Kahane 2.0: Holocaust, Antisemitismus, Antifaschismus, Israel, Propaganda und angebliche Nazi-Richter und ‑Lehrer in der DDR

Holocaust nicht thematisiert oder relativiert?

Vor sie­ben Jah­ren behaup­te­te Anet­ta Kaha­ne, dass die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Holo­caust in der DDR weder auf sys­te­mi­scher noch auf indi­vi­du­el­ler Ebe­ne gewollt gewe­sen sei.

Im Osten war eine sys­te­mi­sche und indi­vi­du­el­le Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus und der Sho­ah nicht gewollt. Dies hät­te zu Fra­gen nach Men­schen­rech­ten oder Min­der­hei­ten­schutz geführt, die nur bei Stra­fe des Unter­gangs der DDR zu beant­wor­ten gewe­sen wären. 

Anet­ta Kaha­ne, Debat­te Ost­deut­sche und Migran­ten: Nicht in die Fal­len tap­pen, taz, 12.06.2018

Sie­ben Jah­re spä­ter weist ihr Nef­fe Leon Kaha­ne in einem Inter­view in der Kunst­zeit­schrift Mono­pol dar­auf hin, dass es einen Uni­ver­sa­lis­mus gege­ben habe, in dem der Holo­caust mit den Mor­den an Kommunist*innen, Homo­se­xu­el­len usw. gemein­sam behan­delt wur­de. Immer­hin wird die Exis­tenz des Geden­kens nicht ganz geleug­net, wie das bei Ines Gei­pel der Fall war. Ich habe Anet­ta Kaha­nes und Ines Gei­pels Aus­sa­gen von 2018 und 2019 im Blog-Post Der Ossi und der Holo­caust dis­ku­tiert. Was will man gegen den Uni­ver­sa­lis­mus-Vor­wurf sagen? Uni­ver­sa­lis­mus ist ein schö­nes Schlag­wort dafür, dass sich die Kommunist*innen selbst gefei­ert haben. Da war viel Pro­pa­gan­da dabei, aber letzt­end­lich hat­ten die Men­schen, die im Wider­stand waren, auch das Recht dazu, stolz zu sein. Und es war nicht der Fall, dass der Völ­ker­mord an den Juden unter den Tisch gekehrt wur­de, wie Anet­ta Kaha­ne behaup­tet hat. Leon Kaha­ne war an einer Aus­stel­lung über jüdi­sches Leben in der DDR betei­ligt. Er weiß, dass es über 1000 Bücher zum jüdi­schen Leben, zum Holo­caust und zum Wider­stand gab, dass es über 1000 Fil­me gab (zu den Details sie­he Der Ossi und der Holo­caust). Aus­schnit­te aus den Fil­men konn­te man in der Aus­stel­lung sehen.

Über­sicht der Film­se­quen­zen, die in der Aus­stel­lung „Ein ande­res Land – Jüdisch in der DDR“ gezeigt wur­den, Jüdi­sches Muse­um, Ber­lin, 19.11.2023

Es gab dort auch ein Regal mit Büchern. 

Bücher in der Aus­stel­lung „Ein ande­res Land – Jüdisch in der DDR“, Jüdi­sches Muse­um, Ber­lin, 19.11.2023

Ich habe über die Aus­stel­lung in Aus­stel­lung: „Ein ande­res Land. Jüdisch in der DDR.“ geschrie­ben. All die Auf­ar­bei­tung und Aus­ein­an­der­set­zung und das Geden­ken wird igno­riert und abge­tan, indem man behaup­tet, die Kommunist*innen hät­ten sich nur selbst gefeiert.

Das Inter­view mit Leon Kaha­ne ist in einer Inter­view­rei­he der Zeit­schrift Mono­pol erschie­nen, zu der auf der Sei­te steht:

Es ist Teil der Rei­he „Osten vom Wes­ten“, für die Kage als in West­deutsch­land Auf­ge­wach­se­ner Gesprä­che mit Kul­tur­schaf­fen­den führt, die ihre Kar­rie­ren noch in der DDR begon­nen haben.

Die­se Aus­sa­ge ist lus­tig, denn Kaha­ne war zum Fall der Mau­er 4 Jah­re alt. Er wird damals noch im Bud­del­kas­ten Sand­förm­chen gebas­telt haben. Aber viel­leicht waren die von beson­de­rem künst­le­ri­schen Wert. Kaha­ne ist also in der­sel­ben Gene­ra­ti­on wie Anne Rabe und die Aus­sa­gen auch von ähn­li­cher Qua­li­tät. Ich gehe ein­fach mal eini­ge State­ments durch.

USA und Israel Faschisten?

In der DDR hat­te man den Faschis­mus in Gän­ze über­wun­den. Die neu­en Faschis­ten ver­or­te­te man in Isra­el und in Ame­ri­ka und hat so rela­tiv naht­los an zen­tra­le ideo­lo­gi­sche Ele­men­te des Natio­nal­so­zia­lis­mus anknüp­fen kön­nen und sie inso­fern auch nicht auf­ar­bei­ten müssen.

Leon Kaha­ne. 2025. Künst­ler Leon Kaha­ne „In der DDR gab es im Grun­de kei­ne Erin­ne­rungs­kul­tur“, Mono­pol. 20.06.2025

Also die USA waren ganz klar der Klas­sen­feind. Sie waren Kapi­ta­lis­ten und Impe­ria­lis­ten. Das wur­de uns so ver­mit­telt (mei­ne Schul­zeit dau­er­te von 1974–1986, auch wäh­rend der Armee­zeit gab es Polit­un­ter­richt). Faschis­mus war etwas ande­res, jeden­falls habe ich nie von solch einer Gleich­set­zung gehört.1 Die Sache mit Isra­el ist kom­plex. Die Sowjet­uni­on hat Isra­el nach der Staats­grün­dung sofort aner­kannt.2 Es gab in Isra­el lin­ke Tra­di­tio­nen und Bewe­gun­gen (Kib­bu­zim), wes­halb die Hoff­nung bestand, dass sich Isra­el dem Ost-Block anschlie­ßen wür­de. Ab der Stel­lung­nah­me Ben-Guri­ons zum Korea­krieg (1950–1953) war klar, dass Isra­el auf U.S.-Seite stand und die Block­lo­gik ergab dann, dass Isra­el auch Klas­sen­feind war. Das hat erst mal nichts mit Anti­se­mi­tis­mus zu tun, auch wenn das gern in einen Topf gewor­fen wird.3 Ein lus­ti­ges Gedan­ken­ex­pe­ri­ment ist es, sich aus­zu­ma­len, was pas­siert wäre, wenn Isra­el sich dem Ost­block ange­schlos­sen hät­te. Wür­de man dann alle, die das kri­ti­sie­ren, als Anti­se­mi­ten bezeich­nen? Oder nicht? Wenn nicht, war­um nicht?

Die Lager, die auf dem Gebiet der spä­te­ren DDR waren, haben eine Uni­ver­sa­li­sie­rungs-Erzäh­lung, die den Fokus ganz stark auf die kom­mu­nis­ti­schen Wider­ständ­ler legt, auf die Selbst­be­frei­ung und so wei­ter. Die Juden hat­ten dort, über die gan­ze DDR hin­weg, eigent­lich kei­nen Raum. Und das ist etwas, was gera­de wie­der Kon­junk­tur hat.

Die­se Aus­sa­ge ist falsch. Die Mor­de an den Juden kamen im Film vor, der in Buchen­wald allen Besucher*innen gezeigt wur­de. Sie­he dazu den Wiki­pe­dia-Ein­trag zum Film O Buchen­wald bzw. den Blog-Post Der Ossi und der Holo­caust. Wäh­rend vie­le West­deut­sche noch nie ein KZ gese­hen haben, war der Besuch eines KZs in der DDR für Schüler*innen Pflicht. Der Buchen­wald-Film wur­de den Besucher*innen der Gedenk­stät­te gezeigt. Er ist noch heu­te gele­gent­lich bei kom­men­tier­ten Vor­füh­run­gen zu sehen. Unab­hän­gig davon, ob die Mor­de an Juden in den Gedenk­stät­ten vor­ka­men, gibt es eine über­wäl­ti­gen­de Anzahl von Doku­men­ten und Ehrun­gen, die zei­gen, dass sie im All­tag der DDR immer wie­der the­ma­ti­siert wur­den. Ich ver­wei­se wie­der auf Der Ossi und der Holo­caust zum Geschichts- und Lite­ra­tur­un­ter­richt, zu Stra­ßen­na­men, zu Plas­ti­ken im öffent­li­chen Raum, Brief­mar­ken, Büchern, Fil­men usw.

Zeu­ge mag das völ­lig zer­le­se­ne Exem­plar von Nackt unter Wöl­fen sein, das ich 2025 foto­gra­fiert habe.

Nackt unter Wöl­fen von Bru­no Apitz, Aus­ga­be 1958, Pri­vat­be­sitz in Feri­en­quar­tier, foto­gra­fiert 2025

Die vor­lie­gen­de Aus­ga­be ist von 1958 und es waren damals bereits 330.000 Exem­pla­re verkauft.

Nackt unter Wöl­fen von Bru­no Apitz, Impres­sum Auf­la­ge 330.–369. Tausend

Zu den rele­van­ten Text­stel­len sie­he Lite­ra­tur­un­ter­richt. Nackt unter Wöl­fen erschien in 30 Spra­chen und erreich­te eine Gesamt­auf­la­ge von mehr als zwei Mil­lio­nen. Eben­falls beim Lite­ra­tur­un­ter­richt fin­det man eine Bal­la­de von Johan­nes R. Becher: Die Kin­der­schu­he aus Lub­lin (you­tube). Becher war Kul­tur­mi­nis­ter in der DDR, er war Kom­mu­nist, kein Jude und hat die Ermor­dung jüdi­scher Kin­der trotz­dem zu sei­nem The­ma gemacht. Die Bal­la­de wur­de in der DDR im Lite­ra­tur­un­ter­richt behan­delt. Es gab ein­heit­li­che Lehr­plä­ne für das gan­ze Land. Leon Kaha­ne kann das im Gegen­satz zu Anet­ta Kaha­ne nicht aus eige­ner Erfah­rung wis­sen, aber wenn er sol­che The­sen ver­tritt, hat er die Pflicht sich mit dem The­ma zu beschäftigen.

Der Wiederaufbau der Neuen Synagoge

Der Inter­view­er Jan Kage behaup­tet in einer Fra­ge über die Zeit nach der Wende:

Und gleich­zei­tig gab es ein neu­es jüdi­sches Leben, auch eine jüdi­sche Immi­gra­ti­on, dar­un­ter vie­le, die aus Ost­eu­ro­pa hier nach Ber­lin kamen. Die Syn­ago­ge wur­de wie­der in alter Pracht auf­ge­baut. Es gab einen Aufbruch.

Was dabei uner­wähnt bleibt, ist, dass die Grund­stein­le­gung für den Wie­der­auf­bau der Syn­ago­ge am 10. Novem­ber 1988 statt­fand. Einen Tag nach dem 50. Jah­res­tag der Reichs­po­grom­nacht. Ein Jahr vor dem Fall der Mau­er. Kaha­ne war da drei Jah­re alt. Laut Zeit­zeu­gen waren Kera­mik­werk­stät­ten der DDR mit der Anfer­ti­gung von Zie­geln für die Syn­ago­ge in der ent­spre­chend benö­tig­ten Form beschäf­tigt. Unter ande­rem die Werk­statt von Hed­wig Boll­ha­gen und die Kera­mik­werk­stadt der Kunst­hoch­schu­le Burg Gie­bi­chen­stein in Halle.

Bild mit Erich Hon­ecker. Bild­be­schrif­tung: „Sym­bo­li­sche Grund­stein­le­gung für den Wie­der­auf­bau der Neu­en Syn­ago­ge, Ber­lin, 1988“, „Zum 50. Jah­res­tag der Novem­ber­po­gro­me begann 1988 der Wie­der­auf­bau der Syn­ago­ge in der Ora­ni­en­bur­ger Stra­ße mit der sym­bo­li­schen Grund­stein­le­gung. Die SED-Füh­rung ver­folg­te damit außen­po­li­ti­sche und öko­no­mi­sche Inter­es­sen: Sie woll­te durch eine ver­än­der­te Erin­ne­rungs­po­li­tik die Bezie­hun­gen zu den USA ver­bes­sern. Doch sie reagier­te auch auf ein ver­än­der­tes Bewusst­sein in der Bevöl­ke­rung. In die­ser Zeit wur­den Aus­stel­lungs­pro­jek­te und Publi­ka­tio­nen zur Erin­ne­rung an die Ver­bre­chen in der NS-Zeit zu jüdi­schen The­men rea­li­siert. Mahn­ma­le und Gedenk­ta­feln wur­den errich­tet, FDJ-Mit­glie­der pfleg­ten jüdi­sche Fried­hö­fe.“ „Mit Dank­bar­keit möch­te ich gegen­über dem Staats­rats­vor­sit­zen­den und dem Hohen Haus erklä­ren, dass die Ent­schei­dung über den Wie­der­auf­bau der „Neu­en Syn­ago­ge“ in der Haupt­stadt Ber­lin im Ver­band der Jüdi­schen Gemein­den in der DDR und unter allen Bür­gern jüdi­schen Glau­bens mit gro­ßer Freu­de auf­ge­nom­men wur­de. Vie­le aus­län­di­sche Glau­bens­ge­nos­sen haben uns dazu beglück­wünscht und ver­ste­hen die­se Ent­schei­dung als Zeug­nis für leben­di­ges jüdi­sches Gemein­de­le­ben in der DDR. Sieg­mund Roth­stein (1925–2020), Gedenk­re­de auf der Son­der­sit­zung der Volks­kam­mer der DDR zum bevor­ste­hen­den Jah­res­tag am 9. Novem­ebr 1988“, Aus­stel­lung „Ein ande­res Land – Jüdisch in der DDR“, Jüdi­sches Muse­um, Ber­lin, 19.11.2023

Wahlerfolge der AfD und Transformationserfahrungen im Osten

Kaha­ne sagt zu den Wahl­er­fol­gen der AfD in den neu­en Bundesländern:

War­um wird in den soge­nann­ten „neu­en Bun­des­län­dern“ so viel AfD gewählt? Mei­nes Erach­tens hat das mehr mit der ver­säum­ten Auf­ar­bei­tung zu tun als mit der Trans­for­ma­ti­ons­er­fah­rung der Wende.

Ja, lie­ber Leon Kaha­ne. Das ist Dei­ne Geschich­te und auch die von Anne Rabe. Und die von Ines Gei­pel und von Dei­ner Tan­te. Sie wird von West-Medi­en ger­ne gedruckt, weil sie so schön ent­las­tend ist. Denn, wenn es die Trans­for­ma­ti­ons­er­fah­run­gen wären, dann wäre der Wes­ten mit­schul­dig. Wäre es aber eine man­geln­de Auf­ar­bei­tung oder, wie bei Anne Rabe behaup­tet, irgend­wel­che Gewalt­er­fah­run­gen oder bei Pfeif­fer das gemein­sa­me Sit­zen auf dem Töpf­chen im Kin­der­gar­ten (Decker, 1999), dann könn­te man die Ossis irgend­wie patho­lo­gi­sie­ren, als anders abtun und das Pro­blem exter­na­li­sie­ren. Man braucht dann noch ein biss­chen Huf­ei­sen­theo­rie dazu, damit man erklä­ren kann, war­um so vie­le Ossis erst Die Lin­ke gewählt haben und nun AfD wäh­len. Das macht lei­der aber kei­nen Sinn, weil Bodo Rame­low ein lie­ber Sozi­al­de­mo­krat ist (Thü­rin­gen hat­te einen Minis­ter­prä­si­den­ten von Der Lin­ken) und sei­ne Ansich­ten abso­lut inkom­pa­ti­bel mit denen des hes­si­schen Nazis Björn Höcke sind.

Nazi punks fuck off!

Leon Kaha­ne schreibt:

In der DDR gab es einen Wider­stand gegen den von oben ange­ord­ne­ten Anti­fa­schis­mus, der sich in einer sym­bo­li­schen Hin­wen­dung zum Rechts­ra­di­ka­lis­mus aus­drückt. Zum Bei­spiel Punks, die Land­ser gehört haben.

Leon Kaha­ne

Ja, lie­ber Leon, als sich Land­ser gegrün­det haben, warst Du sechs Jah­re alt. Das war näm­lich 1991. Aber sie waren erst 1992 dann unter dem Namen Land­ser unter­wegs. Also drei Jah­re nach der Wen­de und zwei Jah­re nach DDR. Kann schon mal pas­sie­ren. Bei die­sen gan­zen Sze­nen und Bands kennt sich ja kei­ner aus. Aber eins stimmt: Es gab ganz sicher einen oder andert­halb Punks die rechts­extre­me Musik gehört haben. Ich hat­te sel­ber eine Kas­set­te mit Titeln wie „Töte dei­nen Nach­barn“ und „Mein gol­de­ner Schlag­ring“ in der Hand.4 War nicht so meins. Ansons­ten: Die Punks haben von den Skin­heads aufs Maul bekom­men. Die Punks waren links. 1987 gab es den Über­fall von Nazis­kins aus Ost und West auf ein Kon­zert der Punk-Band Die Fir­ma in der Zions­kir­che. Es gab eine Anti­fa, die sich als Selbst­ver­tei­di­gungs­grup­pe gegen die Nazis­kins gebil­det hat­te. Es gab 1983 den Ver­such einer Kranz­nie­der­le­gung durch Ost-Ber­li­ner Punks im KZ Sach­sen­hau­sen. Das wur­de von der Sta­si ver­ei­telt. Die Punks nah­men den Kranz wie­der mit und leg­ten ihn an der Mahn­wa­che für die Opfer des Faschis­mus Unter den Lin­den ab. Die anti­fa­schis­ti­sche, pazi­fis­ti­sche Band Die Fir­ma hat­te einen Song mit der Zei­le: „Wir müs­sen weg von der Mit­te! Wo ist der Weg von der Mit­te?“ und es gab einen Song „Der Faschist“. Gefah­ren­zo­ne hat­te das Lied Glas­nost, in dem sie sich auf Rus­sisch an Micha­el Gor­bat­schow wand­ten. Die gan­ze Punk-Musik-Sze­ne ist recht gut in Lutz Schramms Par­ok­ti­mums­wi­ki beschrie­ben. Lutz Schramm hat von den Bands Tapes bekom­men und hat auch Bands wie Gefah­ren­zo­ne im DDR-Radio gespielt, gegen die in den 80ern Zer­set­zungs­maß­nah­men der Sta­si lie­fen. Auf tape attack kann man die in der DDR pro­du­zier­ten Kas­set­ten run­ter­la­den. Zum Bei­spiel Papier­krieg: Noch nie hat eine Dik­ta­tor sei­ne Volks­ab­stim­mung ver­lo­ren. Poli­tisch. Anti­fa­schis­tisch. Links. Der Song Der Schoß ist frucht­bar noch ent­hält die Zei­le „Lasst nicht zu, dass sechs Mil­lio­nen umsonst gestor­ben sind.“.

Es gab ver­schie­de­ne Teil­sze­nen. Zum Einen gab es die Punks die inner­halb der Kir­che Rück­zugs­räu­me fan­den, weil der Staat Kir­chen­ge­län­de respek­tiert hat. Auf Kir­chen­ge­län­de konn­ten Punk-Grup­pen pro­ben und es gab Fes­ti­vals wie das Erlösa­fes­ti­val in der Erlö­ser­kir­che. Die Punks arbei­te­ten in der Kir­che von Unten zusam­men. Undenk­bar, dass die Pfar­rer Nazis geför­dert hät­ten. Staats­feind­li­che Lie­der waren aber bei Kon­zer­ten auf Kir­chen­ge­län­de durch­aus zu hören („Des­halb erheb’ ich mei­ne Hand gegen mein Vater­land.“). Die Sta­si stand drau­ßen drum rum und hör­te inter­es­siert zu. In den Bands waren IMs. Gegen Ende der DDR gab es eine Libe­ra­li­sie­rung und Punk-Bands beka­men einen Ein­stu­fung (Spiel­erlaub­nis, man konn­te nicht ein­fach irgend­wie Musik machen). Das waren die so genann­ten ande­ren Bands. Von denen waren vie­le auch staats­kri­tisch und ver­lo­ren auch tem­po­rär oder für immer ihre Auf­tritts­ge­neh­mi­gung (Frey­gang, Herbst in Peking). Herbst in Peking wid­me­ten einen Song Leo Trotz­ki („dem Mann, den wir wäh­len wür­den, wenn wir wäh­len könnten“).

Nach der Wen­de kan­di­dier­ten Anar­chis­ten aus dem Umfeld von Frey­gang, Fir­ma, Ich Funk­ti­on und auch Fee­ling B als Auto­no­me Akti­on Wydoks für die Volks­kam­mer. Nix Nazis.

Zur Musik, die wir hör­ten, gehör­ten die Dead Ken­ne­dys und deren Lied: Nazi punks fuck off. Das wur­de von Lutz Schramm auch im DDR-Jugend­ra­dio DT64 gespielt.

Ein biss­chen was ist aber dran, an Dei­ner Ant­wort. Der „Gau-Lei­ter“ von Ber­lin war der Sohn eines Par­tei­ka­ders. So sag­te man. Das war die maxi­ma­le Rebellion.

Listen von Juden? Um Gottes Willen!

Kage fragt:

In der jüdi­schen Com­mu­ni­ty der DDR waren vie­le Kom­mu­nis­ten und Sozia­lis­ten. Sie waren also säku­lar. Zur kogni­ti­ven Dis­so­nanz gibt es eine Anek­do­te von Gre­gor Gysi, des­sen Vater Klaus ein paar Jah­re Kul­tur­mi­nis­ter der DDR war, und der auch aus einer jüdi­schen Fami­lie stammt. Als Ägyp­ten und Syri­en 1973 Isra­el über­fie­len, der Jom-Kip­pur-Krieg, gab es ein State­ment der SED, in dem die israe­li­sche Aggres­si­on ver­ur­teilt wur­de. Die­ses soll­ten alle jüdi­schen Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens in der DDR unter­schrei­ben. Und der Sohn frag­te den Vater, der die Sho­ah über­lebt hat­te und der von die­sem Staat über­zeugt war, woher die denn wüss­ten, dass sie jüdisch sind. “Haben die Lis­ten?” Wie war das jüdi­sche Leben in der DDR organisiert? 

Ich weiß nicht, war­um Gysi die Geschich­te erzählt, aber die Ant­wort war ganz klar: Ja, es gab Lis­ten, denn die Men­schen, die KZs oder sonst wie Ver­fol­gung durch die Nazis über­lebt hat­ten, waren als Ver­folg­te des Nazi­re­gimes regis­triert (auch mein Groß­on­kel) und beka­men eine höhe­re Ren­te, konn­ten frü­her in Ren­te gehen und so weiter. 

Dies gilt im Prin­zip auch für die von der Deut­schen Wirt­schafts­kom­mis­si­on (DWK) am 5. Okto­ber 1949, d.h. zwei Tage vor der Grün­dung der DDR, erlas­se­nen »Anord­nung zur Siche­rung der recht­li­chen Stel­lung der aner­kann­ten Ver­folg­ten des Nazi­re­gimes«, die künf­tig den Eck­pfei­ler der Wie­der­gut­ma­chung in der DDR bil­de­te: Sie gewähr­te aner­kann­ten Opfern des Faschis­mus Alters- und Arbeits­un­fä­hig­keits­ren­ten, beson­de­re Berück­sich­ti­gung bei der Wohn- und Gewer­be­raum­ver­ga­be, aus­rei­chen­de Ver­sor­gung mit Haus­rat, umfas­sen­de Leis­tun­gen zur gesund­heit­li­chen Reha­bi­li­tie­rung sowie beson­de­re Stu­di­en­bei­hil­fen für ihre Kin­der. Im Febru­ar 1950 erlas­se­ne Richt­li­ni­en regel­ten den Kreis der Berech­tig­ten. In der detail­lier­ten Auf­lis­tung stan­den zwar die poli­tisch Ver­folg­ten, ins­be­son­de­re die­je­ni­gen, die aktiv gegen das NS-Regime gekämpft hat­ten, an der Spit­ze, doch waren die an zwölf­ter Stel­le genann­ten ras­sisch Ver­folg­ten dabei mate­ri­ell-recht­lich nicht dis­kri­mi­niert. Aller­dings waren die Ansprü­che auf sol­che aner­kann­ten Opfer des Faschis­mus beschränkt, die auf dem Ter­ri­to­ri­um der SBZ/DDR leb­ten – 1949 sol­len es etwa 50 000 gewe­sen sein.

Gosch­ler, Con­stan­tin. 1993. Pater­na­lis­mus und Ver­wei­ge­rung — Die DDR und die Wie­der­gut­ma­chung für jüdi­sche Ver­folg­te des Natio­nal­so­zia­lis­mus. In Benz, Wolf­gang (ed.), Jahr­buch für Anti­se­mi­tis­mus­for­schung, vol. 2. Frankfurt/Main: Campus-Verlag.

Aber unab­hän­gig davon hat­te der Staat Lis­ten über alles Mög­li­che. Die DDR war ein Über­wa­chungs­staat mit einem enorm auf­ge­bläh­ten Geheim­dienst und Netz von inof­fi­zi­el­len Mit­ar­bei­tern (ehm, hüstl, viel­leicht auch IM Gre­gor und ganz sicher IM Vic­to­ria, SCNR).

Letzt­end­lich waren die Per­so­nen, die zu Stel­lung­nah­men gedrängt wur­den, Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens, die sich unter­ein­an­der gekannt haben dürf­ten und die sicher von­ein­an­der wuss­ten, war­um sie im KZ gewe­sen waren oder wo sie in der Emi­gra­ti­on gewe­sen waren.

Die Erklä­rung, die jüdi­sche Bür­ger der DDR zu einem Krieg in der Regi­on abge­ge­ben haben, bezog sich auf den Sechs­ta­ge­krieg. Ich habe sie in der Aus­stel­lung foto­gra­fiert, an der auch Leon Kaha­ne betei­ligt war (sie­he unten). Der Sechs­ta­ge­krieg fand 1967 statt. Der Jom-Kip­pur-Krieg dann 1973. Jan Kage sagt rich­tig über den Jom-Kip­pur-Krieg, dass Ägyp­ten und Syri­en Isra­el ange­grif­fen haben. Aber um die­sen Krieg ging es über­haupt nicht, son­dern eben um den Sechs­ta­ge­krieg von 1967. Ägyp­ten war mit 1000 Pan­zern und 100.000 Sol­da­ten an den israe­li­schen Gren­zen auf­mar­schiert. Isra­el hat­te dann in einem Prä­ven­tiv­schlag die ägyp­ti­sche Luft­waf­fe am Boden zer­stört und danach, da die Geg­ner ohne Absi­che­rung aus der Luft waren, gro­ße Gebie­te ein­ge­nom­men. Dar­un­ter die Golan­hö­hen, den Gaza-Strei­fen, die Sinai-Halb­in­sel, das West-Jor­dan­land und das poli­tisch und reli­gi­ös wich­ti­ge Ost­je­ru­sa­lem. Die fol­gen­de Kar­te gibt einen Über­blick über die erober­ten Gebiete:

Gebiets­ge­win­ne Isra­els im Sechs­ta­ge­krieg. Quel­le: Wiki­pe­dia Hoheit CC-BY-SA

Die Fra­ge von Jan Kage war falsch gestellt. Sie ent­hält meh­re­re Feh­ler. Leon Kaha­ne hät­te das auf­fal­len müs­sen und er hät­te den Inter­view­er auf den Feh­ler hin­wei­sen müs­sen. Der hät­te das leicht kor­ri­gie­ren kön­nen, ohne dass wir es gemerkt hät­ten, denn es war ja kein Fern­seh­in­ter­view. Die Fra­ge macht his­to­risch betrach­tet über­haupt kei­nen Sinn: War­um soll­te die SED Jüd*innen zu einem Brief anre­gen, wenn ande­re Län­der Isra­el über­fal­len? Beim Sechs­ta­ge­krieg war die Lage dage­gen anders: Isra­el hat­te einen Prä­ven­tiv­schlag geführt und im Ergeb­nis des Krie­ges gro­ße Gebie­te neu besetzt. Ein Land, das zum ande­ren Block gehör­te. Das konn­te man schon mal ver­ur­tei­len. So funk­tio­nier­te das Block­den­ken damals.

Es bleibt lei­der nur der Schluss, dass weder Inter­view­er noch Inter­view­ter sich mit der zuge­ge­be­ner­ma­ßen kom­ple­xen Mate­rie auskennen.

Mythos Antifaschismus?

Leon Kaha­ne antwortet:

Was ich zu die­sem „Sich-Ver­hal­ten“ sagen kann: Es gab tat­säch­lich eine Unter­schrif­ten­lis­te, ein State­ment jüdi­scher Bür­ger der DDR, das vie­le Künst­ler, Jour­na­lis­ten und Schrift­stel­ler ver­wei­gert haben zu unter­schrei­ben. Einer davon war mein Groß­va­ter. Die­ses State­ment war in sei­ner gan­zen Spra­che hoch­gra­dig anti­se­mi­tisch. Auch, dass man das im Namen der jüdi­schen Bür­ger ver­fasst hat, erin­nert mich an eini­ge offe­ne Brie­fe der Gegen­wart. Das Ver­ständ­nis des Juden­tums war in der DDR extrem ver­küm­mert. Auf der ande­ren Sei­te waren Bio­gra­fien wie die mei­ner Groß­el­tern unheim­lich wich­tig für den Mythos der DDR als anti­fa­schis­ti­schem Staat. Und somit auch, um nicht über das Ver­hält­nis zur NS-Nach­fol­ge­ge­sell­schaft nach­den­ken zu müs­sen. Die­ser Miss­brauch hat sicher­lich auch für Pri­vi­le­gi­en gesorgt. Aber die­se Pri­vi­le­gi­en waren ver­gif­tet und hat­ten einen Preis. Man kann sich viel­leicht vor­stel­len, wie pre­kär das jüdi­sche Leben war und wie sehr es an eine poli­ti­sche Bot­schaft der DDR gebun­den war. Sowas kann immer sehr schnell kippen.

Leon Kaha­ne

Also: Leon Kaha­ne war der Mei­nung, dass in der DDR von den USA als faschis­ti­schem Staat gespro­chen wur­de. Ande­rer­seits spricht er vom „Mythos der DDR als anti­fa­schis­ti­schem Staat“. Das heißt, er ist der Mei­nung, dass die DDR nicht anti­fa­schis­tisch war. Was denn dann? Ich bin ver­wirrt. Ich bin mein gan­zes Leben anti­fa­schis­tisch erzo­gen wor­den. Alle Kin­der der DDR waren in KZs. Ich war acht Mal in Buchen­wald (bei den Weim­ar­ta­ge der FDJ, bei einer Klas­sen­fahrt), ich war in Ausch­witz (im Rah­men eines Schul­aus­tauschs mit einer Part­ner­schu­le in Polen), ich war in Sach­sen­hau­sen (im Rah­men der Jugend­stun­den mei­ner POS). Stra­ßen, Schu­len waren nach Antifaschist*innen benannt, wir hat­ten anti­fa­schis­ti­schen Stoff in Musik, in Geschich­te, in Lite­ra­tur (z.B. haben wir Nackt unter Wöl­fen gele­sen. Ein Buch über Buchen­wald, in dem auch der Mord an den Juden the­ma­ti­siert wur­de und Die Früh­lings­so­na­te, eine Erzäh­lung, in der es um die Mor­de von SS und Wehr­macht an den Kie­wer Juden in Babyn Jar ging (33.000 Men­schen in 48 Stun­den). Zu den Details sie­he Der Ossi und der Holo­caust). Nur ein Mythos? In Wirk­lich­keit waren doch alle Faschis­ten? Wohl kaum. Die Herr­schen­den (Nicht-Juden und im Gegen­satz zum Wes­ten auch Juden) hat­ten auch im KZ geses­sen oder waren gera­de noch recht­zei­tig Rich­tung Osten oder Wes­ten geflo­hen. Man kann bzw. muss die Kom­mu­nis­ten schreck­lich fin­den, den Über­wa­chungs­staat, die Zer­set­zungs­maß­nah­men gegen die Oppo­si­ti­on usw. aber man kann nicht behaup­ten, dass sie kei­ne Anti­fa­schis­ten gewe­sen sei­en. Die Behaup­tung, dass es in der DDR kei­ne Nazis gab, kann man wohl ins Reich der Mythen ver­ban­nen. Es gab sogar neue und oft waren es Bon­zen­kin­der, die die extrems­te Form der Abgren­zung von ihren Eltern wähl­ten. In der DDR gab es auch eine Anti­fa, die nicht staat­lich war (Ich habe am 4.11.89 im Anti­fa-Block demons­triert.). Auch Anti­se­mi­tis­mus gab es in der DDR. Nach­wen­de­um­fra­gen erga­ben aber einen viel, viel gerin­ge­ren Grad an Anti­se­mi­tis­mus als im Wes­ten (Emnid-Umfra­ge von 1991: 4% vs. 16%, sie­he Dahn, 1997). Die Behaup­tung, dass die DDR nazifrei gewe­sen sei, wäre nicht rich­tig, aber ein anti­fa­schis­ti­scher Staat war sie sehr wohl.

Prekäres jüdisches Leben?

Kaha­ne schreibt: „Aber die­se Pri­vi­le­gi­en waren ver­gif­tet und hat­ten einen Preis. Man kann sich viel­leicht vor­stel­len, wie pre­kär das jüdi­sche Leben war und wie sehr es an eine poli­ti­sche Bot­schaft der DDR gebun­den war.“ Nein. Ich kann mir nicht vor­stel­len, wie pre­kär das jüdi­sche Leben war. Ich habe extra noch ein­mal nach­ge­se­hen, was pre­kär bedeu­tet: pre­kär in Wiki­pe­dia. Juden waren in der DDR als Ver­folg­te des Nazi­re­gimes (zu Recht) pri­vi­le­giert. Wie auch die Kaha­nes: Max Kaha­ne, von 1965–1968 Chef­kom­men­ta­tor der Par­tei­zei­tung Neu­es Deutsch­land, Doris Kaha­ne, Staats­künst­le­rin mit Auf­trä­gen in Indi­en. Die Kaha­nes waren 100%ig von der Sache der DDR über­zeugt und genos­sen auch schon dadurch wei­te­re Pri­vi­le­gi­en (Rei­se­frei­heit zum Bei­spiel, auch Anet­ta Kaha­ne war zu DDR-Zei­ten in den West­afri­ka und Mosam­bik.). In Der Ossi und der Holo­caust lis­te ich ande­re jüdi­sche Men­schen aus Wis­sen­schaft, Kul­tur und Poli­tik auf, die in der DDR ange­se­hen waren und das gesell­schaft­li­che Leben präg­ten. Das schreibt Gosch­ler (1993) zur mate­ri­el­len Absi­che­rung der Opfer des Faschismus:

Dort gelang­te nun die alte Tren­nung von »Kämp­fern« und »Opfern« wie­der zu neu­en Ehren und wur­de nun auch mit mate­ri­el­len Kon­se­quen­zen gewür­digt: Kämp­fer, die das um fünf Jah­re her­ab­ge­setz­te Pen­si­ons­al­ter erreicht hat­ten oder inva­li­de waren, soll­ten eine Ehren­pen­si­on in Höhe von monat­lich 800 Mark erhal­ten, für Opfer waren dem­ge­gen­über ledig­lich 600 Mark vor­ge­se­hen. Sofern Juden also nicht Trä­ger der »Medail­le für Kämp­fer gegen den Faschis­mus 1933–1945« waren, muß­ten sie sich mit dem min­de­ren Sta­tus und ent­spre­chen­der Pen­si­ons­be­rech­ti­gung des Opfers begnü­gen. Mau muß dabei aller­dings her­vor­he­ben, daß die Höhe der Ehren­pen­sio­nen gemes­sen an DDR-Nor­mal­ren­ten exor­bi­tant hoch war; bis 1989 waren die Ehren­pen­sio­nen auf 1800 Mark für »Kämp­fer« bzw. 1600 Mark für »Opfer« angestiegen.

Gosch­ler, Con­stan­tin. 1993. Pater­na­lis­mus und Ver­wei­ge­rung — Die DDR und die Wie­der­gut­ma­chung für jüdi­sche Ver­folg­te des Natio­nal­so­zia­lis­mus. In Benz, Wolf­gang (ed.), Jahr­buch für Anti­se­mi­tis­mus­for­schung, vol. 2. Frankfurt/Main: Campus-Verlag.

Die­se Ehren­pen­si­on gab es zusätz­lich zu der nor­ma­len Ren­te aus er Sozi­al­ver­si­che­rung. Nur zum Ver­gleich: 1989 betrug das Sti­pen­di­um 200 Mark. Man konn­te davon bequem leben, denn Grund­nah­rungs­mit­tel waren sehr bil­lig. Mie­te kos­te­te 30 Mark. Es wur­de den Bezieher*innen die­ser Ren­ten nahe­ge­legt, die­se nicht in Bank­fi­lia­len abzu­ho­len, um kei­nen Neid zu erregen.

Sicher, wenn man sich zum Staats­feind ent­wi­ckel­te, dann bekam man Pro­ble­me. Da gab es aber kei­ne Unter­schie­de zwi­schen Juden und Nicht-Juden. Die Zer­set­zungs­maß­nah­men der Sta­si waren für alle glei­cher­ma­ßen unschön. Ansons­ten war es auch nicht schlimm, wenn man die Ehren­pen­si­on nicht bekam, denn in der DDR konn­te man auch von nor­ma­len Ein­kom­men und Ren­ten leben. Und wegen des mög­li­chen Ent­zugs von Pri­vi­le­gi­en rum­zu­jam­mern, fin­de ich schon etwas … nun ja schräg.

Übri­gens stand neben dem State­ment in der Aus­stel­lung, dass vie­le Jüd*innen es nicht unter­schrie­ben haben. Dar­un­ter Peter Edel, Ste­fan Heym, Lin Jal­da­ti und Arnold Zweig. Wie Leon Kaha­ne anmerkt, hat wohl Max Kaha­ne auch nicht unter­schrie­ben. Max Kaha­ne hat noch 1970 den Vater­län­di­schen Ver­dienst­or­den in Gold bekom­men und 1974 eine Span­ge dazu. Auch Peter Edel und Lin Jal­da­ti wur­den noch nach 1967 mit hohen Aus­zeich­nun­gen geehrt. Wenn man im Osten in Ungna­de gefal­len war, bekam man kei­ne Orden mehr. Zu Max Kaha­nes Nicht-Unter­schrift gibt es unten noch wei­te­re Gedanken.

Die Erklärung jüdischer DDR-Bürger*innen zum Sechstagekrieg

Das ist die Erklä­rung der jüdi­schen DDR-Bür­ger. Ich habe sie in maxi­ma­ler Auf­lö­sung hoch­ge­la­den. Wenn man das Bild anklickt, kann man den Text lesen. 

Erklä­rung jüdi­scher Bürger*innen aus der DDR zu Isra­els Agie­ren im Sechs­ta­ge­krieg vom 09.06.1967 im Zen­tral­or­gan der SED Neu­es Deutschland

Kaha­ne sagt: „Die­ses State­ment war in sei­ner gan­zen Spra­che hoch­gra­dig anti­se­mi­tisch.“ Die geneig­te Lese­rin möge das State­ment selbst lesen. Zu Beginn steht: „Als Bür­ger der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik jüdi­scher Her­kunft erhe­ben wir unse­re Stim­me, um fei­er­lich die Aggres­si­on zu ver­ur­tei­len, der sich die herr­schen­den Krei­se Isra­els gegen die ara­bi­schen Nach­bar­staa­ten schul­dig gemacht haben.“ Das State­ment bezieht sich auf die Regie­rung, nicht auf die Israe­lis oder Jüd*innen an sich. Es stellt auch nicht das Exis­tenz­recht Isra­els in Fra­ge. Es wird ledig­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Staats­grün­dung nicht nach dem vor­ge­se­he­nen UN-Plan erfolg­te. Die Behaup­tung zur Grün­dung Isra­els ist nicht kor­rekt. Isra­el hat­te sich selbst gegrün­det. Die Paläs­ti­nen­ser woll­ten kei­nen eige­nen Staat grün­den und die umge­ben­den Staa­ten (Ägyp­ten, Syri­en, Jor­da­ni­en und Irak) grif­fen Isra­el an. Das Ergeb­nis des Paläs­ti­na­krie­ges war aber, dass Gebie­te, die den Paläs­ti­nen­sern zuge­dacht waren, dann 1949 israe­lisch besetzt waren. Ansons­ten geht es in der Erklä­rung um die Gebiets­be­set­zung 1967, die im vori­gen Abschnitt beschrie­ben wur­den. Zum Schluss der Erklä­rung wird dar­auf hin­ge­wie­sen, wie die­ser Kon­flikt been­det wer­den kann: „Frie­den im Vor­de­ren Ori­ent wird es nur geben, wenn die Regie­rung Isra­els ihre impe­ria­lis­ti­sche Poli­tik auf­gibt und end­lich zu einer Poli­tik der guten Nach­bar­schaft und der Ach­tung der Inter­es­sen der ara­bi­schen Völ­ker fin­det.“. Es geht also ganz klar um gute Nach­bar­schaft. Das Exis­tenz­recht Isra­els wird nir­gends in Fra­ge gestellt. Die 1967 besetz­ten Gebie­te habe ich oben ver­linkt. Die geneig­te Leser*in möge den Links fol­gen und die in Wiki­pe­dia auf­ge­lis­te­ten UN-Reso­lu­tio­nen und völ­ker­recht­li­chen Ein­schät­zun­gen zur Kennt­nis neh­men. Erst 2024 stell­te der Inter­na­tio­na­le Gerichts­hof wie­der fest, dass das West­jor­dan­land unrecht­mä­ßig besetzt ist (tages­schau, 19.07.2024).

Also: Die­se Erklä­rung rich­te­te sich gegen die Poli­tik der israe­li­schen Regie­rung und ist auch nach der Defi­ni­ti­on der IHRA, die ich im Fol­gen­den dis­ku­tie­re, nicht antisemitisch.

Antisemitismus nach der Definition der IHRA

Im wei­te­ren Ver­lauf des Inter­views wie­der­holt Jan Kage den fal­schen Bezug auf den Jom-Kip­pur-Krieg und behaup­tet eben­falls, das State­ment dazu sei anti­se­mi­tisch gewesen:

Von hier bis zu der Debat­te nach dem Jom-Kip­pur-Krieg in der DDR: Immer wie­der kom­men die­se anti­se­mi­ti­schen Kli­schees hoch.

Jan Kage

Die­se Sache ist schwie­rig, aber wenn man sich gegen Krie­ge äußert, ist das noch lan­ge nicht anti­se­mi­tisch. Es kann anti­se­mi­tisch sein, auch kön­nen an sich nicht anti­se­mi­ti­sche Äuße­run­gen aus einer anti­se­mi­ti­schen Moti­va­ti­on her­aus getä­tigt wer­den, aber State­ments gegen einen Krieg sind nicht auto­ma­tisch anti­se­mi­tisch. Man kann sich das anhand der aktu­el­len Ent­wick­lun­gen in Gaza klar­ma­chen. Es ist abso­lut legi­tim, gegen die­sen Krieg zu sein. Ich habe Freun­de in Isra­el, die jede Woche gegen die Netan­ja­hu-Regie­rung protestieren.

Nurit auf dem Work­shop on lar­ge-sca­le grammar deve­lo­p­ment and grammar engi­nee­ring, Open Uni­ver­si­ty Hai­fa, Zikhron Ya’a­kov, 24.06.2015

Nurit hat ihre Nich­te beim Mas­sa­ker der Hamas ver­lo­ren. Sie war 17 und hat in der Wüs­te getanzt. Den­noch ist Nurit und ihre Fami­lie gegen den Krieg (Times of Isra­el, 20.03.2024) und sie demons­trier­te schon vor dem 7. Okto­ber 2023 jede Woche gegen die rechts­extre­me israe­li­sche Regie­rung. Ist sie anti­se­mi­tisch? Bin ich anti­se­mi­tisch, wenn ich den­ke wie sie? Wohl kaum.

Das hier ist die Defi­ni­ti­on von Anti­se­mi­tis­mus der Inter­na­tio­nal Holo­caust Remem­brance Alli­ance (IHRA), die von vie­len als zu streng abge­lehnt wird:

„Anti­se­mi­tis­mus ist eine bestimm­te Wahr­neh­mung von Jüdin­nen und Juden, die sich als Hass gegen­über Jüdin­nen und Juden aus­drü­cken kann. Der Anti­se­mi­tis­mus rich­tet sich in Wort oder Tat gegen jüdi­sche oder nicht­jü­di­sche Ein­zel­per­so­nen und/oder deren Eigen­tum sowie gegen jüdi­sche Gemein­de­in­sti­tu­tio­nen oder reli­giö­se Einrichtungen.“

Um die IHRA bei ihrer Arbeit zu lei­ten, kön­nen die fol­gen­den Bei­spie­le zur Ver­an­schau­li­chung dienen:

Erschei­nungs­for­men von Anti­se­mi­tis­mus kön­nen sich auch gegen den Staat Isra­el, der dabei als jüdi­sches Kol­lek­tiv ver­stan­den wird, rich­ten. Aller­dings kann Kri­tik an Isra­el, die mit der an ande­ren Län­dern ver­gleich­bar ist, nicht als anti­se­mi­tisch betrach­tet wer­den. Anti­se­mi­tis­mus umfasst oft die Anschul­di­gung, die Juden betrie­ben eine gegen die Mensch­heit gerich­te­te Ver­schwö­rung und sei­en dafür ver­ant­wort­lich, dass „die Din­ge nicht rich­tig lau­fen“. Der Anti­se­mi­tis­mus mani­fes­tiert sich in Wort, Schrift und Bild sowie in ande­ren Hand­lungs­for­men, er benutzt unheil­vol­le Ste­reo­ty­pe und unter­stellt nega­ti­ve Charakterzüge.

Das ist eine sinn­vol­le Defi­ni­ti­on mit einer sinn­vol­len Erklä­rung. Es ist nicht so, wie oft behaup­tet wird, dass die­se Defi­ni­ti­on Kri­tik an Isra­el unmög­lich machen wür­de. Jede Kri­tik an Isra­el wür­de aber sofort anti­se­mi­tisch wer­den, wenn man behaup­ten wür­de, dass Isra­el Gaza nur des­halb platt­ge­macht hat, weil die Men­schen in Isra­el Juden sind.

Also noch­mal: Die DDR war gegen Isra­el, weil Isra­el Teil des kapi­ta­lis­ti­schen Blocks war. Das steht auch sehr klar in die­sem Brief.

Nurit hat mir übri­gens davon erzählt, wie für den Krieg gegen die Men­schen im Gaza-Strei­fen argu­men­tiert wird. Es wird behaup­tet, in Gaza gäbe es kei­ne Unschul­di­gen. Schließ­lich hät­ten die Men­schen in Gaza ja die Hamas gewählt. Eine sol­che Argu­men­ta­ti­on ist ras­sis­tisch und rechts­extrem, denn: Die letz­ten Wah­len waren 2006. Wer weiß, was Men­schen heu­te den­ken? Wer weiß, was sie über den aktu­el­len Kon­flikt den­ken? Und was ist mit Kin­dern? Und unab­hän­gig davon: Muss man die Men­schen dann erschie­ßen? Inter­es­sant wird es, wenn man die­sel­be Logik auf Isra­el anwen­det, denn das wür­de bedeu­ten, dass es in Isra­el kei­ne Unschul­di­gen gibt und man die Israe­lis alle erschie­ßen könn­te, denn eine Mehr­heit von ihnen hat ja Netan­ja­hu gewählt bzw. eine der Koali­ti­ons­par­tei­en. Oder sind all die­je­ni­gen, die aktiv gegen den Krieg sind oder ihn auch nur pas­siv ableh­nen aus­ge­nom­men? Und was ist mit den Deut­schen? Was ist mit mei­nem Groß­on­kel? Ist er schuld? Der Mann aus dem ande­ren Teil der Fami­lie, der einem Juden ein Bahn­ti­cket gekauft hat und zur Flucht über Wla­di­wos­tok, Japan in die USA ver­hol­fen hat? Was ist mit uns, den Nach­kom­men? Bin ich raus, weil mein Groß­on­kel im KZ saß? Das wäre merk­wür­dig, denn für mei­nen Groß­on­kel kann ich nichts. Man kommt da in sehr schwie­ri­ge Berei­che. Die Alli­ier­ten haben nach dem Krieg die Vor­stel­lung von Kol­lek­tiv­schuld sehr schnell auf­ge­ge­ben. Es ist nicht gerecht­fer­tigt, ein ande­res Volk so zu behan­deln, wie es Isra­el der­zeit tut. Durch nichts.

Nurit hat ihre Nich­te ver­lo­ren. Ein jun­ges Mäd­chen, das getanzt hat. Bis früh um 7:00, bis die Ter­ro­ris­ten kamen. Bei der Aus­hand­lung des Waf­fen­still­stands gab es drei Hal­tun­gen von Men­schen aus Opfer­fa­mi­li­en. Man­che Eltern (weni­ge) waren der Mei­nung, ihre Kin­der soll­ten auf kei­nen Fall aus­ge­tauscht wer­den, denn auf die­se Wei­se kämen nur Paläs­ti­nen­ser frei, die wei­ter mor­den wür­den (War­ti­me Dia­ries, 2024). Eine zwei­te Grup­pe war der Ansicht, dass nur sol­che Men­schen aus­ge­tauscht wer­den soll­ten, die nicht zu den Mör­dern vom 7.10.2023 gehör­ten. Eine drit­te Grup­pe war dafür, dass das kei­ne Rol­le spie­len soll­te. Nurit und ihre Fami­lie gehör­te zur drit­ten Grup­pe. Ich bewun­de­re sie dafür. Die­ser Kon­flikt muss been­det wer­den. Der Hass muss ein Ende haben, die Spi­ra­le der Gewalt. Es geht nur, in dem bei­de Sei­ten sagen: Wir hören auf. Jetzt!

Die Ansichten von Max Kahane

Ein letz­ter Punkt noch hier­zu: „das vie­le Künst­ler, Jour­na­lis­ten und Schrift­stel­ler ver­wei­gert haben zu unter­schrei­ben. Einer davon war mein Groß­va­ter.“ In einem Inter­view von Wera Herz­berg, auf das ich wei­ter unten noch ein­ge­hen wer­de, berich­tet die­se von ihrer Mut­ter Ursu­la Herz­berg, die Staats­an­wäl­tin in der DDR war, dass die­se nie­mals etwas Kri­ti­sches gegen­über Isra­el gesagt oder unter­schrie­ben hät­te. Bei Max Kaha­ne war das anders (Dank an Peer, der das raus­ge­sucht hat):

Max Kaha­ne zu Isra­el in Neue Zeit, 23.04.1965, S. 6 (zwei Jah­re vor dem Sechstagekrieg)

Für Men­schen ohne DDR-Ver­ständ­nis: Für das State­ment der jüdi­schen Bür­ger der DDR gab es viel­leicht einen Druck zum Unter­schrei­ben von offi­zi­el­ler Sei­te. Anders war das für das obi­ge Doku­ment: Max Kaha­ne war die offi­zi­el­le Sei­te (aus ers­ter Hand). Was gedruckt wur­de, war abge­wo­gen. Auch wenn der Arti­kel das sug­ge­riert, wur­den kei­ne spon­ta­nen Ant­wor­ten, die viel­leicht Minu­ten spä­ter bereut wur­den, doku­men­tiert. Die Pres­se war in der Hand des Staa­tes. Die CDU war eine gleich­ge­schal­te­te Block­par­tei (Ulb­richt Mai, 1945: „Es muss demo­kra­tisch aus­se­hen, aber wir müs­sen alles in der Hand haben.“, Leon­hard, 1955). Was Max Kaha­ne hat dru­cken las­sen, war sei­ne Mei­nung und die des Staa­tes und der Tenor die­ser kur­zen Mel­dung ist der glei­che wie der des Brie­fes der jüdi­schen Bürger*innen: Isra­el ist ein impe­ria­lis­ti­scher Agres­sor. Anti­se­mi­tisch? Hängt von der Defi­ni­ti­on und deren Anwen­dung ab. Sie­he oben. Anti­im­pe­ria­lis­tisch? Ganz sicher. Bei Pro­fes­sor Eis­ler han­del­te es sich wohl um Hanns Eis­ler, eben­falls ein Jude.

Die Stel­lung­nah­me der jüdi­schen Bürger*innen erschien im Neu­en Deutsch­land. Pro­pa­gan­dis­tisch hät­te es über­haupt kei­nen Sinn erge­ben, wenn der Chef­kom­men­ta­tor des Neu­en Deutsch­lands einen Brief von unab­hän­gi­gen jüdi­schen Bürger*innen mit unter­zeich­net hät­te. Es war klar, dass das, was im Neu­en Deutsch­land erscheint, die offi­zi­el­le Mei­nung der SED-Staats­füh­rung war und somit iden­tisch mit der des Chef­kom­men­ta­tors. Sol­che Brie­fe und Stel­lung­nah­men waren dazu da, der rest­li­chen Bevöl­ke­rung zu zei­gen, was Intel­lek­tu­el­le und Künstler*innen von einer bestimm­ten Sache hal­ten. Also: Leon Kaha­ne kann sich nichts dar­auf ein­bil­den, dass sein Groß­va­ter das aus Leon Kaha­nes Sicht anti­se­mi­ti­sche State­ment nicht unter­schrie­ben hat. Viel­leicht war das State­ment ja doch nicht antisemitisch?

Nazis auf den mittleren Ebenen?

Jan Kage fragt:

Auch in der DDR hat man nach 1945 weder Rich­ter noch Staats­an­wäl­te oder Leh­rer – die­sen gan­zen Mit­tel­bau aus Beam­ten – aus­ge­tauscht. Das ging nicht, weil man nicht schnell genug nach­aus­bil­den konn­te. Statt­des­sen tausch­te man die Füh­rungs­ebe­ne aus. Und von hier konn­te man dann gut vom Osten auf den Wes­ten zei­gen. Wir sind die Guten und da drü­ben bei Ade­nau­er sit­zen die Faschis­ten. Und in Öster­reich auch. Waren die jüdi­schen Leu­te in der DDR Kron­zeu­gen für die­se eige­ne anti­fa­schis­ti­sche Erzählung?

Leon Kaha­ne wider­spricht dem nicht, aber die Aus­sa­ge ist ein­fach falsch. Es gab nach dem Krieg die soge­nann­ten Neu­leh­rer. Ich ken­ne per­sön­lich einen Latein/­Kunst-Leh­rer, der Mit­glied der NSDAP gewe­sen war und nach dem Krieg nicht arbei­ten durf­te. Das steht im Wiki­pe­dia-Ein­trag zu den Neulehrern:

Wur­den im ers­ten Schul­jahr noch eini­ge Leh­rer mit natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ver­gan­gen­heit gedul­det, so wur­den die Richt­li­ni­en für den Ver­bleib im Schul­dienst schritt­wei­se ver­schärft. In den west­li­chen Besat­zungs­zo­nen konn­ten eini­ge Leh­rer mit zwei­fel­haf­tem Hin­ter­grund nach soge­nann­ten „Ent­bräu­nungs­kur­sen“ ab 1947 wie­der in den Schul­dienst ein­tre­ten, wäh­rend in der sowje­ti­schen Besat­zungs­zo­ne das Neu­leh­rer­pro­gramm so umfang­reich gestal­tet wur­de, dass gro­ße Tei­le der bis­he­ri­gen Leh­rer­schaft von den rund 40.000 Neu­leh­rern ersetzt wur­den. Obschon die alte Leh­rer­schaft die Qua­li­tät einer höchs­tens ein­jäh­ri­gen Umschu­lung anzwei­fel­te, war auf­grund des zumeist aka­de­mi­schen Hin­ter­grun­des der Neu­leh­rer das Ergeb­nis hin­rei­chend gut und ermög­lich­te den sonst im Nach­kriegs­deutsch­land auf­ga­ben­lo­sen Beru­fen eine fes­te Anstel­lung. Die gro­ße Mehr­zahl der Neu­leh­rer blieb auf Dau­er im Schul­dienst tätig.

Wiki­pe­dia­ein­trag Neu­leh­rer, 05.11.2025

Auch die Behaup­tung bezüg­lich der Juris­ten ist nicht rich­tig. Die Mut­ter von André Herz­berg (Dem Sän­ger der Rock­band Pan­kow, die auch in der Aus­stel­lung vor­kam) war Staats­an­wäl­tin in der DDR. Sie hat­te nach dem Krieg und der Rück­kehr aus dem Exil einen Crash-Kurs zur Juris­tin absol­viert. Ihre Toch­ter Wera Herz­berg hat über ihr Leben ein Thea­ter­stück gemacht und schreibt dazu in der Ber­li­ner Zeitung:

In Lei­ces­ter, wo sie leb­te, hat sie mei­nen Vater ken­nen­ge­lernt und vie­le ande­re jüdi­sche Emi­gran­ten aus Deutsch­land. Sie trat in die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei ein und ging 1947 zurück nach Deutsch­land, nach Ber­lin-Ste­glitz, wo sie bei Freun­den woh­nen konn­te. Und dann bekam sie die Chan­ce, einen Kurz­lehr­gang im Fach Jura zu besu­chen. Das war in Pots­dam und damit ver­bun­den war die Auf­for­de­rung, in den sowje­tisch besetz­ten Teil Deutsch­lands zu ziehen.

[…]

War­um ist sie zurück­ge­gan­gen?

Mei­ne Mut­ter ist 1942 in die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei ein­ge­tre­ten, und hat­te tat­säch­lich einen Auf­trag. Aber sie hat auch dar­an geglaubt, dass sie in die­sem Deutsch­land etwas ändern kann. Und der erkenn­ba­re Anti­fa­schis­mus im Ost­teil war für sie etwas Gutes. Zudem tat sich dort für sie ein rie­si­ges Berufs­feld auf, weil alle Nazi-Juris­ten ent­las­sen wurden.

Hat Ihre Mut­ter spä­ter noch Jura stu­diert?

Sie soll­te, aber sie hat­te dann schon drei Kin­der, hat­te sich von mei­nem Vater schei­den las­sen. Es war für sie nicht zu stem­men. Sie hat dann auf mitt­le­rer Ebe­ne als Staats­an­wäl­tin gear­bei­tet, war auch mal Jugend­staats­an­walt, aber eigent­lich war ihr Gebiet die Wirt­schafts­kri­mi­na­li­tät, auch Dieb­stäh­le und so etwas.

Lenz, Susan­ne. 11.01.2025. Wera Herz­berg im Inter­view: „Mei­ne Mut­ter woll­te raus aus dem ver­ein­ten Deutsch­land“. Ber­li­ner Zei­tung.

Peer hat mich auf Hafer­kamp & Wudt­ke (1997) hin­ge­wie­sen. In die­ser Fach­ver­öf­fent­li­chung zur Rich­ter­aus­bil­dung in der DDR kann man Fol­gen­des lesen:

Hin­zu kamen die rigo­ro­sen Ent­na­zi­fi­zie­rungs­plä­ne der Sowjets. In Befehl Nr. 49 der SMAD vom 4. Sep­tem­ber 1945 wur­de ange­ord­net, daß „bei der Durch­füh­rung der Reor­ga­ni­sa­ti­on des Gerichts­we­sens sämt­li­che frü­he­re Mit­glie­der des NSDAP aus dem Appa­rat der Gerich­te und der Staats­an­walt­schaft zu ent­fer­nen sind, eben­so Per­so­nen, wel­che an der Straf­po­li­tik unter dem Hit­ler­re­gime unmit­tel­bar teil­ge­nom­men haben.“ Von den etwa 2400 im Mai 1945 im Jus­tiz­dienst täti­gen Rich­tern und Staats­an­wäl­ten hat­ten knapp 80 % das Par­tei­buch der NSDAP. Schon im Okto­ber 1945 führ­te eine ers­te Ent­las­sungs­wel­le in der SBZ zur Ent­fer­nung von 811 Rich­tern, das ent­sprach etwa 90 % der NS-belas­te­ten Rich­ter. Bis 1948 erhöh­te sich die­se Zahl auf 905, damit betrug die ver­blie­be­ne Belas­tung in der Rich­ter­schaft im Sep­tem­ber 1948 4,8 %. Zu Errei­chung des Min­dest­solls für die Ein­rich­tung einer funk­ti­ons­fä­hi­gen Jus­tiz fehl­ten Ende 1945 bereits etwa 40 % der Rich­ter. Die ört­li­chen Kom­man­dan­ten ver­such­ten, die Lücke durch sog. „Rich­ter im Sofort­ein­satz“ zu schlie­ßen. Regio­nal unter­schied­lich über­nah­men juris­tisch halb- oder unge­bil­de­te Kom­mu­nis­ten und „bewähr­te Anti­fa­schis­ten“ die Recht­spre­chung. Ende 1945 waren etwa 25 % der Rich­ter „im Soforteinsatz“.

Hafer­kamp, Hans-Peter & Wudt­ke, Tors­ten. 1997. Rich­ter­aus­bil­dung in der DDR. forum his­to­riae iuris. Quel­len für die Ein­zel­aus­sa­gen sie­he dort.

Die Behaup­tun­gen von Jan Kage sind also plain wrong und es ist eine Schan­de für Leon Kaha­ne, dass er sie unwi­der­spro­chen ste­hen lässt.

Ehm, davon unab­hän­gig bleibt der Rest von Kages Fra­ge natür­lich wahr: „Und von hier konn­te man dann gut vom Osten auf den Wes­ten zei­gen. Wir sind die Guten und da drü­ben bei Ade­nau­er sit­zen die Faschis­ten.“ Die Füh­rungs­ebe­ne war aus­ge­tauscht und die Faschis­ten saßen im Wes­ten. Hans Glob­ke zum Bei­spiel. Glob­ke war Mit­ver­fas­ser der Nürn­ber­ger Ras­sen­ge­set­ze und rech­te Hand Ade­nau­ers. Die Orga­ni­sa­ti­on Geh­len war der Vor­läu­fer des BND und wur­de von Nazis auf­ge­baut. Alles so Sachen, die man schlecht weg­dis­ku­tiert bekommt. Ich habe auch für KZ-Mann­schaf­ten oder Deut­sche Chris­ten, die die Bibel von jüdi­schen Ein­flüs­sen befrei­en woll­ten, Ver­bleibs­stu­di­en ange­stellt. Die Schwer­ver­bre­cher sind bis auf sehr weni­ge Aus­nah­men alle in den Wes­ten oder über die Rat­ten­li­nie (von der katho­li­schen Kir­che bzw. US-Geheim­diens­ten orga­ni­siert) nach Argen­ti­ni­en oder in die ara­bi­sche Welt geflo­hen. Auch von den im Osten leben­den christ­li­chen Anti­se­mi­ten sind vie­le in den Wes­ten gegan­gen. Sie­he Nazis im Wes­ten, Nazis in der SED und Das SS-Lager­per­so­nal von Buchen­wald und (Ost-)Deutsche Chris­ten in Ost und West.

Antisemitismus?

Ich möch­te einen Punkt noch ein­mal klar machen: Isra­el begeht Men­schenrechs­ver­let­zun­gen. Der Anti­se­mi­tis­mus­vor­wurf ist eine Immu­ni­sie­rungs­stra­te­gie: Jede Kri­tik an Isra­el wird sofort als Anti­se­mi­tis­mus geblockt. Zum bes­se­ren Ver­ständ­nis viel­leicht hier ein Bei­spiel für sol­che Stra­te­gien aus den Mate­ria­li­en der Ama­deu-Anto­nio-Stif­tung, die Leon Kaha­nes Tan­te Anet­ta Kaha­ne gelei­tet hat. In der Erklä­rung anti­se­mi­ti­scher Codes wird neben Roth­schild, Rocke­fel­ler, Geor­ge Sor­os, Mark Zucker­berg und Bill Gates noch Anet­ta Kaha­ne genannt.

Bei­spiel für anti­se­mit­sche Codes in Mate­ri­al der Ama­deu-Anto­nio-Stif­tung erstellt am 23.09.2021 decon­s­truct anti­se­mi­tism! Anti­se­mi­ti­sche Codes und Meta­phern erken­nen, auch heu­te noch vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung, Fami­lie, Senio­ren, Frau­en und Sport ver­linkt.

Als beschei­de­ner Mensch wür­de ich, wenn ich für eine sol­che Bro­schü­re ver­ant­wort­lich wäre (Anet­ta Kaha­ne lei­te­te die Stif­tung bis 2022), dafür sor­gen, dass mein Name aus die­ser Lis­te ver­schwin­det, selbst wenn die Aus­sa­ge wahr wäre. Davon abge­se­hen: Anet­ta Kaha­ne mag sich als Aus­län­der­be­auf­trag­te und auch im Kampf gegen Anti­se­mi­tis­mus ver­dient gemacht haben, sie spielt aber in einer gaaaaa­anz ande­ren Liga als Rocke­fel­ler, Sor­os, Zucker­berg und Gates. In einer ganz ande­ren. So anders, dass es schon weh tut. Die Auf­nah­me des eige­nen Namens in eine sol­che Lis­te ist der Ver­such der Immu­ni­sie­rung: Alle die Anet­ta Kaha­ne kri­ti­sie­ren, han­deln anti­se­mi­tisch, wenn man die Kri­te­ri­en von Anet­ta Kaha­ne zugrundelegt.

Zeitzeugen

Leon Kaha­ne gehört wie Anne Rabe zur Drit­ten Gene­ra­ti­on Ost. Die bei­den sind fast gleich alt. Anne Rabe hat in einer Podi­ums­dis­kus­si­on mit Simo­ne Schmol­lack auf die Fra­ge, wie sie denn über die DDR schrei­ben kön­ne, wenn sie zur Wen­de erst drei Jah­re alt war, geant­wor­tet, dass Umber­to Eco ja auch nicht im Mit­tel­al­ter gelebt, aber den­noch über die­se Zeit geschrie­ben habe. Das ist wohl wahr, aber im Gegen­satz zu Anne Rabe konn­te man Umber­to Eco bis­her kei­ne gro­ben Schnit­zer in sei­nem Roman nach­wei­sen. Im Gegen­satz zur Nach­kriegs­ge­nera­ti­on und zur DDR-Gene­ra­ti­on kön­nen die jüngs­ten Vertreter*innen der Drit­ten Gene­ra­ti­on Ost nichts oder sehr wenig über ihre Zeit in der DDR sagen, dafür aber eini­ges über die Nach­wen­de­zeit und das Leben mit ihren vom Umbruch betrof­fe­nen Eltern. Wenn Sie sich den­noch zu The­men äußern, die den DDR-All­tag betref­fen, müs­sen sie sich genau­so auf­wen­dig in die Mate­rie ein­ar­bei­ten, wie Men­schen aus dem Wes­ten. Sie brau­chen Quel­len und müs­sen ihr Wis­sen sys­te­ma­ti­sie­ren. Leon Kaha­ne hat offen­sicht­lich kei­ne Ahnung von den Sub­kul­tu­ren in der DDR und lei­der auch nicht von der Geschich­te der DDR nach dem Krieg (Neu­leh­rer) und der Geschich­te Isra­els (Sechs­ta­ge­krieg vs. Jom-Kip­pur-Krieg). Sonst hät­te er sei­nem Inter­view­part­ner wider­spre­chen müs­sen. Genau so hat Anne Rabe kei­ne Ahnung von Amok­läu­fen oder Poli­zei­sta­tis­ti­ken. All­ge­mein nicht mit dem wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten. Rabe und Kaha­ne kom­men aus sys­tem­treu­en Fami­li­en, wes­halb ihnen selbst das Wis­sen über den DDR-Unter­grund aus zwei­ter Hand aus den Fami­li­en fehlt. Ihre Aus­sa­gen sind also mit Vor­sicht zu genie­ßen und soll­ten von inter­es­sier­ten Journalist*innen veri­fi­ziert wer­den. Damit kann man Pein­lich­kei­ten wie das vor­lie­gen­de Inter­view und auch eine Preis­ver­ga­be an ein schlech­tes Buch vermeiden.

Zusammenfassung

Zusam­men­ge­fasst: Auch Israe­lis kön­nen Ras­sis­ten sein, auch Israe­lis kön­nen das Völ­ker­recht bre­chen und Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen bege­hen. Und Anet­ta Kaha­ne und ihr Nef­fe kön­nen Unfug über den Osten ver­brei­ten. Dass man zu einer dis­kri­mi­nier­ten Min­der­heit gehört, bedeu­tet nicht, dass man unfehl­bar ist. Um es mit Fun­ny van Dan­nen zu sagen: Auch les­bi­sche schwar­ze Behin­der­te kön­nen ätzend sein!

Das gan­ze Inter­view ist mal wie­der ein Ärger­nis und letzt­end­lich auch ein Bei­trag zur För­de­rung des Faschis­mus, auch wenn das Jan Kage und Leon Kaha­ne jetzt weh­tun mag. Die Bericht­erstat­tung über den Osten ist seit über 35 Jah­ren auf ähn­li­chem Niveau. Das hat zur Fol­ge, dass die west­deut­schen Leit­me­di­en im Osten nicht mehr kon­su­miert wer­den (Fromm, 2021), dass wei­te Tei­le der ost­deut­schen Gesell­schaft nicht mehr am Dis­kurs teil­neh­men und dann ihre Infor­ma­tio­nen aus diver­sen Schmud­del­ka­nä­len auf Tele­gram und sonst­wo bekom­men. War­um soll­ten sie Geld bezah­len, um Falsch­in­for­ma­tio­nen über sich zu lesen? War­um soll­ten sie Men­schen aus dem Wes­ten zuschau­en, die über sie spre­chen? Oder Men­schen aus dem Osten, die kei­ne Ahnung haben, wie die DDR war und The­sen ver­brei­ten, die zu dem pas­sen, was Men­schen aus dem Wes­ten hören wol­len? Die­se Men­schen zurück­zu­ho­len dürf­te schwer wer­den. Viel­leicht ist es bereits zu spät.

Danksagungen

Ich dan­ke Peer, der in der Dis­kus­si­on auf Mast­o­don mal wie­der wert­vol­le Doku­men­te bei­getra­gen hat.

Quellen

Dahn, Danie­la. 1997. West­wärts und nicht ver­ges­sen: Vom Unbe­ha­gen in der Ein­heit (Rororo Sach­buch 60341). Ham­burg: Rowohlt Verlag.

Decker, Kers­tin. 1999. Das Töpf­chen und der Haß. tages­spie­gel. Ber­lin. (https://www.tagesspiegel.de/kultur/das-toepfchen-und-der-hass/77844.html)

Fromm, Anne. 2021. Pres­se in Ost­deutsch­land: Wer strei­chelt unse­re See­le? taz. Ber­lin. (https://taz.de/Presse-in-Ostdeutschland/!5756271/)

Gosch­ler, Con­stan­tin. 1993. Pater­na­lis­mus und Ver­wei­ge­rung – Die DDR und die Wie­der­gut­ma­chung für jüdi­sche Ver­folg­te des Natio­nal­so­zia­lis­mus. In Benz, Wolf­gang (ed.), Jahr­buch für Anti­se­mi­tis­mus­for­schung, vol. 2. Frankfurt/Main: Campus-Verlag.

Hafer­kamp, Hans-Peter & Wudt­ke, Tors­ten. 1997. Rich­ter­aus­bil­dung in der DDR. forum his­to­riae iuris. (https://forhistiur.net/1997–10-haferkamp-wudtke/1997–10-haferkamp-wudtke)

Jung, Tilo. 2025. Geno­zid-For­scher Omer Bar­tov über Gaza, Isra­el & den Wes­ten. (https://jung-naiv.podigee.io/1103–784-genozid-forscher-omer-bartov-uber-gaza-israel-den-westen)

Lenz, Susan­ne. 2025. Wera Herz­berg im Inter­view: „Mei­ne Mut­ter woll­te raus aus dem ver­ein­ten Deutsch­land“. Ber­li­ner Zei­tung, 11.01.2025. (https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/theater/wera-herzberg-im-interview-meine-mutter-wollte-raus-aus-dem-vereinten-deutschland-li.2286366)

Leon­hard, Wolf­gang. 1955. Die Revo­lu­ti­on ent­lässt ihre Kin­der (Kiwi Band 119). Köln: Kie­pen­heu­er & Witsch.

Sokol, Sam. 2024. Likud MK tells fami­ly mem­ber of Oct. 7 vic­tim to ‘get out of my sight’ during Knes­set pro­test. Times of Isra­el 20.03.2024. (https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/likud-mk-tells-family-member-of-oct-7-vicitm-to-get-out-of-my-sight-during-knesset-protest/)

tages­schau. 2024. Inter­na­tio­na­ler Gerichts­hof: Isra­els Sied­lungs­po­li­tik laut UN-Gut­ach­ten ille­gal. tages­schau 19.07.2024. ARD. (https://www.tagesschau.de/ausland/asien/israel-igh-volkerrecht-100.html)

Tzvi­ka Mor. 2024. War­ti­me dia­ries 143. (https://www.israelstory.org/episode/tzvika-mor/)

Wel­lisch, Felix. 2025. Frei­ge­las­se­ne Paläs­ti­nen­ser: Wei­ter Weg zur Ver­söh­nung. taz. 29.10.2025. Ber­lin. (https://taz.de/Freigelassene-Palaestinenser/!6122480/)


Sächsische Separatisten (SS)

Vor eini­ger Zeit sind die Säch­si­schen Sepa­ra­tis­ten auf­ge­flo­gen. Eine Grup­pe Rechts­extre­mer, die mit Waf­fen für den Tag X trai­niert haben, wur­de fest­ge­nom­men. Eini­ge von ihnen AfD-Funk­tio­nä­re. Heu­te schreibt die taz zu die­ser Gruppe:

Zu den Fest­ge­nom­men gehö­ren auch die Brü­der Jörg und Jörn S. aus Bran­dis, deren Vater in den 1980er Jah­ren bereits in der mili­tan­ten Neo­na­zi-Sze­ne in Öster­reich aktiv war. Jörg S. gilt der Bun­des­an­walt­schaft als Anfüh­rer der Gruppe. 

Lit­sch­ko, Kon­rad. 2024. Kurth finan­zier­te Ter­ror­ver­däch­ti­ge. taz 13.11.24. Berlin.

Das heißt, das wie­der eine Grup­pe von in den Osten gekom­me­nen West-Nazis gelei­tet wird. Ich bit­te, das zu berück­sich­ti­gen, wenn über „die Ossis“ berich­tet wird und ver­sucht wird, die Exis­tenz von Nazis im Osten irgend­wie auf Eigen­schaf­ten von Ossis zurückzuführen.

Übri­gens hat Peter Kurth, frü­her Ber­li­ner CDU-Sena­tor, den Ter­ro­ris­ten den Kauf eines Hau­ses finan­ziert. Ost-Nazis ver­fü­gen nor­ma­ler­wei­se nicht über aus­rei­chend Mit­tel zum Kauf von Häusern.

Quellen

Lit­sch­ko, Kon­rad. 2024. Kurth finan­zier­te Ter­ror­ver­däch­ti­ge. taz 13.11.24. Ber­lin. (https://www.taz.de/!6049011)

Lilane Eierdiebe, ostdeutsche Institute und Framing

Johan­nes Geck, Dok­to­rand am Insti­tut für Zeit­ge­schich­te München–Berlin, schreibt in einem Mei­nungs­bei­trag in der taz, dass das rechts­extre­me Insti­tut für Staats­po­li­tik erns­ter genom­men wer­den soll­te. Dem ist unbe­dingt zuzu­stim­men. Es gibt nur eine Klei­nig­keit in sei­nem Bei­trag, die mich extrem stört. Eigent­lich sind es zwei Klei­nig­kei­ten. Oder eine, die zwei­mal vorkommt.

Das Insti­tut war eine rechts­extre­me Denk­fa­brik, die rechts­extre­men Politiker*innen der AfD zuar­bei­te­te. Das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz und der Lan­des­ver­fas­sungs­schutz Sach­sen-Anhalt stuf­ten die Grup­pie­rung als „gesi­chert rechts­extrem“ und als ver­fas­sungs­feind­lich ein. Es wur­de 2024 auf­ge­löst, wohl um einem Ver­bot zuvorzukommen.

Geck schreibt:

In der deut­schen Bericht­erstat­tung über das Umfeld des neu­rech­ten Ver­le­gers Götz Kubit­schek ent­steht bis­wei­len der Ein­druck, es hand­le sich um einen Kreis ver­wirr­ter Hoch­stap­ler. Zuletzt sprach etwa die Spie­gel-Redak­teu­rin Ann-Kath­rin Mül­ler schmun­zelnd von „ganz viel pseu­do­in­tel­lek­tu­el­lem Gere­de“, das aus dem sach­sen-anhal­ti­ni­schen Schnell­ro­da zu ver­neh­men sei. Eine sol­che Ver­harm­lo­sung des inzwi­schen for­mal auf­ge­lös­ten Insti­tuts für Staats­po­li­tik ver­kennt jedoch des­sen Bedeu­tung für die radi­ka­le Rech­te und führt zu einer gefähr­li­chen Unter­schät­zung der orga­ni­sier­ten Geg­ner der libe­ra­len Demo­kra­tie. Neben Maxi­mi­li­an Krah und Ali­ce Wei­del sind die Prot­ago­nis­ten der Wahl­er­fol­ge im Osten, Björn Höcke, Jörg Urban und Hans-Chris­toph Berndt, gern gese­he­ne Gäs­te in der ost­deut­schen „Denk­fa­brik“.

Johan­nes Geck. 2024. Rech­te Extramei­len, taz, 08.11.2024, S. 12.

Framing

Johan­nes Geck ver­wen­det die Wort­grup­pe ost­deut­sche „Denk­fa­brik“ noch ein wei­te­res Mal in sei­nem Arti­kel. Es scheint ihm also wich­tig zu sein, einen Zusam­men­hang zwi­schen Rechts­extre­mis­mus und Ost­deutsch­land her­zu­stel­len. Das Fach­wort dafür ist Framing und die Hebbsche Lern­re­gel erklärt, was im Gehirn pas­siert: „What fires tog­e­ther wires tog­e­ther.“. Wenn Kon­zep­te immer wie­der in Bezie­hung zuein­an­der gesetzt wer­den, reicht es irgend­wann, eins der Kon­zept zu erwäh­nen. Im kon­kre­ten Fall wäre dann Ost­deutsch­land in den Gehir­nen der Medienkonsument*innen untrenn­bar mit Rechts­extre­mis­mus verknüpft.

„Bran­den­burg zeigt Hal­tung“ Demo­teil­neh­me­rin bei „Wir sind die Brand­mau­er“ Kund­ge­bung gegen den Faschis­mus, Ber­lin, 03.02.2024

Im gesamt­deut­schen Dis­kurs ist es bequem, das Gru­se­li­ge aus­zu­la­gern und zu exter­na­li­sie­ren. Die Nazis sind ost­deutsch. Sie sind alle so gewor­den, weil sie zu heiß geba­det wur­den (Rabe)/nebeneinander auf dem Töpf­chen sit­zen muss­ten (Pfei­fer, sie­he Decker, 1999)/unter den Kom­mu­nis­ten gelit­ten haben (der gan­ze Rest, sie­he Zei­tung, Fern­se­hen, irgend­was). Lei­der ist das zu kurz geschos­sen, denn Nazis bzw. Nazi-Wähler*innen gibt es auch in West­deutsch­land (und in Frank­reich, Ita­li­en, Öster­reich und in den USA, wo ja nun kaum die Kom­mu­nis­ten Schuld gewe­sen sein konn­ten). Die Grün­de für ent­spre­chen­des Wahl­ver­hal­ten sind oft ähn­lich und solan­ge das nicht erkannt wird, rut­schen wir wei­ter in Rich­tung Faschismus.

Westdeutsche Denkfabrik und westdeutsche Nazis

Hier noch kurz die Erklä­rung, war­um mich die Phra­se ost­deut­sche „Denk­fa­brik“ ärgert. Das Insti­tut für Staats­po­li­tik wur­de im Mai 2000 von Götz Kubit­schek, Karl­heinz Weiß­mann und dem Rechts­an­walt Ste­fan Hanz gegrün­det. Das Insti­tut hat­te sei­nen Sitz am Anfang in Bad Vil­bel (Hes­sen) und ist erst 2003 nach Schnell­ro­da in Sach­sen-Anhalt umge­zo­gen. Die Grün­der kom­men aus Ravens­burg (Baden-Würt­tem­berg) und Nort­heim (Nie­der­sach­sen). Die Her­kunft von Ste­fan Hanz ist mir nicht bekannt, ich ver­mu­te aber, dass er eben­falls aus dem Wes­ten kommt. Das Staats­po­li­tik-Insti­tut ist also eine west­deut­sche Denk­fa­brik, die seit 2003 im Osten ange­sie­delt ist.

Auch die auf­ge­zähl­ten Politiker*innen sind fast zur Hälf­te aus dem Wes­ten: Höcke und Wei­del sind bei­de aus NRW.

Lilane Eierdiebe und ultimative Attributionsfehler

Zum Pres­se­ko­dex gehört seit 2017 folgendes:

In der Bericht­erstat­tung über Straf­ta­ten ist dar­auf zu ach­ten, dass die Erwäh­nung der Zuge­hö­rig­keit der Ver­däch­ti­gen oder Täter zu eth­ni­schen, reli­giö­sen oder ande­ren Min­der­hei­ten nicht zu einer dis­kri­mi­nie­ren­den Ver­all­ge­mei­ne­rung indi­vi­du­el­len Fehl­ver­hal­tens führt. Die Zuge­hö­rig­keit soll in der Regel nicht erwähnt wer­den, es sei denn, es besteht ein begrün­de­tes öffent­li­ches Inter­es­se. Beson­ders ist zu beach­ten, dass die Erwäh­nung Vor­ur­tei­le gegen­über Min­der­hei­ten schü­ren könnte.

Wenn über einen Eier­dieb­stahl berich­tet wird, ist die Haut­far­be der Täter*in nor­ma­ler­wei­se irrele­vant und soll nicht genannt wer­den. Der Grund dafür ist genau das, was ich oben aus­ge­führt habe: Wenn stän­dig von lila­nen Eier­die­ben gespro­chen wird, ver­fes­tigt sich das Bild, dass alle Men­schen mit lila­n­er Haut­far­be Eier­die­be wären oder zum Eider­dieb­stahl nei­gen. Es kommt dann zum ulti­ma­ti­ven Attributionsfehler:

Erklärt man sich das Ver­hal­ten eines Men­schen damit, dass er Mit­glied einer sozia­len Grup­pe ist, spricht man seit Pet­ti­g­rew (1979) vom „ulti­ma­ti­ven Attri­bu­ti­ons­feh­ler“. Oft dient die­se dis­po­si­tio­na­le Ursa­chen­zu­schrei­bung der Auf­recht­erhal­tung von Vor­ur­tei­len („Er han­delt so, weil er Aus­län­der ist“).

Wiki­pe­dia­ein­trag ulti­ma­ti­ver Attri­bu­ti­ons­feh­ler, 09.11.2024

Folgt man die­sen Grund­sät­zen (Ossis sind eine Min­der­heit, da es fünf mal mehr Wes­sis als Ossis gibt, und sie haben in der Pres­se kei­ne Stim­me) und bedenkt, wor­um es in die­sem Mei­nungs­bei­trag geht, wird klar, dass das Wort ost­deutsch in Gecks Auf­satz Fehl am Plat­ze war. Die Lage des Insti­tuts war für die Aus­sa­ge, des Arti­kels irrele­vant. Der Effekt des Wor­tes ist das Framing von Rechts­extre­mis­mus als spe­zi­fisch ost­deutsch. Ob das die Absicht Gecks war, weiß ich nicht, aber wenn einem Dok­to­ran­den in Neue­rer und Neu­es­ter Geschich­te das aus Ver­se­hen pas­sie­ren wür­de, wür­de das auch nicht für ihn sprechen.

Axel Graf­manns und Miri­am Tödter von „Wir packen’s an Not­hil­fe für Geflüch­te­te“ aus Ber­lin-Bran­den­burg spre­chen auf der Ver­an­stal­tung „Wir sind die Brand­mau­er“ gegen Faschis­mus, die 1630 Orga­ni­sa­tio­nen mit­ein­an­der orga­ni­siert haben. Reichs­tag, Ber­lin, 03.02.2024

Schlussfolgerung

Hört bit­te auf damit, Rechts­extre­mis­mus als ost­deut­sches Pro­blem zu framen. Es ist unser aller Pro­blem. Guckt nach unten auf Eure Füße, sie ste­hen schon jetzt im brau­nen Matsch.

Quellen

Decker, Kers­tin. 1999. Das Töpf­chen und der Haß. tages­spie­gel. Ber­lin. (https://www.tagesspiegel.de/kultur/das-toepfchen-und-der-hass/77844.html)

(Ost-)Deutsche Christen in Ost und West

In den letz­ten Jah­ren gibt es mit dem Erstar­ken der AfD wie­der eine grö­ße­re Debat­te zu Nazis in der DDR. Es wird immer wie­der die offi­zi­el­le Geschich­te des nazifrei­en Lan­des zitiert. Dass die DDR nazifrei war ist sicher nicht rich­tig, aber dass die Nazi-Dich­te gerin­ger war und dass sie eben nicht – im Unter­schied zu Nazi-Grö­ßen wie Hans Glob­ke und Hans Fil­bin­ger – in Füh­rungs­po­si­tio­nen waren ist und bleibt wahr. Im Wikip­deia-Arti­kel zu Rechts­extre­mis­mus in der DDR wer­den drei Per­so­nen exem­pla­risch genannt: Arno von Len­ski, Franz Füh­mann oder Erhard Mau­ers­ber­ger. Per­so­nen wie Arno von Len­ski habe ich schon in einem frü­he­ren Post bespro­chen. Len­ski war in Sta­lin­grad in sowje­ti­sche Gefan­gen­schaft gera­ten und hat dann die Sei­ten gewechselt:

Nach eini­gem Zögern trat Len­ski am 7. Mai 1944 dem Natio­nal­ko­mi­tee Frei­es Deutsch­land und dem Bund Deut­scher Offi­zie­re bei. Dafür wur­de er von einem Kriegs­ge­richt in Tor­gau in Abwe­sen­heit zum Tode ver­ur­teilt. Er war Mit­ar­bei­ter der Zei­tung und des Sen­ders Frei­es Deutsch­land in Luno­wo. Von Dezem­ber 1944 bis Mai 1945 stu­dier­te er Gesell­schafts­wis­sen­schaf­ten und Poli­ti­sche Öko­no­mie in der Anti­fa-Schu­le in Kras­no­gorsk. Von März 1946 bis August 1949 war er mili­tä­ri­scher Fach­be­ra­ter bei Mos­film für den Doku­men­tar­film Die Schlacht um Sta­lin­grad.

Wiki­pe­dia-Ein­trag von Len­ski, abge­ru­fen 22.06.2024

Franz Füh­mann war eben­falls auf einer Anti­fa-Schu­le und hat dann als Assis­tenz­leh­rer an Anti­fa-Schu­len gelehrt. Wenn wir über Faschis­mus und Faschis­ten reden, dann nicht über sol­che, die zu Antifaschist*innen wur­den, son­dern sol­che, die unbe­hel­ligt ihr Leben füh­ren konn­ten und es zum Teil noch füh­ren. Sol­che wie Karl M.:

Der drit­te Name ist Erhard Mau­ers­ber­ger, der Mit­ar­bei­ter des Insti­tuts zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben war. Er hat dar­an mit­ge­wirkt, Kir­chen­lie­der umzu­dich­ten. Das wur­de zu DDR-Zei­ten nicht auf­ge­ar­bei­tet und ist in der Tat unakzeptabel.

Inter­es­sant ist, dass das Insti­tut sei­ne Mit­ar­bei­ter ver­öf­fent­licht hat, so dass man jetzt unter­su­chen kann, was aus den Nazis und Anti­se­mi­ten, die bis 1945 im Osten gelebt haben, gewor­den ist. Wiki­pe­dia hat eine lan­ge Lis­te mit Namen, von denen vie­le ver­linkt sind. Um zu zei­gen, dass nach dem Krieg weni­ger Nazis im Osten waren, muss man nur die Ost-Nazis anschau­en und unter­su­chen, wie vie­le von ihnen in den Wes­ten gegan­gen sind, denn es wird wohl kaum ein West-Nazi sein Leben auf­ge­ge­ben haben, um zu den Rus­sen in den Osten zu zie­hen. (Das setzt natür­lich eine Gleich­ver­tei­lung von Nazis in Ost und West direkt nach dem Krieg voraus.)

Die Wiki­pe­dia-Sei­te lis­tet die Mit­ar­bei­ter in drei Rubriken:

  • Mit­ar­bei­ter in kir­chen­lei­ten­der Funktion
  • Geist­li­che bzw. Pfarrer
  • Hoch­schul­leh­rer bzw. Akademiker

Im fol­gen­den sor­tie­re ich die Lis­ten nach Ster­be- oder Wohn­ort nach 1945 in West, Ost, unbekannt/irrelevant. Irrele­vant ist der Ster­be­ort zum Bei­spiel bei Per­so­nen, die in Kriegs­ge­fan­gen­schaft gestor­ben sind. Irrele­vant sind auch die­je­ni­gen, die schon vor Kriegs­en­de im Wes­ten waren.

In kirchenleitender Funktion

In den Westen gegangen 

  1. Bischof Fried­rich Peter, Ber­lin, gestor­ben 1960, Gro­nau, NRW „Obgleich Peter 1948 aus dem Pfarr­amt ent­las­sen wur­de, blie­ben ihm die geist­li­chen Rech­te erhal­ten. So erhielt er Beschäf­ti­gungs­auf­trä­ge in der Evan­ge­li­schen Kir­che von West­fa­len, zunächst in Oeding und seit 1953 in Gro­nau (Westf.).“
  2. Lan­des­bi­schof Walt­her Schultz, Schwe­rin, gestor­ben 1957 in Schna­cken­burg, Nie­der­sach­sen „Nach Kriegs­en­de wur­de Schultz, zusam­men mit Kon­sis­to­ri­al­prä­si­dent Her­mann Schmidt zur Ned­den, am 25. Juni 1945 von der bri­ti­schen Besat­zungs­macht ver­haf­tet und inter­niert. Zwei Tage spä­ter leg­te er sein Amt nie­der. Im Jah­re 1948 wur­de er aus dem Dienst der Lan­des­kir­che Meck­len­burgs ent­las­sen. Im Jah­re 1950 wur­de Schultz mit der pfarr­amt­li­chen Hil­fe­leis­tung in der St.-Dionysius-Kirchengemeinde Fal­ling­bos­tel in der Lüne­bur­ger Hei­de beauf­tragt. Als für die­se Auf­ga­be dort eine neue Pfarr­stel­le errich­tet wur­de, muss­te Schultz die Gemein­de ver­las­sen und über­nahm in Schna­cken­burg an der Elbe ein Gemein­de­pfarr­amt, das er bis zu sei­nem Tode innehatte.“
  3. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Theo­dor Ell­wein, Ber­lin, gestor­ben 1962 Mün­chen „Nach der Ent­las­sung im Dezem­ber 1949 wur­de er 1950 von kirch­li­cher Sei­te in den Ruhe­stand ver­setzt. Im Jah­re 1951 wur­de er Reli­gi­ons­leh­rer am Gym­na­si­um Pasing und Lehr­be­auf­trag­ter an der Leh­rer­bil­dungs­an­stalt Mün­chen-Pasing. Von 1954 bis 1961 war er Lei­ter der Päd­ago­gi­schen Arbeits­stel­le der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Bad Boll bei Göp­pin­gen. 1955 war er Mit­glied der Stu­di­en­kom­mis­si­on für Leh­rer­bil­dung („Tutz­in­ger Emp­feh­lun­gen“) in der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Tutz­ing. 1961 trat er in den Ruhestand.“
  4. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Hans Hohl­wein, Eisen­ach, gestor­ben 1996 in Solin­gen „Nach 1945 wirk­te Hohl­wein als theo­lo­gi­scher Hilfs­ar­bei­ter in der Props­tei Hal­ber­stadt, und von 1947 bis 1951 ver­wal­te­te er die Pfarr­stel­le Heu­de­ber in der Kir­chen­pro­vinz Sach­sen. Im Jah­re 1951 erfolg­te sei­ne Über­sied­lung in die Bun­des­re­pu­blik Deutschland.“
  5. Kir­chen­rat Wil­helm Bau­er, Eisen­ach, gestor­ben 1969 in Bay­ern „In dem von ihm 1935 her­aus­ge­ge­be­nen Buch „Fei­er­stun­den Deut­scher Chris­ten“ kamen neben Bibel­zi­ta­ten auch Autoren wie Adolf Hit­ler zu Wort. Zugleich betä­tig­te er sich als Schrift­lei­ter der Zeit­schrift „Deut­sche Fröm­mig­keit“, in der die Posi­tio­nen der Deut­schen Chris­ten ver­tre­ten wur­den. In einer ihrer Aus­ga­ben bekun­de­te er: „Wir sind Natio­nal­so­zia­lis­ten. Der Natio­nal­so­zia­lis­mus bedeu­tet uns die Wie­der­auf­rich­tung einer wahr­haf­ten Volks­ord­nung auf dem Grun­de der ewi­gen Geset­ze unse­res Blu­tes und unse­rer Hei­mat­er­de.“ Im Jah­re 1939 erklär­te er sei­ne Mit­ar­beit am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben. Zu Beginn der 1940er Jah­re wur­de er stell­ver­tre­ten­der Stu­di­en­lei­ter des Thü­rin­ger Pre­di­ger­se­mi­nars. Nach der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus leb­te Bau­er in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, publi­zier­te dort wei­ter und starb in einem Ort des Frei­staats Bayern.“
  6. Lan­des­su­per­in­ten­dent Fried­rich Kent­mann, Güs­trow, gestor­ben 1953 in Ham­burg „Nach dem Ende von Natio­nal­so­zia­lis­mus und Zwei­tem Welt­krieg 1945 wur­de er sei­nes Amtes als Lan­des­su­per­in­ten­dent ent­ho­ben und vom pfarr­amt­li­chen Dienst sus­pen­diert. Sein Nach­fol­ger als Lan­des­su­per­in­ten­dent wur­de mit Wir­kung vom 1. Okto­ber 1945 der Güs­trower BK-Pas­tor Sibrand Sie­gert (1890–1954). 1950 erfolg­te die Ent­las­sung Kent­manns aus dem Dienst der meck­len­bur­gi­schen Landeskirche.“
  7. Super­in­ten­dent Ger­hard Span­gen­berg, Alten­wed­din­gen, gestor­ben 1975 in Dül­men, NRW „Bis zum Antritt der Pfarr­stel­le im west­fä­li­schen Dül­men, wo er bis zu sei­nem Tod leb­te, arbei­te­te er als Ver­wal­ter einer Obst­fir­ma und spä­ter als Kran­ken­haus­ver­wal­ter. Die Kir­chen­lei­tun­gen ver­lang­ten zur Wie­der­auf­nah­me in den Dienst zunächst die Wie­der­ho­lung des Ordi­na­ti­ons­ge­lüb­des, ein Kol­lo­qui­um und die zeit­wei­li­ge Tätig­keit als Hilfs­pre­di­ger, was er ablehn­te. Den­noch stimm­te 1955 die Kir­chen­lei­tung in Bie­le­feld sei­ner Wahl zum Pfar­rer der Gemein­de in Dül­men zu, wo er nach sei­nem Ruhe­stand auch als Mili­tär­pfar­rer wirkte.“

Im Osten geblieben

  1. Reichs­vi­kar Fritz Engel­ke, Schwe­rin, gestor­ben 1956 in Schwe­rin „Nach 1945 wirk­te er als Pas­tor der Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Lan­des­kir­che Meck­len­burgs in Schwe­rin. Ab 1950 ver­trat er den im Gulag Worku­ta inhaf­tier­ten Aurel von Jüchen an der Kir­che St. Niko­lai (Schelf­kir­che) Schwerin.
  2. Ober­lan­des­kir­chen­rat Wil­ly Kretz­schmar, Dres­den, gestor­ben 1962 in Dres­den „Nach Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges 1945 erfolg­te zunächst sei­ne Ent­las­sung aus dem akti­ven Kir­chen­dienst. 1946 stell­te er den erfolg­rei­chen Antrag auf Reha­bi­li­tie­rung, in dem er sei­ne Mit­ar­beit im „Ent­ju­dungs­in­sti­tut“ in Eisen­ach extrem her­un­ter­spiel­te. In sei­nem Reha­bil­tie­rungs­an­trag an das säch­si­sche Lan­des­kir­chen­amt in Dres­den stell­te er sich selbst „als Ver­führ­ten der NSDAP“ dar. Spä­tes­tens seit 1939 habe er sich „zu akti­ven Geg­ner des NS-Regimes gewan­delt“ und sich anti­na­tio­na­lis­tisch und par­tei­schäd­lich ver­hal­ten sowie Grund­sät­ze der NSDAP bekämpft. 1959 ging Kretz­schmar als kirch­li­cher Finanz­ver­wal­ter der Lan­des­kir­che Sach­sens in den Ruhestand.“
  3. Ober­lan­des­kir­chen­rat Hein­rich Seck, Dres­den, gestor­ben 1947 in Stadt Weh­len „In die­ser Eigen­schaft und als Mit­glied der Deut­schen Chris­ten war er Mit­ar­bei­ter am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben und wur­de des­halb nach Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges 1945 aus dem akti­ven Kir­chen­dienst ent­las­sen. Er zog in die Säch­si­sche Schweiz, wo er im Alter von 51 Jah­ren in Stadt Weh­len starb.“
  4. Ober­kir­chen­rat Fried­rich Busch­töns, Ber­lin, gestor­ben 1962 in Ber­lin „1945 über­nahm er die Auf­sicht über die kirch­li­chen Ver­mö­gens­wer­te im Schloss Ilsen­burg und wenig spä­ter über das kirch­li­che Flücht­lings­la­ger in Stol­berg. 1946 wur­de Busch­töns in den Ruhe­stand ver­setzt. Er hat aber auch danach noch pfarr­amt­li­che Diens­te geleis­tet, so etwa in Klein­mach­now. 1955 gehör­te er zum Her­aus­ge­ber- und Redak­ti­ons­kreis der vom ZK der SED ange­reg­ten Zeit­schrift Glau­be und Gewis­sen: eine pro­tes­tan­ti­sche Monats­schrift.
  5. Kir­chen­rat Erhard Mau­ers­ber­ger, Eisen­ach, gestor­ben 1982 Leip­zig, Chor­lei­ter, Lei­ter Bach-Komi­tee, 1972 bei poli­ti­scher Säu­be­rung aus Chor­lei­tung entfernt. 

Unbekannt / irrelevant

  1. Lan­des­bi­schof Mar­tin Sas­se, Eisen­ach, gestor­ben 1942 an Schlaganfall
  2. Lan­des­bi­schof Erwin Bal­zer, Lübeck
  3. Lan­des­bi­schof Adal­bert Paul­sen, Kiel
  4. Bischof Wil­helm Sta­edel, Her­mann­stadt
  5. Bischof Hein­rich Josef Ober­heid, Bad Godesberg
  6. Prä­si­dent Chris­ti­an Kin­der, Kiel
  7. Prä­si­dent Fried­rich Wer­ner, Ber­lin-Char­lot­ten­burg
  8. Vize­prä­si­dent Hahn, Berlin-Charlottenburg
  9. Ober­kir­chen­rat Johan­nes Sie­vers, Lübeck
  10. Super­in­ten­dent Thie­me, Solingen
  11. Dekan Wal­ter Mulot, Wiesbaden
  12. Ober­kir­chen­rat Fröh­lich, Leipzig
  13. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Schön­rock, Schwerin
  14. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Schultz, Schwerin
  15. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Wie­ne­ke, Berlin
  16. Kir­chen­re­gie­rungs­rat Erwin Brau­er, Eisen­ach, gestor­ben 1946 Buchen­wald „Nach der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­lor er sei­ne Ämter und wur­de von den sowje­ti­schen Mili­tär­be­hör­den im Spe­zi­al­la­ger Nr. 2 in Buchen­wald inter­niert, wo er am 19. Dezem­ber 1946 verstarb.“
  17. Kir­chen­rat Ger­hard Braun­schweig, Dresden
  18. Kon­sis­to­ri­al­rat Hans Pohl­mann, Schnei­de­mühl
  19. Gene­ral­su­per­in­ten­dent Hans Schött­ler, Buch­schlag
  20. Lan­des­su­per­in­ten­dent Hans Hein­rich Fölsch, Neustrelitz
  21. Lan­des­ju­gend­pfar­rer Gar­ten­schlä­ger, Potsdam
  22. Kir­chen­rat Volk­mar Franz, Eisenach
  23. Propst Johan­nes Grell (1875–1947), Lei­ter der Kir­chen­pro­vinz Grenz­mark Posen-West­preu­ßen, Schneidemühl
  24. Super­in­ten­dent Krü­ger, Sagan
  25. Super­in­ten­dent Hugo Pich, Eisen­ach

Zwi­schen­fa­zit: Von den Nazi-Chris­ten mit kirch­li­cher Funk­ti­on im Osten sind 7 in den Wes­ten gegan­gen und 5 im Osten geblie­ben. Das bedeu­tet ers­tens, dass die Mehr­heit in den Wes­ten gegan­gen ist und zwei­tens, dass es im Osten sie­ben Nazis weni­ger und im Wes­ten sie­ben Nazis mehr gab als vor der Befreiung.

Geistliche bzw. Pfarrer

Die Lis­te der Geist­li­chen ist lang. Nur weni­ge sind in Wiki­pe­dia ver­linkt. Ich lis­te hier nur die ver­link­ten auf.

In den Westen gegangen 

  1. Pfar­rer Her­men­au, Pots­dam, gestor­ben 1981 Wies­ba­den „Im Jah­re 1939 erklär­te er sei­ne Mit­ar­beit am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben. In zahl­rei­chen Publi­ka­tio­nen ver­trat er sei­ne Über­zeu­gung von der Rol­le der deut­schen Frau im Reich Adolf Hit­lers. […] 1972: Ver­dienst­kreuz 1. Klas­se der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land“ Zur Ent­na­zi­fi­zie­rung und zum Grund für das Bun­des­ver­dienst­kreuz steht nichts in Wikipedia. 
  2. Pfar­rer Hosen­thien, Mag­de­burg, gestor­ben 1972 in Braun­schweig „1949 folg­te Albert Hosen­thien sei­nem Sohn und zog nach Fort Bliss in El Paso (Texas), kehr­te jedoch, da er mit den dor­ti­gen Gege­ben­hei­ten nicht zurecht­kam, 1954 wie­der nach Deutsch­land zurück. Da die Regi­on Mag­de­burg jetzt in der DDR lag, sie­del­te er sich in Braun­schweig, im west­li­chen Teil Deutsch­lands an. Er arbei­te­te hier auch wie­der als Pfarrer.“
  3. Pfar­rer Hun­ger, Eisen­ach, gestor­ben 1995 Müns­ter, NRW „Nach 1945 ori­en­tier­te er sich auf das Gebiet der Sexu­al­erzie­hung, was ihm den Spitz­na­men „Sex-Hun­ger“ ein­trug. Bis Ende der 1960er Jah­re publi­zier­te er sei­ne christ­lich-kon­ser­va­ti­ve Sexu­al­mo­ral im Güters­lo­her Ver­lags­haus. Er wur­de auch Redak­ti­ons­lei­ter der Zeit­schrift Der evan­ge­li­sche Reli­gi­ons­leh­rer an der Berufs­schu­le, die vom Schrif­ten­mis­si­ons­ver­lag Glad­beck her­aus­ge­ge­ben wurde.“ 
  4. Pfar­rer Kers­ten-Thie­le, Köthen, gestor­ben 1988 Göt­tin­gen, Nie­der­sach­sen „Nach 1945 wirk­te Kers­ten-Thie­le im Vor­stand der Deut­schen Ost­asi­en-Mis­si­on und publi­zier­te in deren Sin­ne meh­re­re Bücher. 1948 war er Pfar­rer in Göt­tin­gen-Gro­ne und 1954 in Düs­sel­dorf. Von 1960 bis 1964 war er Reli­gi­ons­leh­rer am Rethel-Gym­na­si­um (bzw. Jaco­bi-Gym­na­si­um) Düs­sel­dorf und zwi­schen 1968 und 1973 war er als Pas­tor in Sereetz tätig. Anschlie­ßend ging er in die Rhei­ni­sche Lan­des­kir­che zurück.“ 
  5. Pfar­rer Kuhl, Ber­lin, gestor­ben 1959 Kas­sel „Spä­te­re Wohn­sit­ze waren Nord­kir­chen, wo er von 1949 bis 1956 Pfar­rer war. Hier grün­de­te er einen Kirch­bau­ver­ein, um in Nord­kir­chen ein Gemein­de­zen­trum schaf­fen zu kön­nen. Im Jahr 1956 wur­de ihm von der evan­ge­lisch-theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn die Ehren­dok­tor­wür­de ver­lie­hen. Nach­dem Kuhl 1957 in den Ruhe­stand gegan­gen war, leb­te er bis zu sei­nem Tod 1959 in Kas­sel und hin­ter­ließ eine Frau und zwei Kin­der. In sei­nen letz­ten Lebens­jah­ren hat­te er einen Lehr­auf­trag an der Georg-August-Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen. Gemein­sam mit Bo Rei­cke arbei­te­te er ab 1958 am Biblisch-his­to­ri­schen Hand­wör­ter­buch für den Ver­lag Van­den­hoeck & Ruprecht. Kuhl war von 1921 bis zu sei­nem Tod Mit­glied der Deut­schen Mor­gen­län­di­schen Gesellschaft.“
  6. Pfar­rer Schmidt-Claus­ing, Pots­dam-Babels­berg, gestor­ben 1984 in West-Ber­lin „Nach dem Zwei­ten Welt­krieg lei­te­te Schmidt-Claus­ing den Wie­der­auf­bau der Gemein­de von 1947 bis 1962 als Pfar­rer an der Ber­li­ner Kai­ser-Fried­rich-Gedächt­nis­kir­che. In der Kir­chen­rui­ne wur­de die ein­zi­ge ver­blie­be­ne Glo­cke wie­der gang­bar gemacht und bis in die 1950er Jah­re zum Begrü­ßungs­läu­ten für die Ber­li­ner Russ­land­heim­keh­rer benutzt. Im begin­nen­den Kal­ten Krieg setz­te Schmidt-Claus­ing damit ein poli­ti­sches Zei­chen und mach­te sei­ne Gemein­de bekannt – bis hin zur US-ame­ri­ka­ni­schen Wochen­schau, die das The­ma dank­bar auf­nahm. Fritz Schmidt-Claus­ing starb in einem West-Ber­li­ner Pfle­ge­heim und wur­de auf dem Fried­hof Wil­mers­dorf beigesetzt.“

Hans-Joa­chim Thi­lo hat sich neu­ori­en­tiert, so dass ich ihn hier extra auf­zäh­le. Prin­zi­pi­ell ist das bei den sechs oben genann­ten Per­so­nen natür­lich auch denk­bar, es steht aber ncihts dazu­in Wikipedia.

  1. Pas­tor Thi­lo, Pir­na, gestor­ben 2003 in Lübeck „Thi­los Erfah­run­gen im Kriegs­dienst, sei­ne Ver­wun­dung bei Kiew und sei­ne Kriegs­ge­fan­gen­schaft, zunächst in Kana­da, dann in Eng­land, führ­ten ihn zu einem Umden­ken und Neu­an­fang. Im Dezem­ber 1947 kehr­te er nach Deutsch­land zurück und erhielt eine Pfarr­stel­le der Kir­chen­ge­mein­de am Liet­zen­see in Ber­lin-Witz­le­ben. Gleich­zei­tig bau­te er hier die kirch­li­che Bera­tungs­ar­beit auf. Von 1956 bis 1961 wirk­te er an der Deut­schen Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Kir­che in Genf. Anschlie­ßend war er Refe­rent an der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Bad Boll, bis er 1966 zum Pas­tor der Mari­en­kir­che in Lübeck beru­fen wur­de, wo er bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung wirk­te. 1973 habi­li­tier­te er sich an der Uni­ver­si­tät Ham­burg für das Fach Prak­ti­sche Theo­lo­gie. Er blieb Gemein­de­pas­tor, hielt jedoch regel­mä­ßig Lehr­ver­an­stal­tun­gen in Ham­burg. 1979 wur­de ihm der Titel Pro­fes­sor verliehen.“

Im Osten geblieben

  1. Ober­pfar­rer Ungern von Stern­berg, Ron­ne­burg, gestor­ben 1949 in Gera „Noch im Janu­ar 1945 gehör­te er zu den Thü­rin­ger Pröps­ten, die den DC-Kir­chen­prä­si­den­ten Hugo Rönck dazu dräng­ten, den Bischofs­ti­tel anzu­neh­men.[2] Auf­grund des Geset­zes zur Über­prü­fung der Pfar­rer­schaft und der Ver­wal­tung der Thü­rin­ger evan­ge­li­schen Kir­che (Rei­ni­gungs­ge­setz) vom 12. Dezem­ber 1945 wur­de Ungern-Stern­berg aus dem Pfarr­dienst ent­las­sen und die Dienst­be­zeich­nung „Super­in­ten­dent im War­te­stand“ wur­de ihm aberkannt. Er wur­de aber zunächst kom­mis­sa­risch als Pfar­rer in Ron­ne­burg wei­ter­be­schäf­tigt, ab dem 1. Dezem­ber 1947 wur­de er dann wie­der offi­zi­ell als Pfar­rer in Nie­der­pöll­nitz eingesetzt.“
  2. Pfar­rer Busch, Dres­den, gestor­ben 1952, Pir­na, Sachsen 
  3. Pfar­rer Del­ling, Leip­zig, gestor­ben 1986 in Hal­le „Im Jah­re 1945 geriet Del­ling in Däne­mark in Kriegs­ge­fan­gen­schaft und wirk­te bis 1947 als Seel­sor­ger im Inter­nie­rungs­la­ger Aar­hus. Nach sei­ner Ent­las­sung ging er nach Pom­mern und erhielt 1947 einen Lehr­auf­trag an der Ernst-Moritz-Arndt-Uni­ver­si­tät Greifs­wald. 1948 habi­li­tier­te er sich hier mit der Schrift Got­tes­dienst im Neu­en Tes­ta­ment (gedruckt 1952) für das Fach Neu­es Tes­ta­ment. Im Jah­re 1950 wur­de Del­ling als Pro­fes­sor mit Lehr­auf­trag an die Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg beru­fen, 1952 bekam er den vol­len Lehr­auf­trag, die Beför­de­rung zum Pro­fes­sor mit Lehr­stuhl für spät­an­ti­ke Reli­gi­ons­ge­schich­te erfolg­te 1953. 1955 erhielt er durch Kurt Aland, dem Lei­ter der Kom­mis­si­on für spät­an­ti­ke Reli­gi­ons­ge­schich­te der Deut­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten zu Ber­lin, eine Stel­le zur Reor­ga­ni­sa­ti­on des Cor­pus Hel­le­ni­sti­cum. 1955/56 über­nahm Del­ling eine Gast­pro­fes­sur an der Uni­ver­si­tät Leip­zig, eine Beru­fung kam jedoch eben­so wenig zustan­de wie die von Tei­len der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät in den 1960er Jah­ren gewünsch­te Ver­set­zung nach Ber­lin. An der Uni­ver­si­tät Hal­le bau­te Del­ling das Insti­tut für spät­an­ti­ke Reli­gi­ons­ge­schich­te auf, dem er seit 1963 als Direk­tor vor­stand. Nach der IV. Hoch­schul­re­form wur­de Del­ling 1969 zum ordent­li­chen Pro­fes­sor ernannt und 1970 eme­ri­tiert. Del­ling forsch­te vor allem zur Über­lie­fe­rungs­ge­schich­te des Neu­en Tes­ta­ments und zum anti­ken Juden­tum (Das Zeit­ver­ständ­nis des Neu­en Tes­ta­ments, 1940; Jüdi­sche Leh­re und Fröm­mig­keit in den para­li­po­me­na Jere­miae, 1967; gesam­mel­te Auf­sät­ze: Stu­di­en zum Neu­en Tes­ta­ment und zum hel­le­nis­ti­schen Juden­tum, 1950–1968, 1970; Stu­di­en zum Früh­ju­den­tum, 1971–1987, 2000). Außer­dem gab er Biblio­gra­phien zur jüdisch-hel­le­nis­ti­schen For­schung her­aus und arbei­te­te am Cor­pus Hel­le­ni­sti­cum Novi Tes­ta­men­ti mit. Die Uni­ver­si­tät Greifs­wald ver­lieh ihm 1964 die Ehren­dok­tor­wür­de. Del­ling ver­starb am 18. Juni 1986, im Alter von 81 Jah­ren, in Halle.“
  4. Pfar­rer Ohl­and, Unkero­da (Thü­rin­gen), gestor­ben 1953 in Frie­dels­hau­sen, Thü­rin­gen „Im Jah­re 1946 ver­lor Ohl­and sein Amt, durf­te aber seit 1948 in Beh­run­gen als Pfarr­vi­kar wie­der amtie­ren, seit 1952 als Pfar­rer in Friedelshausen.“

Irrelevant

  1. Pfar­rer Dungs, Essen
  2. Pfar­rer Jäger, Frei­burg
  3. Pfar­rer Peters­mann, Bres­lau
  4. Pfar­rer Rie­ge, Lübeck
  5. Pfar­rer Joseph Roth, Diers­heim, gestor­ben 1941 Tirol
  6. Pas­tor Dungs, Wei­mar, gestor­ben 1947 durch Hin­rich­tung oder 1949 in Haft

Zwi­schen­fa­zit: Von den Nazi-Pfar­rern im Osten sind 7 in den Wes­ten gegan­gen und 4 im Osten geblie­ben. Zählt man Hans-Joa­chim Thi­lo zu den irrele­van­ten Fäl­len, weil es bei ihm ein Umden­ken und Neu­an­fang gab, blei­ben 6 in den Wes­ten gegan­ge­ne, die zu den Nazis, die ohne­hin aus dem Wes­ten waren, dazu­ge­kom­men sind und den Osten ver­las­sen haben.

Hochschullehrer bzw. Akademiker

In den Westen gegangen

  1. Johan­nes Hem­pel, Ber­lin, gestor­ben 1964 in Göt­tin­gen „Er über­nahm die Her­aus­ge­ber­schaft der Zeit­schrift für die alt­tes­ta­ment­li­che Wis­sen­schaft. Im Jah­re 1937 wur­de er nach Ber­lin beru­fen und lei­te­te das Insti­tu­tum Judai­cum zur Erfor­schung des Juden­tums „vom Boden der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Welt­an­schau­ung aus“. Im Jah­re 1939 erklär­te Hem­pel sei­ne Mit­ar­beit am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben als Lei­ter der Arbeits­grup­pe Altes Tes­ta­ment. Auf der Arbeits­ta­gung im März 1941 refe­rier­te er über Die Auf­ga­be von Theo­lo­gie und Kir­che von der Front her gese­hen. Wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges fun­gier­te er als Mili­tär­pfar­rer. Das Kriegs­en­de erleb­te er 1945 in einem Laza­rett an der Nord­see. Im Jah­re 1947 wur­de Hem­pel Pfarr­ver­we­ser in Salz­git­ter-Lebens­tedt, einem Ort im Gebiet der Braun­schwei­gi­schen Lan­des­kir­che. Im Jah­re 1955 wur­de er Hono­rar­pro­fes­sor in Göt­tin­gen und betrieb ab 1958 als Eme­ri­tus sei­ne wis­sen­schaft­li­che Arbeit wei­ter, beson­ders für die von ihm betreu­te Zeitschrift.“
  2. Wolf Mey­er-Erlach, Jena, gestor­ben 1982 in Idstein, Hes­sen „Im Jah­re 1945 ging er aller Ämter ver­lus­tig, auch eine Wie­der­ein­stel­lung in der baye­ri­schen Lan­des­kir­che blieb ihm ver­sagt. 1950 flüch­te­te Mey­er-Erlach aus der DDR. Von 1951 bis 1963 wur­de er Pfarr­ver­wal­ter in Wall­ra­ben­stein und Wörs­dorf bei Idstein im Tau­nus (Evan­ge­li­sche Kir­che in Hes­sen und Nas­sau). Von ihm wur­den his­to­ri­sche Sujets wie das Stück „Anno 1634“ aufgeführt.“
  3. Max Adolf Wagen­füh­rer, Jena, gestor­ben 2010 irgend­wo im Wes­ten „Nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs kam er an die Luther­kir­che nach Köln-Nip­pes und wur­de zunächst in den Pfarr­dienst der Rhei­ni­schen Kir­che über­nom­men. 1949 wur­de er wegen sei­ner feh­len­den Ordi­na­ti­on vor­über­ge­hend sus­pen­diert und wech­sel­te in den Schul­dienst. 1953 kam er zurück in den Pfarr­dienst, wur­de ordi­niert und erhielt eine Beru­fung an die neu­erbau­te Erlö­ser­kir­che in Wei­den­pesch. Von 1970 bis 1982 war er Pfar­rer in Prien am Chiemsee.“

Im Osten geblieben

  1. Richard Barth, Jena, gestor­ben nach 1946 „Nach der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­lor er sein Amt. Ab 1946 arbei­te­te er als Grund­schul­leh­rer in Jena.“
  2. Paul Fie­big, Leip­zig, gestor­ben 1949 in Kal­be Sach­sen Anhalt 
  3. Rein­hard Lie­be, Frei­berg (Sach­sen), gestor­ben 1956 in Frei­berg. Der Wiki­pe­dia-Ein­trag lässt zu wün­schen übrig.
  4. Heinz Erich Eisen­huth, Jena, gestor­ben 1983 Pferdsdorf/Werra, Thü­rin­gen „Nach­dem er 1945 aus dem Uni­ver­si­täts­dienst ent­las­sen wor­den war, wur­de er 1946 zunächst kom­mis­sa­risch, spä­ter im Haupt­amt Pfar­rer in Jena-Zwät­zen. 1952 wur­de er Super­in­ten­dent in Eisen­ach. Anders als in der For­schungs­li­te­ra­tur bis­wei­len behaup­tet wird, über­nahm er jedoch nie die Lei­tung der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Thü­rin­gen. Er gehör­te aber zeit­wei­se der Syn­ode an und erhielt meh­re­re Lehr­auf­trä­ge am Theo­lo­gi­schen Semi­nar Leip­zig. Nach­dem er 1967 in den War­te­stand getre­ten war, ging er 1969 in den Ruhestand.“
  5. Wil­helm Knevels, Ros­tock, gestor­ben 1978 in West-Ber­lin „Im Jah­re 1950 erhielt er einen Lehr­auf­trag an der Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg. Nach sei­ner Eme­ri­tie­rung leb­te er in West-Ber­lin und wirk­te dort wei­ter an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin. Er ist auf dem Wald­fried­hof Dah­lem bestat­tet. Auf dem Grab­stein steht unter den Lebens­da­ten: „Theo­lo­ge des drit­ten Weges / = Selbst­be­sin­nung des Glau­bens / zwi­schen Fun­da­men­ta­lis­mus / und Exis­ten­zi­al­theo­lo­gie / Unser Glau­be ist der Sieg / der die Welt über­win­det“.“ Knevels ist 1897 geboh­ren, die Eme­ri­tie­rung muss also gegen 1962 gewe­sen sein. Ich lis­te ihn hier unter Im Osten geblie­ben, weil er sein gesam­tes Berufs­le­ben im Osten ver­bracht hat.
  6. Wil­helm Koepp, Greifs­wald, gestor­ben 1965 Klein­mach­now „1952 erhielt er den Lehr­stuhl an der Uni­ver­si­tät Ros­tock. 1954 eme­ri­tiert, lehr­te er noch bis zu sei­nem Tode an der Uni­ver­si­tät Ros­tock weiter.“
  7. Johan­nes Lei­poldt, Leip­zig, gestor­ben 1965 in Leip­zig „Nach 1945 war er Dom­herr des Hoch­stifts Mei­ßen und erhielt eine Pro­fes­sur mit Lehr­stuhl für Neu­tes­ta­ment­li­che Wis­sen­schaft in Leip­zig. Er wur­de als ordent­li­ches Mit­glied in die Säch­si­sche Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten auf­ge­nom­men und 1954 mit dem Vater­län­di­schen Ver­dienst­or­den in Sil­ber und 1960 in Gold aus­ge­zeich­net. […] Lei­poldt war von 1953 bis 1963 als Ver­tre­ter der CDU Abge­ord­ne­ter der Volkskammer.“
  8. Her­bert von Hint­zen­s­tern, Eisen­ach, gestor­ben 1996 in Wei­mar „Seit August 1945 war er in Lauscha, ab 1948 als Pfar­rer. Dort trat er der DDR-CDU bei, sein Par­tei­aus­tritt erfolg­te zum 1. Mai 1947. Im Jah­re 1952 wur­de er zum Lan­des­ju­gend­pfar­rer der Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Kir­che in Thü­rin­gen beru­fen. Seit 1956 lei­te­te er die Evan­ge­li­sche Aka­de­mie Thü­rin­gen und die Pres­se­stel­le der Kir­che. Gleich­zei­tig wur­de er zum Chef­re­dak­teur der Kir­chen­zei­tung Glau­be und Hei­mat beru­fen. 1962 wur­de er zum Kir­chen­rat ernannt. Von 1968 bis 1986 war er neben­amt­li­cher Lei­ter des Pfarr­haus­ar­chivs im Luther­hau­ses in Eisen­ach. 1981 ging er in den Ruhestand.“
  9. Rudolf Mey­er, Leip­zig, gestor­ben 1991 in Jena, Thü­rin­gen „Im Jah­re 1947 wur­de er außer­plan­mä­ßi­ger Pro­fes­sor und 1948 […] Ordi­na­ri­us für Altes Tes­ta­ment an der Fried­rich-Schil­ler-Uni­ver­si­tät Jena. Hier unter­rich­te­te er Gene­ra­tio­nen von Theo­lo­gie­stu­den­ten in Hebrä­isch, der Geschich­te des Vol­kes Isra­el und der Theo­lo­gie des Alten Tes­ta­ments. Zusam­men mit […] wur­de ihm 1952 von der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin die Ehren­dok­tor­wür­de ver­lie­hen. Mey­er war seit 1959 ordent­li­ches Mit­glied der Säch­si­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten und seit 1978 kor­re­spon­die­ren­des Mit­glied der Hei­del­ber­ger Aka­de­mie der Wissenschaften.“
  10. Sieg­fried Morenz, Leip­zig, gestor­ben 1970 Leip­zig „Morenz wur­de 1946 Dozent an der Uni­ver­si­tät Leip­zig und habi­li­tier­te sich im sel­ben Jahr bei Wil­helm Schub­art mit einer Schrift zu Ägyp­tens Bei­trag zur wer­den­den Kir­che. Ab 1948 lei­te­te Morenz, zunächst kom­mis­sa­risch, das Ägyp­to­lo­gi­sche Insti­tut der Uni­ver­si­tät Leip­zig. Im Febru­ar 1952 wur­de er Pro­fes­sor mit Lehr­auf­trag, im Sep­tem­ber des Jah­res mit vol­lem Lehr­auf­trag und zwi­schen 1954 und 1961 schließ­lich als Lehr­stuhl­in­ha­ber für Ägyp­to­lo­gie und hel­le­nis­ti­sche Reli­gi­ons­ge­schich­te. Zwi­schen 1952 und 1958 nahm Morenz zudem neben­amt­lich die Lei­tung der Ägyp­ti­schen Abtei­lung der Staat­li­chen Muse­en zu Ber­lin in Ost-Ber­lin wahr. Zwi­schen 1961 und 1966 lehr­te Morenz als Lehr­stuhl­in­ha­ber an der Uni­ver­si­tät Basel, lei­te­te jedoch im Neben­amt wei­ter­hin das Leip­zi­ger Ägyp­to­lo­gi­sche Insti­tut. Danach kehr­te er nach Leip­zig zurück, wo er bis zu sei­nem Tod 1970 wie­der den Lehr­stuhl für Ägyp­to­lo­gie innehatte.“
  11. Kon­rad Weiß, Ber­lin, gestor­ben 1979 in Ros­tock „1946 wur­de Weiß außer­or­dent­li­cher Pro­fes­sor für neu­tes­ta­ment­li­che Theo­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Ros­tock, 1948 wur­de er dort auf eine ordent­li­che Pro­fes­sur beru­fen und 1972 eme­ri­tiert. Die Uni­ver­si­tät Kiel zeich­ne­te Weiß 1961 mit der Ehren­dok­tor­wür­de aus.“

Unbekannt / irrelevant

Die Aus­wer­tung der Lebens­da­ten der Hoch­schul­leh­rer ist ver­blüf­fend. Nur drei sind in den Wes­ten gegan­gen. 11 sind im Osten geblie­ben. Man müss­te die Ein­zel­fäl­le näher anse­hen und erfor­schen, wie inten­siv ihre Mit­ar­beit im Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben war und was davon zu Leb­zei­ten bekannt war. Teil­wei­se hat­ten die Wis­sen­schaft­ler Ehren­dok­tor­tit­le von Uni­ver­si­tä­ten in Ost und West.

Weitere Nazis aus dem Umfeld der Deutschen Christen / dem Institut

In den Westen gegangen

  1. Hugo Rönck deut­scher evan­ge­li­scher Pfar­rer und Bischof, gestor­ben 1990, bis 1976 Pas­tor in Eutin, Schles­wig-Hol­stein. „Im Jah­re 1945 nahm er „kurz vor dem Ein­marsch der amerikan[ischen] Trup­pen“ den Titel Lan­des­bi­schof an. Im April 1945 wur­de er von den Ver­tre­tern der inner­kirch­li­chen Oppo­si­ti­on um Moritz Mit­zen­heim, Erich Hertzsch und Ger­hard Kühn zum Amts­ver­zicht gedrängt und weni­ge Tage spä­ter von US-ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen ver­haf­tet. Im August 1945 ent­ließ ihn die Thü­rin­ger Kir­che aus dem kirch­li­chen Dienst. Spä­ter war er von 1947 bis 1976 Pas­tor in Eutin.“

Im Osten geblieben

  1. Johan­nes Klot­sche gestor­ben 1963, Stadt Weh­len, Pir­na, Sach­sen, „Der „fana­ti­sche Anti­se­mit“ Klot­sche unter­zeich­ne­te im April 1939 gemein­sam mit zehn ande­ren Lan­des­kir­chen­lei­tern die Bekannt­ma­chung über Gemein­schafts­ar­beit von Lan­des­kir­chen­lei­tern, deren ers­te Maß­nah­me in der Grün­dung des Insti­tuts zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben bestand. Im Dezem­ber 1941 wur­den Chris­ten jüdi­scher Her­kunft aus der Lan­des­kir­che aus­ge­schlos­sen, womit das Sakra­ment der Tau­fe in Sach­sen par­ti­ell außer Kraft gesetzt war. Bis 1942 gehör­te er dem Ver­wal­tungs­rat des sog. Ent­ju­dungs­in­sti­tuts an. Nach Kriegs­en­de absol­vier­te er 1951/52 eine Aus­bil­dung zum volks­mis­sio­na­ri­schen Dienst an der Pre­di­ger­schu­le Pau­li­num in Ost-Berlin.“
  2. Wal­ter Grund­mann gestor­ben 1976 in Eisen­ach „1930 wur­de er Mit­glied der NSDAP und 1933 akti­ves Mit­glied der Deut­schen Chris­ten, deren im gan­zen Deut­schen Reich gül­ti­ge Richt­li­ni­en er ver­fass­te. 1939 wur­de er zum aka­de­mi­schen Direk­tor des neu gegrün­de­ten Insti­tuts zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben in Eisen­ach ernannt, das im Dienst des staat­li­chen Anti­se­mi­tis­mus die „Ent­ju­dung“ der Bibel und der theo­lo­gi­schen Aus­bil­dung betrieb. Unge­ach­tet sei­ner NS-Ver­gan­gen­heit erlang­te Grund­mann in der DDR als Theo­lo­ge erheb­li­ches Anse­hen: 1954 erteil­ten ihm das Kate­che­ti­sche Ober­se­mi­nar Naum­burg (Saa­le) und das Theo­lo­gi­sche Semi­nar Leip­zig Lehr­auf­trä­ge und er wur­de Rek­tor des Eisen­acher Kate­che­ten­se­mi­nars; sei­ne ab 1959 erschie­ne­nen Evan­ge­li­en­kom­men­ta­re waren Stan­dard­li­te­ra­tur und wer­den bis heu­te (2022) zitiert. Er arbei­te­te für das Minis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit, unter dem Deck­na­men GI Berg. […] In der DDR galt Grund­mann bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung 1975 trotz sei­ner NS-Ver­gan­gen­heit als ange­se­he­ner theo­lo­gi­scher Leh­rer. 1974 ver­lieh die Kir­chen­lei­tung ihm noch­mals den Titel eines „Kir­chen­rats“, um sei­ne Arbeit anzu­er­ken­nen und um sei­ne Pen­si­on zu erhö­hen.“ Sei­ne Wiki­pe­dia-Sei­te ent­hält eine aus­führ­li­che­re Schil­de­rung der Stasi-Tätigkeit.

Irrelevant

  1. Fried­rich Coch gestor­ben Sep­tem­ber 1945 in ame­ri­ka­ni­scher Gefan­gen­schaft „Füh­rer der Glau­bens­ge­mein­schaft Deut­sche Chris­ten in Sach­sen und Her­aus­ge­ber der Monats­zeit­schrift Chris­ten­kreuz und Haken­kreuz.“

Schlussfolgerung

7 + 6 + 3 der Per­so­nen, die in der NSDAP waren und sich öffent­lich zum Anti­se­mi­tis­mus bekannt hat­ten, sind vom Osten in den Wes­ten gegan­gen. Dazu noch min­des­tens ein lei­ten­des Mit­glied der Deut­schen Chris­ten. Damit hat sich die Anzahl der Anti­se­mi­ten und Nazis im Osten ver­rin­gert und im Wes­ten erhöht. Von eini­gen die­ser Per­so­nen ist klar, dass sie wirk­lich har­te Nazis und Ras­sis­ten waren. Ande­re waren even­tu­ell weni­ger invol­viert, eini­ge haben sich viel­leicht gewan­delt. Das geht aus Wiki­pe­dia nicht hervor.

Combat 18 und Thüringen

Der Chef von Com­bat 18 lebt in Thü­rin­gen. Net­ter­wei­se schreibt die taz jetzt aber auch schon manch­mal selbst dazu, wo die Nazis eigent­lich herkommen:

Die vier Män­ner, dar­un­ter der Anfüh­rer Stan­ley Rös­ke, sol­len Com­bat 18 gemein­sam mit ande­ren Mit­glie­dern bis min­des­tens 2022 wei­ter­be­trie­ben haben. […] Rös­ke ist ein lang­jäh­ri­ger Neo­na­zi aus Kas­sel, der nach Thü­rin­gen über­ge­sie­delt war und sich auch mit Ste­phan Ernst umge­ben hat­te, dem Mör­der des Kas­se­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Wal­ter Lübcke.

Sabi­ne am Orde: Ankla­ge gegen vier Neo­na­zis, taz, 05.04.2024, S. 6. 

Der ande­re Chef kommt nach Spie­gel aus Dort­mund bzw. nach taz aus Cas­trop-Rau­xel in Nordrhein-Westfalen.

Im taz-Arti­kel wird auch Knock­out 51 erwähnt. Das ist eine Nazi­or­ga­ni­sa­ti­on von Men­schen aus Eisen­ach und Erfurt. Sie wur­de laut MDR vom Neo­na­zi Patrick Wiesch­ke (NPD, jetzt Die Hei­mat) aufgebaut. 

Was die bür­ger­li­che Fas­sa­de als Buch­händ­ler und das bie­de­re Image der Par­tei für man­che Beob­ach­ter ver­deck­te: Wiesch­ke scharr­te schon zu die­sem Zeit­punkt immer mehr Jugend­li­che aus Eisen­ach und Erfurt um sich, die zwar rechts, aber noch nicht straff orga­ni­siert waren.

dst. 20.08.2023 MDR THü­rin­gen: Die Neo­na­zis, die nie­mand stopp­te: Pro­zess gegen Eisen­acher “Knock­out 51” startet

Wiesch­ke ist selbst aus Eisen­ach, aber wur­de erst 1981 gebo­ren. Zur Wen­de war er also 8 Jah­re alt. Den über­wie­gen­den und für die Her­aus­bil­dung poli­ti­scher Über­zeu­gun­gen wich­ti­ge­ren Teil sei­ner Jugend hat er also im Nach­wen­de-Deutsch­land verbracht.

Quellen

Die Neo­na­zis, die nie­mand stopp­te: Pro­zess gegen Eisen­acher „Knock­out 51“ star­tet. 2023. MDR Thü­rin­gen. (https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/west-thueringen/eisenach/neonazis-knockout-angeklagt-flieder-100.html)

Leipziger oder Franke?

Ha! Wie­der! Die taz schreibt über den Schelm-Ver­lag, der Mein Kampf und Holo­caust-Leug­nung ver­treibt (Die Lie­fe­ran­ten des Has­ses). Sie schrei­ben über den Ver­lags­lei­ter als Rechts­extre­mist und frü­he­ren Leipziger.

der lang­jäh­ri­ge Rechts­extre­mist und frü­he­re Leip­zi­ger Adri­an Preißdinger.

taz, 15.03.: Die Lie­fe­ran­ten des Hasses

Der Ver­lag war in Leip­zig, das wird im Arti­kel auch erwähnt, aber wie­so soll­te die Infor­ma­ti­on, dass der Ver­lags­lei­ter ein Leip­zi­ger war, rele­vant sein? Die wäre nur in der Ost-West-Dis­kus­si­on wich­tig. Und da ist sie falsch. Adri­an Preiß­in­ger wur­de 1964 in Kro­nach, einer ober­frän­ki­schen Stadt, geboren.