Die taz berichtet heute über Polizist*innen, die durch Rechtsextremismus, Rassismus oder Antisemitismus aufgefallen sind (taz, 21.10.2021). Interessanterweise sind alle Vorfälle bis auf einen mit einer Polizistin aus Dessau aus dem Westen (Berlin zähle ich großzügig auch zum Westen. Es geht wohl auch um Neukölln.):
- Berlin:
- 47 Disziplinarverfahren wegen des Verdachts auf rechtsextremistische oder rassistische Äußerungen.
- Februar 2020 25 Polizist*innen, rassistische Nachrichten
- Oktober 2020 26 Polizeischüler*innen, Nachrichten mit Hakenkreuzen
- 5 Polizist*innen versenden menschenverachtende Inhalte in Chatgruppen, Volksverhetzung, verfassungsfeindliche Symbole (Detlef M. Neukölln)
- Frankfurt/Main:
- 6 Polizist*innen, rechtsradikale Bilder, einer mit Waffen
- 20 Beamte des SEK: volksverhetzender Chatnachrichten, 19 suspendiert, 3 Vorgesetzte
- Spezialeinheit aufgelöst
- Mindestens 29 weitere hessische Polizeibeamt*innen gehörten zur Chatgruppe, 9 mit Disziplinarverfahren, jedoch nicht strafbar, weil private Kommunikation
- Polizeipräsident des Präsidiums Westhessen äußert sich rassistisch
- Mühlheim an der Ruhr/NRW:
- Chat mit rechtsextremen und rassistischen Inhalten, 20 Polizist*innen suspendiert, Strafbefehle gegen 6
- alle Aspekte von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, nämlich Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamophobie, Sexismus und Homophobie.
- gegen 29 Polizeibeamt:innen ermittelt, Mülheimer Dienstgruppe A samt Dienstgruppenleiter komplett suspendiert
- Insgesamt in NRW 53 bestätigte rechtsextreme Fälle, 138 noch offen. Bei 59 Verdachtsfällen noch andauernde strafrechtliche Prüfungen und arbeits‑, disziplinar- oder beamtenrechtlichen Prüfungen, von 2017 bis Ende September 2021 275 Verdachtsfälle, 6 entlassene Kommissaranwärter
- Alsfeld/Hessen:
- Hitler-Bild auf WhatsApp geteilt, über das Auskunftssystem der Polizei Abfragen ohne dienstlichen Anlass vorgenommen und Informationen weitergegeben, unerlaubte Schusswaffen und Munition
- Geldstrafe 7000€, Justiz fand Hitlerbild aber nicht relevant, weil war ja privat
- Osnabrück/Niedersachsen:
- Ermittlungen gegen 6 Beamte, verfassungsfeindliche Symbole über whatsapp verschickt, 4 suspendiert
So. Wat sagt uns ditte? Ich schreibe jetzt mal eine Einordnung, so wie man sie mitunter andersrum in Zeitungen findet:
<sarcasm>Dieser ganze Neofaschismus ist sehr schwer erträglich und nicht zu verstehen. Die Menschen im Westen sind irgendwie ganz anders als wir lieben Linken aus dem Osten. Wir haben in der Schule aufgepasst, haben alle mehrfach Konzentrationslager besucht und wissen, dass Faschismus unglaubliches Leid über viele Menschen gebracht hat. Wie kann man diese Entgleisungen nur erklären? Mir fallen mehrere Erklärungen ein:
- Nach dem Krieg gab es keine wirkliche Aufarbeitung des Faschismus.
- Opa/Oma bzw. Uropa/Uroma der kleinen Hitlers in der Polizei sind in einer Diktatur aufgewachsen. Die entsprechenden Deformierungen wurden in der Familie weitergegeben.
- Die Nazi-Polizisten sind nie in einen Kindergarten gegangen, saßen stundenlang alleine auf dem Topf, weil Mama sie nicht weiterspielen ließ, bis die wichtigen Sachen erledigt waren, und haben wegen fehlendem Kontakt zu anderen Kindern kein vernünftiges Sozialverhalten erlernt.
- Die Nazi-Mütter (Mütter der Nazis) waren frustriert, weil sie ökonomisch abhängig waren und sich deshalb nicht von den Vätern trennen konnten.
</sarcasm>
Ist bescheuert? Ja. Aber solches Zeug müssen Ostdeutsche immer wieder in der Zeitung lesen (Zeitungen sind bis auf das Neue Deutschland und die Berliner Zeitung alles West-Zeitungen). Zum Beispiel, dass Kinder Neonazis geworden seien, weil sie im Kindergarten nebeneinander auf dem Töpfchen gesessen hätten (gute Besprechung der Pfeifferschen These von Kerstin Decker im tagesspiegel, 11.05.1999). Oder dass die Tatsache, dass die AfD im Osten erfolgreich ist, an der Diktatursozialisierung läge. Die DDR ist schon über 30 Jahre Geschichte. Junge AfD-Wähler*innen kennen die DDR nur noch aus Erzählungen.
Zusammenfassung
Dieses Land hat ein Nazi-Problem. Oder mehrere. Verschiedene. Es ist zu einfach, angeekelt auf den jeweils anderen zu blicken und zu sagen: Ih, die sind so anders. Die Nazis. Da drüben. Es wird nicht besser, wenn man von oben herab über Minderheiten schreibt. Man kann sich zwar schön selbst vergewissern und die Leser*innen finden es auch dufte, aber man schließt eben ein Fünftel der Bevölkerung des Landes weiterhin aus (Die taz hat mit 6% ostdeutschen Leser*innen den höchsten Ossi-Anteil. Bei Spiegel und Süddeutscher liegt er bei 4% und 2,5%. Siehe taz, 09.03.2021). Dieses Fünftel wird die Zeitungen weiterhin nicht lesen und sind somit für normale Medien mit journalistischen Qualitätsstandards verloren. Dieser Teil der Bevölkerung kriegt seine Information und Unterhaltung eben auf rechten Schwurbelkanälen. Wie gefährlich das ist, haben wir während der Corona-Krise gesehen und das gilt genauso für die Klimakrise.
Quellen
Decker, Kerstin. 1999. Das Töpfchen und der Haß. tagesspiegel. Berlin. (https://www.tagesspiegel.de/kultur/das-toepfchen-und-der-hass/77844.html)
Fromm, Anne. 2021. Presse in Ostdeutschland: Wer streichelt unsere Seele? taz. Berlin. (https://taz.de/Presse-in-Ostdeutschland/!5756271/)
Giessler, Denis. 2021. Verdachtsfälle Rassismus bei der Polizei: Die lange Liste der Einzelfälle. taz. Berlin. (https://taz.de/Verdachtsfaelle-Rassismus-bei-der-Polizei/!5806075/)
Gürgen, Malene. 2020. Ermittlungen gegen Berliner Beamten: AfD, NPD, Polizei. taz. Berlin. (https://taz.de/Ermittlungen-gegen-Berliner-Beamten/!5690788/)