Ein Artikel in der taz über eine Ausstellung im jüdischen Museum beginnt mit der Unterüberschrift: „Jüdische Linke waren in der DDR willkommen. Obwohl sie ab 1933 vor den Nazis geflüchtet waren, wurden sie in der DDR bald antisemitisch diskriminiert.“ Diese Kurzzusammenfassung ist das, was viele Leser*innen als einziges lesen. Sie ist falsch.
Hier einige Passagen:
Die Geschichte der Zadeks war kein Einzelfall. Gemessen an der geringen Zahl der in Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR lebenden Jüdinnen und Juden waren diese überproportional oft in Führungspositionen vertreten. Das änderte sich, als man 1948 damit begann, massive Kontrollen aller Parteimitglieder und Funktionsträger durchzuführen.
Hier wird zuerst festgehalten, dass Jüd*innen willkommen waren und dass sie, da es sich ja auch um vertrauenswürdige Remigrant*innen handelte, in führende Positionen eingesetzt wurden.
Dann schreibt Jens Winter von stalinistischen Säuberungen:
Vor allem die „Westemigranten“ gerieten so ins Visier der Partei. Als Westemigranten bezeichnete man diejenigen, die vor dem Nationalsozialismus zunächst in den Westen geflohen oder in westliche Kriegsgefangenschaft geraten waren. Allein der Umstand der Westemigration genügte, um in Verdacht zu geraten, ein „imperialistischer“ oder „amerikanischer Agent“ zu sein. Reichte das zur Stützung einer Anklage nicht aus, warf man den Personen auch noch „Trotzkismus“ oder „Zionismus“ vor.
Ohne Jüdinnen und Juden explizit als Feinde zu benennen, wurden diese de facto oftmals zu den Opfern der bizarren Reinigungsrituale, die wegen ihrer Eigenlogik im Grunde unabschließbar waren.
Hier wird es interessant. Die Jüd*innen wurden nicht als Feinde benannt, was daran liegen könnte, dass sie nicht als solche wahrgenommen wurden. Und da es bei den Säuberungen auch um den Unterschied zwischen Ost- und Westemigrant*innen ging (Osten = Moskau = gut und vertrauenswürdig, Westen = kapitalistisch und dubios), waren eben Jüd*innen, die aus dem Westen zurückkamen in der Zeit der Säuberungen einem Generalverdacht ausgesetzt, so wie Nicht-Jüd*innen auch.
Auch Gerhard Zadek wurde 1952 nach der Auflösung des Amts für Information nach Mecklenburg versetzt. Zu diesem Zeitpunkt lebte er gerade erst fünf Jahre wieder in Deutschland. In Mecklenburg sollte er von nun an stellvertretend das SED-Bezirksorgan Freie Erde leiten – eine Degradierung. Als er 1953 trotz seines Studiums auch noch Gießereiarbeiter werden sollte, verweigerte er sich. Er sattelte um, studierte Patentingenieurwesen und wurde anschließend Direktor des VEB Schwermaschinenbaus. Alice Zadek wurde zur Schulungsleiterin für die Nationale Front herabgesetzt.
Diese Passage zeugt von einer Unkenntnis der DDR. In Ungnade Gefallene wurden nicht Direktor des VEB Schwermaschienenbaus. Das war eine verantwortungsvolle Position und letztendlich eine Rehabilitation. Wenn es einen irgendwie gearteten strukturellen Antisemitismus gegeben hätte, wäre Gerhard Zadek raus gewesen und nicht Direktor. Genauso wenig wird man zur Schulungsleiterin für die Nationale Front. Das wurden nur vollständig ins System integrierte Personen.
Auch waren nicht ausschließlich Jüdinnen und Juden von den Säuberungen betroffen, jedoch häufig. Ostemigranten blieben dagegen in der Regel verschont, auch wenn sie jüdisch waren.
Hier schreibt Jens Winter es selbst. Gerhard und Alice Zadek waren nach London emigriert und als Westemigranten verdächtig. Der Artikel ist, wie viele, tendenziös mit einer irreführenden Überschrift. Die willige Leser*in kann die Details aber immerhin im Text finden und sich dann über die Widersprüchlichkeit wundern.
In der Ausstellung im Jüdischen Museum kommen Parteikontrollverfahren und ihre Eigenlogik leider zu kurz. Dabei wäre es sinnvoll gewesen, gerade hier genauer hinzusehen, um ein Bild von der Vielgestaltigkeit des Antisemitismus zu vermitteln. Auch hätte das Thema die Möglichkeit geboten, diese in dieser Form spezifische historische Verbindung von Kommunismus und Antisemitismus aufzuzeigen.
Wie schon in einer ersten Besprechung durch einen anderen Autor wirft der Autor dieses Artikels dem Jüdischen (!!) Museum vor, nicht noch mehr Antisemitismus gefunden zu haben. Vielleicht liegt es einfach daran, dass es ihn abgesehen von den stalinistischen Prozessen in den 50er Jahren nicht gab.
Max Kahane wird angesprochen, aber es wird glatt unterschlagen, wie Max Kahanes Leben nach der Ablösung 1952 im Zusammenhang mit den Prozessen in der CSSR weiter verlief. Max Kahane war ganz oben mit dabei. Er hatte 1949 ADN gegründet. Nach 1952 hat er im Ausland Prozesse begleitet (Eichmann), war Leiter des NDs und somit die röteste Socke im ganzen Land. Wikipedia listet die folgenden Auszeichnungen auf:
- 1956: Hans-Beimler-Medaille der DDR – als ehemaliger Kämpfer der Internationalen Brigaden
- 1959: Vaterländischer Verdienstorden der DDR (Silber)
- 1961: Franz-Mehring-Ehrennadel des Verbandes der Journalisten der DDR
- 1970: Vaterländischer Verdienstorden der DDR (Gold)
- 1974: Ehrenspange zum Vaterländischen Verdienstorden
In meinem Beitrag „Der Ossi und der Holocaust“ gebe ich eine Liste von jüdischen Personen an, die in der DDR höchst angesehen waren und in Kultur, Wissenschaft oder Politik wichtige Positionen innehatten.
Die Sache mit dem Antisemitismus in der DDR ist Quatsch. Die DDR allgemein war antireligiös. Christ*innen konnten in der SED keine Karriere machen, weil Religion als Opium für’s Volk galt. Das galt nicht für Jüd*innen, wobei die meisten ohnehin nicht religiös waren. Die Haltung zu Israel war kritisch, weil Israel im anderen Block war. Ich weiß, dass es manchen schwer fällt, das auseinanderzuhalten, aber aus einer kritischen Haltung gegenüber Israel von einem Ostblockstaat folgt nicht unbedingt Antisemitismus.
Im Artikel wird eine Sendung im Deutschlandfunk zitiert. Zwei Braschs (Marion, Lena) unterhalten sich mit Peter Kahane. Marion Brasch berichtet, wie sie als Jungpionier 1974 den PLO-Chef Yassir Arafat am Werbellinsee begrüßt hat. Ihre Mutter meinte: „Wenn der wüsste, dass Du Jüdin bist.“. Für mich ist das ein weiteres Zeichen dafür, dass das Jüdischsein in der DDR überhaupt keine Rolle gespielt hat. Es war für den Staatsapparat kein Problem ein Kind aus einer jüdischen Familie den Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation begrüßen zu lassen. Die Familie Brasch war sehr bekannt (der Vater Horst Brasch war Kulturminister) und jeder wusste, dass es sich um eine jüdische Familie handelte, also war es auch den zuständigen Organen bekannt, wer da wen begrüßte.
Quellen
Hollersen, Wiebke. 2023. Jüdisch in der DDR: Eine Reise zu den „kaputtgegangenen Träumen“ der Eltern. Berliner Zeitung. Berlin. (https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/juedisch-in-der-ddr-eine-reise-zu-den-kaputt-gegangenen-traeumen-der-eltern-im-juedischen-museum-berlin-li.386242) 06.09.2023