Ostmusik / Westmusik

Die Puhdys!!!!

Ich lese gera­de das Buch Dies­seits der Mau­er von Kat­ja Hoyer. Es gibt dar­in einen Abschnitt zu Ost­rock im Kapi­tel 1971–1975.

Die anfäng­li­che Anpas­sung der Puh­dys an die Vor­ga­ben des Regimes war nicht ein­fach nur ein Akt der Unter­ord­nung, wie es ihnen vie­le kri­ti­sche­re Intel­lek­tu­el­le und Künst­ler in der DDR vor­war­fen. Ihr Ent­schluss, auf Deutsch zu sin­gen, war ent­schei­dend für ihren Auf­stieg als prä­gen­de Band der DDR-Rock­mu­sik. Auf fast kurio­se Wei­se zwang der Druck klein­li­cher Büro­kra­ten sie dazu, krea­ti­ver zu wer­den und ihre eige­ne Stim­me zu fin­den. Ähn­lich ging es auch ande­ren Musi­kern aus die­ser Zeit. Ins­ge­samt war der DDR-Ost­rock der 1970er vom Sound her zwar vom Wes­ten inspi­riert, aber zugleich stark durch die Erfah­run­gen und Rah­men­be­din­gun­gen der Musi­ker in ihrem Land geprägt. Ihre Popu­la­ri­tät über die Gren­zen der DDR hin­aus spricht für die Qua­li­tät der Arbeit. Auch wenn der Ost­rock poli­ti­schem Druck aus­ge­setzt war, so ist er nicht durch ihn entstanden.

Hoyer, Kat­ja, 2023. Dies­seits der Mau­er, S. 348–249.

Ich habe mich ab ca. 1980 inten­si­ver für Musik inter­es­siert und für mich war die DDR-Musik in wei­ten Tei­len unge­nieß­bar. Bands wie die Puh­dys und Karat waren für mich Staats­bands und zumin­dest bei Karat ja irgend­wie Schlagersänger. 

Dass ihr Lied Über sie­ben Brü­cken musst Du gehn von einem „Rocker“ aus dem Wes­ten geco­vert wur­de, macht aus dem Schla­ger immer noch kei­nen Rocksong. 

Hoyer han­delt auch Frank Schö­bel im Abschnitt über Ost­rock ab und der war nun ein­deu­tig ein Schla­ger­sän­ger (Hei­ßer Som­mer war lus­tig, aber eben so Musical-Kram).

Für mich war fast die gan­ze DDR-Rock­mu­sik (Puh­dys, Karat, Stern Mei­ßen, Elec­tra, Sil­ly, Pan­kow, Rock­haus) totes Zeug. Das wur­de erst ganz zum Schluss in den 80ern anders, als es einen offi­zi­el­len, will hei­ßen, staat­lich gedul­de­ten, Unter­grund gab.

Auf den Klas­sen- und Schul­dis­kos 1980–1986 wur­de bei uns – soweit ich mich rich­tig erin­ne­re – kei­ne Ost-Musik gespielt. Das war ein­fach total unc­col. Da gab es so was wie AC/DC, Queen (We will rock you), Ali­ce Coo­per, Wishful Thin­king, Depe­che Mode, Ultra­vox, Soft Cell.

Twist

Hoyer beschreibt in frü­he­ren Kapi­teln (Kapi­tel 5, 1961–1965) Pha­sen der Locke­rung und Zei­ten, in denen Man­fred Krug u.a. mit Twist Erfol­ge fei­er­ten (S. 262). Dann wur­de es aber wie­der stren­ger. In mei­ner Jugend­zeit war Ost­mu­sik sprö­de und lang­wei­lig. Ich habe mich red­lich bemüht, Pan­kow und Sil­ly gut zu fin­den. Es ist mir nicht gelun­gen. Sil­ly und Pan­kow sind die ein­zi­gen Bands unter den oben genann­ten, von denen ich Plat­ten habe. Die­se habe ich damals fast nie gehört und in den letz­ten 35 Jah­ren über­haupt nicht.

Wirk­lich schreck­lich war so was wie Rock­haus (Ich lie­be Dich) oder Inka (Spiel­ver­der­ber). Rock­haus war mit Ich lie­be Dich 1988 Num­mer eins der DDR-Jah­res­hit­pa­ra­de, aber wahr­schein­lich waren die Hit­pa­ra­den genau­so gefälscht wie die Wah­len (sie­he Wahl­fäl­schung bei Kom­mu­nal­wah­len 1989).

West-Musik

Ich war an einer Schu­le (EOS) mit Funk­tio­närs­kin­dern und Kin­dern von Par­tei­mit­glie­dern in einer Klas­se. Einer mit Opa im ZK, ein ande­rer mit einer beson­de­ren Tele­fon­num­mer. Weiß nicht, was der Vater war. Wir haben uns getrof­fen und Musik über­spielt. Kraft­werk habe ich von einem aus der Par­al­lel­klas­se bekom­men. Beat­les, Pink Floyd, The Doors, Zap­pa, Beef­he­art von Klas­sen­ka­me­ra­den. Ich kann mich noch erin­nern, wie wir The final Cut mit Hand aus­ge­steu­ert haben, weil der Gera­cord die hohe Dyna­mik gekillt hät­te. Mein Freund immer kurz vor den ent­schei­den­den Stel­len: „Run­ter! Run­ter!“ Ein ande­rer Freund war für Hard­rock und Hea­vy Metal zustän­dig. Von ihm bekam ich Scor­pi­ons und Judas Priest.

Tom Waits, Dire Straits bekam ich von einem Klas­sen­ka­me­rad, des­sen Schwes­ter nach West­ber­lin gehei­ra­tet hat­te. Schlecht für ihn, weil er nicht zur inter­na­tio­na­len Phy­sik­olym­pia­de fah­ren durf­te, gut für uns, weil wir die Plat­ten über­spie­len konnten.

Eine Kas­set­te kos­te­te 20 Mark (= mehr als 20 Bro­te), war also sehr teu­er. Auf die Ost-Kas­set­ten gin­gen 60 Minu­ten (2*30 min), das war für das Über­spie­len von Lang­spiel­plat­ten ungüns­tig, weil die meis­tens 45 Minu­ten lang waren. Dafür brauch­te man eigent­lich 90er Kas­set­ten, die es im Osten nicht gab. Ich habe viel Geld in Musik ange­legt. Eigent­lich alles, was ich hat­te. Der Kas­set­ten­re­cor­der kos­te­te 1100 Bro­te, war aber Mist, so dass ich mir ein Ste­re­o­ra­dio (Rema Andan­te) und den Gera­cord gekauft habe. Das waren zusam­men unge­fähr 2000 Brote.

Stern­re­cor­der und K90-Kas­set­ten, DDR-Muse­um Eisen­hüt­ten­stadt, 02.08.2019

Lizenz-Platten: Amiga

Bei Ami­ga gab es Plat­ten von Bruce Springsteen, Tina Tur­ner, Tomi­ta, Tan­ge­ri­ne Dream usw. Auch von Udo Lin­den­berg gab es eini­ge Platten. 

Ami­ga-Plat­te von Udo Lin­den­berg 1982.

Das war Bück­wa­re, die Auf­la­ge betrug nur jeweils 10.000, die Bedürf­nis­se konn­ten nie voll­stän­dig befrie­digt wer­den. Aber man konn­te die Plat­ten dann von Glück­li­che­ren über­spie­len. Ich hat­te mal Kate Bush ergat­tert, die habe ich dann gegen eine Jim­mi Hen­drix-Plat­te von Poly­dor (Wes­ten) eingetauscht.

Bibliotheken

Neu­bau-Kom­ple­xe hat­ten meis­tens einen Dienst­leis­tungs­kom­plex mit Fri­seur, Jugend­club und Biblio­thek. Die Ami­ga-Plat­ten gab es auch in den Biblio­the­ken. Ich erin­ne­re mich an Pink Floyd The dark side of the moon und eine Elivs-Plat­te. In die Pink-Floyd-Plat­te habe ich lei­der einen Krat­zer rein­ge­macht. Sor­ry an alle, die sie nach mir hatten.

Plat­ten­co­ver einer Ami­ga-Plat­te von Udo Lin­den­berg. Foto­gra­fiert mit einer Cer­to SL 110. Links unten sieht man die Beschrif­tung der Biblio­thek aus der die Plat­te stammte.

Das Bild ist eine nicht ganz voll­kom­me­ne Repro­duk­ti­on des Biblio­theks­exem­plars der Udo-Lin­den­berg-Plat­te von Ami­ga. Foto­gra­fiert mit der Cer­to SL 110. Ich habe es in der Kas­set­ten­hül­le der Kas­set­te mit der über­spiel­ten Plat­te verwendet.

Duett: Musik für den Recorder

Auf dem Jugend­sen­der DT64 gab es eine Sen­dung Duett: Musik für den Recor­der, bei der Schall­plat­ten zum Mit­schnei­den kom­plett gespielt wur­den. Ob die DDR den Künstler*innen was dafür bezahlt hat, weiß ich nicht …

RIAS: Treffpunkt

Im RIAS Treff­punkt gab es am Sonn­abend immer Wunsch­ti­tel zum Mit­schnei­den. Die­se wur­den aus­ge­spielt. Es gab meist einen Titel von Udo Lin­den­berg. Ich weiß noch, dass es da bei uns immer Kaf­fee gab und ich eigent­lich nur zu mei­nem Recor­der wollte. 

Es gab Tarn­adres­sen, an die Ost­deut­sche ihre Musik­wün­sche schi­cken konn­ten. Die Adres­sen änder­ten sich stän­dig und wur­den jeweils in den Radio­sen­dun­gen durch­ge­sagt. Ich fand das merk­wür­dig, weil die Sta­si ja auch Radio hören konn­te. Ich habe natür­lich nie an eine sol­che Adres­se geschrieben. 

Schlager der Woche

Schla­ger der Woche war eine Hit­pa­ra­de im RIAS, die der lie­bens­wer­te Cha­ot Lord Knud jede Woche ver­an­stal­te­te. Es war kei­ne Schla­ger­sen­dung, son­dern irgend­wie so eine Hit­pa­ra­de, bei der die Höre­rin­nen sich etwas wäh­len konn­ten. Lord Knud hat lei­der oft in die Titel rein­ge­quatscht, aber wenn man es nicht bes­ser hat­te, muss­te auch das für Mit­schnit­te reichen.

Beatles-Jahr

Die Beat­les-Alben wur­den auch kom­plett im Rund­funk gespielt. Weiß nicht mehr, ob es SFB oder RIAS war. Es war jeden­falls im Luther­jahr 1983. Nach den Beat­les kam immer „Wer Ohren hat, der höre.“ Ich hat­te ja schon eine hal­be Stun­de gehört.

Kulturzentren

In Kul­tur­zen­tren der ver­schie­de­nen Ost­block­län­der konn­te man Plat­ten kau­fen. Ich habe im Pol­ni­schen Kul­tur­zen­trum eine Plat­te von den Dead Ken­ne­dys und einen Sam­pler mit Psy­cho­bil­ly-Stü­cken gekauft: Psycho Attac over Euro­pe.

Ungarn und ČSSR

In Ungarn und in der ČSSR konn­te man Schall­plat­ten kau­fen, die es in der DDR nicht unbe­dingt gab. Die Beträ­ge, die man umtau­schen konn­te waren begrenzt. Wenn man Omas oder Kum­pels mit Omas hat­te, die einem Zoll­erklä­run­gen aus dem Wes­ten mit­brach­ten, dann konn­te man in Ungarn noch mehr Geld umtau­schen. Das muss­te man aber irgend­wie ins Land bekom­men. Die Plat­ten­lä­den hat­ten Visi­ten­kar­ten, die sich die Ungarn­be­su­cher wei­ter­ga­ben. Ich habe mir eine Doors-Dop­pel-LP gekauft (100 Mark) und eine Beatles-Kassette.

Omas und Opas

Die mit den Omas und Opas haben die­se Plat­ten mit­brin­gen las­sen, ent­we­der für sich selbst oder für den Wei­ter­ver­kauf auf dem Schwarz­markt. Diplo­ma­ten haben den Schwarz­markt wohl auch gefördert.

Zusammenfassung

Es gab Mit­tel und Wege, an West-Musik zu kom­men. Die Puh­dys hat nie­mand von uns gehört. (oder wenn, dann heimlich =:-)

Einstufung

Was man wis­sen muss über die Ost­mu­sik, ist: Man konn­te nicht ein­fach so auf­tre­ten. Wäh­rend das im Wes­ten der Markt regel­te, regel­te das im Osten der Staat. Man brauch­te eine Ein­stu­fung.

Ein­stu­fun­gen der Klaus-Ren­ft-Com­bo, DDR-Muse­um, Eisen­hüt­ten­stadt, 02.08.2019

Das bedeu­te­te, dass nur Men­schen, die ihre Instru­men­te beherrsch­ten, auf­tre­ten konn­ten. Und dass nur Men­schen, die irgend­wie zens­ur­kon­for­me Tex­te hat­ten, eine Ein­stu­fung bekom­men haben bzw. behal­ten haben. Ohne Ein­stu­fung blie­ben nur Kon­zer­te in Kir­chen­räu­men. Die Kir­chen waren in die­sem Bereich auto­nom, in ihren Räu­men durf­ten sie machen, was sie woll­ten. Die Sta­si war zwar immer über­all dabei bzw. stand – wie beim Früh­lings­fest der Erlö­ser­kir­che außen drum rum –, aber ansons­ten wur­de die­se Über­ein­kunft eingehalten.

Die anderen Bands

Gegen Ende der DDR gab es die ande­ren Bands. Die wur­den sogar im Jugend­ra­dio DT64 gespielt. Im Parock­ti­kum von Lutz Schramm (auf dem schlech­tes­ten Sen­de­platz). So was wie San­dow, die Art, Fee­lingB, Die Visi­on, Die Skep­ti­ker, Herbst in Peking, Ich-Funk­ti­on, Die Fir­ma, Frey­gang, Deka­dance, Hard Pop, Ste­ve Binet­ti, Rosen­gar­ten (Bes­se­re Zei­ten), Freun­de der Ita­lie­ni­schen Oper, Drit­te Wahl. Die hat­ten eine Ein­stu­fung und konn­ten in Jugend­klubs, Kreis­kul­tur­häu­sern oder im Palast der Repu­blik bei Ver­an­stal­tun­gen von Lutz Schramm auf­tre­ten. AG Gei­ge gehör­te auch dazu. Die­se For­ma­ti­on war ein Son­der­fall: Sie hat­ten kei­ne Ein­stu­fung, durf­ten aber nach Inter­ven­ti­on einer Gale­ris­tin als „Volks­kunst­kol­lek­tiv der aus­ge­zeich­ne­ten Qua­li­tät“ auftreten. =:-)

Kai-Uwe Kohl­schmidt von San­dow bei der Auf­füh­rung der Plat­te “Ent­fern­te Wel­ten” zum 35ten Band­ju­bi­lä­um in der Volks­büh­ne, Ber­lin, 07.02.2018

Das war echt, das tat weh und ab und zu wur­de mal eine von den Bands ver­bo­ten oder hat­te irgend­wie Schwie­rig­kei­ten. Deka­dance hat­te Pro­ble­me mit der Zen­sur, weil die den Song Twen­ty Ziga­ril­los nicht ver­stan­den haben. Der Text bestand nur aus der Zei­le „Twen­ty Ziga­ril­los“. Herbst in Peking hat­ten 1989 eine Schwei­ge­mi­nu­te für die Opfer des Mas­sa­kers am Tian’anmen-Platz gemacht und wur­den ver­bo­ten. Frey­gang war auch immer mal verboten.

Es gab in der DDR eine ziem­lich akti­ve Tape-Sze­ne. Auf Kon­zer­ten wur­den Kas­set­ten der jewei­li­gen Bands ver­kauft. Von mei­nem Klas­sen­ka­me­rad mit ZK-Opa habe ich auch Tapes von Gefah­ren­zo­ne bekom­men. Gefah­ren­zo­ne hat­te nie eine Ein­stu­fung und ist nur in kirch­li­chen Kon­tex­ten auf­ge­tre­ten. Sie san­gen über Pere­stroi­ka und Glas­nost. Ich habe das Band zu einem Zeit­punkt über­spielt, als die Sta­si schon Zer­set­zungs­maß­nah­men gegen die Band lau­fen hat­te. Aber davon wuss­ten wir nichts. (Gefah­ren­zo­ne bei Tape­At­tack)

Geh zu ihr und lass Deinen Drachen steigen, geh zu ihr, denn Du lebst ja nicht vom Moos allein

Die Puh­dys-Songs im Film Paul und Pau­la sind auf jeden Fall legen­där. Der Film steht ja auch auf mei­ner Lis­te mit den Film­emp­feh­lun­gen und Lese­tipps.

Zwei Diktaturen – zwei Töpfe

Die Opfer der nationalsozialisitschen Diktatur und der Diktatur des Proletariats

(Vor­weg: Ich habe die DDR, so wie sie war, abge­lehnt und kann mit nost­al­gi­scher Ver­klä­rung nichts anfan­gen. Ich bin froh, dass sie Geschich­te ist. Wie vie­le ande­re bin ich jedoch nicht glück­lich damit, wie die­se Geschich­te von West­lern erzählt wird.)

In Bei­trä­gen, in denen ver­sucht wird, den Osten zu ver­ste­hen, wird oft davon gespro­chen, dass die Ossis durch zwei Dik­ta­tu­ren geprägt wur­den. Das ärgert mich immer wie­der, weil es zwar fak­tisch rich­tig ist, dass Ost­deut­sche in zwei Dik­ta­tu­ren gelebt haben, aber damit sug­ge­riert wird, dass die­se Dik­ta­tu­ren irgend­wie von der glei­chen Art sind. Meist wird das nicht expli­zit gesagt, aber hier in einem Leser­brief von Bar­ba­ra Hartz aus Bre­men zu einem Inter­view von Anne Fromm mit Anne Rabe und Kat­ja Heu­er fin­det man den Ver­gleich ziem­lich offen:

Zur Mei­nung Kat­ja Hoyers fällt mir mei­ne poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on in der Real­schu­le ein: Unse­re Leh­rer mach­ten uns d­urchgehend deut­lich, dass all die gelob­ten Maß­nah­men der national­so­zia­lis­tischen Regie­rungs­zeit wie der viel gelob­te ­Auto­bahn­bau, die Kraft-durch-Freu­de-Feri­en, die Gemein­schafts­er­leb­nis­se der Jugend und vie­les mehr nicht gegen die gene­ral­stabs­mä­ßig geplan­te und gna­den­los orga­ni­sier­te Aus­rot­tung von Men­schen und gegen die pro­pa­gier­te Menschen­verachtung auf­zurechnen sind.

Die Leh­rer mach­ten klar, dass die­se Ver­bre­chen so schlimm sind, dass sie durch nichts Gutes zu rela­ti­vie­ren oder aus­zu­glei­chen sind.

Wie fällt die Beur­tei­lung der DDR aus, wenn man mit die­sem mora­li­schen Maß­stab auf ihre Zeit blickt?

Bar­ba­ra Hartz, Bre­men in einem Leser­brief in der taz zu einem Inter­view von Anne Fromm mit Anne Rabe und Kat­ja Heu­er, 16.11.2024.

Ich bin in der DDR auf­ge­wach­sen und dazu erzo­gen wor­den, mit die­sen Maß­stä­ben auf die Welt zu sehen. Ich möch­te dazu eini­ge der Ver­bre­chen auf­lis­ten, die in der Nazi-Zeit began­gen wor­den sind. Nichts davon hat es in der DDR gegeben.

  • Nazi-Deutsch­land hat einen Welt­krieg begon­nen, in dem 60 bis 65 Mil­lio­nen Men­schen gestor­ben sind. (Wiki­pe­dia: Tote des zwei­ten Welt­kriegs)
  • Nazi-Deutsch­land hat sys­te­ma­tisch und geplant und beschlos­sen 6 Mil­lio­nen Juden ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 7 Mil­lio­nen sowje­ti­sche Zivi­lis­ten ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 3 Mil­lio­nen sowje­ti­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 1,8 Mil­lio­nen pol­ni­sche Zivi­lis­ten ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 312.000 ser­bi­sche Zivi­lis­ten ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 250.000 Behin­der­te ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 250.000 Sin­ti und Roma ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 1.900 Zeu­gen Jeho­vas ermor­det, weil die­se den Kriegs­dienst ver­wei­gert haben.
  • Nazi-Deutsch­land hat 70.000 so genann­te „Berufs­ver­bre­cher“ und „Aso­zia­le“ ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat Euge­nik gut­ge­hei­ßen und woll­te bes­se­re Men­schen züch­ten. Her­ren­men­schen. Das hat­te Hit­ler bereits in „Mein Kampf“ (1925–1926) aus­for­mu­liert und die NSDAP wur­de 1932 mit 33,1 % stärks­te Par­tei. Hit­ler wur­de bei den Reichs­prä­si­den­ten­wah­len 1932 von 30,1% der Wäh­len­den gewählt, zwei­ter nach Hin­den­burg 49,5%.
  • Der ent­spre­chen­de Teil des deut­schen Vol­kes hat für sich Arier­nach­wei­se erstellt, um zu zei­gen, dass sie irgend etwas Bes­se­res waren, als Men­schen ande­rer „Ras­sen“.
  • Nazi-Deutsch­land hat Eutha­na­sie-Pro­gram­me (Akti­on T4) durch­ge­führt und psy­chisch Kran­ke und Behin­der­te ermor­det oder ver­hun­gern las­sen. Es wur­de von „unwer­tem Leben“ gesprochen.
Kre­ma­to­ri­um im KZ Buchen­wald mit klei­ner Wol­ke dar­über. Links stan­den die Bara­cken. Sie wur­den nach der Befrei­ung des Lagers wegen Seu­chen­ge­fahr abge­ris­sen. Buchen­wald bei Wei­mar, 13.08.2024

Hier kann man die Zah­len der Ermor­de­ten noch ein­mal in einer Gra­fik sehen:

In der Akti­on T4 wur­den Psych­ia­trie-Pati­en­ten sys­te­ma­tisch umge­bracht. Nach deren Ende, das even­tu­ell damit zusam­men­hing, dass die Mör­der in den neu ein­ge­rich­te­ten Ver­nich­tungs­la­gern für die Ermor­dung der Juden und sowje­ti­schen Bürger*innen und Kriegs­ge­fan­ge­nen benö­tigt wur­den, gab es den Hun­ger­kost-Erlaß.

Der Hun­ger­kost-Erlaß des Baye­ri­schen Staats­mi­nis­ters des Inne­ren vom 30. Novem­ber 1942 schloss an die Ein­stel­lung der Akti­on T4 an. Die Kost psych­ia­tri­scher Pati­en­ten, die ins­be­son­de­re nicht mehr arbeits­fä­hig waren, wur­de infol­ge­des­sen so weit redu­ziert, dass nach drei Mona­ten mit ihrem Tod zu rech­nen war. Der Erlass führ­te zum Tod vie­ler tau­sen­der Psych­ia­trie-Pati­en­ten in Bayern.

Unter­zeich­net wur­de der Erlass von Wal­ter Schult­ze, der von 1933 bis 1945 als Minis­te­ri­al­di­rek­tor die Abtei­lung Gesund­heits­we­sen im Baye­ri­schen Innen­mi­nis­te­ri­um lei­te­te. Schult­ze war außer­dem von 1935 bis 1944 als „Reichs­do­zen­ten­füh­rer“ Lei­ter des Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deut­schen Dozen­ten­bun­des (NSDDB).

Nach heu­ti­gem Kenntnisstand[2] ist der von Schult­ze unter­zeich­ne­te Erlass gleich­zei­tig „eine Art nach­träg­li­cher Recht­fer­ti­gung für Hand­lungs­wei­sen […], die schon längst prak­ti­ziert wur­den“ und die „Anord­nung von neu­en und bru­ta­le­ren Maß­nah­men, die aber in dem Erlaß selbst nicht ange­spro­chen sind, im Grun­de also […] ein Doku­ment der Tar­nung und Verschleierung.“[3] Der Direk­tor der Heil- und Pfle­ge­an­stalt Kauf­beu­ren, Valen­tin Faltl­hau­ser, hat­te bereits 1941 die Ein­schrän­kung der Kost der nicht­ar­beits­fä­hi­gen Pati­en­ten ange­ord­net. Seit August 1942 ließ Faltl­hau­ser arbeits­un­fä­hi­gen Pati­en­ten eine völ­lig fett­lo­se „Son­der­kost“ ver­ab­rei­chen, die Kran­ken star­ben inner­halb von drei Mona­ten an Hun­ge­röde­men. Faltl­hau­ser refe­rier­te über sei­ne Erfah­run­gen bei einer Kon­fe­renz der Anstalts­di­rek­to­ren mit Schult­ze am 17. Novem­ber 1942, auf die im „Hun­gerer­lass“ Bezug genom­men wird.

Wiki­pe­dia-Ein­trag Hun­ger­kost-Erlaß

Alles bis hier­her Geschil­der­te zeugt von einer unglaub­li­chen Bru­ta­li­tät und Unmensch­lich­keit des NS-Regimes. Man möge den Ein­trag zur Akti­on T4 lesen. Dar­aus geht her­vor, dass ein ein­zi­ger Rich­ter sich den mit der Ermor­dung ver­bun­de­nen Anord­nun­gen wider­setz­te. 90 höchst­ran­gi­ge Rich­ter wur­den dann in die Akti­on ein­ge­weiht, waren also mitschuldig.

Nichts, nichts davon gab es in der DDR. Die DDR hat kei­nen Krieg begon­nen. Die NVA war als Ver­tei­di­gungs­ar­mee kon­zi­piert, deren Auf­ga­be es war, poten­ti­el­le Angrif­fe aus dem Wes­ten für 24 Stun­den auf­zu­hal­ten. Die DDR war kom­plett durch­mi­li­ta­ri­siert (Sport, Wehr­kun­de­un­ter­richt, Gesell­schaft für Sport und Tech­nik) aber das lief alles unter „Der Frie­de muss bewaff­net sein“. Krieg stand nicht auf dem Pro­gramm, was in der Nazi-Zeit defi­ni­tiv anders war. Die Kom­mu­nis­ten hat­ten vor den letz­ten Wah­len gewarnt: „Wer Hit­ler wählt, wählt den Krieg.“ Die Erzie­hung in der DDR war anti­fa­schis­tisch, die Ver­bre­chen der Nazis inklu­si­ve Holo­caust wur­den im Schul­un­ter­richt und an vie­len ande­ren Stel­len the­ma­ti­siert, obwohl das von Men­schen wie Anet­ta Kaha­ne und Ines Gei­pel geleug­net wird (sie­he Blog-Bei­trag Der Ossi und der Holo­caust). Die Völ­ker­freund­schaft wur­de offi­zi­ell befür­wor­tet, was natür­lich mit dem Befrei­ungs­kampf der ent­spre­chen­den Völ­ker ver­knüpft wur­de, aber es gab von staat­li­cher Sei­te kei­nen über Ras­sen­kon­zep­te moti­vier­ten Ras­sis­mus (für Bele­ge aus der Bum­mi-Zei­tung, der Für Dich, der NBI und der Wochen­post zur inter­na­tio­na­len Soli­da­ri­tät und zur medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung von Men­schen aus Afri­ka in der DDR sie­he „His­to­ri­sche Ursa­chen der Frem­den­feind­lich­keit in den neu­en Bun­des­län­dern“: Kom­men­ta­re zu einem Auf­satz von Patri­ce G. Pou­trus, Jan C. Beh­rends und Den­nis Kuck). Zum Umgang mit Behin­der­ten habe ich in Mein Gott, Walt­her! Die DDR als prä-faschis­ti­scher, post-faschis­ti­scher und faschis­ti­scher Staat und über­haupt. geschrie­ben. Ich bin in Buch auf­ge­wach­sen, dort gab es ab 1976 staat­lich geplan­te bar­rie­re­freie Woh­nun­gen für Men­schen mit Rollstühlen.

Es gab Men­schen, die Opfer des DDR-Regimes gewor­den sind. Dazu gehö­ren ganz offen­sicht­lich die Mau­er­to­ten, aber auch Systemgegner*innen, die nach frag­wür­di­gen Pro­zes­sen hin­ge­rich­tet wur­den oder irgend­wo in Gefäng­nis­sen ver­schwan­den und nie wie­der gese­hen wur­den. Zur Zahl der Toten gibt es nur Schät­zun­gen. Der wis­sen­schaft­li­che Dienst des Bun­des­tags geht von eini­gen Hun­dert bis zu 4.000 aus (Wis­sen­schaft­li­cher Dienst des Bun­des­ta­ges 2021). An der Mau­er sind wohl weni­ger als 327 Men­schen gestor­ben. Es gab 52 bis 72 Todes­ur­tei­le für poli­tisch Ver­folg­te. Ohne ver­läss­li­che Zah­len wird von bis zu 50 poli­tisch moti­vier­ten Mor­den oder Mord­ver­su­chen durch das MfS (ohne Thü­rin­gen) aus­ge­gan­gen. Die Todes­ur­sa­che für in der Haft Gestor­be­ne lässt sich im Nach­hin­ein nicht mehr rekon­stru­ie­ren. Man geht von eini­gen Hun­dert bis 2.500 aus. Nimmt man jetzt die Ober­gren­ze der Schät­zung, also den für die DDR am ungüns­tigs­ten Fall von 4.000 Opfern des DDR-Regimes an, so sieht man, dass das in abso­lut ande­ren Grö­ßen­ord­nun­gen liegt als die Ver­bre­chen der Nazis. Wenn in den 40 Jah­ren der DDR 4.000 Men­schen umge­kom­men sind, dann sind das 100 pro Jahr. Das ist eine gro­ße Zahl, ohne Zwei­fel, aber in der Schlucht von Babyn Jar hat die SS und die Wehr­macht in 36 Stun­den 33.000 Juden (Frau­en, Kin­der und Män­ner) erschossen. 

Hoyers Arbeit

Ich habe das Buch von Hoyer noch nicht ganz gele­sen. Bis­her nur das Kapi­tel über die Mau­er und das fol­gen­de Kapi­tel über Urlaubs­plät­ze. Hoyer schreibt an kei­ner Stel­le, dass die Mau­er eine duf­te Sache war. Sie erklärt, war­um sie gebaut wur­de und beschreibt aus­führ­lich tra­gi­sche Todes­fäl­le. Hoyer erklärt im Kapi­tel Hart arbei­ten und das Leben genie­ßen, das dem Mau­er­ka­pi­tel folgt, war­um der Aus­bau des Urlaubs­sys­tems not­wen­dig war: Ab 1961, als die Mau­er stand, konn­te Ulb­richt bzw. die Staats­füh­rung Miss­stän­de nicht mehr auf Kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re schie­ben und muss­te selbst dafür sor­gen, dass sich das Volk wohl­fühl­te. Das her­aus­zu­ar­bei­ten ist not­wen­dig, wenn man eine Geschich­te der DDR haben will und wenn man die DDR und das Han­deln ihrer Bewohner*innen in der Gegen­wart ver­ste­hen will. Auch im Inter­view mit der taz gibt es nichts, was man Kat­ja Heu­er als Ost­al­gie oder Ver­klä­rung von Tat­sa­chen vor­wer­fen könnte.

Die DDR war der Staat mit dem größ­ten Spit­zel­netz, mit der größ­ten Dich­te an Geheimdienstmitarbeiter*innen pro Ein­woh­ner, welt­weit (Wiki­pe­dia-Arti­kel MfS: ein haupt­amt­li­cher Mit­ar­bei­ter pro 180 Einwohner*innen). Die DDR hat sich mit einer Mau­er Rich­tung Wes­ten abge­grenzt und ihr dahin­ter ein­ge­sperr­tes Volk bespit­zelt und unter­drückt. Das gehört zur Geschich­te der DDR. Es gehört aber auch dazu, dass der Freie Deut­sche Gewerk­schafts­bund Urlaubs­plät­ze ver­teilt hat. Über die von Frau Hartz ange­spro­che­nen Fak­ten (Auto­bahn­bau, Kraft-druch-Freu­de, Volks­wa­gen, usw.) wird auch jede Geschich­te des Natio­nal­so­zia­lis­mus berich­ten und wird die­se his­to­risch einordnen.

Wer war Hitler? Relativierungen

Auf die Fra­ge: „Wer war Hit­ler?“ gibt es drei mög­li­che Ant­wor­ten. Die ers­te kann man hier in die­sem Bei­trag des Hes­si­schen Rund­funks aus dem Jahr 1959 bestaunen.

Drei Ant­wort-Arten sind:

  1. Hit­ler hat die Auto­bah­nen gebaut und vie­le Men­schen in Arbeit gebracht.
  2. Hit­ler hat sys­te­ma­tisch Mil­lio­nen Men­schen ermor­den las­sen, einen Krieg geführt, bei dem noch mehr umge­kom­men sind, aber er hat auch Auto­bah­nen gebaut.
  3. Hit­ler hat sys­te­ma­tisch Mil­lio­nen Men­schen ermor­den las­sen, einen Krieg geführt, bei dem noch mehr umge­kom­men sind, und er hat Auto­bah­nen gebaut.

Den Fall 1) kann man im Video sehen. Unak­zep­ta­bel. 2) Ist die Rela­ti­vie­rung. Eben­falls unak­zep­ta­bel. 3) mit und statt aber ist die Fest­stel­lung einer his­to­ri­schen Tat­sa­che, die natür­lich in einem Text ent­spre­chend ein­ge­ord­net wer­den muss. Nach dem Mus­ter 3) arbei­tet Hoyer und das ist auch wis­sen­schaft­lich korrekt.

Schlussfolgerung

Nazi-Deutsch­land und die DDR sind unver­gleich­bar. Die Grö­ßen­ord­nun­gen der began­ge­nen Ver­bre­chen ist um den Fak­tor 20.000 (80.000.000 zu 4.000) oder 133.000 (80 Mio zu 600) ver­schie­den. In Nazi-Deutsch­land gab es eine grö­ße­re Betei­li­gung der Bevöl­ke­rung schon allein durch die Kriegs­be­tei­li­gung aber auch durch die Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger, den Umgang mit Zwangs­ar­bei­tern, Depor­ta­tio­nen von Juden, die Euthanasie-Verbrechen.

Man soll­te also Nazi-Deutsch­land und die DDR nicht in einen Topf wer­fen. Wer es tut, hat ent­we­der kei­ne Ahnung vom Umfang der Ver­bre­chen in der DDR oder rela­ti­viert die Nazi-Ver­bre­chen, die in den 1000 Jah­ren davor began­gen wurden.

Quellen

Wis­sen­schaft­li­cher Dienst des Bun­des­ta­ges. 2021. Zur Zahl der Todes­op­fer auf­grund poli­ti­scher Ver­fol­gung in der DDR. Aus­ge­wähl­te Aspek­te. (https://www.bundestag.de/resource/blob/855618/52a47e246eee6bec67127050c4224a74/WD‑1–015-21-pdf.pdf)

Sächsische Separatisten (SS)

Vor eini­ger Zeit sind die Säch­si­schen Sepa­ra­tis­ten auf­ge­flo­gen. Eine Grup­pe Rechts­extre­mer, die mit Waf­fen für den Tag X trai­niert haben, wur­de fest­ge­nom­men. Eini­ge von ihnen AfD-Funk­tio­nä­re. Heu­te schreibt die taz zu die­ser Gruppe:

Zu den Fest­ge­nom­men gehö­ren auch die Brü­der Jörg und Jörn S. aus Bran­dis, deren Vater in den 1980er Jah­ren bereits in der mili­tan­ten Neo­na­zi-Sze­ne in Öster­reich aktiv war. Jörg S. gilt der Bun­des­an­walt­schaft als Anfüh­rer der Gruppe. 

Lit­sch­ko, Kon­rad. 2024. Kurth finan­zier­te Ter­ror­ver­däch­ti­ge. taz 13.11.24. Berlin.

Das heißt, das wie­der eine Grup­pe von in den Osten gekom­me­nen West-Nazis gelei­tet wird. Ich bit­te, das zu berück­sich­ti­gen, wenn über „die Ossis“ berich­tet wird und ver­sucht wird, die Exis­tenz von Nazis im Osten irgend­wie auf Eigen­schaf­ten von Ossis zurückzuführen.

Übri­gens hat Peter Kurth, frü­her Ber­li­ner CDU-Sena­tor, den Ter­ro­ris­ten den Kauf eines Hau­ses finan­ziert. Ost-Nazis ver­fü­gen nor­ma­ler­wei­se nicht über aus­rei­chend Mit­tel zum Kauf von Häusern.

Quellen

Lit­sch­ko, Kon­rad. 2024. Kurth finan­zier­te Ter­ror­ver­däch­ti­ge. taz 13.11.24. Ber­lin. (https://www.taz.de/!6049011)

Lilane Eierdiebe, ostdeutsche Institute und Framing

Johan­nes Geck, Dok­to­rand am Insti­tut für Zeit­ge­schich­te München–Berlin, schreibt in einem Mei­nungs­bei­trag in der taz, dass das rechts­extre­me Insti­tut für Staats­po­li­tik erns­ter genom­men wer­den soll­te. Dem ist unbe­dingt zuzu­stim­men. Es gibt nur eine Klei­nig­keit in sei­nem Bei­trag, die mich extrem stört. Eigent­lich sind es zwei Klei­nig­kei­ten. Oder eine, die zwei­mal vorkommt.

Das Insti­tut war eine rechts­extre­me Denk­fa­brik, die rechts­extre­men Politiker*innen der AfD zuar­bei­te­te. Das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz und der Lan­des­ver­fas­sungs­schutz Sach­sen-Anhalt stuf­ten die Grup­pie­rung als „gesi­chert rechts­extrem“ und als ver­fas­sungs­feind­lich ein. Es wur­de 2024 auf­ge­löst, wohl um einem Ver­bot zuvorzukommen.

Geck schreibt:

In der deut­schen Bericht­erstat­tung über das Umfeld des neu­rech­ten Ver­le­gers Götz Kubit­schek ent­steht bis­wei­len der Ein­druck, es hand­le sich um einen Kreis ver­wirr­ter Hoch­stap­ler. Zuletzt sprach etwa die Spie­gel-Redak­teu­rin Ann-Kath­rin Mül­ler schmun­zelnd von „ganz viel pseu­do­in­tel­lek­tu­el­lem Gere­de“, das aus dem sach­sen-anhal­ti­ni­schen Schnell­ro­da zu ver­neh­men sei. Eine sol­che Ver­harm­lo­sung des inzwi­schen for­mal auf­ge­lös­ten Insti­tuts für Staats­po­li­tik ver­kennt jedoch des­sen Bedeu­tung für die radi­ka­le Rech­te und führt zu einer gefähr­li­chen Unter­schät­zung der orga­ni­sier­ten Geg­ner der libe­ra­len Demo­kra­tie. Neben Maxi­mi­li­an Krah und Ali­ce Wei­del sind die Prot­ago­nis­ten der Wahl­er­fol­ge im Osten, Björn Höcke, Jörg Urban und Hans-Chris­toph Berndt, gern gese­he­ne Gäs­te in der ost­deut­schen „Denk­fa­brik“.

Johan­nes Geck. 2024. Rech­te Extramei­len, taz, 08.11.2024, S. 12.

Framing

Johan­nes Geck ver­wen­det die Wort­grup­pe ost­deut­sche „Denk­fa­brik“ noch ein wei­te­res Mal in sei­nem Arti­kel. Es scheint ihm also wich­tig zu sein, einen Zusam­men­hang zwi­schen Rechts­extre­mis­mus und Ost­deutsch­land her­zu­stel­len. Das Fach­wort dafür ist Framing und die Hebbsche Lern­re­gel erklärt, was im Gehirn pas­siert: „What fires tog­e­ther wires tog­e­ther.“. Wenn Kon­zep­te immer wie­der in Bezie­hung zuein­an­der gesetzt wer­den, reicht es irgend­wann, eins der Kon­zept zu erwäh­nen. Im kon­kre­ten Fall wäre dann Ost­deutsch­land in den Gehir­nen der Medienkonsument*innen untrenn­bar mit Rechts­extre­mis­mus verknüpft.

„Bran­den­burg zeigt Hal­tung“ Demo­teil­neh­me­rin bei „Wir sind die Brand­mau­er“ Kund­ge­bung gegen den Faschis­mus, Ber­lin, 03.02.2024

Im gesamt­deut­schen Dis­kurs ist es bequem, das Gru­se­li­ge aus­zu­la­gern und zu exter­na­li­sie­ren. Die Nazis sind ost­deutsch. Sie sind alle so gewor­den, weil sie zu heiß geba­det wur­den (Rabe)/nebeneinander auf dem Töpf­chen sit­zen muss­ten (Pfei­fer, sie­he Decker, 1999)/unter den Kom­mu­nis­ten gelit­ten haben (der gan­ze Rest, sie­he Zei­tung, Fern­se­hen, irgend­was). Lei­der ist das zu kurz geschos­sen, denn Nazis bzw. Nazi-Wähler*innen gibt es auch in West­deutsch­land (und in Frank­reich, Ita­li­en, Öster­reich und in den USA, wo ja nun kaum die Kom­mu­nis­ten Schuld gewe­sen sein konn­ten). Die Grün­de für ent­spre­chen­des Wahl­ver­hal­ten sind oft ähn­lich und solan­ge das nicht erkannt wird, rut­schen wir wei­ter in Rich­tung Faschismus.

Westdeutsche Denkfabrik und westdeutsche Nazis

Hier noch kurz die Erklä­rung, war­um mich die Phra­se ost­deut­sche „Denk­fa­brik“ ärgert. Das Insti­tut für Staats­po­li­tik wur­de im Mai 2000 von Götz Kubit­schek, Karl­heinz Weiß­mann und dem Rechts­an­walt Ste­fan Hanz gegrün­det. Das Insti­tut hat­te sei­nen Sitz am Anfang in Bad Vil­bel (Hes­sen) und ist erst 2003 nach Schnell­ro­da in Sach­sen-Anhalt umge­zo­gen. Die Grün­der kom­men aus Ravens­burg (Baden-Würt­tem­berg) und Nort­heim (Nie­der­sach­sen). Die Her­kunft von Ste­fan Hanz ist mir nicht bekannt, ich ver­mu­te aber, dass er eben­falls aus dem Wes­ten kommt. Das Staats­po­li­tik-Insti­tut ist also eine west­deut­sche Denk­fa­brik, die seit 2003 im Osten ange­sie­delt ist.

Auch die auf­ge­zähl­ten Politiker*innen sind fast zur Hälf­te aus dem Wes­ten: Höcke und Wei­del sind bei­de aus NRW.

Lilane Eierdiebe und ultimative Attributionsfehler

Zum Pres­se­ko­dex gehört seit 2017 folgendes:

In der Bericht­erstat­tung über Straf­ta­ten ist dar­auf zu ach­ten, dass die Erwäh­nung der Zuge­hö­rig­keit der Ver­däch­ti­gen oder Täter zu eth­ni­schen, reli­giö­sen oder ande­ren Min­der­hei­ten nicht zu einer dis­kri­mi­nie­ren­den Ver­all­ge­mei­ne­rung indi­vi­du­el­len Fehl­ver­hal­tens führt. Die Zuge­hö­rig­keit soll in der Regel nicht erwähnt wer­den, es sei denn, es besteht ein begrün­de­tes öffent­li­ches Inter­es­se. Beson­ders ist zu beach­ten, dass die Erwäh­nung Vor­ur­tei­le gegen­über Min­der­hei­ten schü­ren könnte.

Wenn über einen Eier­dieb­stahl berich­tet wird, ist die Haut­far­be der Täter*in nor­ma­ler­wei­se irrele­vant und soll nicht genannt wer­den. Der Grund dafür ist genau das, was ich oben aus­ge­führt habe: Wenn stän­dig von lila­nen Eier­die­ben gespro­chen wird, ver­fes­tigt sich das Bild, dass alle Men­schen mit lila­n­er Haut­far­be Eier­die­be wären oder zum Eider­dieb­stahl nei­gen. Es kommt dann zum ulti­ma­ti­ven Attributionsfehler:

Erklärt man sich das Ver­hal­ten eines Men­schen damit, dass er Mit­glied einer sozia­len Grup­pe ist, spricht man seit Pet­ti­g­rew (1979) vom „ulti­ma­ti­ven Attri­bu­ti­ons­feh­ler“. Oft dient die­se dis­po­si­tio­na­le Ursa­chen­zu­schrei­bung der Auf­recht­erhal­tung von Vor­ur­tei­len („Er han­delt so, weil er Aus­län­der ist“).

Wiki­pe­dia­ein­trag ulti­ma­ti­ver Attri­bu­ti­ons­feh­ler, 09.11.2024

Folgt man die­sen Grund­sät­zen (Ossis sind eine Min­der­heit, da es fünf mal mehr Wes­sis als Ossis gibt, und sie haben in der Pres­se kei­ne Stim­me) und bedenkt, wor­um es in die­sem Mei­nungs­bei­trag geht, wird klar, dass das Wort ost­deutsch in Gecks Auf­satz Fehl am Plat­ze war. Die Lage des Insti­tuts war für die Aus­sa­ge, des Arti­kels irrele­vant. Der Effekt des Wor­tes ist das Framing von Rechts­extre­mis­mus als spe­zi­fisch ost­deutsch. Ob das die Absicht Gecks war, weiß ich nicht, aber wenn einem Dok­to­ran­den in Neue­rer und Neu­es­ter Geschich­te das aus Ver­se­hen pas­sie­ren wür­de, wür­de das auch nicht für ihn sprechen.

Axel Graf­manns und Miri­am Tödter von „Wir packen’s an Not­hil­fe für Geflüch­te­te“ aus Ber­lin-Bran­den­burg spre­chen auf der Ver­an­stal­tung „Wir sind die Brand­mau­er“ gegen Faschis­mus, die 1630 Orga­ni­sa­tio­nen mit­ein­an­der orga­ni­siert haben. Reichs­tag, Ber­lin, 03.02.2024

Schlussfolgerung

Hört bit­te auf damit, Rechts­extre­mis­mus als ost­deut­sches Pro­blem zu framen. Es ist unser aller Pro­blem. Guckt nach unten auf Eure Füße, sie ste­hen schon jetzt im brau­nen Matsch.

Quellen

Decker, Kers­tin. 1999. Das Töpf­chen und der Haß. tages­spie­gel. Ber­lin. (https://www.tagesspiegel.de/kultur/das-toepfchen-und-der-hass/77844.html)