Das leidige Thema: Gendern

Heu­te Nacht habe ich von Prof. Dr. Hei­de Wege­ner eine Mail mit dem Betreff „Das lei­di­ge The­ma“ bekom­men. Hei­de Wege­ner schreibt immer wie­der in der WeLT zu die­sem lei­di­gen The­ma. Sie hat mir ein PDF eines WeLT-Arti­kels (pay­wall) geschickt, der eine kür­ze­re Ver­si­on eines Auf­sat­zes ist, der in einem lin­gu­is­ti­schen Sam­mel­band erschei­nen wird.

Ich gen­de­re und habe das in einem Blog­post hier schon erklärt (Gen­dern, arbei­ten und der Osten). Wie ich da geschrie­ben habe, bin ich der Mei­nung, dass die Fra­ge der Gleich­stel­lung eine öko­no­mi­sche ist und dass es des­halb wich­tig ist, die Infra­struk­tur, die Fami­li­en brau­chen, damit alle arbei­ten kön­nen, aus­zu­bau­en und zu finanzieren.

Hier eini­ge kur­ze Kom­men­ta­re zu Hei­de Wege­ners Artikel:

Wege­ner beschäf­tigt sich mit dem gene­ri­schen Mas­ku­li­num und mit Stu­di­en, die zei­gen sol­len, dass es sich nur auf Mas­ku­li­na bezie­hen wür­de. Ich habe das Gen­dern selbst lan­ge abge­lehnt und dann aber, weil ich durch Prof. Dr. Hen­ning Lobin (Lei­ter des Insti­tuts für Deut­sche Spra­che in Mann­heim) auf fol­gen­de Stu­die auf­merk­sam gewor­den bin, mit dem Gen­dern begonnen:

Stahl­berg, Dag­mar, Sabi­ne Sczes­ny & Frie­de­ri­ke Braun. 2001. Name your favo­ri­te musi­ci­an: Effects of mas­cu­li­ne gene­rics and of their alter­na­ti­ves in Ger­man. Jour­nal of Lan­guage and Social Psy­cho­lo­gy 20(4). 464–469. DOI: 10.1177/0261927X01020004004.

Ich weiß noch genau, wie ich mich im DFG-Fach­kol­le­gi­um mit Prof. Hel­muth Feil­ke über die Expe­ri­men­te unter­hal­ten habe und er mein­te, dass das nicht so ein­fach wäre, denn, was man expe­ri­men­tell nach­wei­sen wür­de, wären Kli­schees. Das wür­de auch im Eng­li­schen funk­tio­nie­ren, wo es die ent­spre­chen­den Endun­gen ja gar nicht gibt. Hier ist das ent­spre­chen­de Bei­spiel, das auf die Psy­cho­lo­gin­nen Mikae­la Wap­man und Debo­rah Bel­le zurückgeht. 

Hei­de Wege­ner dis­ku­tiert nun eini­ge Bei­spie­le, die genau das auch für das Deut­sche zeigen.

Eins der Expe­ri­men­te, die betrach­tet wer­den, bestand dar­in, dass Proband*innen Schauspieler*innen, Politiker*innen und Superheld*innen nen­nen soll­ten. Dabei wur­de die Auf­ga­be immer mit gene­ri­schem Mas­ku­li­num, als Paar­form (Poli­ti­ker und Poli­ti­ke­rin­nen) und mit gro­ßem I gestellt.

Dies Ergeb­nis ist von grundsätzlicher Bedeu­tung, zeigt es doch: Real exis­tie­ren­de Ver­tre­ter, zumal in Spit­zen­po­si­tio­nen, mit Bildschirmpräsenz (Kanz­le­rin, Fuß­ball­star), wir­ken prägend, beein­flus­sen Bedeu­tung und Veränderung von Berufs- und Rol­len­bil­dern stärker als sprach­li­che Änderungen. Die Grund­an­nah­me der Femi­nis­ti­schen Lin­gu­is­tik, Spra­che deter­mi­nie­re das Den­ken und die­ses dann die sozia­le Realität, wird hier vom Kopf auf die Füße gestellt.

Dass die Wirk­lich­keit unse­re Kli­schees formt, hat wohl nie­mand jemals wirk­lich in Fra­ge gestellt. Dass die Art, wie wir über Per­so­nen und Din­ge reden, die Welt beein­flusst, wird wohl aber auch kei­ne Sprachwissenschaftler*in ernst­haft abstrei­ten wol­len. Das Stich­wort ist Framing und jede Linguist*in soll­te das Buch LTI von Vic­tor Klem­pe­rer ken­nen, der sich mit der Spra­che der Nazis aus­ein­an­der­setzt. Auch heu­te wird bewusst von Flücht­lings­strö­men, Mes­ser­män­nern und so wei­ter gespro­chen. Spra­che beein­flusst unser Den­ken, das lässt sich nicht von der Hand wei­sen, auch wenn es einem beim Gen­dern gera­de nicht passt.

Setzt man den Ost-West-Unter­schied im Gebrauch von Gen­der­spra­che, die nach Ent­ste­hung und Ver­brei­tung ein eher west­deut­sches Phänomen ist, in Rela­ti­on zu den Zah­len für den Gen­der Pay Gap in den alten und neu­en Bundesländern, so zeigt sich: Wo gegen­dert wird, ist die Lohnlücke größer (alte Bundesländer 19 Pro­zent, neue Bundesländer 6 Pro­zent, unbe­rei­nigt). Der behaup­te­te eman­zi­pa­to­ri­sche Effekt von Gen­der­spra­che erscheint als from­me Schimäre.

Die­se Aus­sa­ge ist inter­es­sant, nur dass das Eine nichts mit dem Ande­ren zu tun hat. Ein Ziel des Gen­derns ist es, Wert­schät­zung für Frau­en und Trans-Men­schen aus­zu­drü­cken, sie sicht­bar zu machen. Gera­de auch dort, wo sie ent­spre­chend der Kli­schees nicht erwar­tet sind. Der Gen­der Pay Gap ist die unter­schied­li­che Ent­loh­nung für die­sel­be Arbeit. Eine Frau bekommt auf der­sel­ben Stel­le weni­ger als ein gleich qua­li­fi­zier­ter Mann. Pro­fes­so­rin­nen bekom­men oft weni­ger als Pro­fes­so­ren, auch weil sie das selbst anders verhandeln. 

Schaut man sich den geo­gra­phi­cal pay gap, den Unter­schied in der Bezah­lung zwi­schen West und Ost für glei­che Arbeit an, so liegt der bei 22,5%. Dirk Osch­mann schreibt Fol­gen­des zu den Details:

Bei Tex­til­fir­men sind die unge­heu­er­li­chen Unter­schie­de mit 69,5 Pro­zent am größ­ten, aber auch die belieb­te Auto­in­dus­trie kann sich mit 41,3 Pro­zent noch sehen las­sen, gefolgt von Maschi­nen­bau mit 40,4 Pro­zent, der Her­stel­lung von IT-Gütern mit 39,8 Pro­zent und der Schiff­fahrt mit 38,9 Pro­zent. Und natür­lich bekommt der Osten signi­fi­kant weni­ger oder gar kein Weih­nachts­geld, wie der Spie­gel im Novem­ber 2022 meldet.

Dirk Osch­mann, 2022, Der Osten – Eine West­deut­sche Erfin­dung, S. 66

Das bedeu­tet, das Frau­en und Män­ner ohne­hin schon weit unter dem West-Niveau bezahlt wer­den. Am größ­ten ist der Unter­schied übri­gens in einem klas­si­schen Frau­en­be­ruf: im Tex­til­be­reich bei den Näher*innen. Dass ein Mann in die­sem Bereich dann nur unwe­sent­lich mehr ver­dient … Tja. Viel­leicht ist die Aus­beu­tung im Osten dann ins­ge­samt so groß, dass man die Frau­en schlecht noch schlech­ter bezah­len kann. Ein kon­kre­tes Bei­spiel aus mei­ner Ver­wandt­schaft: Eine Frau arbei­tet als Ver­käu­fe­rin und fährt mit dem Fleisch­wa­gen übers Land. Wenn sie das Ren­ten­ein­tritts­al­ter erreicht haben wird, wird sie die Min­dest­ren­te bekom­men, denn das Geld, das sie in die Ren­ten­ver­si­che­rung ein­ge­zahlt hat, reicht nicht für mehr und das, obwohl sie ihr Gan­zes Leben Voll­zeit gear­bei­tet hat. Wenn man vor die­sem Hin­ter­grund einen Arti­kel mit dem Titel Wo gegen­dert wird, ist die Lohn­lü­cke grö­ßer in der Sprin­ger-Pres­se ver­öf­fent­licht, ist das an Zynis­mus eigent­lich nicht zu über­bie­ten. Aber wahr­schein­lich ist es ein­fach nur Unwis­sen­heit: Der Osten ist so weit weg, selbst für Professor*innen, die mit­ten drin wohnen.

Die Unter­schie­de zwi­schen West- und Ost-Gesell­schaft sind so gewal­tig, dass Wege­ners Ver­gleich des Gen­der Pay Gaps ohne wei­te­re Auf­schlüs­se­lung rele­van­ter Fak­to­ren ein­fach unzu­läs­sig ist. Im Osten krie­gen die Frau­en seit der Wen­de weni­ger Kin­der, was viel­leicht der Kar­rie­re för­der­lich ist. Die Kin­der­ver­sor­gung all­ge­mein ist bes­ser. In Bay­ern kann Mut­ti das Kind in der Kita abge­ben und dann den Ein­kauf erle­di­gen. Mit­tags kom­men die Kin­der zurück. Im Osten sind Ein­rich­tun­gen mit Ganz­tags­be­treu­ung die Norm (Krip­pe, Kin­der­gar­ten, Schule+Hort). Dass Frau­en Voll­zeit arbei­ten, ist nor­mal. All das müss­te man in Über­le­gun­gen ein­be­zie­hen. Was Wege­ner ver­glei­chen müss­te, ist eine West­deut­sche Gesell­schaft mit und ohne Gen­dern. Das ist nicht so ein­fach, aber viel­leicht gibt es gesell­schaft­li­che Berei­che, in denen man die Aus­wir­kung von inklu­si­ver Spra­che expe­ri­men­tell nach­wei­sen kann.

(Nach­trag vom 20.05.2023: Der MDR hat erklärt, wodurch der gerin­ge­re unbe­rei­nig­te Gen­der-Pay-Gap im Osten zustan­de kommt: Deutsch­land­kar­te zum Gen­der Pay Gap: Lohn­lü­cke im Osten klei­ner. Es liegt dar­an, dass Män­ner im Osten in schlech­ter bezahl­ten Beru­fen arbei­ten. Die gut bezahl­ten Indus­trie-Jobs sind im Wes­ten. Ossis arbei­ten z.B. bei Lager­wirt­schaft, Post und Zustel­lung, Frau­en in ver­gleichs­wei­se bes­ser bezahl­ten Beru­fen wie in der Ver­wal­tung. Der berei­nig­te Gen­der-Pay-Gap [glei­cher Beruf, glei­che Qua­li­fi­ka­ti­on] liegt bei 10,8 % im Osten und 15,3 % im Wes­ten, ein Unter­schied von nur 4,5%, der sich viel­leicht über die von mir oben ange­spro­che­nen Fak­to­ren erklä­ren lässt.)

Das wirft die Fra­ge auf, ob gene­ri­sche und gegen­der­te Sprach­for­men gleich­wer­tig sind. Für die­se Annah­me spricht das der­zei­ti­ge Neben­ein­an­der bei­der For­men: Die meis­ten Deutsch­spre­cher wech­seln heu­te pro­blem­los zwi­schen dem gene­ri­schen Mas­ku­li­num und geschlech­ter­ge­rech­ter Spra­che hin und her, sie gebrau­chen pas­siv in den Medi­en Gen­der­for­men, aktiv aber wei­ter das gene­ri­sche Mas­ku­li­num – ohne Verständigungsprobleme.

Dass es beim gene­ri­schen Mas­ku­li­num Ver­stän­di­gungs­pro­ble­me geben wür­de, hat nie­mand behaup­tet, die Kom­mu­ni­ka­ti­on funk­tio­nier­te in den letz­ten Jahr­hun­der­ten auch. Es ist eine Fra­ge der Inklu­si­on, eine Fra­ge der Höf­lich­keit, ob man eine umständ­li­che­re Form wählt und damit Frau­en und Trans-Per­so­nen expli­zit mit­nennt und expli­zit anspricht.

Viel­leicht kann man das am bes­ten mit einem Bei­spiel ver­deut­li­chen: Wenn wir Behör­den anschrei­ben oder Mails an Empfänger*innen, bei denen wir nicht wis­sen, wer die Mail letzt­end­lich lesen wird, schrei­ben wir „Sehr geehr­te Damen und Her­ren“. Ich habe 2021 eine Kon­fe­renz orga­ni­siert und eine Mail an den all­ge­mei­nen Kon­fe­renz­ac­count bekom­men, die mit „Dear Sirs“ begann. Der Schrei­ber der Mail ist wohl davon aus­ge­gan­gen, dass nur Män­ner die­se Kon­fe­renz orga­ni­sie­ren würden/könnten, was unan­ge­bracht und belei­di­gend für Frau­en auf der Emp­fän­ger­sei­te ist. Man kann ande­re Anre­den wäh­len. „To whom it may con­cern“ oder „Hi“. Im Deut­schen „Hal­lo“, „Lie­bes Glo­be­trot­ter-Team“ oder eben die expli­zi­te Form „Sehr geehr­te Damen und Her­ren“. Alles wird ver­stan­den, aber es gibt Unter­schie­de im Stil und im Register.

Ein Abschnitt in Hei­de Wege­ners Text trägt die Über­schrift „Die Welt prägt die Spra­che, nicht die Spra­che die Welt“. Ich möch­te behaup­ten, dass Spra­che und Welt in einer Wech­sel­wir­kung zuein­an­der ste­hen. Der Ton macht die Musik, wie oben bei den Anre­den gezeigt. Ein wei­te­res Bei­spiel: Es gibt sehr vie­le Wör­ter, mit denen man sich auf Men­schen mit Behin­de­rung bezie­hen kann. Alle wer­den ver­stan­den. Man­che sind wert­schät­zend, man­che ver­let­zend. Ich möch­te in einer inklu­si­ven Welt leben, die es allen erlaubt, ihren Mög­lich­kei­ten ent­spre­chend teil­zu­ha­ben, sich ver­stan­den zu füh­len und mit­ge­nom­men zu werden.

Gendern und Klimakleber

Beim Nach­den­ken über das Gen­dern und die Aktio­nen der Letz­ten Gene­ra­ti­on, Extinc­tion Rebel­li­on und Sci­en­tist Rebel­li­on ist mir klar gewor­den, dass die Ableh­nung und der Hass wahr­schein­lich Ergeb­nis ähn­li­cher Pro­zes­se sind. Die Kli­makle­ber gehen nicht weg. Das hört ein­fach nicht auf. So wie die Kli­ma­kri­se auch nicht auf­hört. Die Klimabürger*innen erin­nern uns täg­lich dar­an, das wir als Gesell­schaft, als der Nor­den eigent­lich auf einem ganz ande­ren Kurs sein müss­ten und dass unse­re Regie­run­gen ver­sa­gen. Genau­so erin­nern Men­schen, die gen­dern, Men­schen, die nicht gen­dern, in jedem Satz an ein struk­tu­rel­les Unrecht, an Ungleich­be­hand­lung, dar­an, dass mann Pri­vi­le­gi­en auf­ge­ben muss. Es stört, es nervt. In etwas so Schö­nem wie der Spra­che. Es stört, es nervt. Bei etwas so Schö­nem Not­wen­di­gem wie dem Weg zur Arbeit.

Die Unter­bre­chung und mini­ma­le Ver­zö­ge­rung durch den Glo­tal­ver­schluss ist dabei nicht gegen die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­part­ner gerich­tet. Sel­bi­ges gilt auch für die Ver­grö­ße­rung der ohne­hin schon vor­han­de­nen Staus. Die­se Unter­bre­chun­gen mar­kie­ren ein­fach Unge­rech­tig­kei­ten und Pro­ble­me, die sich aus unse­rem Wei­ter-So ergeben.

Weil bei­des nervt, gibt es schlaue (und auch dum­me) Men­schen, die Grün­de fin­den, war­um das Gen­dern nicht „funk­tio­nie­ren“ wür­de, was dar­an falsch sei, ein­fach über­se­hend, dass Men­schen es tun und ver­stan­den wer­den. Und so gibt es schlaue (und dum­me) Men­schen, die der Letz­ten Gene­ra­ti­on erklä­ren, was die doch gefäl­ligst tun soll­ten, oft ver­ken­nend, dass sie all das auch tun oder schon getan haben.

Also: All das wird so lan­ge blei­ben, bis Frau­en gleich­be­rech­tigt sind (oder län­ger, weil das Gen­dern dann nor­mal gewor­den ist) und bis wir als Gesell­schaf­ten Wege gefun­den haben, mit der Kli­ma­ka­ta­stro­phe adäquat umzu­ge­hen und noch Schlim­me­res zu ver­hin­dern (und hof­fent­lich nicht län­ger, weil die Stö­run­gen nicht nor­mal werden).

Quellen

Wege­ner, Hei­de. 2023. Wo gegen­dert wird, ist die Lohn­lü­cke grö­ßer. In Mei­nun­ger, André & Trut­kow­ski, Ewa (eds.), Gen­dern – auf Teufel*in komm raus? Ber­lin: Kul­tur­ver­lag Kadmos.

Osch­mann, Dirk. 2023. Der Osten: eine west­deut­sche Erfin­dung. Ber­lin: Ull­stein Buchverlage.

MDR. 2023. Deutsch­land­kar­te zum Gen­der Pay Gap: Lohn­lü­cke im Osten klei­ner. (https://www.mdr.de/wissen/geld-verdienen-lohn-frauen-maenner-luecke-ost-west-equal-pay-day102.html)

Ein Gedanke zu „Das leidige Thema: Gendern

  1. Auf den Ost-West-Gap gehe ich so wenig ein wie auf das Nord-Süd-Gefäl­le oder sons­ti­ge Benach­tei­li­gun­gen, etwa auf­grund von Haut­far­be oder Her­kunft, denn auch die schärfs­ten Gen­de­rer bean­spru­chen nicht, alle Pro­ble­me die­ser Welt zu lösen, sie wol­len nur die Gleich­stel­lung von Frau­en beför­dern. Beim Gen­dern geht es um Geschlecht und Gen­der, nur dar­um geht es mir hier.
    Ost-Frau­en erklä­ren mir, sie hät­ten „das nicht nötig“, das = die For­men der Gen­der­spra­che, und ich den­ke, sie haben recht. Ich bewun­de­re sie dafür, dass sie viel frü­her als die im Wes­ten nicht nur Fri­seur, son­dern auch Mecha­ni­ker lern­ten und nicht nur Päd­ago­gik und Kunst­ge­schich­te stu­dier­ten, son­dern auch Maschi­nen­bau und Phy­sik. Und anstatt den Kin­dern For­men wie dem/*der Patient*in bei­zu­brin­gen, soll­ten die Leh­rer sie bes­ser dazu ani­mie­ren, auch die MINT-Fächer zu studieren.

    Der ange­führ­te Test prüft musi­ci­an, also For­men im Sin­gu­lar – und damit ist er völ­lig wert­los, was gene­ri­sche Les­art angeht, denn im Sin­gu­lar sind die Nomen nur in amt­li­chen Tex­ten gene­risch, sonst fast nie (Mit dem Abitur erwirbt der Schü­ler…). Das zei­gen auch die Ergeb­nis­se des ange­führ­ten Tests S.3 : „Es ergibt sich, dass Sin­gu­lar­for­men bei­der Wort­klas­sen zu 83 Pro­zent als „männ­lich“, Plu­ral­for­men aber zu 97 Pro­zent als „neu­tral“ bewer­tet wer­den. Im Plu­ral gel­ten Berufs­be­zeich­nun­gen zu 94, Rol­len­be­zeich­nun­gen sogar zu 99 Pro­zent als „neu­tral““. Kon­se­quenz: Im Sin­gu­lar muss man die movier­te Form benut­zen. Des­halb lässt sich auch der Chir­ur­gen­text nicht aufs Deut­sche über­tra­gen. Nie­mand wür­de eine Chir­ur­gin (im refe­ren­zi­el­len Modus!) mit Chir­urg bezeich­nen, nicht mal Ost­frau­en. Die unter­schei­den sehr genau zwi­schen refe­ren­zi­el­ler und gene­ri­scher Les­art: „Ich bin / sie ist Arzt – aber: Mei­ne Ärz­tin meint…
    Aber auch die Tests mit Plu­ral­for­men bestä­ti­gen nicht die Behaup­tung von Femi­nis­ten, Gene­ri­sche Mas­ku­li­na wür­den eher spe­zi­fisch als ‚männ­lich‘ ver­stan­den, weder die ori­gi­na­len Tests von 2001 oder 2008 noch die von Schunack/Binanzer durch­ge­führ­ten Unter­su­chun­gen, s. ZS 2022. Es gibt kei­nen Grund, das GM zu mei­den. Im Gegen­teil: Die bes­te Art, die Kern­be­deu­tung von Berufs-und Rol­len­be­zeich­nun­gen aus­zu­drü­cken, ist die unmar­kier­te Grund­form, Freund, Arzt, Viro­lo­ge. Da die­se For­men kein Merk­mal für Geschlecht ent­hal­ten, unter­spe­zi­fi­ziert also sind, schlie­ßen sie alle Geschlech­ter ein und sind dadurch inklu­siv. Auch das Suf­fix der Nomi­na agen­tis ‑er ist kein Merk­mal für ‚männ­lich‘, son­dern für den Agens, im Gegen­satz zu ‑ling für den Pati­ens, Leh­rer — Lehr­ling. Wäre es anders, dann hät­ten wir in Lehr-er-in zwei sich gegen­sei­tig aus­schlie­ßen­de Mor­phe­me hin­ter­ein­an­der, etwas, was es m.W. in natür­li­chen Spra­chen nicht gibt.
    Ich bezweif­le auch, ob nicht-binä­re oder homo­se­xu­el­le oder Trans-Men­schen wirk­lich den stän­di­gen Hin­weis auf ihr Anders­sein wol­len. Wol­len die nicht viel­leicht lie­ber ein­fach nur dazu­ge­hö­ren? Mit *For­men im Sin­gu­lar (die Autorin A und die Regisseur*in B) wer­den (nicht)binäre Men­schen gera­de­zu geoutet. Wol­len die das überhaupt? 

    Es geht nicht nur um „Unter­bre­chung und mini­ma­le Ver­zö­ge­rung“, die mas­si­ve Ableh­nung durch die spre­chen­de Mehr­heit beruht u.a. auf der über­trie­be­nen, da inhalt­lich nicht gerecht­fer­tig­ten Expli­zi­tät der Gen­der­for­men. Etwa stellt die Paar­form Schü­ler und Schü­le­rin­nen für Spre­cher, für die ‚Schu­le‘ ganz selbst­ver­ständ­lich Jun­gen und Mäd­chen ein­schließt (in Deutsch­land, nicht in Afgha­ni­stan), kei­nen kom­mu­ni­ka­ti­ven Nut­zen, son­dern eine Zumu­tung dar. Für sie ist die Infor­ma­ti­on, dass neben Schü­lern auch Schü­le­rin­nen …, über­in­for­ma­tiv und führt des­halb zu Ver­druss. Sie ver­stößt gegen die Gri­ce­sche Kon­ver­sa­ti­ons­ma­xi­me der Rele­vanz, vgl. Gri­ce (1975:45): „Do not make your con­tri­bu­ti­on more infor­ma­ti­ve than is requi­red.“ Geglück­te Kom­mu­ni­ka­ti­on setzt vor­aus, dass die Infor­ma­ti­on eine Infor­ma­ti­ons­lü­cke schließt, dass beim Gesprächs­part­ner eine Lücke, Unwis­sen­heit also besteht. Eine Infor­ma­ti­on, die kei­ne Lücke schließt, ist nicht nur über­flüs­sig, sie ist belei­di­gend. Denn so dumm ist der Hörer nicht und will auch nicht so behan­delt werden.

    Wenn es dar­um geht, alle anzu­spre­chen, wie oft behaup­tet, so tun wir das doch schon lan­ge, indem wir Sehr geehr­te Damen und Her­ren oder lie­be Zuschau­er und Zuschaue­rin­nen sagen.
    Wer so argu­men­tiert und damit „geschlech­ter­ge­rech­te“ Spra­che all­ge­mein recht­fer­tigt, ver­kennt den Unter­schied der drei Funk­tio­nen des Sprach­zei­chens (Orga­non­mo­dell):
    In der Anre­de ist das Sprach­zei­chen Signal und erfüllt die Appell­funk­ti­on. Weit über­wie­gend, wenn wir über jn reden, ist es aber Sym­bol und erfüllt die Dar­stel­lungs­funk­ti­on. Schließ­lich ist es Sym­ptom und erfüllt dann die Aus­drucks­funk­ti­on, sagt etwas über den Spre­cher aus. Und in den meis­ten Fäl­len scheint mir das die eigent­li­che Moti­va­ti­on zu sein: Gen­dern dient der Image­pfle­ge, es soll den Spre­cher als woke, als pro­gres­siv aus­wei­sen. Es ist eine Mode, und Moden sind end­lich. Wer erin­nert sich noch an das Pro­no­men “frau”?
    Natür­li­cher Sprach­wan­del geht anders und hat ande­re Zie­le, noch nie haben kom­pli­zier­te­re For­men die ein­fa­che­ren ver­drängt. Hier liegt Sprach­len­kung, der Ver­such einer Sprach­len­kung vor. 

    Ob er dau­ert, bis die Frau­en gleich­be­rech­tigt sind? In ande­ren Spra­chen hat man die Suf­fi­xe längst abge­schafft, schon M. That­cher woll­te Prime Minis­ter sein, nicht Ministress. Sind die Bri­ten frau­en­feind­lich, sind sie noch stär­ker als wir unter­drückt vom Patri­ar­chat? Oder sind sie im Gegen­teilt eman­zi­pier­ter als wir? Die „geschlech­ter­ge­rech­ten“ For­men wer­den als dis­kri­mi­nie­rend emp­fuin­den: W. Gold­berg „I’m an actor , I can play any­thing“, Cate Blan­chett lehnt actress ab und besteht sogar als Diri­gen­tin im Film auf der Anre­de Maes­tro, nicht Maes­tra. Nele Pol­lat­schek und Sophie Rois leh­nen die deut­schen For­men ab.
    In der Schweiz, in der zunächst mehr gegen­dert wur­de als in Deutsch­land, was ver­ständ­lich ist, hat­ten dort die Frau­en doch erst 1971 das Wahl­recht erlangt, wird jetzt eine “Renais­sance des Gene­ri­schen Mas­ku­li­nums“ beob­ach­tet, bei Stu­den­tin­nen unter 25 (s. J. Schrö­ter, A. Lin­ke, N. Buben­ho­fer 2012: „Ich als Lin­gu­ist“. Eine empi­ri­sche Stu­die zur Ein­schät­zung und Ver­wen­dung des Gene­ri­schen Mas­ku­li­nums, in: Susan­ne Günth­ner u.a. Gen­der­lin­gu­is­tik, Sprach­li­che Kon­struk­ti­on von Geschlechts­iden­ti­tät, Ber­lin: de Gruy­ter, 359–379, DOI :10.1515/9783110272901.359
    Ich habe kei­nen Zugang zu Stu­den­tin­nen mehr, kann das aber durch ein­zel­ne Teen­ager bestä­ti­gen. Die fin­den Gen­dern doof und kari­kie­ren es durch die Kür­zel die SuS und die LuL und dann wei­ter zu die Sus und die Lul. 

    Außer­dem gibt es Kol­la­te­ral­schä­den. Die schon erwähn­ten For­men dem*der Arzt*in (in Papie­ren der Cha­ri­té mas­sen­haft) machen die deut­sche Spra­che nun wirk­lich nicht leich­ter für die (DaF)Lerner.
    Und die­sel­ben Leu­te, die so viel von Dif­fe­ren­zie­rung reden, opfern die durch­aus sinn­vol­le Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen der Bezeich­nung für eine aktu­el­le Tätig­keit und der für die Rol­le: wie kann ich, ohne Gene­ri­sches Mas­ku­li­num, sagen, dass “nicht alle Zuhö­rer auch Zuhö­ren­de waren“? Gilt das Schild “Rad­fah­rer abstei­gen” nicht auch für mich? Rad­fah­rer bin ich auch dann, wenn ich mein Rad schie­be, aber Rad­fah­ren­de eben nicht mehr. Aber nach dem adfc Ber­lin sind sogar Getö­te­te noch Rad­fah­ren­de, nicht nur an Ostern, dem Fest der Auf­er­ste­hung! Es ist gro­tesk. Und wenn Lin­gu­is­ten sol­che For­men emp­feh­len, ist das beschämend.

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