Es wird immer wieder nach Erklärungen dafür gesucht, dass DDR-Bürger so komisch sind, dass sie nicht die Parteien wählen, die die Regierungen stellen, sondern PDS, Die Linke oder vermeintliche Alternativen. Niemand versteht, warum viele Ossis Populist*innen auf den Leim gehen. Da ist es doch recht hilfreich, wenn es Ausstellungen gibt, in denen einem etwas zu den historischen Fakten erklärt wird. Nur ist es dann mitunter so, dass Menschen mit Westbrille in den Ausstellungen völlig andere Dinge sehen als die, die Ausstellungsmacher*innen im Sinn hatten. (siehe auch Ausstellung: „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR.“)
Die aktuelle Ausstellung „Fremde Freunde“ in Eisenhüttenstadt habe ich noch nicht gesehen, aber ich habe darüber etwas in der taz lesen können.
Die Diggedags
Uwe Rada schreibt:
Diesem weit geöffneten Fenster zur Welt entgegen standen all die Reproduktionen stereotyper Bilder, wie sie sich etwa in den vom Verlag „Mosaik“ herausgegebenen Comicbänden der „Digedags“ zeigten. Bei ihren Abenteuern in fernen Ländern, heißt es auf einer Tafel, würden „deren Bewohner:innen innerhalb kolonialer Bildwelten als passiv und primitiv dargestellt, während die Digedags als zivilisiert und wirkmächtig auftreten“.
Rada, Uwe. 2025. Ausstellung „Fremde Freunde“: Verordnete Freundschaft. taz. Berlin. 05.06.2025
Ich reibe mir verwundert die Augen? Ich habe alle Digedags-Bände gelesen. Ich habe sie mir nach der Wende gekauft, weil sie da neu aufgelegt wurden. Was kann nur gemeint sein? Mir fällt sofort die Amerika-Serie ein, in der die Digedags den Schwarzen bei ihrem Kampf gegen die Sklaverei helfen. Passiv und primitiv? Sollte da irgendwas in den Mosaiks schief gelaufen sein? Das war jedenfalls nicht die offizielle Linie. Ich habe ja schon in „Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern“: Kommentare zu einem Aufsatz von Patrice G. Poutrus, Jan C. Behrends und Dennis Kuck über das offizielle Bild von PoC in den DDR-Medien geschrieben und Beispiele dafür gegeben, wie das zu meiner Zeit in Zeitungen und Zeitschriften aussah (Bummi, Wochenpost, NBI, Neues Leben).
Das Zitat zeigt recht deutlich, dass jemand ohne Ahnung schreibt, denn das Mosaik erschien ab 12/1955 im Verlag Neues Leben und später im Verlag Junge Welt. Es gab zwei Phasen: Die erste dauerte von 1955 bis 1975. In dieser Phase waren die Helden die Digedags, 1975 ging Hannes Hegen in Rente und die Digedags wurden von den Abrafaxen abgelöst. Eine rundgelutschte Version der Abrafaxe ist noch heute im Dienst. Also: Der Verlag heißt nicht „Mosaik“, sondern die Zeitschrift. Die Digedags sind die Protagonisten des Comics. Lustigerweise ist in der Online-Version des taz-Artikels sogar die Wikipedia-Seite der Digedags verlinkt. Pfusch! Ossis sind hier schon satt. Während wir viele West-Comics kennen, denn diese wurden unter der Hand weitergegeben, ja auch das rassistische Tim im Kongo aus der Reihe Tim und Struppi, haben Wessis keine Ahnung von den Ostperiodika. Muss ja auch nicht sein. Aber dann sollten sie halt nicht drüber schreiben. Oder wenigstens die Wikipedia-Artikel lesen, die sie verlinken.

Ich habe meine Mosaiks aus dem Schrank gekramt und angefangen zu blättern. Was könnte gemeint sein? Römer? Ritter Runkel? Die Besuche beim Sultan und die fliegenden Teppiche? Venedig? Hans Wurst in Österreich? Die Amerikareise? Dann habe ich mal eben im World Wide Web nachgeschaut und einen Artikel von Jens Mätschke mit dem Titel Rassismus in Jugendmedien der DDR? Eine Forschungsarbeit zur Darstellung und Inszenierung von Schwarzen im MOSAIK gefunden. Und in der Tat: Die Arbeit diskutiert rassistische Darstellungen (Bildunterschriften aus der Arbeit):

Das Bild ist ganz klar nicht in Ordnung.
Die anderen Bilder, die besprochen werden, sind aber weniger klar. In einem Heft wird über ein Fest geschrieben, bei dem die Digedags Ehrengäste sind. Sie hatten den Sohn des Häuptlings gerettet.

Das folgende Bild zeigt Digedag, wie er in das Dorf fliegt. Er wurde mit einer Kanonenkugel aus Versehen auf die Insel geschossen. Im Hintergrund sieht man eine Explosion. Die Dorfbewohner*innen laufen erschreckt weg.

Bemängelt wird, dass die Digedags als Helden dargestellt werden und die Schwarzen als ängstlich:

Ich habe einen Freund, der mit einem Messer bewaffnet einen Bären vertrieben hat. Er weiß inzwischen, dass das nicht heldenhaft, sondern wahnsinnig war.

Die Digedags retten den Häuptlingssohn.

Die Digedags bauen einen Düsenantrieb für das Zirkusschiff, nachdem dieses ein Leck bekommen hatte. Hier steht nirgends, dass die Schwarzen dumm wären. Sie werden als gleichwertige Partner behandelt und die Konstruktion wird erklärt. Sie werden nicht wie bei Tim und Struppi karikiert. Die Digedags sind die Helden des Comics, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass sie Leben retten und tolle Dinge erfinden. Das tun sie auch in anderen Ländern.

Die Digedags bauen zusammen mit den Inselbewohnern ein Zirkusschiff, mit dem sie dann zusammen mit einigen der Bewohner*innen die Insel verlassen, um irgendwo anders (in Rom) mit den wilden Tieren, die sie von der Insel mitnehmen, aufzutreten.
OK. Das ist nicht OK. Aber wenn man die DDR verstehen will und dazu etwas über Medien schreibt, sollte man auch beachten, von wann diese Mosaik-Ausgaben waren und wie sich die Welt und die DDR danach entwickelt hat. Mätschke schreibt selbst über das Mosaik:
Bis 1975 entstanden 223 MOSAIK-Ausgaben, die 5.400 Seiten umfassen.
Mätschke, Jens. 2013. Rassismus in Jugendmedien der DDR? Eine Forschungsarbeit zur Darstellung und Inszenierung von Schwarzen im MOSAIK. kjl&m 65(3).
Die untersuchten Ausgaben sind von 1957 (Heft 9–13, Mätschke 2013: 24). Was war zu dieser Zeit so der Stand der Dinge? Tim und Struppi oder schon weiter?
Hitlers Lieblingspropagandafilmerin und die Nuba
Zum Stichwort „romantisierende, exotische Darstellung“ von Schwarzen empfehle ich allen den Leni Riefenstahl-Film. Riefenstahl hat in den 60ern Bildbände und Filme über die Nuba gemacht. Im Film kann man sehen, dass sie von großen (west-)deutschen Firmen unterstützt wurde (Henkel und Kraft Foods Inc.). Sie hat Kaba und Persil in den Bildern platziert. Für Werbecampagnen der entsprechenden Firmen.
Bei den Diggedags ist zu beachten, dass sie im Gegensatz zur sonst üblichen Praxis von einer Person mit relativ großem Gestaltungsspielraum verfasst wurden. Mätschke schreibt dazu:
1955 entstand das MOSAIK in einer Periode der politischen Entspannung nach dem Tode von Stalin, der gezielten staatlichen Beruhigung und Integration von Oppositionellen nach dem Aufstand im Juni 1953 und den damit einhergehenden Lockerungen im Pressewesen. Der Gründer Johannes Hegenbarth (Künstlername Hannes Hegen) konnte seine Idee eines Comics erfolgreich beim Verlag Neues Leben einbringen und eine große Unabhängigkeit in der inhaltlichen Gestaltung erlangen.
Mätschke, Jens. 2013. Rassismus in Jugendmedien der DDR? Eine Forschungsarbeit zur Darstellung und Inszenierung von Schwarzen im MOSAIK. kjl&m 65(3).
Sicher unterlag das Mosaik der Zensur und wurde von entsprechenden Dienststellen abgenommen. Will man das Mosaik mit dem im Westen Üblichen vergleichen, so ist der Bezug auf die Werbung für Kakaopulver und Waschmittel gut geeignet. Große Firmen unterstützen Hitlers Propagandistin in ihrer Arbeit mit den Nuba, um damit ihre Produkte zu bewerben und einen positiven Effekt zu erzielen. Das wäre nur in einer Gesellschaft, die solche ästhetisierenden Bilder von den romantischen Wilden goutiert, sinnvoll. Das bedeutet, dass wohl in den 60ern ein entsprechendes Bild im Westen gängig gewesen sein dürfte.
Die Digedags in Amerika
Nicht betrachtet wird auch die Entwicklung des Mosaiks. Die Amerikaserie wurde von 1969–1974 veröffentlicht.

Die Digedags helfen Schwarzen auf der Flucht. Im Mosaik wird der Sklaven-Express beschrieben, der Sklaven zur Flucht aus dem Süden in den progressiveren Norden verhalf (siehe auch Wikipediaeintrag zu Underground Railroad). Laut Mosapedia ist der Sklaven-Express historisch korrekt beschrieben. Zum Ende der Amerikaserie spenden die Digedags Gewinne aus der Veräußerung eines Goldschatzes an den Sklaven-Express. Zu Bildern siehe auch Mosapedia: Sklaven-Express.
Vielleicht kann man für Menschen, die die DDR verstehen wollen, zusammenfassen: Die DDR gab es nicht. Es gab viele verschiedene DDRen. Nach dem Krieg, bis 1953, danach bis zum Abdanken Ulbrichts usw. Vielleicht muss man sogar noch kleinteiligere Unterteilungen vornehmen. Es ist deshalb nicht zulässig anhand von einigen Mosaik-Heften auf das komplette Mosaik oder gar das Bild von Schwarzen in den (Jugend-)Medien der DDR zu schließen.
Die Dakota
Wenn man über das Menschenbild in der DDR-Kinder-und-Jugend-Literatur spricht, sollte man Die Söhne der Großen Bärin nicht vergessen. Die Söhne der Großen Bärin ist eine sechsbändige Buchreihe, deren erster Band 1951 veröffentlicht wurde. Lieselotte Welskopf-Henrich war zwischen 1963 und 1974 mehrmals in den USA und hat das Leben der Dakota dort studiert. Für ihre Darstellungen der nordamerikanischen Ureinwohner*innen wurde sie von ihnen mit dem Titel einer „Lakota-Tashina“ (= Schutzdecke der Lakota) ausgezeichnet.
Welskopf-Henrich war Mitglied der KPD, später SED. 1951 bekam sie den ersten Preis für Jugendliteratur der DDR für Die Söhne der Großen Bärin. 1958 und 1961 den Vaterländischen Verdienstorden, 1972 den Nationalpreis der DDR III. Klasse. Man kann also wohl davon ausgehen, dass diese Bücher der „offiziellen Linie“ der DDR in den 50er, 60er und 70er Jahren entsprachen. Auch im Westen sind die Bücher anerkannt, 1968 erhielt Welskopf-Henrich den Friedrich-Gerstäcker-Preis der Stadt Braunschweig für Die Söhne der Großen Bärin.
Pippi Langstrumpf und der Negerkönig
Die Bezeichnung von Pippis angeblichem Vater ist immer wieder Gegenstand von Kontroversen. Heute soll das N‑Wort nicht mehr verwendet werden. Interessanterweise kam es in DDR-Ausgaben des Buches nie vor:
In der DDR dagegen hat man das Problem mit dem „Negerkönig“ schon immer umgangen: Dort hieß Pippis Vater „König der Takatukaner“.
Gonsior, Nicole & dpa. 2011. Ist „Pippi Langstrumpf“ rassistisch? „Negerkönig“ sorgt für Ärger. ntv.de.
Zum Thema N‑Wort kann ich hier noch anfügen, dass eine Bekannte, die schon sehr alt war, als sie auf das Wort angesprochen wurde, meinte: „Na, immerhin sage ich ja nicht Bimbos wie meine Kollegen.“ Bei den Kolleg*innen handelte es sich um die viel gerühmten 68er und noch dazu an einem sprachwissenschaftlichen Institut. Just saying.
Danksagungen
Ich danke Peer für seine Hilfe beim Suchen nach dem Persil-Beleg für Leni Riefenstahl.
Schlussfolgerungen
Wie immer gilt: Es ist alles nicht so einfach.
Nebenbemerkung
Mätschke schreibt:
Im Oktober 1987 wurde ein rassistischer Überfall auf ein Konzert in der Berliner Zionskirche international bekannt gemacht und die ostdeutschen Strafverfolgungsbehörden sahen sich erstmals öffentlich zum Handeln gedrängt.
Mätschke, Jens. 2013. Rassismus in Jugendmedien der DDR? Eine Forschungsarbeit zur Darstellung und Inszenierung von Schwarzen im MOSAIK. kjl&m 65(3). S. 24
Diese Behauptung ist schlicht falsch. Es gab den Überfall auf das Konzert, aber dieser war nicht rassistisch, sondern politisch motiviert. Nazi-Skins hatten ein Konzert der Punk-Band Die Firma und der Band Element of Crime überfallen. Man kann über den Überfall auf die Zionskirche in Wikipedia nachlesen oder in den entsprechenden Stasi-Unterlagen.
Quellen
Gonsior, Nicole & dpa. 2011. Ist „Pippi Langstrumpf“ rassistisch? „Negerkönig“ sorgt für Ärger. ntv.de. (https://www.n‑tv.de/panorama/Negerkoenig-sorgt-fuer-Arger-article2696131.html)
Mätschke, Jens. 2013. Rassismus in Jugendmedien der DDR? Eine Forschungsarbeit zur Darstellung und Inszenierung von Schwarzen im MOSAIK. kjl&m 65(3). (https://www.xn--meinekinderbcher-uzb.de/wp-content/uploads/2022/03/Auszug-Phlesenswert_Ausgabe_1_2013.pdf)
Rada, Uwe. 2025. Ausstellung „Fremde Freunde“: Verordnete Freundschaft. taz. Berlin. 05.06.2025. (https://www.taz.de/!6088574)