Im Folgenden zeige ich zwei Tabellen. Sie basieren auf einem Forschungsprojekt, das neben vielen anderen Daten den religiösen Hintergrund aller Mitarbeiter*innen in der Staatsführung und Administration im Kaiserreich, der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus, in der BRD und der DDR erhoben hat. Dabei wurden immer, soweit zugänglich, die obersten drei Hierarchieebenen erfasst.
BRD
Tabelle 1 zeigt den Anteil der Juden in den Eliten von 1949 bis 1998, Tabelle 2 den der Juden in der DDR von 1949 bis 1989. Wie man sehen kann, ist der Anteil der Juden in der BRD 0. Kein einziger war dort an Regierungen beteiligt. In der ersten Spalte sind die Minister zu sehen, in der zweiten die Verwaltung.
Politiker*innen | Beamt*innen | |
---|---|---|
Konrad Adenauer 1949–1963 | 0/51 | 0/283 |
Ludwig Erhard (1963–1966) | 0/28 | 0/186 |
Georg Kiesinger (1966–1969) | 0/32 | 0/208 |
Willy Brandt (1969–1974) | 0/52 | 0/251 |
Helmut Schmidt (1974–1982) | 0/64 | 0/279 |
Helmut Kohl (1982 – 1998) | 0/133 | 0/480 |
DDR
In der DDR gab es neun, dann acht, dann einen. Eventuell hat es noch weitere gegeben, aber die Daten, die in Kassel ausgewertet werden konnten, waren im Gegensatz zu denen, die für die BRD vorlagen, nicht vollständig.
In der ersten drei Spalten findet man Politiker*innen, in den zweiten drei Spalten das Verwaltungspersonal. In der ersten Spalte findet man jeweils die absoluten Zahlen. Danach kommt eine Angabe in Prozent bezogen auf die gesamte Gruppe. Die jeweils dritte Spalte gibt den Prozentwert in Bezug auf den Rücklauf. D.h. wenn die Religion nicht bekannt war, wurde die betreffende Person nicht mitgezählt.
Prozent | Gültige | Prozent | Gültige | ||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Otto Grotewohl (1949–1964) | 9/334 | 2,7% | 11,1% | 1/9 | 11,1% | 100% | |
Willi Stoph I (1964–1973) | 8/379 | 2,1% | 16,3% | 1/20 | 5,0% | 33,3% | |
Horst Sindermann (1973–1976) | 1/291 | 0,3% | 3,4% | 0/6 | |||
Willi Stoph II (1976–1989) | 0/395 | 0/11 |
Die Kassler Untersuchung listet die jeweiligen Mitglieder der Administration namentlich auf. Man kann die Listen also durchgehen und nach Personen in Wikipedia suchen. Bisher habe ich folgende Juden gefunden:
- Herbert Grünstein (1912–1992)
- Klaus Gysi (1912–1999)
- Gustav Hertzfeldt (1928–2005)
- Hans Rodenberg (1895–1978)
Bei den Juden, die ich in den Kassler Listen finden konnte, habe ich nachgesehen, warum sie nach 1976 nicht mehr in den Regierungen geführt werden. Wie man den folgenden Zitaten aus Wikipedia entnehmen kann, lag das nicht daran, dass sie irgendwie in Ungnade gefallen wären. Auch ist zu berücksichtigen, dass Verfolgte des Naziregimes bereits mit 60 Jahren in Rente gehen konnten (Goschler, 1993: 107). (Frauen mit 55)
Über Herbert Grünstein steht folgendes in Wikipedia:
Im Januar 1951 wurde er als Nachfolger des abgesetzten Generalinspekteurs Hans Klein Leiter dieser Abteilung, die 1952 in Politische Verwaltung umbenannt wurde. Von September 1955 bis 1957 war er Stellvertreter und vom Februar 1957 bis Oktober 1973. Stellvertreter des Ministers des Innern und gleichzeitig Staatssekretär im MdI. Im Juli 1957 wurde er vom Chefinspekteur zum Generalmajor umattestiert und am 29. Juni 1962 auf Beschluss des Ministerrates der DDR zum Generalleutnant befördert.
Von 1974 bis 1984 war er stellvertretender Generalsekretär bzw. Sekretär für internationale Beziehungen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF), von 1976 bis 1989 Vorsitzender des Bezirkskomitees Berlin der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR und gleichzeitig Mitglied der SED-Bezirksleitung Berlin. Er war 20 Jahre lang von 1953 bis 1973 neben Erich Mielke zweiter Vorsitzender der Zentralen Leitung der Sportvereinigung Dynamo.
Grünstein war Mitglied des Vorstandes der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum. Seine jüdische Identität hielt er – auch vor seiner Tochter Eva Grünstein-Neumann – lange verborgen.
Leider weiß man nicht wie lange „lange“ war. Sicher kann man Grünstein dann aber nicht als Beweis für Antisemitismus oder das Gegenteil in der DDR heranziehen.
Über Hertzfeldt steht folgendes in Wikipedia:
Hertzfeldt gehörte zu den wenigen Juden, die in Berlin die NS-Herrschaft in der Illegalität überlebten.
Nach Kriegsende 1945 war er im Jugendnoteinsatz als Zimmermann tätig. Hertzfeld war Gründungsmitglied der Antifa-Jugend und der Freien Deutschen Jugend. 1945 trat er der KPD bei und Hertzfeldt war der jüngste Delegierte auf dem Vereinigungsparteitag von KPD und SPD zur SED. Von 1947 bis 1949 war er Journalist beim Berliner Rundfunk und anschließend bis 1962 als Mitarbeiter in der Redaktion der theoretischen Zeitschrift des ZK der SED „Einheit“ und spezialisierte sich auf Außenpolitik. Zwischenzeitlich absolvierte er von 1954 bis 1957 ein Studium an der Parteihochschule beim ZK der KPdSU in Moskau mit Abschluss als Diplom-Gesellschaftswissenschaftler.
1962 trat er in den diplomatischen Dienst der DDR. Von 1962 bis 1965 war Hertzfeldt Generalkonsul der DDR in Jakarta. Von 1966 bis 1969 war er als einer der Stellvertreter des Außenministers tätig und vertrat die DDR anschließend von März 1969 bis 1973 als Botschafter in Peking. Der Antritt Herzfeldts fiel in die Zeit der militärischen Auseinandersetzungen der VR China mit der UdSSR am Ussuri. Von 1973 bis 1983 war er Chefredakteur der Zeitschrift „Deutsche Außenpolitik“, des Organs des DDR-Außenministeriums.
Über Hans Rodenberg kann man lesen:
Als er 1948 in die Sowjetische Besatzungszone zurückkehrte, konnte Rodenberg seine künstlerische Entwicklung fortsetzen. Er gründete das Theater der Freundschaft in Berlin-Lichtenberg und wurde dessen erster Intendant. Er wurde 1952 auch Ordentliches Mitglied der Akademie der Künste, Berlin (Ost), Sektion Darstellende Kunst und blieb es bis zu seinem Tod.
1949 nahm er als Sonderkorrespondent des Neuen Deutschland am Prozess gegen Trajtscho Kostow und seine Gruppe in Sofia teil.
Rodenberg war 1952 bis 1956 Hauptdirektor des DEFA-Studios für Spielfilme. Zwischen 1956 und 1960 war Rodenberg Dekan an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg; 1958 erhielt er seine Ernennung zum Professor.
Außerdem betätigte er sich kulturpolitisch als stellvertretender Kulturminister (1960–1963), Mitglied des Staatsrats, der Volkskammer und des Zentralkomitees der SED.
Von 1969 bis 1974 war Rodenberg Vizepräsident der Akademie der Künste, Berlin (Ost).
Quellen
Goschler, Constantin. 1993. Paternalismus und Verweigerung — Die DDR und die Wiedergutmachung für jüdische Verfolgte des Nationalsozialismus. In Benz, Wolfgang (ed.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Band 2. Frankfurt/Main: Campus-Verlag.
Strobel, Bastian & Scholz-Paulus & Vedder, Stefanie & Veit, Sylvia. 2021. Die Politisch-Administrative Elite der BRD unter Helmut Kohl (1982–1998). Universität Kassel: Fachgebiet Public Management. (https://dx.doi.org/doi:10.17170/kobra-202102193307)
Strobel, Bastian & Scholz-Paulus, Simon & Vedder, Stefanie & Veit, Sylvia. 2021a. Datenbericht zur Politisch-Administrativen Elite der DDR unter Horst Sindermann (1973–1976). Zwischenbericht der Datenerhebung zur DDR im Rahmen des Forschungsprojektes „Neue Eliten – etabliertes Personal? (Dis-)Kontinuitäten deutscher Ministerien in Systemtransformationen“. Universität Kassel: Fachgebiet Public Management. (https://www.uni-kassel.de/fb07/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=3021&token=2c6fae1adfcbb1c4762fd67174cd664979d7f4f8)
Strobel, Bastian & Scholz-Paulus, Simon & Vedder, Stefanie & Veit, Sylvia. 2021b. Datenbericht zur Politisch-Administrativen Elite der DDR unter Otto Grotewohl (1949–1964). Zwischenbericht der Datenerhebung zur DDR im Rahmen des Forschungsprojektes „Neue Eliten – etabliertes Personal? (Dis-)Kontinuitäten deutscher Ministerien in Systemtransformationen“. Universität Kassel: Fachgebiet Public Management. (https://www.uni-kassel.de/fb07/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=3023&token=8eb0f51761c4749523f5803ed4e6c6c62bd5de04)
Strobel, Bastian & Scholz-Paulus, Simon & Vedder, Stefanie & Veit, Sylvia. 2021c. Datenbericht zur Politisch-Administrativen Elite der DDR unter Willi Stoph I (1964–1973). Zwischenbericht der Datenerhebung zur DDR im Rahmen des Forschungsprojektes „Neue Eliten – etabliertes Personal? (Dis-)Kontinuitäten deutscher Ministerien in Systemtransformationen“. Universität Kassel: Fachgebiet Public Management. (https://www.uni-kassel.de/fb07/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=3022&token=f349d9887a6c7d9185e7fb9c0a54456aff6f27f6)
Strobel, Bastian & Scholz-Paulus, Simon & Vedder, Stefanie & Veit, Sylvia. 2021d. Datenbericht zur Politisch-Administrativen Elite der DDR unter Willi Stoph II (1976–1989). Zwischenbericht der Datenerhebung zur DDR im Rahmen des Forschungsprojektes „Neue Eliten – etabliertes Personal? (Dis-)Kontinuitäten deutscher Ministerien in Systemtransformationen“. Universität Kassel: Fachgebiet Public Management. (https://www.uni-kassel.de/fb07/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=3377&token=69d43af16bfd665bb2c0b29358fc169623c83639)
Strobel, Bastian & Scholz-Paulus, Simon & Vedder, Stefanie & Veit, Sylvia. 2021e. Die Politisch-Administrative Elite der BRD unter Helmut Schmidt (1974–1982). Universität Kassel: Fachgebiet Public Management. (https://dx.doi.org/doi:10.17170/kobra-202102193306)
Strobel, Bastian & Scholz-Paulus, Simon & Vedder, Stefanie & Veit, Sylvia. 2021f. Die Politisch-Administrative Elite der BRD unter Konrad Adenauer (1949–1963). Universität Kassel: Fachgebiet Public Management. (https://dx.doi.org/doi:10.17170/kobra-202102183292)
Strobel, Bastian & Scholz-Paulus, Simon & Vedder, Stefanie & Veit, Sylvia. 2021g. Die Politisch-Administrative Elite der BRD unter Kurt Georg Kiesinger (1966–1969). Universität Kassel: Fachgebiet Public Management. (https://dx.doi.org/doi:10.17170/kobra-202102193304)
Strobel, Bastian & Scholz-Paulus, Simon & Vedder, Stefanie & Veit, Sylvia. 2021h. Die Politisch-Administrative Elite der BRD unter Ludwig Erhard (1963–1966). Universität Kassel: Fachgebiet Public Management. (https://dx.doi.org/doi:10.17170/kobra-202102183293)
Strobel, Bastian & Scholz-Paulus, Simon & Vedder, Stefanie & Veit, Sylvia. 2021i. Die Politisch-Administrative Elite der BRD unter Willy Brandt (1969–1974). Universität Kassel: Fachgebiet Public Management. (https://dx.doi.org/doi:10.17170/kobra-202102193305)