Lilane Eierdiebe, ostdeutsche Institute und Framing

Johan­nes Geck, Dok­to­rand am Insti­tut für Zeit­ge­schich­te München–Berlin, schreibt in einem Mei­nungs­bei­trag in der taz, dass das rechts­extre­me Insti­tut für Staats­po­li­tik erns­ter genom­men wer­den soll­te. Dem ist unbe­dingt zuzu­stim­men. Es gibt nur eine Klei­nig­keit in sei­nem Bei­trag, die mich extrem stört. Eigent­lich sind es zwei Klei­nig­kei­ten. Oder eine, die zwei­mal vorkommt.

Das Insti­tut war eine rechts­extre­me Denk­fa­brik, die rechts­extre­men Politiker*innen der AfD zuar­bei­te­te. Das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz und der Lan­des­ver­fas­sungs­schutz Sach­sen-Anhalt stuf­ten die Grup­pie­rung als „gesi­chert rechts­extrem“ und als ver­fas­sungs­feind­lich ein. Es wur­de 2024 auf­ge­löst, wohl um einem Ver­bot zuvorzukommen.

Geck schreibt:

In der deut­schen Bericht­erstat­tung über das Umfeld des neu­rech­ten Ver­le­gers Götz Kubit­schek ent­steht bis­wei­len der Ein­druck, es hand­le sich um einen Kreis ver­wirr­ter Hoch­stap­ler. Zuletzt sprach etwa die Spie­gel-Redak­teu­rin Ann-Kath­rin Mül­ler schmun­zelnd von „ganz viel pseu­do­in­tel­lek­tu­el­lem Gere­de“, das aus dem sach­sen-anhal­ti­ni­schen Schnell­ro­da zu ver­neh­men sei. Eine sol­che Ver­harm­lo­sung des inzwi­schen for­mal auf­ge­lös­ten Insti­tuts für Staats­po­li­tik ver­kennt jedoch des­sen Bedeu­tung für die radi­ka­le Rech­te und führt zu einer gefähr­li­chen Unter­schät­zung der orga­ni­sier­ten Geg­ner der libe­ra­len Demo­kra­tie. Neben Maxi­mi­li­an Krah und Ali­ce Wei­del sind die Prot­ago­nis­ten der Wahl­er­fol­ge im Osten, Björn Höcke, Jörg Urban und Hans-Chris­toph Berndt, gern gese­he­ne Gäs­te in der ost­deut­schen „Denk­fa­brik“.

Johan­nes Geck. 2024. Rech­te Extramei­len, taz, 08.11.2024, S. 12.

Framing

Johan­nes Geck ver­wen­det die Wort­grup­pe ost­deut­sche „Denk­fa­brik“ noch ein wei­te­res Mal in sei­nem Arti­kel. Es scheint ihm also wich­tig zu sein, einen Zusam­men­hang zwi­schen Rechts­extre­mis­mus und Ost­deutsch­land her­zu­stel­len. Das Fach­wort dafür ist Framing und die Hebbsche Lern­re­gel erklärt, was im Gehirn pas­siert: „What fires tog­e­ther wires tog­e­ther.“. Wenn Kon­zep­te immer wie­der in Bezie­hung zuein­an­der gesetzt wer­den, reicht es irgend­wann, eins der Kon­zept zu erwäh­nen. Im kon­kre­ten Fall wäre dann Ost­deutsch­land in den Gehir­nen der Medienkonsument*innen untrenn­bar mit Rechts­extre­mis­mus verknüpft.

„Bran­den­burg zeigt Hal­tung“ Demo­teil­neh­me­rin bei „Wir sind die Brand­mau­er“ Kund­ge­bung gegen den Faschis­mus, Ber­lin, 03.02.2024

Im gesamt­deut­schen Dis­kurs ist es bequem, das Gru­se­li­ge aus­zu­la­gern und zu exter­na­li­sie­ren. Die Nazis sind ost­deutsch. Sie sind alle so gewor­den, weil sie zu heiß geba­det wur­den (Rabe)/nebeneinander auf dem Töpf­chen sit­zen muss­ten (Pfei­fer, sie­he Decker, 1999)/unter den Kom­mu­nis­ten gelit­ten haben (der gan­ze Rest, sie­he Zei­tung, Fern­se­hen, irgend­was). Lei­der ist das zu kurz geschos­sen, denn Nazis bzw. Nazi-Wähler*innen gibt es auch in West­deutsch­land (und in Frank­reich, Ita­li­en, Öster­reich und in den USA, wo ja nun kaum die Kom­mu­nis­ten Schuld gewe­sen sein konn­ten). Die Grün­de für ent­spre­chen­des Wahl­ver­hal­ten sind oft ähn­lich und solan­ge das nicht erkannt wird, rut­schen wir wei­ter in Rich­tung Faschismus.

Westdeutsche Denkfabrik und westdeutsche Nazis

Hier noch kurz die Erklä­rung, war­um mich die Phra­se ost­deut­sche „Denk­fa­brik“ ärgert. Das Insti­tut für Staats­po­li­tik wur­de im Mai 2000 von Götz Kubit­schek, Karl­heinz Weiß­mann und dem Rechts­an­walt Ste­fan Hanz gegrün­det. Das Insti­tut hat­te sei­nen Sitz am Anfang in Bad Vil­bel (Hes­sen) und ist erst 2003 nach Schnell­ro­da in Sach­sen-Anhalt umge­zo­gen. Die Grün­der kom­men aus Ravens­burg (Baden-Würt­tem­berg) und Nort­heim (Nie­der­sach­sen). Die Her­kunft von Ste­fan Hanz ist mir nicht bekannt, ich ver­mu­te aber, dass er eben­falls aus dem Wes­ten kommt. Das Staats­po­li­tik-Insti­tut ist also eine west­deut­sche Denk­fa­brik, die seit 2003 im Osten ange­sie­delt ist.

Auch die auf­ge­zähl­ten Politiker*innen sind fast zur Hälf­te aus dem Wes­ten: Höcke und Wei­del sind bei­de aus NRW.

Lilane Eierdiebe und ultimative Attributionsfehler

Zum Pres­se­ko­dex gehört seit 2017 folgendes:

In der Bericht­erstat­tung über Straf­ta­ten ist dar­auf zu ach­ten, dass die Erwäh­nung der Zuge­hö­rig­keit der Ver­däch­ti­gen oder Täter zu eth­ni­schen, reli­giö­sen oder ande­ren Min­der­hei­ten nicht zu einer dis­kri­mi­nie­ren­den Ver­all­ge­mei­ne­rung indi­vi­du­el­len Fehl­ver­hal­tens führt. Die Zuge­hö­rig­keit soll in der Regel nicht erwähnt wer­den, es sei denn, es besteht ein begrün­de­tes öffent­li­ches Inter­es­se. Beson­ders ist zu beach­ten, dass die Erwäh­nung Vor­ur­tei­le gegen­über Min­der­hei­ten schü­ren könnte.

Wenn über einen Eier­dieb­stahl berich­tet wird, ist die Haut­far­be der Täter*in nor­ma­ler­wei­se irrele­vant und soll nicht genannt wer­den. Der Grund dafür ist genau das, was ich oben aus­ge­führt habe: Wenn stän­dig von lila­nen Eier­die­ben gespro­chen wird, ver­fes­tigt sich das Bild, dass alle Men­schen mit lila­n­er Haut­far­be Eier­die­be wären oder zum Eider­dieb­stahl nei­gen. Es kommt dann zum ulti­ma­ti­ven Attributionsfehler:

Erklärt man sich das Ver­hal­ten eines Men­schen damit, dass er Mit­glied einer sozia­len Grup­pe ist, spricht man seit Pet­ti­g­rew (1979) vom „ulti­ma­ti­ven Attri­bu­ti­ons­feh­ler“. Oft dient die­se dis­po­si­tio­na­le Ursa­chen­zu­schrei­bung der Auf­recht­erhal­tung von Vor­ur­tei­len („Er han­delt so, weil er Aus­län­der ist“).

Wiki­pe­dia­ein­trag ulti­ma­ti­ver Attri­bu­ti­ons­feh­ler, 09.11.2024

Folgt man die­sen Grund­sät­zen (Ossis sind eine Min­der­heit, da es fünf mal mehr Wes­sis als Ossis gibt, und sie haben in der Pres­se kei­ne Stim­me) und bedenkt, wor­um es in die­sem Mei­nungs­bei­trag geht, wird klar, dass das Wort ost­deutsch in Gecks Auf­satz Fehl am Plat­ze war. Die Lage des Insti­tuts war für die Aus­sa­ge, des Arti­kels irrele­vant. Der Effekt des Wor­tes ist das Framing von Rechts­extre­mis­mus als spe­zi­fisch ost­deutsch. Ob das die Absicht Gecks war, weiß ich nicht, aber wenn einem Dok­to­ran­den in Neue­rer und Neu­es­ter Geschich­te das aus Ver­se­hen pas­sie­ren wür­de, wür­de das auch nicht für ihn sprechen.

Axel Graf­manns und Miri­am Tödter von „Wir packen’s an Not­hil­fe für Geflüch­te­te“ aus Ber­lin-Bran­den­burg spre­chen auf der Ver­an­stal­tung „Wir sind die Brand­mau­er“ gegen Faschis­mus, die 1630 Orga­ni­sa­tio­nen mit­ein­an­der orga­ni­siert haben. Reichs­tag, Ber­lin, 03.02.2024

Schlussfolgerung

Hört bit­te auf damit, Rechts­extre­mis­mus als ost­deut­sches Pro­blem zu framen. Es ist unser aller Pro­blem. Guckt nach unten auf Eure Füße, sie ste­hen schon jetzt im brau­nen Matsch.

Quellen

Decker, Kers­tin. 1999. Das Töpf­chen und der Haß. tages­spie­gel. Ber­lin. (https://www.tagesspiegel.de/kultur/das-toepfchen-und-der-hass/77844.html)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert