In der Bahn saß ein Mann hinter mir und erklärte einer Frau, die zufällig neben ihm saß, die Welt. Er war ein Öko, hatte schon diverse Petitionen und Klagen gestartet, aber es drangen auch immer wieder merkwürdige Dinge an mein Ohr (Ich versuchte, ein Buch zu begutachten und das auszublenden .…). Jedenfalls hatte er die DDR mit dem Iran verglichen und von Folter gesprochen. Mein Wissensstand war so, dass es zum Ende der DDR fast keine physische Folter gab, dafür aber ausgeklügelte psychische Zersetzung. Bis in Familien hinein.
Es gab in Potsdam eine Stasi-Hochschule mit entsprechenden Abschlussarbeiten.
Ich habe ihm das gesagt und er meinte: Ja, aber die Stasi habe Röntgenstrahlung eingesetzt!
Irgendwann hat er dann auch seiner Sitznachbarin erzählt, wie toll das doch mit dem Internet sei, da könne man das alles nachlesen. Dummerweise wollte ich mein Buch weiterlesen. Ich hätte gleich mal nachgucken sollen. Es gibt höchst interessante historische Untersuchungen aus den 90ern zu den Röntgengeräten und dem Einsatz radioaktiver Materialien durch die Stasi (Eisenfeld et. al. 2002).
Kurz: Das mit den Röntgengeräten ist Quatsch. Zerrüttung findet man auch in diesem Bericht und es gibt noch ganz viele interessante Sachen zu Spionage, Einsatz von Strahlung an der Grenze, Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen usw.
Die Stasi hat zum Beispiel Westgeld radioaktiv markiert, weil sie rausfinden wollte, wer die Scheine aus den Briefen klaut. Ich dachte ja immer, dass Post und Stasi praktisch eins waren und dass die eben ab und zu Sachen aus Briefen und Paketen genommen haben.
Den Postler haben sie geschnappt, aber 12 Scheine blieben verschwunden. Wahrscheinlich hatte die in Wirklichkeit der Chef und das konnte ja nicht in den Akten dokumentiert werden. =:-)
Die radioaktive Markierung von Geldscheinen und deren Ergebnis ist in einem weiteren Fall belegt.124 Er dokumentiert einen geradezu kriminell fahrlässigen Umgang des MfS mit radioaktiven Substanzen. Aufgedeckt und nachgewiesen werden sollte der Diebstahl von Westgeld aus Postsendungen. Dazu präparierten Mitarbeiter des OTS am 4. Mai 1988 20 5 DM-Scheine mit dem »Wolke«-Mittel 113 (jeweils belastet mit einer Aktivität von 60 uCI), steckten sie in Briefkuverts und schickten sie einen Tag später, wie es heißt, »operativ in den Postkanal«. Tatsächlich konnte ein Mitarbeiter der Post des Diebstahls überführt und festgenommen werden. Es konnten bei ihm aber nur acht der zwanzig präparierten Geldscheine sichergestellt ‑werden. Zwölf der kontaminierten 5 DM-Scheine blieben verschwunden und gaben den beteiligten MfS-Mitarbeitern Anlaß zu einigem Kopfzerbrechen. Ihren Berechnungen zufolge verursachte das Tragen auch nur eines dieser Scheine am Körper über einen Zeitraum von drei Monaten eine Belastung von 200 rem, »was insbesondere im Gonadenbereich spätere Wirkungen bei Jugendlichen verursachen könnte«.125 Diese Dosis würde jedoch, so heißt es, innerhalb eines Jahres infolge der Zerfallszeit auf 16 rem sinken und wäre da nach »aus unserer Sicht ungefährlich«.126 Andererseits mußte eingeräumt wer den, daß alles auch davon abhing, wie die betreffenden Personen mit den Scheinen umgingen. Würde eine Person mehrere dieser Scheine am Körper tragen, so bestünde die Gefahr einer »vervielfachten« Belastung und »von Spätschäden an begrenzten Körperteilen«.127 Wenn man in Rechnung stellt, daß die radioaktiv markierten Geldscheine möglicherweise auch in die Hände von Kleinkindern oder schwangeren Frauen fallen konnten, so muß diesem Markierungsverfahren ein gemeingefährlicher Charakter bescheinigt werden. Ob die Bemühungen des MfS, die zwölf fehlenden radioaktiv präparierten Geldscheine wieder aufzufinden, Erfolg hatten, ist nicht dokumentiert – und das spricht eher für ein negatives Ergebnis.
Eisenfeld et al. 2002, Projektbericht »Strahlen« Einsatz von Röntgenstrahlen und radioaktiven Stoffen durch das MfS gegen Oppositionelle – Fiktion oder Realität
Und obwohl offiziell die radioaktiven Wolken einen Umweg um die DDR gemacht hatten, hat die Stasi für ihre Tracking-Aktionen einen #Tschernobyl-Aufschlag berechnet und die Strahlungsdosis erhöht:
Die Dosis von jeweils 450 uCi (gesamt 1,9 mCi) war so stark, daß auch »von außen […] in der Wohnung gearbeitet« werden konnte.130 Außerdem wurde, wie es heißt, »der infolge der KKW-Havarie [gemeint ist offensichtlich Tschernobyl] erhöhte Strahlungsuntergrund […] rechnerisch berücksichtigt.«131 Am selben Tag wurden der Entwicklungsingenieur und seine Frau in der Wohnung und der Westberliner eine Stunde später an der Grenzübergangsstelle über führt und festgenommen. Der Einsatz der bereitgestellten »Wolke-Mittel« lag in der Regie der Abteilung 26. Der Erfolg brachte Hauptmann Thielemann, der als Mitarbeiter des OTS die praktische Markierung durchführte, noch am selben Tag einen Prämienvorschlag in Höhe von 400 Mark ein.
Eisenfeld et al. 2002, Projektbericht »Strahlen« Einsatz von Röntgenstrahlen und radioaktiven Stoffen durch das MfS gegen Oppositionelle – Fiktion oder Realität
Die haben auch den Boden von Oppositionstreffpunkten präpariert, so dass die Leute das Zeug dann an den Schuhen hatten.
Oder Manuskripte von Oppositionellen radioaktiv markiert und dann geguckt, bei wem das im Westen bzw. im Ostblock angekommen ist.
Schon irre alles. Aber die Untersuchungen haben eben ergeben, dass Röntgenstrahlung nicht gezielt zur Schädigung von Personen eingesetzt wurde.
Quellen
Eisenfeld, Bernd & Auerbach, Thomas & Weber, Gudrun & Pflugbeil, Sebastian. 2002. Projektbericht »Strahlen« Einsatz von Röntgenstrahlen und radioaktiven Stoffen durch das MfS gegen Oppositionelle – Fiktion oder Realität. Berlin: Bundesarchiv/Stasi-Unterlagen-Archiv. (http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292–97839421308513)
Prof. (em) Dr. Heide Wegener schreibt Artikel über das Gendern in der WeLT und schickt sie dann an Kolleg*innen. Ich habe auf diesem Blog schon öfter über das Gendern geschrieben. Obwohl ich der Meinung bin, dass Fragen der Gleichberechtigung letztendlich Fragen der ökonomischen Abhängigkeit sind, gendere ich inzwischen auch (Gendern, arbeiten und der Osten). Da Heide Wegener in ihren Artikeln auch immer wieder Ost-Themen anspricht (z.B. den Gender Pay-Gap in Ost und West), kann ich nicht anders als die Artikel hier zu kommentieren.
Im jüngsten Aufsatz diskutiert Heide Wegener das Gendern an Theatern. Hierzu einige Anmerkungen:
noch dazu mit Formen, die nach geltender Rechtschreibung falsch sind,
Die gegenderten Formen sind nicht falsch. Es gibt dafür nur noch keine Normierung. Der Rat für Deutsche Rechtschreibung hat in seiner Äußerung dazu festgehalten, dass er eine Normierung zum jetzigen Zeitpunkt nicht für sinnvoll hält.
Der Rat hat vor diesem Hintergrund die Aufnahme von Asterisk („Gender-Stern“), Unterstrich („Gender-Gap“), Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung zu diesem Zeitpunkt nicht empfohlen.
Hier kann man sich das von einem Volljuristen erklärt noch mal genau durchlesen: Kolter (2023). Noch mal zum Verständnis dieser Aussage: Wenn etwas nicht normiert ist, gibt es einfach keine offizielle Regel für die Schreibung. Zum Beispiel ist das Jugendwort des Jahres 2021 sus in allen Ausgaben des Dudens vor 2021 nicht enthalten. Wie auch? Dennoch gibt es natürlich Konventionen für die Schreibung. Aber keine verbindliche Reglung. Vielleicht wird/wurde es in spätere Auflagen aufgenommen. Genauso könnte eine Normierung für „mehrgeschlechtliche Bezeichnungen“ eines Tages erfolgen.
Und jetzt zum Kulturteil:
Bedauerlich ist, dass der Westen 1989 nicht wenigstens in der Sprache dem Osten gefolgt ist. Das Gegenteil ist der Fall, wie folgende Belege zeigen. Die Theater in Berlin Mitte stehen der Charlottenburger Schaubühne in puncto Gendern in nichts nach, sie unterscheiden sich lediglich durch das graphische Zeichen mitten im Wort, statt des Unterstrichs _ wird ein Doppelpunkt : eingefügt und wir erhalten am Deutschen Theater Aktivist:innen, Mechaniker:innen, Tüftler:innen, Künstler:innen, sogar in Zusammensetzungen, Kurator:innenteam, Autor:innentheatertage bzw am BE Zuschauer:innen, Freund:innen, und sogar Gäst:innen wird wiederbelebt.
Das ist ein lustiges Statement und es ist genauso schräg wie die Ausführungen zum Gender-Pay-Gap. Man kann in Wikipedia leicht eine Liste der Intendanten (keine weiter Endung nötig) des Deutschen Theaters und des Berliner Ensembles finden:
seit 2017: Oliver Reese (Schloß Neuhaus bei Paderborn)
Die Volksbühne und das Maxim-Gorki-Theater hat Heide Wegener nicht erwähnt. Vielleicht gendern die nicht oder sie hatte kein Programmheft. Der Vollständigkeit halber hier auch die Intendant*innen:
Seit dem Ausscheiden der Ossis, sind die Posten am BE und DT mit Ausnahme von Stephan Suschke alle von West-Männern besetzt gewesen. Am Gorki-Theater hat es immerhin eine Frau geschafft. Auch die ist nicht aus dem Osten. Man muss also bei Ost-West-Entwicklungen ein bisschen genauer hingucken. Was man auch herausbekommen müsste, bevor man solche Statements veröffentlicht, ist, wie das in den Häusern geregelt ist. Kann jeder schreiben, wie er bzw. sie will oder gibt es Hausregeln für das Gendern? Das machte einen gewaltigen Unterschied. Dazu unten mehr.
Wegener wiederholt ihr Argument aus dem früheren Aufsatz:
Etwa stellt die Paarform Schüler und Schülerinnen für Sprecher, für die „Schule“ ganz selbstverständlich Jungen und Mädchen einschließt (in Deutschland, nicht in Afghanistan!), keinen kommunikativen Nutzen, sondern eine Zumutung dar. Für sie ist die Information, dass neben Schülern auch Schülerinnen gemeint sind, überinformativ und führt deshalb zu Verdruss. Denn sie verstößt gegen Grices Zweite Konversationsmaxime der Quantität: „Do not make your contribution more informative than is required.“
Das Argument ist aber leider falsch. Für den konkreten Fall mag es zutreffend sein, dass keine neue Information in Bezug auf die Gruppenzusammensetzung mitgeliefert wird. Nur ist Sprache eben ein System und wenn ansonsten gegendert wird bzw. Paarformeln verwendet werden, dann wäre hier das Weglassen dieser längeren markierten Form ein Signal. Es ist alles nicht so einfach mit der Pragmatik.
Geglückte Kommunikation setzt voraus, dass die Information eine Informationslücke schließt, dass beim Gesprächspartner eine Lücke, Unwissenheit also besteht. Eine Information, die keine Lücke schließt, ist nicht nur überflüssig, sie ist beleidigend. Denn so dumm ist der Hörer nicht und will auch nicht so behandelt werden. Schon gar nicht mit moralisch erhobenem Zeigefinger.
Bei Kommunikation geht es nicht unbedingt um das Schließen von Informationslücken. Sprache und Sprechen hat viele Funktionen. Das müsste Heide Wegener auch wissen. Eine der Funktionen des Genderns nennt sie ja in ihrem Artikel selbst: „Gendern dient der Imagepflege, es soll den Sprecher als woke, als progressiv ausweisen“.
Woher weiß Heide Wegener, was Hörer*innen wollen? Das Gendern ist eine Sprachvariante und was Gendern-Gegner*innen tun, ist, Menschen, die anders sprechen, zu erklären, warum sie das, was sie tun, falsch finden. Das ist irgendwie ein interessanter Turn in der modernen Sprachwissenschaft, denn einige meiner Held*innen erklären nun, dass das, was Sprecher*innen tun, gar nicht ginge, denn es sei gegen das System der Sprache. Gegen die Theorien, die sie Zeit ihres Lebens ausgearbeitet haben. All die großartigen Grammatiker*innen wie Bierwisch, Eisenberg, Klein, Wegener, Wunderlich machen einen entscheidenden Fehler: Sie schreiben anderen Menschen vor, was sie zu tun oder zu lassen haben. Das ist preskriptive, normative Linguistik. Wir waren uns aber eigentlich immer einig, dass wir deskriptive Linguistik machen. Das heißt, wir beschreiben das, was Menschen tun. Die Graphematik beschäftigt sich mit Schreibvarianten. Mit dem, was Menschen tun. In Blogs und Foren. Die Rechtschreibfehler von heute sind die Orthographie von morgen. Genauso müssen wir als Syntaktiker*innen unsere Theorien ändern, wenn sie nicht mehr passen.
Ob die deutsche Sprache durch Genderformen ernsthaft Schaden nimmt, kann man erst dann beurteilen.
Das kann doch nicht sein. Das ist beste deutsche Sprachpflegerverein-Schreibe. Haben wir diese Leute nicht immer belächelt? Wie kann denn die Sprache Schaden nehmen? Was soll das denn bedeuten? Weil Menschen anderes sprechen, geht die Sprache kaputt? Dann sprechen sie eben anders. Wenn es irgendwann nicht mehr passt, wird es abgebaut oder es bilden sich andere, neue Formen. Nur weil es so ist, wie wir es nicht gewöhnt sind, so, dass es nicht zu unseren Theorien passt, ist es noch lange nicht kaputt.
Gendern ist eine Mode, und Moden sind endlich. […] Auch diese Mode wird, wie alle Moden, irgendwann untergehen.
Aber, liebe Heide, dann entspann Dich doch. Genieße Deinen Lebensabend und warte, bis es vorbei ist. Ich verstehe die Aufregung nicht.
Dein Unbehagen an der Verwendung des Partizips teile ich. Aber man kann ja auf andere Weise gendern. Auch diese Textteile sind Wiederholungen aus dem ersten Aufsatz und die Radfahrenden kommen hier wieder vor. Deshalb hier ein Kommentar dazu:
Dieselben Leute, die so viel von Differenzierung reden, opfern die durchaus sinnvolle Differenzierung zwischen der Bezeichnung für eine aktuelle Tätigkeit und der für die Rolle: wie kann ich, ohne generisches Maskulinum, noch sagen, dass „nicht alle Zuhörer auch Zuhörende waren“? Gilt das Schild „Radfahrer absteigen“ nicht auch für mich? Radfahrer bin ich auch dann, wenn ich mein Rad schiebe, aber Radfahrende eben nicht.
Das Argument verstehe ich nicht. Wenn Du Dein Rad schiebst, musst Du nicht mehr absteigen. Vielleicht wäre rollern hier besser für die Argumentation: Auch wenn Du nicht radfährst, sollst Du nicht auf dem Rad sitzend durch die Fußgängerzone rollern. Also „Radfahrer*innen absteigen!“. Problem ist hier die Länge. Bis man das gelesen hat, ist man schon vorbei geradelt. „Absteigen!“ mit Fahrradverbotszeichen ist eigentlich ausreichend.
Auch in den Newslettern und Programmheften der Theater schaffen es einige Wörter, in der Grundform zu überleben, beim BE beispielsweise Regisseure, Migranten, Juden, beim DT sogar die Bürger. Absichtlich oder versehentlich? Ausschließen kann man wohl, dass mit diesen Formen nur Männer gemeint sind.
Das ist auch ein interessantes Argumentationsmuster, das ich aus der Klimadiskussion kenne: Die Gegener*innen von XY finden irgendwo bei Aktivist*innen einen kleinen Fehler und leiten daraus ab, dass sie damit wohl nicht für Klimaschutz sein könnten, denn sonst würden sie ja (nicht) YZ.
Hier fordert ein Gender-Kritiker (Nein, das geht bei mir nicht mehr, ich muss eine Gender-Kritikerin schreiben, denn, liebe Heide, das ist Sprachwandel, auch wenn Ihr das bestreitet.), dass Institutionen konsequent gendern. Aber selbst die taz gendert nicht konsequent. Sie stellt es ihren Autor*innen frei. Und so muss das auch sein.
Den Fehler habe ich übrigens selbst auch gemacht. In der Zeit, in der ich noch nicht gegendert habe, habe ich mich über einen taz-Artikel aufgeregt, in dem von Dieben und Mördern gesprochen wurde, obwohl es um ein Straflager für Frauen ging, in dem Diebinnen und Mörderinnen inhaftiert waren. Aber es schreibt eben nicht „die taz“, sondern verschiedene Autor*innen in der taz. Manche lehnen das Gendern konsequent ab, andere tun es bis zum Abwinken.
Prof. Dr. Helmuth Feilke (2022) argumentiert übrigens für ein maßvolles Gendern. Das Gendern setzt ein Signal. Es reicht aus, wenn nicht alle Formen gegendert werden, sondern ab und zu das Signal an die Empfänger*innen geschickt wird.
Daraus darf man den Schluss ziehen, dass man das Ganze nicht so ernst nehmen sollte. Alles nur Theater.
Die lustigste Stelle im Artikel hätte ich beinahe übersehen, weil ich Heide Wegener ja kenne und ihre Kurz-Biographie nicht gelesen habe. Dort steht: „Prof. Heide Wegener ist Linguistin.“
Im Text steht:
Blatz hatte Recht. Es gibt keinen Grund, das Generische Maskulinum zu meiden. Im Gegenteil: Die beste, klarste Art, die Kernbedeutung von Berufs-und Rollenbezeichnungen auszudrücken, ist die endungslose Grundform, Freund, Arzt, Virologe. Da diese Formen kein Merkmal für Geschlecht enthalten, unterspezifiziert also sind, schließen sie alle Geschlechter ein und sind dadurch inklusiv.
In der Kurz-Bio hätte also stehen müssen: „Prof. Heide Wegener ist Linguist.“ Nun hat Heide Wegener das wohl nicht selbst geschrieben, sondern ihre Freund*innen aus der WeLT-Redaktion. Die sind nun, was Feminismus und Gendern angeht, sicherlich komplett unverdächtig und haben aus freien Stücken die feminine Form gewählt. Wohl weil sie diese intuitiv angemessener fanden. Wenn die endungslose Grundform im Westen auch benutzt wurde, wäre das nun aber der Beweis dafür, dass es Sprachwandel in diesem Bereich gibt, etwas, was Wissenschaftler*innen wie Heide Wegener und Josef Bayer vehement bestreiten. Wenn nicht, ist es immerhin noch ein Beweis dafür, dass Sprecher*innen das Bedürfnis haben, eben nicht das völlig ausreichende generische Maskulinum, sondern eben die feminine Form zu benutzen.
Sorry, ich komme erst jetzt dazu. Im Januar schlug ein Bericht des Ostbeauftragten Wellen. Er wurde, wie üblich verdreht.
Die taz schreibt zum Beispiel, dass nur noch 39% der Ostdeutschen mit der Demokratie zufrieden wären:
Das Konzept des Ostbeauftragten verweist auf die gesunkene Zufriedenheit mit der Demokratie besonders in den östlichen Bundesländern. Sie lag zuletzt nur noch bei 39 Prozent.
Das ist mal wieder einer dieser Hiebe in die Kerbe „Die Ossis lehnen die Demokratie ab / sind nicht demokratiefähig / sind komisch / sind anders als wir / saßen zusammen im Kindergarten auf dem Töpfchen und lieben deshalb Diktaturen.“
Dem „Deutschland-Monitor“ zufolge sind nur noch 39 Prozent der Ostdeutschen zufrieden mit der Demokratie, so wie sie in Deutschland funktioniert. Gerade einmal 32 Prozent von ihnen glauben, dass Politikerinnen und Politiker das Wohl unseres Landes wichtig sei. Und zwei Drittel sind der Meinung, Ostdeutsche würden häufig als Menschen zweiter Klasse behandelt.
Manche Medien bringen die Einschränkung „so wie sie in Deutschland funktioniert“, manche weisen darauf hin, dass die Zustimmung auch im Westen sinkt. Manche unterlassen das aber.
Als Ossi frage ich mich, wie kann man mit dem, was in diesem Land läuft denn zufrieden sein? Eigentlich geht das nur, wenn man materiell abgesichert und politisch uninteressiert ist. Ansonsten habe ich hier ein paar Punkte, die man komisch finden könnte:
Maskenaffäre: Veruntreuung von Millionen ohne rechtliche Konsequenzen
Korruption im Öl und Gasgeschäft bei CDU/CSU und SPD
Scheuers Versenkungen von Millionen Euros im Mautdesaster ohne rechtliche Konsequnezen
Scheuers Umlenkung von Geldern in seinen Wahlkreis
Giffeys plagierte Doktorarbeit und Masterarbeit. Giffey tritt nach Aberkennung ihres Doktortitls als Familienministerin der Bundesregierung zurück, macht aber dann als Regierende Bürgermeisterin von Berlin nahtlos weiter. What? Eine Diebin und Betrügerin gut genug für Berlin?
Giffey wurde 2022 mit 58,9% zur Parteivorsitzenden in Berlin gewählt. Trotz Rot-Grün-Roter Mehrheit wurde 2023 RGR nicht weitergeführt, sondern nach einer Mitgliederbefragung, die mit einer millimeterdünnen Mehrheit von 54% für Schwarz-Rot ausging, dann die Koalition mit der CDU begonnen. Das ganze Giffey-Paket hätte früher mehrfach für einen Rücktritt gereicht.
Plagiate und Titelbetrug bei diversen anderen Politiker*innen
Lobby-Zugang für den Bundestag zum Beispiel von Waffenhändlern
Der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes, der von der Politik festgelegt wird, ist ein Nazi.
Der Ministerpräsident eines Bundeslandes, der früher beim Öffentlich-rechtlichen Rundfunk gearbeitet hat, fordert die Streichung der Rundfunkgebühren und ansonsten alle drei Wochen das Gegenteil von dem, was er früher gefordert hat.
Porsche ist life dabei bei der Aushandlung des Koalitionsvertrags
Döpfner, Verlagschef des Springer-Konzerns, weist seine Blätter an, die FDP hochzuschreiben, damit diese dann die Koalition platzen lassen kann.
Wie von Döpfner geplant, kann eine Partei, die für 11% der Wähler*innen steht, die Politik der restlichen Regierung sabotieren, wobei dazu natürlich ein Machen-Sie-sich-keine-Sorgen-Klimakanzler gehört, der das mit sich machen lässt.
Verhinderung eines aussagekräftigen Ergebnisses beim Volksentscheid durch die Trennung von Wahltermin und Volksentscheid in Berlin durch die SPD-Innensenatorin.
Vielleicht sind wir Ossis alle etwas naiv. Wir waren geschockt, als wir sahen, was die Funktionäre in Wandlitz alles hatten, obwohl das unter dem Niveau westdeutscher Arbeiter*innen lag. Vielleicht sind unsere Ansprüche an Politiker*innen einfach zu hoch. Höher als die der Wessis.
Vielleicht geht es den Wessis auch einfach zu gut und/oder sie interessieren sich nicht so für die Korruption und Bereicherung. Ist ja normal, machen ja alle.
Also: Es ist nicht so, dass Ossis Demokratie als politisches System ablehnen. Im Gegenteil, die Zustimmung zur Demokratie an sich war zumindest 2018 sogar noch höher als im Westen 95% vs. 93% (Studie der Universität Leipzig). Was abgelehnt wird, ist die Art und Weise, in der Dinge gerade laufen. Und hier ist die Frage an die 59% der Wessis, die mit der Demokratie, wie sie gerade in Deutschland funktioniert, zufrieden sind: What’s wrong with you?