Vorweg: 1) Ich gendere. 2) Ich war eins der ersten Mitglieder in Prof. Dr. Gisbert Fanselows Gesellschaft gegen den Erhaltung der deutschen Sprache. Gisbert hatte auf einer Web-Seite „100 gute reasons gegen die preservation von der deutschen Sprache“. Mit irgendwelchen Sprachpfleger*innen habe ich also nichts zu tun.
Da bei der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft (DGfS) eine Satzungsänderung in Richtung gendergerechte Sprache anstand, habe ich im DGfS-Forum einen Beitrag geschrieben, den ich dann auch außerhalb veröffentlichen wollte (Gendern, arbeiten und der Osten). Ich habe erst darüber nachgedacht, den Blog-Bereich der HU dafür zu benutzen, habe den Beitrag aber dann auf diesen Ost-Blog getan, weil die darunterliegenden Fragen auch etwas mit dem Osten zu tun haben. Ich wollte eigentlich gar nicht weiter zum Thema schreiben, aber jetzt muss ich doch noch einmal. Auf Twitter und sonst wo kocht gerade die Diskussion über, ob man denn Prüfungsleistungen von Studierenden anders bewerten kann oder soll, wenn diese nicht gendern.
Bei der Universität Kassel findet man folgende Anleitung:
Hier stellt sich die Frage, wie man mit den Gender-Markern allgemein umgehen soll. Vor dreißig Jahren wurde das Binnen‑I z.B. bei der taz und die gesprochene Variante mit Glottalverschluß bei Radio 100 verwendet. Beides Avantgarde und Nischenangebote. Ansonsten kam es in entsprechenden Zirkeln vor, vereinzelt auch an Universitäten. Ich habe eine Leipziger Hochschulzeitschrift von 1992 mit Binnen-I-Beitrag. Inzwischen ist das Binnen‑I bzw. das Gendersternchen im Mainstream angekommen.
Es wird im Tagespiegel verwendet, von Nachrichtensprecher*innen u.s.w. Forschungsförderungseinrichtungen wie die DFG verwenden es schon mehrere Jahre standardmäßig, Universitäten geben Empfehlungen für gendergerechtes Schreiben. Vor einiger Zeit hat Ulrike Winkelmann, die Chefredakteurin der taz, einen weisen Beitrag dazu verfasst. In der taz gab es immer sone und solche. Manche haben das Gendern abgelehnt1, manche haben dafür gekämpft. Die taz ist ein bunter Haufen und das ist auch gut so. Ulrike Winkelmann hat dafür plädiert, das Gendern nicht vorzuschreiben und nicht zu erzwingen:
In dem Augenblick, da emanzipative Sprachpolitik zu einer von einem „Oben“ gesetzten Norm wird – und vieles sieht aktuell schon danach aus –, wird sie sich genau diesem Vorwurf aussetzen müssen: dass sie Wirklichkeiten konstruiert, die viele nicht als die ihren begreifen.
Ulrikw Winckelmann, Sprachkritik darf kein Elitenprojekt sein, taz, 06.02.2021
Ich denke, es ist wichtig, zwei Dinge zu unterscheiden: 1) gibt es Institutionen, die beschlossen haben, Gleichstellungsaspekte adäquat zu berücksichtigen und in der Innenkommunikation und nach außen gendergerechte Sprache zu verwenden. 2) gibt es Bestrebungen oder zumindest die Möglichkeit, gendergerechte Sprache bei anderen zu erzwingen. 1) ist normal und in Ordnung, 2) ist nicht in Ordnung. Warum nicht?
Wenn man versucht, Sprachwandel zu erzwingen, stößt man auf Ablehnung, bei denen, die solche Entwicklungen kritisch sehen oder sich eben einfach nicht umstellen wollen. Soll man sie einfach zwingen? Nein. Ich bin aus dem Osten. Damals war es üblich, zu Prüfungen ein FDJ-Hemd anzuziehen. Das war ein Bekenntnis zum Staat, das von Prüflingen verlangt wurde. Wenn nun gesetzte Gendersternchen in die Bewertung einfließen sollen, dann erinnert mich das sehr stark an diese Zeit. Es war eine widerwärtige Zeit. Die Politik war überall drin. Ich hatte als 13jähriger eine Aufnahmeprüfung für die Erweiterte Oberschule Heinrich-Hertz, eine Matheschule. Die Prüfung bestand aus zwei Teilen: einem Mathetest mit Knobelaufgaben und einem politischen Gespräch mit dem stellvertretenden Direktor. Der Mathetest war kein Problem, aber eine der Fragen im Aufnahmegespräch war, ob ich drei Jahre zur Armee gehen würde. Ich war 13 und hatte noch nie darüber nachgedacht. Spontan fand ich die Vorstellung nicht so prickelnd. Ich bin deswegen abgelehnt worden und nur dem enormen Einsatz meiner Eltern ist es zu verdanken, dass ich dann doch auf diese Schule gehen konnte. Und ich habe zugesagt, drei Jahre zur Armee zu gehen. Wie das im DDR-Bildungssystem lief, kann man sehr gut in Klaus Kordons Buch Krokodil im Nacken nachlesen. Kordon beschreibt ein Paar, das loyal und positiv zum Staat eingestellt ist, was sich in dem Moment ändert, als die Kinder in die Schule kommen und der Widerspruch zwischen Realität und Schulunterricht so groß wird, dass die Familie einen Fluchtversuch unternimmt. Der scheitert. Folgen: Trennung der Familie, Eltern einzeln im Gefängnis, Kinder im Heim. Ich bin sehr froh, dass diese Zeit vorbei ist, dass meine Kinder nicht in der Schule drei Fächer mit demselben Inhalt (Staatsbürgerkunde, Einführung in die sozialistische Produktion, Geschichte) haben, in denen man irgendwelche Grundsätze des Sozialismus auswendig lernen muss.
Ich denke, das Gendersternchen hat sich durchgesetzt oder ist zumindest kurz davor und wir sollten den Rest nicht erzwingen. Zumindest der Osten hatte solchen Zwang schon und wir würden damit nur die noAfD stärken.