit dem NSU zu gut klar­ge­kom­men war, und was Maa­ßen denkt, wis­sen wir ja nun ziem­lich genau. Sei­ne eige­ne Behör­de stuft ihn als rechts­extrem ein.) Nazi-Par­tei­en sind gezielt in den Osten gegan­gen, um dort Struk­tu­ren auf­zu­bau­en (sie­he „His­to­ri­sche Ursa­chen der Frem­den­feind­lich­keit in den neu­en Bun­des­län­dern“: Kom­men­ta­re zu einem Auf­satz von Patri­ce G. Pou­trus, Jan C. Beh­rends und Den­nis Kuck). Das alles soll­te man wis­sen, wenn man dar­über nach­denkt, war­um die Macht­ver­hält­nis­se im Osten jetzt so sind, wie sie sind. Der blü­hen­de Faschis­mus im Osten ist sicher nicht dar­auf zurück­zu­füh­ren, dass wir Ossis alle neben­ein­an­der auf dem Töpf­chen geses­sen hät­ten (Pfeif­fer) und auch Anne Rabes Geschwa­fel von der Gewalt­tä­tig­keit in der DDR ist Unfug, wie ich in vie­len Blog-Posts nach­ge­wie­sen habe (Sie inter­pre­tiert die Kri­mi­nal­sta­tis­tik falsch. Aus­sa­gen über Amok­läu­fe in Schu­len sind falsch usw. usf.). Auch in Lich­ten­ha­gen waren am drit­ten Tag West-Nazis vor Ort und die gesam­te ver­ant­wort­li­che Füh­rung (Regie­rung und Poli­zei­lei­tung) war trotz vor­he­ri­ger Ankün­di­gung der Aus­schrei­tun­gen in Zei­tun­gen im Wochen­en­de und nicht erreich­bar (Post dazu). Zu Anne Rabes Behaup­tun­gen sie­he die Über­sichts­sei­te mit Blog­posts.

Man stel­le sich nun die Gefüh­le eines anti­fa­schis­ti­schen Men­schen vor, der sol­che Arti­kel liest. Sie denkt: Erst kom­men sie her und beset­zen alle Stel­len in der Ver­wal­tung, um uns Ossis zu zei­gen, wie es geht. Dann legen sie die kom­plet­te Indus­trie still, weil sie die Treu­hand-Anstalt auch über­nom­men haben (Kahla Thü­rin­gen Por­zel­lan wur­de für 1 DM an einen win­di­gen Rechts­an­walt ver­kauft, des­sen ein­zi­ge Qua­li­fi­ka­ti­on ein Bru­der bei der Treu­hand war.). Dann kom­men West­ler, grün­den eine rech­te, wirt­schafts­li­be­ra­le Par­tei, wo auch fast die gesam­te Füh­rung der ost­deut­schen Lan­des­vor­stän­de in West-Hand sind (sie­he Der Ossi ist nicht demo­kra­tie­fä­hig. Merkt Ihr’s noch?). Dann radi­ka­li­siert sich die­se Par­tei und die Gerich­te im Osten, die mit Westler*innen bestückt sind, pro­te­gie­ren das. Den Ossis wird nach erfolg­rei­chem Auf­bau der Struk­tu­ren durch West­ler vor­ge­wor­fen, dass sie alle Nazis sei­en. Und wenn dann über den Osten berich­tet wird, wer­den die rele­van­ten Fak­ten über die Her­kunft der ent­spre­chen­den Nazis oder ihre Beschützer*innen nicht genannt und das Kli­schee wei­ter vertieft. 

Quellen

Decker, Kers­tin. 1999. Das Töpf­chen und der Haß. tages­spie­gel. Ber­lin. (https://www.tagesspiegel.de/kultur/das-toepfchen-und-der-hass/77844.html)

Mau, Stef­fen. 2020. Lüt­ten Klein: Leben in der ost­deut­schen Trans­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft (Schrif­ten­rei­he 10490). Bonn: Zen­tra­le für Poli­ti­sche Bil­dung. (https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/303713/luetten-klein)

Frankfurt

Die taz hat sich in den letz­ten Wochen und Mona­ten extrem ver­bes­sert, was die Bericht­erstat­tung über den Osten angeht. Wahr­schein­lich hängt das auch mit dem kom­men­den taz-Lab zum The­ma Osten zusam­men. Ein beson­de­res High­light ist der Bei­trag von Dr. rer. pol. Ute Scheub Demo­kra­tie reso­nant machen über den Anschluss der DDR und ver­ta­ne Chan­cen bei der Aus­ar­bei­tung einer gemein­sa­men Verfassung. 

Zu einer Sache, die immer wie­der pas­siert und die vie­le Ossis ärgern dürf­te und die auch jetzt noch – trotz geschärf­ter Sin­ne – pas­siert, möch­te ich etwas sagen. Frank­furt. In der taz vom 20.04.2024 schreibt Bernd Pickert zum The­ma Mixed Mar­ti­al Arts (MMA):

Da ist Katha­ri­na Dalis­da aus Frank­furt, stu­dier­te Sportöko­no­min mit Bürs­ten­schnitt und Blu­men­kohl­oh­ren, eine der auf­stre­ben­den Frau­en in den deut­schen MMA, 

Pickert, Bernd (20.04.2024): Die net­ten Cage­figh­ter von nebenan

Katha­ri­na Dalis­da ist aus Frank­furt am Main. Der Fluss wird aber nicht genannt. Es gibt in der BRD zwei Frank­fur­te: Frank­furt am Main und Frank­furt an der Oder. Das Pro­blem ist, dass das Ost-Frank­furt kom­plett igno­riert wird. Nun könn­te man sagen, Frankfurt/M. ist viel grö­ßer, ein indus­tri­el­les, kul­tu­rel­les und poli­ti­sches Zen­trum and not­hing important ever came from Frank­furt (Oder). Aber das ist nicht rich­tig: Frank­furt O. war eine der 15 Bezirks­haupt­städ­te in der DDR und ist aus Sicht der taz von Ber­lin aus viel näher gele­gen. Das könn­te die Wich­tig­keit des ande­ren Frank­furts aus­glei­chen, aber selbst wenn man das nicht weiß oder wenn es einem egal ist, soll­te man doch als Jour­na­list, der zum The­ma Spor, ins­be­son­de­re Mixed Mar­ti­al Arts, schreibt, schon von Frank­furt gehört haben.

In Wiki­pe­dia steht zum The­ma MMA:

Die Kämp­fer bedie­nen sich sowohl der Schlag- und Tritt­tech­ni­ken (Striking) des Boxens, Kick­bo­xens, Tae­kwon­do, Muay Thai und Kara­te als auch der Boden­kampf- und Ring­tech­ni­ken (Grap­pling) des Bra­zi­li­an Jiu-Jitsu, Rin­gens, Judo und Sam­bo. Auch Tech­ni­ken aus ande­ren Kampf­kunst­ar­ten wer­den benutzt.

Frank­furt O. war und ist eine Sport­stadt. Der Armee­s­port­klub Frank­furt hat zu DDR-Zei­ten dort trai­niert und es gibt dort jetzt auch einen Bun­des­wehr­sport­stütz­punkt. Mas­sen­haft Olym­pia­sie­ger kom­men aus Frank­furt O. Sieger*innen im Boxen, im Judo und im Rin­gen (sie­he Sport­zen­trum Frank­furt). Allen, die in den 90ern irgend­was mit Sport zu tun hat­ten, dürf­ten Hen­ry Mas­ke und Axel Schulz ein Begriff sein, die bei­de aus der Box­tra­di­ti­on her­vor­ge­gan­gen sind (trai­niert von Man­fred Wol­ke). Auch Men­schen, die ansons­ten mit dem Boxen nichts am Hut hat­ten, kann­ten die bei­den. Ihre Box­kämp­fe hat­ten Rekordeinschaltquoten.

Also, wenn eins der bei­den Frank­furts hier der Default ist, dann ist es wohl Frank­furt O. Da Katha­ri­na Dalis­da aus Frankfurt/Main ist, hät­te das kennt­lich gemacht wer­den müssen.

Es ist eine Klei­nig­keit, aber die­se Klei­nig­keit zeigt: Der Osten ist in den Redak­tio­nen nicht prä­sent. Vie­le Men­schen gen­dern, weil sie es nicht aus­rei­chend fin­den, dass Frau­en nur mit­ge­dacht wer­den anstatt mit­re­prä­sen­tiert und mit­ge­nannt zu wer­den. Der Osten, selbst wenn er direkt vor der Tür liegt, wird nicht mit­ge­dacht. Über den Osten wird bzw. wur­de nur geschrie­ben, wenn es irgend etwas Nega­ti­ves zu ver­mel­den gibt. Das ändert sich gera­de bei der taz so ein biss­chen. Hof­fen wir, dass das auch nach dem taz-Lab so bleibt.

In der Wochen­end­aus­ga­be zum taz-Lab gab es eine Korrektur. =:-)

Waschmaschinen und Schwule in der DDR und Lesben natürlich auch

Ich dach­te, ich sei fer­tig mit Anne Rabe (sie­he Posts in Kate­go­rie Anne Rabe), aber ich woll­te die Sen­dung Zwi­schen­tö­ne mit ihr noch mal kom­plett hören. Es ist wirk­lich erschüt­ternd, wie wenig Anne Rabe über die DDR weiß. Da ihre Gesprächspartner*innen meist aus dem Wes­ten sind, blei­ben ihre Aus­sa­gen auch unwi­der­spro­chen und wer­den weiterverbreitet.

Waschmaschinen

Anne Rabe behaup­tet, in der DDR hät­te es kei­ne Wasch­ma­schi­nen gegeben. 

Tat­säch­lich auf jeden Fall weiß ich, dass mei­ne Mut­ter zu der Zeit allein gelebt hat mit uns, weil mein Vater noch woan­ders stu­die­ren war und das ist was, wor­über ich manch­mal so nach­den­ke, weil tat­säch­lich, also die­se tat­säch­li­che mate­ri­el­le Armut beson­ders für die Frau­en so in den 80er Jah­ren ein ziem­lich har­tes Leben bedeu­te­te, so ohne Wasch­ma­schi­nen, ohne Bade­zim­mer, also die­ses Win­deln aus­ko­chen, ohne das, was wir heu­te alles so haben und die Kin­der eben sehr früh mor­gens in den Kin­der­gar­ten brin­gen und dann wei­ter zur Arbeit. Also das ist was, wor­über ich manch­mal nach­den­ke, dass das doch ein sehr, sehr anstren­gen­des Leben gera­de für jun­ge Müt­ter war.

Anne Rabe im Inter­view in den Zwischentönen

Wiki­pe­dia schreibt zum The­ma Waschmaschinen:

Die WM 66 war eine Wasch­ma­schi­ne, die in der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik (DDR) ab 1966 gebaut und ver­kauft wur­de. Die Bezeich­nung WM stand für Wel­len­rad­wasch­ma­schi­ne. Auf­grund der ein­fa­chen tech­ni­schen Kon­struk­ti­on war sie ver­gleichs­wei­se preis­wert und gekenn­zeich­net durch leich­te Bedien­bar­keit, eine kom­pak­te Bau­form, sehr gerin­ge Stör- und Feh­ler­an­fäl­lig­keit sowie eine lan­ge Lebens­dau­er. Dies trug dazu bei, dass sie sowohl für den DDR-Markt als auch für den Export mil­lio­nen­fach pro­du­ziert wur­de. Die wei­te Ver­brei­tung der WM 66 mach­te sie zu einem der bekann­tes­ten Elek­tro­haus­halts­ge­rä­te in der DDR und zum Sym­bol für den Anstieg des Lebens­stan­dards, der ab dem Ende der 1960er und dem Beginn der 1970er Jah­re die sozia­le Ent­wick­lung in der DDR kenn­zeich­ne­te. Her­stel­ler war der VEB Wasch­ge­rä­te­werk Schwar­zen­berg – Betrieb des Kom­bi­na­tes Haushaltsgeräte.

Wiki­pe­dia-Arti­kel zur WM 66.

Und so sah sie aus:

WM 66 mit einem Paket Spee, einem bekann­ten Wasch­mit­tel in der DDR, Bild aus Wiki­pe­dia CC0.

Mei­ne Eltern hat­ten auch eine Wasch­ma­schi­ne. Sogar einen Wasch­voll­au­to­mat. Mei­ne Mut­ter hat damit mei­ne Hosen geschrumpft, wes­halb ich mich genau dar­an erin­nern kann. Die Wasch­ma­schi­ne stand im Bad. Eine Trom­mel­wasch­ma­schi­ne. Ein Toploa­der. Wir sind 1976 in die Woh­nung gezo­gen. Da war sie schon da. Nach Aus­kunft mei­ner Mut­ter war es eine WVA66. Mei­ne Mut­ter hat­te sie zu mei­ner Geburt (1968) von mei­nem Groß­va­ter bekom­men. Die hat­te 2800 Mark gekos­tet, was viel, viel Geld war, aber mein Opa war Inge­nieur bei Zeiss. Wiki­pe­dia schreibt zu die­sem Gerät:

1966 wur­de ein Wasch­voll­au­to­mat ohne Boden­be­fes­ti­gung in Schmal­bau­wei­se mit der Typ­be­zeich­nung WVA 66 (Nach­fol­ge­ge­rät WVA 68) vor­ge­stellt. Die Beschi­ckung der Wasch­trom­mel mit Wäsche erfolg­te von oben (Top­la­der). Die Behäl­ter­bau­grup­pe mit Antriebs­sys­tem war schwing­be­weg­lich in Federn zur Kom­pen­sa­ti­on der Unwucht­kräf­te wäh­rend des Schleu­der­gan­ges auf­ge­hängt, sodass das Gerät ohne Boden­be­fes­ti­gung betrie­ben wer­den konn­te. Die Schleu­der­dreh­zahl betrug 850/min. Das Gerät war auf aus­fahr­ba­ren Lauf­rol­len ortsbeweglich.

Wel­len­rad­wasch­ma­schi­nen gab es ab 640 Mark. Ich hat­te auch selbst so eine Wel­len­rad­wasch­ma­schi­ne, als ich eine eige­ne Woh­nung hat­te (1989). Das Rad am Boden riss alle Knöp­fe ab. Wiki­pe­dia: „Nach­teil des Wel­len­rad­sys­tems ist der rela­tiv hohe Wäsche­ver­schleiß, da die Wäsche teil­wei­se auch vom rotie­ren­den Wel­len­rad erfasst wird.“ Aber Win­deln und Kara­te-Anzü­ge haben kei­ne Knöp­fe, dafür waren sie auf alle Fäl­le geeig­net. Die Schleu­der war extra. Als Stu­dent hat­te ich das Geld, was ich als Sti­pen­di­um bekam. Das waren 300 Mark, weil ich bei der Armee gewe­sen war. Sonst lag es bei 200 Mark. Ich weiß nicht, wo ich die Wasch­ma­schi­ne her hat­te. Kann mich jeden­falls nicht erin­nern, dass Geld ein Pro­blem gewe­sen wäre. Viel­leicht habe ich sie gebraucht gekauft oder geschenkt bekom­men von jeman­dem, der sich eine bes­se­re gekauft hat.

Das DDR-Design­mu­se­um schreibt zum The­ma Waschmaschinen:

Wel­cher DDR-Bür­ger kennt die­se Wasch­ma­schi­nen nicht. Der Name Schwar­zen­berg war ein Begriff.

1961 ent­stand der Wasch­voll­au­to­mat WVA 61. 1966 die WVA 66 mit Schleu­der­gang, 1987 der Wasch­voll­au­to­mat VA 68‑E.

Die ers­te Wasch­ma­schi­ne vom Typ „WM 66“ wur­de ab 1966 her­ge­stellt. Die Maschi­ne konn­te weder spü­len noch schleu­dern. Die Bezeich­nung WM steht für Wel­len­rad­wasch­ma­schi­ne. Die Haus­frau benö­tig­te zum Schleu­dern eine Tischschleuder.

Auf der Muse­ums­sei­te gibt es Bil­der der ver­schie­de­nen Model­le und der Schleu­dern. Auf der Wiki­pe­dia-Sei­te des Wasch­ge­rä­te­werks Schwar­zen­berg fin­det man Infor­ma­ti­on zu den ver­kauf­ten Stück­zah­len. Anne Rabe scheint die ein­zi­ge DDR-Bür­ge­rin zu sein, die die­se Wasch­ma­schi­nen nicht kennt. Viel­leicht hat­te ihre Mut­ter die Maschi­ne im Kel­ler und hat das vor ihrer Toch­ter geheim gehal­ten. Anders ist das nicht zu erklä­ren. Viel­leicht hat­ten sie auch wirk­lich kei­ne, obwohl es eine Funk­tio­närs­fa­mi­lie mit zwei arbei­ten­den Erwach­se­nen und einem Funk­tio­närs­groß­va­ter waren, aber dann müs­sen sie das Geld irgend­wie anders ver­p­läm­pert haben.

Übri­gens: Es gab in der DDR Ehe­kre­di­te, die man „abkin­dern“ konn­te. Die waren genau für sol­che Din­ge wie Wasch­ma­schi­nen gedacht.

Zwi­schen 1972 und 1988 wur­den 1.371.649 Ehe­kre­di­te mit einem Gesamt­vo­lu­men von 9,3 Mil­li­ar­den Mark ver­ge­ben, von denen etwa ein Vier­tel „abge­kin­dert“ wurde.

Wiki­pe­dia: Ehe­kre­dit

Die Ehe­kre­di­te gab es für Paa­re, „deren gemein­sa­mes Ein­kom­men bei Ehe­schlie­ßung nicht über 1.400 Mark lag“. Rabe sagt, dass ihre Mut­ter gear­bei­tet hat. Ihr Vater hat viel­leicht ein Sti­pen­di­um bekom­men. Ent­we­der, sie haben über 1400 Mark ver­dient, dann konn­ten sie eine Wasch­ma­schi­ne kau­fen oder sie haben weni­ger ver­dient, dann hät­ten sie einen Kre­dit über 5000 Mark bekom­men, von dem sie nur 2500 Mark hät­ten zurück­zah­len müs­sen. Das wäre prak­tisch ein geschenk­ter Wasch­voll­au­to­mat gewesen.

(Nach­trag: 09.04.2024 Peer hat mich auf fol­gen­de Infor­ma­ti­on zur Ver­brei­tung von Wasch­ma­schi­nen hingewiesen:

1986 befan­den sich in 94,4 Pro­zent aller DDR-Haus­hal­te Wasch­ma­schi­nen, davon ca. 13 Pro­zent Wasch­voll­au­to­ma­ten, ca. 40 Pro­zent Wasch­au­to­ma­ten und ca. 47 Pro­zent Bot­tich­wasch­ma­schi­nen; Hans-Joa­chim Scheit­hau­er u. Micha­el Laue, Moder­ne Wasch­ma­schi­nen – spar­sa­me Hel­fer im Haus­halt, in: Ener­gie­an­wen­dung 37, 1988, H. 6, S. 229ff., hier S. 229; Sta­tis­ti­sches Amt der DDR (Hg.), Sta­tis­ti­sches Jahr­buch der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik 1990, Ber­lin 1990, S. 324f.

Wöl­fel, Syl­via. 2012. „Plan­mä­ßi­ge Ver­rin­ge­rung des Bedarfs“ Die Ent­wick­lung ver­brauchs­ar­mer Haus­halts­ge­rä­te in der DDR. Tech­nik­ge­schich­te 79(1). 45–60. (doi:10.5771/0040–117X-2012–1‑45)

Die­se Ver­brei­tung ent­spricht in etwa der heu­ti­gen Ver­brei­tung in der Bun­des­re­pu­blik, die bei 96,2% liegt.

Das bedeu­tet, so die Aus­sa­ge über „tat­säch­li­che mate­ri­el­le Armut“ und die feh­len­de Wasch­ma­schi­ne in der Fami­lie Rabe denn kor­rekt ist, dass die­se Fami­lie sehr spe­zi­ell war. Aber die­sen Ver­dacht hat­te ich ja schon mehr­fach und Rabe selbst äußert sich ja auch so bzgl. der Gewalt in ihrer Familie.)

Homosexualität

Im Inter­view in den Zwi­schen­tö­nen beschreibt Anne Rabe, wie sie fest­ge­stellt hat, dass der Sozia­lis­mus der DDR ganz schreck­lich war:

Rabe: Eigent­lich gab es einen Moment, einen Aus­lö­ser, an den ich mich sehr gut erin­ne­re und zwar war ich so mit 18, Sil­ves­ter in Ham­burg und war dann mit mei­nem Freund damals im Kino und wir haben den Film geguckt von Juli­an Schna­bel, Befo­re Night Falls. Ein ganz tol­ler Film, den ich sehr emp­feh­len kann, über den kuba­ni­schen Schrift­stel­ler Rey­nal­do Are­nas, einen homo­se­xu­el­len Schrift­stel­ler, der des­halb auf Kuba ver­folgt wur­de für sei­ne Homo­se­xua­li­tät. Und das war ein sehr berüh­ren­der Film, da gibt es dann auch so Ver­schnit­te mit vie­len Cas­tro-Reden über Homo­se­xua­li­tät und das war der Moment, ich konn­te hin­ter­her gar nicht auf­ste­hen aus dem Kino­ses­sel, wo mir so bewusst wur­de, dass das, ich bin mit einem sehr posi­ti­ven DDR-Bild, einem sehr posi­ti­ven Bild vom Sozia­lis­mus und auch so sehr naiv damals noch so im Sin­ne von „Das wäre eigent­lich die Lösung für die Pro­ble­me unse­rer Zeit jetzt.“ auf­ge­wach­sen, hat­te nicht viel gehört über die Abgrün­de die­ses Sys­tems und das war für mich dann klar, ach so, das ist alles ganz, ganz anders und ich selbst wuss­te damals auch schon eben, ich bin nicht hete­ro­se­xu­ell, ich bin sel­ber que­er, für mich gäbe es da kei­nen Platz viel­leicht oder das wäre infra­ge gestellt und das war so ein ganz, ganz berüh­ren­der Moment, der mich rich­tig geschockt hat und da war mir klar, ach nee, hier stimmt eigent­lich gar nichts.

Schwarz: Mit 18, im Jahr 2002, nee 2004.

Rabe: Genau und dann habe ich tat­säch­lich ange­fan­gen auch dar­über zu lesen und mir selbst ein Bild zu machen über die DDR, über das, was da so alles so los war und dann gerät man ja rela­tiv schnell, kommt man da auf ziem­lich fins­te­re Ange­le­gen­hei­ten sozu­sa­gen. Ja doch, wenn man sucht schon, also das geht schon.

Nun ist es aber so, dass die Ein­stel­lung zur Homo­se­xua­li­tät im katho­lisch gepräg­ten Kuba sicher eine ande­re war als in der DDR der 80er Jah­re. Die DDR hat­te 1968 den Para­graph 175 gegen Homo­se­xua­li­tät lan­ge vor der BRD (1994) abge­schafft und in den 80er Jah­ren gab es Schwu­len­grup­pen in der FDJ und der SED, die ver­such­ten, den kirch­li­chen Grup­pen, die es schon seit den 70ern gab, Kon­kur­renz zu machen bzw. mit denen zu kooperieren.

Man kann dazu bei der Bun­des­zen­tra­le poli­ti­scher Bil­dung nachlesen: 

1988/89 kam es zur Grün­dung von schwul-les­bi­schen Grup­pen bei der Frei­en Deut­schen Jugend (FDJ) und in Klub­häu­sern. In Leip­zig nann­te man sich „Rosa­Lin­de“, in Dres­den „Gere­de“. Ziel war es, ein schwul-les­bi­sches Enga­ge­ment außer­halb der Kir­che zu initi­ie­ren. Man ver­such­te auch, Par­tei­mit­glie­der in bestehen­de Orga­ni­sa­tio­nen ein­zu­schleu­sen oder dort ange­schlos­se­ne Genos­sen für die SED-Zie­le zu instru­men­ta­li­sie­ren, bei­spiels­wei­se im Sonn­tags-Club. Nach­dem die­ser Ver­such geschei­tert war, wur­de – als Kon­kur­renz – die Grup­pe „Cou­ra­ge“ gegrün­det. Die FDJ gab allen Jugend­klubs vor, ein­mal im Monat eine Ver­an­stal­tung zum The­ma Homo­se­xua­li­tät zu orga­ni­sie­ren. Die unter dem Dach der SED in ver­schie­de­nen Städ­ten gegrün­de­ten Grup­pen bil­de­ten die „Inter­es­sen­grup­pe Theo­rie“, die schwul-les­bi­sche Poli­tik auf mar­xis­tisch-leni­nis­ti­scher Basis, aber auch eine Ver­net­zung mit den kirch­li­chen Arbeits­krei­sen anstrebte. 

Kön­ne, Chris­ti­an. 2018. Schwu­le und Les­ben in der DDR und der Umgang des SED-Staa­tes mit Homo­se­xua­li­tät. Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung.

Ich hat­te einen schwu­len Klas­sen­ka­me­ra­den, der mir Info­ma­te­ri­al kirch­li­cher Grup­pen zu Homo­se­xua­li­tät gege­ben hat (ca. 1985). Jörg ist jetzt Pfar­rer und hat es sich erkämpft, dass er mit sei­nem Mann im Pfarr­haus woh­nen darf (May­er, 2015).

Pfar­rer Jörg Zab­ka mit sei­nem Mann, Ber­lin, 02.11.2014. Bild: Vere­na May­er / Süd­deut­sche Zeitung

John Zin­ner hat sich in Lauscha, einer klei­nen Stadt in Thü­rin­gen, geoutet. Er ist stadt­be­kannt. Das Outing war wegen sei­nes homo­pho­ben Stief­va­ters nicht ein­fach, aber er hat es nach einer abge­bro­che­nen Repu­blik­flucht doch durch­ge­zo­gen. Das kann man in einem Arti­kel in der Zeit von 2016 nachlesen.

Kneipen

Wir wuss­ten von Schwu­len­treffs in der DDR. Von einem Lokal an der Schön­hau­ser Allee Ecke Kas­ta­ni­en­al­lee hat mir mein Mathe­leh­rer erzählt. Den Namen habe ich lei­der ver­ges­sen. Wahr­schein­lich war es das Cafe Schön­hau­ser. Es gab die Offen­bach­stu­ben. Die Prenz­lau­er-Berg-Nach­rich­ten schrei­ben über schwu­le Treffpunkte:

Nach der Zeit vor der Wen­de befragt, fal­len Patrick meh­re­re legen­dä­re Loca­ti­ons für schwu­les Publi­kum ein: „Es gab das Café Schön­hau­ser, die Schop­pen­stu­be und den Burg­frie­den“, zählt er auf. „Der Film Coming Out wur­de in die­sen Knei­pen gedreht“, weiß Wal­ter zu berich­ten. Und das war ein wah­rer Mei­len­stein: Coming Out (Regie: Hei­ner Carow) war der ein­zi­ge Film mit zen­tral schwu­ler The­ma­tik, der in der DDR je pro­du­ziert wur­de – im Novem­ber 1989 kam er in die Kinos. Auch (Ost-)Berlins bekann­tes­te Trans*-Person, Char­lot­te von Mahls­dorf, ein Name, der im Lau­fe des Abends häu­fi­ger fällt, hat­te eine Rol­le in Coming Out.

Cald­art, Isa­bel­la. 2018. Ver­schwin­den die schwu­len Knei­pen? Prenz­lau­er Berg Nachrichten.

In Kön­ne (2018) wird ange­merkt, dass es in Ost-Ber­lin viel weni­ger Schwu­len-Knei­pen gab als vor dem Krieg. Dazu muss man aller­dings wis­sen, dass es in Ost-Ber­lin ins­ge­samt eine Unter­ver­sor­gung mit Knei­pen gab. Man müss­te das also ins Ver­hält­nis zur Gesamt­knei­pen­dich­te set­zen, wenn man irgend­et­was dar­aus ablei­ten will.

Papier

Kön­ne (2018) schreibt zu Papierkontingenten:

Selbst Papier­kon­tin­gen­te für Flug­blät­ter wur­den staat­li­cher­seits nicht genehmigt.

Das hört sich für Nicht-Ossis oder Nach­ge­boh­re­ne sicher nach schlim­mer Unter­drü­ckung an. Die feh­len­de Hin­ter­grund­in­for­ma­ti­on ist, dass es einen extre­men Man­gel an Papier gab. Die meis­ten Druckerzeug­nis­se waren so genann­te Bück­wa­re. Man konn­te nicht ohne wei­te­res Abos für Peri­odi­ka abschlie­ßen. Ich habe jah­re­lang für mei­ne Mut­ter auf dem Schul­weg am Bahn­hofs­ki­osk ver­sucht, die Für Dich und die NBI zu ergat­tern. Ich war früh um 7:00 dort und es hat meis­tens geklappt. Wenn ich es ver­ba­selt hat­te, war mei­ne Mut­ter sauer. 

Titel­sei­te der DDR-Frau­en­zei­tung Für Dich von 1979. Die DDR hat Ver­wun­de­te aus Nami­bia in Ber­lin-Buch im Kli­ni­kum betreut. Bild in einer Aus­stel­lung im Muse­um Pan­kow, Ber­lin, 04.04.2024

Das Mosa­ik habe ich auch meis­tens bekom­men, aber mei­ne Samm­lung hat­te auch Lücken. 

  • Mosa­ik (Comic für Kin­der und Jugendliche)
  • Neu­es Leben (Jugend­zeit­schrift)
  • Für Dich (Wochen­zeit­schrift für die Frau)
  • NBI (Neue Ber­li­ner Illus­trier­te, Wochenzeitschrift)
  • Das Maga­zin (monat­lich erschei­nen­de Zeit­schrift mit Geschich­ten und Akt-Bildern)

Wenn also der Staat den Schwu­len- und Les­ben-Ver­bän­den Papier geneh­migt hät­te, dann hät­te das bedeu­tet, dass er Homo­se­xua­li­tät nicht nur nicht behin­dert, son­dern auch för­dert. Das pass­te nun aber gar nicht ins Sys­tem. Wie­so soll­te der Staat etwas för­dern, das er nicht unter Kon­trol­le hat­te und das ihm even­tu­ell Schwie­rig­kei­ten berei­ten wür­de? Geför­dert wur­den eige­ne Mas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on oder Grup­pen, die die eige­ne Ideo­lo­gie propagierten.

Ver­viel­fäl­ti­gungs­ma­schi­nen und Papier gab es nicht. Ich habe eine Zeit­schrift, die ich mit einem Freund gemacht habe, auf NVA-Dru­ckern aus­ge­druckt. Der Tele­graph wur­de mit Uralt-Druck­wal­zen vervielfältigt.

Stasi

Kön­ne (2018) schreibt, dass die Sta­si Schwu­len- und Les­ben­ver­bän­de bespit­zelt hat. Das hört sich schlimm an und es war auch schlimm, aber als Hin­ter­grund­in­for­ma­ti­on muss man wis­sen, dass alle Grup­pie­run­gen, die sich gebil­det haben, von der Sta­si unter­wan­dert und beob­ach­tet wur­den. Allen war klar, dass bei einem Tref­fen von drei Leu­ten, einer bei der Sta­si war. Man­che, wie zum Bei­spiel Vera Wol­len­ber­ger, hat­ten die Sta­si mit im Bett. Da war sie sogar in Zwei­er­grup­pen dabei. Das war die DDR. Ein Staat, der sei­ner Bevöl­ke­rung nicht trau­te und sie lücken­los über­wacht hat.

Kurt Demm­ler am 4.11.1989: Irgend­ei­ner ist immer dabei

Die Schwu­len- und Les­ben­ver­bän­de haben das ein­zig Rich­ti­ge getan: Sie haben die Sta­si mit offe­nen Armen empfangen.

Einstellung zu Homosexualität in Aufklärungsbüchern und der Wissenschaft

Im Auf­klä­rungs­buch „Mann und Frau intim“ gibt es ein Kapi­tel zur Homo­se­xua­li­tät, das im Wesent­li­chen dem ent­spricht, was fort­schritt­li­che Men­schen heu­te über Homo­se­xua­li­tät den­ken. Das Buch ist 1971 erschie­nen und wur­de wie­der­holt unver­än­dert nach­ge­druckt. Mir liegt die 12. unver­än­der­te Auf­la­ge von 1979 vor. Mei­ne Aus­ga­be ist aus dem Ver­lag Volk und Gesund­heit, Ber­lin. Nach Wiki­pe­dia­ein­trag des Autors Schnabl ist es vor­her 1969 in Rudol­stadt und auch als gering­fü­gig gekürz­te Lizenz­aus­ga­be 1969 in der BRD ver­öf­fent­licht wor­den. Das Buch wur­de ins Tsche­chi­sche (1972), Bul­ga­ri­sche (1979) und Rus­si­sche (1982) über­setzt. Bis 1990 hat­te das Buch 18 Auflagen.

Sexu­al­rat­ge­ber von 1971 aus der DDR mit heu­ti­gen Ansich­ten zur Homosexualität

Da in der DDR nicht ein­fach irgend­wer irgend­wel­che Bücher ver­öf­fent­li­chen konn­te, kann man davon aus­ge­hen, dass das die offi­zi­el­le Mei­nung zum The­ma war. Kön­nen (2018) schreibt:

Dies zeig­te sich in den Rat­ge­bern zur Sexua­li­tät für Erwach­se­ne. So wur­de 1977 Homo­se­xua­li­tät im Auf­klä­rungs­buch „Mann und Frau intim“ als eine von meh­re­ren Mög­lich­kei­ten mensch­li­cher Sexua­li­tät dar­ge­stellt. 1984 fand sich in „Lie­be und Sexua­li­tät bis 30“ erst­mals ein Kapi­tel zur Homo­se­xua­li­tät, das die­se posi­tiv dar­stell­te. Es ist nicht belegt, dass eine sol­che Ände­rung auch in den Unter­richts­hil­fen erfolg­te. Im sel­ben Jahr wur­de vom Ber­li­ner Magis­trat, der Ost-Ber­li­ner Stadt­ver­wal­tung, eine Grup­pe von Wis­sen­schaft­lern an der Hum­boldt Uni­ver­si­tät ein­ge­setzt, die Kon­zep­te erar­bei­ten soll­te, um die Lebens­um­stän­de und Lebens­be­din­gun­gen von Schwu­len und Les­ben zu ver­bes­sern.

DDR-weit gab es von 1985 bis 1990 drei inter­dis­zi­pli­nä­re Work­shops an ver­schie­de­nen Uni­ver­si­tä­ten mit dem Fokus auf homo­se­xu­el­len Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gun­gen. 1987 erschien mit „Homo­se­xua­li­tät“ die ers­te popu­lär­wis­sen­schaft­li­che Publi­ka­ti­on in der DDR. 1988 pro­du­zier­te das Deut­sche Hygie­ne-Muse­um Dres­den den Auf­klä­rungs­film „Die ande­re Lie­be“. Die Bro­schü­re zum Film infor­mier­te über die Geschich­te und das aktu­el­le Leben Homo­se­xu­el­ler sowie über die Kennt­nis­se der Wis­sen­schaft und gab Tipps für den All­tag des Ein­zel­nen – und spe­zi­ell für Eltern und Erzieher.

Kön­ne, Chris­ti­an. 2018. Schwu­le und Les­ben in der DDR und der Umgang des SED-Staa­tes mit Homo­se­xua­li­tät. Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung.

Es gab ein Auf­klä­rungs­buch für Jugend­li­che ab 12 Jah­ren: Denkst Du schon an Lie­be von Hein­rich Brück­ner.

Zu DDR-Zei­ten habe ich es gele­sen, es stand bei mei­nen Eltern im Schrank. Ich habe es mir extra jetzt noch ein­mal gekauft (4. Auf­la­ge von 1976). Es gibt auch in die­sem Buch ein Kapi­tel über Homo­se­xua­li­tät und die­se wird als nor­ma­le Vari­an­te dar­ge­stellt. Ich den­ke, dass das auch den Ansich­ten ent­spricht, die heu­te Stand der medi­zi­ni­schen For­schung sind. Ein­zi­ger Unter­schied ist wahr­schein­lich das Schutz­al­ter (§151), das in dem Buch noch gerecht­fer­tigt wird, aber in der DDR auch 1988 abge­schafft wurde.

Kuba und Homosexualität

Kuba war nach der Revo­lu­ti­on bis zu Fidel Cas­tros Tod von die­sem kon­trol­liert und gelenkt. Wie Rabe schreibt, gab es Reden von Cas­tro mit homo­se­xu­el­le­feind­li­chen Äuße­run­gen. Nach des­sen Tod wur­den wich­ti­ge Ämter von Raúl Cas­tro über­nom­men. Inter­es­san­ter­wei­se lei­te­te ab 1980 Raúl Cas­tros Toch­ter Marie­la Cas­tro Espín das Zen­trum für Sexu­el­le Bil­dung. Seit 1990 ist sie Direk­to­rin des Cen­tro Nacio­nal de Edu­ca­ción Sexu­al (Natio­na­les Zen­trum für sexu­el­le Auf­klä­rung – CENESEX). Sie ist LGBTQ-Akti­vis­tin und setzt sich sehr stark für die Rech­te der Homo­se­xu­el­len ein. Der Cuba-Bud­dy, eine Tou­ris­mus-Sei­te mit Spe­zia­li­sie­rung auf Kuba, schreibt:

In den letz­ten Jah­ren hat sich die Situa­ti­on der LGBTQ-Gemein­schaft auf Kuba deut­lich ver­bes­sert. Im Jahr 2008 wur­den Geset­ze ein­ge­führt, die Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund der sexu­el­len Ori­en­tie­rung ver­bie­ten. Die Geschlechts­um­wand­lung wur­de lega­li­siert und ist für jede Kuba­ne­rin und für jeden Kuba­ner kos­ten­frei und wird voll­stän­dig von den Kran­ken­kas­sen übernommen.

Im Sep­tem­ber 2022 stimm­te eine gro­ße Mehr­heit der Bevöl­ke­rung außer­dem bei einem Refe­ren­dum für eine Reform des Fami­li­en­ge­set­zes. Damit ist die Lega­li­sie­rung der gleich­ge­schlecht­li­chen Ehe, die Mög­lich­keit der Leih­mut­ter­schaft für homo­se­xu­el­le Paa­re sowie Adop­ti­on und här­te­res Vor­ge­hen gegen geschlech­ter­spe­zi­fi­sche Gewalt beschlos­sen worden.

Vor genau zehn Jah­ren, 2013 fand die ers­te offi­zi­el­le Pri­de-Woche in Havan­na statt, an der Tau­sen­de von Men­schen teil­nah­men. Seit­dem erstrahlt die Haupt­stadt jedes Jahr für eine Woche in den Far­ben der Community.

Der Cuba bud­dy: Geschich­te der LGBTQIAS+-Gemeinschaft in Kuba

Aus wirt­schaft­li­chen Grün­den inten­si­vier­te Kuba ab den 80er Jah­ren den Tou­ris­mus und war des­halb auch an einer fort­schritt­li­che­ren Sicht auf Homo­se­xua­li­tät inter­es­siert. 2022, also ein Jahr vor dem Inter­view mit Rabe, wur­den die Fami­li­en­ge­set­ze in Kuba moder­ni­siert, so dass man jetzt gleich­ge­schlecht­lich hei­ra­ten kann. Kuba hat jetzt eins der libe­rals­ten Fami­li­en­ge­set­ze weltweit.

Kuba ist immer noch ein sozia­lis­ti­sches Land, ein Ein­par­tei­en­sys­tem mit einer kom­mu­nis­ti­schen Par­tei. Die Fra­ge, die man sich stel­len muss, ist, war­um es so lan­ge gedau­ert hat, bis die Geset­ze geän­dert wur­den. Und die Ant­wort ist, dass in sol­chen Dik­ta­tu­ren des Pro­le­ta­ri­ats, also de fac­to Ein­par­tei­en­sys­te­men, je nach Gege­ben­hei­ten im jewei­li­gen Land, viel an Ein­zel­per­so­nen hän­gen kann. Die Men­schen, die, als Rabe drei Jah­re alt war, an den run­den Tischen saßen, waren zum Teil für einen Sozia­lis­mus mit mensch­li­chem Ant­litz. Mehr Betei­li­gung, weni­ger Über­wa­chung. Eine eigen­stän­di­ge, lin­ke, pro­gres­si­ve DDR.

Wer­bung für Anti-Kohl-Demo im Dezem­ber 1989 ver­schie­de­ner Oppo­si­ti­ons­grup­pen, u.a. den Grü­nen und der Frau­en­ver­ei­ni­gung Lila Offen­si­ve. DDR-Muse­um Eisenhüttenstadt.

Wich­tig ist in die­sem Zusam­men­hang, dass das Fami­li­en­ge­setz auf­grund eines Refe­ren­dums geän­dert wur­de. Das zeigt, dass es in Kuba heut­zu­ta­ge eine Betei­li­gung des Vol­kes gibt. Übri­gens setzt sich auch hier Marie­la Cas­tro für die Stär­kung par­ti­zi­pa­ti­ver Mecha­nis­men ein.

Schwule und der Sozialismus

Anne Rabe lei­te­te ja aus einem Film über einen Schrift­stel­ler im katho­li­schen Kuba irgend­et­was über „den Sozia­lis­mus“ ab. Man hät­te ja mal gucken kön­nen, wie es in der DDR war, um her­aus­zu­fin­den, ob das im Film Gezeig­te für den Sozia­lis­mus an sich typisch gewe­sen war. Aber selbst wenn es in der DDR auch so schlimm gewe­sen wäre, wäre man noch nicht fer­tig gewe­sen. Es hät­te ja sein kön­nen, dass die DDR viel­leicht als Nazi-Erbe noch bestimm­te spe­zi­el­le homo­pho­be Ein­stel­lun­gen tra­diert hät­te, die aber nicht zwangs­läu­fig mit dem Sozia­lis­mus gekop­pelt gewe­sen sein müss­ten. Dazu hät­te man über­prü­fen müs­sen, wie es in ande­ren Län­dern des Ost-Blocks gewe­sen ist. Kön­nen (2018) schreibt dazu:

Die sich in der DDR for­mie­ren­de Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gung war durch die­sel­be Film­pro­duk­ti­on beein­flusst wie die der Bun­des­re­pu­blik und such­te sich auch spä­ter ihre Vor­bil­der im Wes­ten. Sol­che aus der frü­hen Geschich­te der UdSSR, wo die Straf­bar­keit für Homo­se­xua­li­tät – zwi­schen 1917 und 1934 – abge­schafft wor­den war, wur­den nicht genutzt. Kon­tak­te mit Homo­se­xu­el­len aus ande­ren Staa­ten des ehe­ma­li­gen Ost­blocks wie Polen, ČSSR oder Ungarn, in denen Homo­se­xua­li­tät teil­wei­se eben­falls seit den 1960er straf­frei war, sind aber ab 1987/88 bezeugt.

Das zeigt, dass die Sowjet­uni­on, wo zumin­dest die spä­te­re Hälf­te des Mar­xis­mus-Leni­nis­mus her­kam, schon vor 1934 eine ande­re Ein­stel­lung zur Homo­se­xua­li­tät hat­te als die Deut­schen, die ihr 1000jähriges fins­te­res Kapi­tel da gera­de erst begon­nen hat­ten. 1934 wur­de Röhm ermor­det und dann war der Weg frei für die sys­te­ma­ti­sche Ver­fol­gung und Ver­nich­tung Homo­se­xu­el­ler (Wiki­pe­dia: Homo­se­xua­li­tät in der Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus). In Polen wur­de die Homo­se­xua­li­tät sogar 1932 schon straf­frei und homo­se­xu­el­le Pro­sti­tu­ti­on 1968 lega­li­siert.

Schlussfolgerung

An der DDR gab es viel zu bemän­geln und ich war auch im Okto­ber 1989 in der Geth­se­ma­ne-Kir­che und habe pro­tes­tiert, aber aus einem Film über das schwe­re Leben eines schwu­len Schrift­stel­lers in Kuba abzu­lei­ten, dass der Sozia­lis­mus schlecht ist, hal­te ich für etwas gewagt. Schlimm ist es dann, wenn eine que­e­re Per­son 2023, also 19 Jah­re spä­ter, die­se Geschich­te völ­lig unre­flek­tiert erzählt.

Der Sozialismus ist tot, es lebe der Solzialismus!

Anne Rabe ist Mit­glied der SPD. Aus mei­nen ver­schie­de­nen Blog-Bei­trä­gen soll­te klar gewor­den sein, dass Anna Rabes Arbeit sich nicht durch Gründ­lich­keit aus­zeich­net. So hat sie wahr­schein­lich auch nicht wirk­lich nach­ge­schaut, in wel­che Par­tei sie ein­ge­tre­ten ist. Die SPD war ursprüng­lich eine Arbei­ter­par­tei. Mein Opa war drin, sein Bru­der war in der SAJ, der Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on der SPD. Er hat im KZ geses­sen für Flug­blät­ter für eine Ein­heits­front aus KPD und SPD (sie­he Blog-Post zu Rabes Ideen von Blut­schuld). Die SPD war bis 1959, bis zum Godes­ber­ger Pro­gramm, eine mar­xis­tisch-leni­nis­ti­sche Par­tei. Das haben sie dann aus dem Pro­gramm gewor­fen, aber sie wol­len immer noch den (demo­kra­ti­schen) Sozia­lis­mus auf­bau­en (sie­he Ham­bur­ger Pro­gramm, 2007). Ob das mit dem aktu­el­len Per­so­nal was wird, ist noch eine ande­re Fra­ge, aber das ist zumin­dest das Ziel. Die SPD steht zur Zeit nir­gend­wo im Osten da, wo sie ste­hen könn­te, in Sach­sen bei 6%, und Anne Rabe ist Teil des Pro­blems. Sie hilft dem Wes­ten, wie Osch­mann es sagen wür­de, sich einen Osten zu kon­stru­ie­ren. Mit die­sen Men­schen möch­te im Osten nie­mand zu tun haben. Damit die­ses Pro­blem irgend­wann im Wes­ten ankommt, schrei­be ich die­se Blog-Beiträge.

Umfra­ge­er­geb­nis­se für Sach­sen 3.4.2024: https://dawum.de/Sachsen/

Zusammenfassung

Lie­be Wes­sis, lie­be drit­te oder vier­te Gene­ra­ti­on Ossis: Anne Rabe ist kei­ne zuver­läs­si­ge Quel­le für irgend­was. Wenn Ihr sie inter­viewt, berei­tet Euch gut dar­auf vor. Wenn Ihr über Ihre Aus­sa­gen schreibt, recher­chiert selbst. Ihr wer­det sonst auch Teil der gro­ßen Peinlichkeit.

Quellen

Anne Rabe: „In ver­wir­ren­den Zei­ten sind ein­fa­che Nar­ra­ti­ve ver­füh­re­risch“. 2023. Deutsch­land­ra­dio. (Zwi­schen­tö­ne.) (https://www.deutschlandfunk.de/anne-rabe-in-verwirrenden-zeiten-sind-einfache-narrative-verfuehrerisch-dlf-84b94bff-100.html)

Kön­ne, Chris­ti­an. 2018. Schwu­le und Les­ben in der DDR und der Umgang des SED-Staa­tes mit Homo­se­xua­li­tät. Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung. (https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/265466/schwule-und-lesben-in-der-ddr/)

May­er, Vere­na. 2015. Homo­se­xua­li­tät und Kir­che: Der Herr Pfar­rer und sein Mann. Süd­deut­sche Zei­tung. Mün­chen. (https://www.sueddeutsche.de/leben/homosexualitaet-und-kirche-der-herr-pfarrer-und-sein-mann‑1.2218981)

Timt­schen­ko, Maria. 2016. DDR: Ein Mann fin­det sein Glück. Die Zeit (50/2016). (https://www.zeit.de/2016/50/ddr-thueringen-homosexualitaet-lauscha/)

Wöl­fel, Syl­via. 2012. „Plan­mä­ßi­ge Ver­rin­ge­rung des Bedarfs“ Die Ent­wick­lung ver­brauchs­ar­mer Haus­halts­ge­rä­te in der DDR. Tech­nik­ge­schich­te 79(1). 45–60. (doi:10.5771/0040–117X-2012–1‑45)