Willi Bredel, Das schweigende Dorf, Schuld und Nazis im Osten

Die­ser Blog-Post beschäf­tigt sich mit zwei Behauptungen:

  1. Der Holo­caust sei im Osten nicht the­ma­ti­siert worden.
  2. Es sei behaup­tet wor­den, dass es im Osten kei­ne Nazis gäbe, weil die alle im Wes­ten seien.

Ver­schie­de­ne Behaup­tun­gen zum Holo­caust von Ines Gei­pel und Anet­ta Kaha­ne habe ich bereits in Der Ossi und der Holo­caust dis­ku­tiert, aber die Vor­stel­lung von der Ein­stel­lung zum Holo­caust in der DDR hält sich hart­nä­ckig. So fin­det man sie auch jüngst wie­der in der taz:

Nach dem Krieg brüs­kier­te er [Wil­li Bre­del] mit „Das schwei­gen­de Dorf“ (1948) fast schon die offi­zi­el­le Geschichts- und Gedenk­po­li­tik in Sowje­ti­scher Besat­zungs­zo­ne und DDR: Die hät­te den Holo­caust lie­ber verdrängt.

Schirr­meis­ter, Ben­no. 2025. NS-Wider­stands­ro­man „Die Prü­fung“: Eine not­wen­di­ge Qual. taz Nord. 01.01.2025 Hamburg.

Im Fol­gen­den zitie­re ich rele­vant Stel­len aus der Erzäh­lung, gebe dann Infor­ma­tio­nen zum rea­len Vor­gang und ord­ne alles in einem letz­ten Abschnitt ein.

Die Erzählung

1948 wur­de im Carl Hinstorff Ver­lag ein Band mit Erzäh­lun­gen von Wil­li Bre­del ver­öf­fent­licht. In der Erzäh­lung mit gleich­lau­ten­dem Titel lässt Bre­del einen Archi­tek­tur­stu­den­ten eine Geschich­te von einem Dorf zwi­schen Lud­wigs­lust und Schwe­rin (S. 7) erzäh­len. Auf S. 14–15 wer­den Ari­sie­run­gen the­ma­ti­siert und die Ermor­dung einer Müh­len­be­sit­ze­rin und ihrer Fami­lie in Auschwitz.

Im blu­ti­gen Hit­ler­früh­ling drei­und­drei­ßig waren sie aus Furcht vor Ver­fol­gun­gen in Ber­lin unter­ge­taucht. Her­ta Bockel­mann, sie hieß jetzt Sil­ber­stein, soll­te sich von ihrem jüdi­schen Gat­ten tren­nen, dann woll­te man ihr, der Toch­ter aus altem bäu­er­li­chen Geschlecht, ihren Fehl­tritt nach­se­hen. Her­ta Sil­ber­stein lehn­te sol­ches Ansin­nen ab, und die Doll­ha­ge­ner Müh­le wur­de ari­siert. Übri­gens wur­den spä­ter, wie wir erfuh­ren, die Sil­ber­steins mit ihren drei klei­nen Kin­dern nach Ausch­witz trans­por­tiert. Die Müh­le erhielt Uhle Bruhns vom Kreis­lei­ter für einen lächer­lich gerin­gen Preis zuge­scho­ben. Sie gehört ihm heu­te noch; er hat sie einem gewis­sen Ziems verpachtet.

Bre­del, Wil­li. 1948. Das schwei­gen­de Dorf. Ros­tock: Carl Hinstorff Ver­lag. 14–15.

In der Erzäh­lung geht es um einen KZ-Zug, in dem in den letz­ten Kriegs­ta­gen jüdi­sche Frau­en und Kin­der aus Ravens­brück nach Ber­gen-Bel­sen trans­por­tiert wur­den. In der Nähe des Dor­fes kommt der Zug zum Ste­hen. Frau­en und Kin­der flie­hen und ver­ste­cken sich im Dorf. Die SS befiehlt den Dorf­be­woh­nern unter Straf­an­dro­hung, die Flücht­lin­ge wie­der aus­zu­lie­fern. Die­se betei­li­gen sich an der Suche und Rück­füh­rung und es wird auch beschrie­ben, wie sie Frau­en erschla­gen und Kin­der leben­dig begra­ben. Ins­ge­samt sind 72 Tote unter den drei Eichen am Dorf­rand begra­ben. Von der SS und den Dorf­be­woh­nern ermor­det. Nie­mand im Dorf spricht dar­über. Zwei Jah­re lang, bis durch eine Ver­ket­tung von Zufäl­len alles herauskommt.

In den letz­ten Tagen des Zusam­men­bruchs des Hit­ler­rei­ches, kurz vor der Kapi­tu­la­ti­on, flu­te­ten Res­te der geschla­ge­nen Hit­ler­wehr­macht auf ihrer unun­ter­bro­che­nen Flucht vom Osten nach dem Wes­ten, auch an den Seen um Schwe­rin ent­lang und durch die Wäl­der West­meck­len­burgs über Doll­ha­gen hin­aus. In den Tagen, als die Rus­sen Ber­lin erober­ten, hielt an der klei­nen Bahn­sta­ti­on Doll­ha­gen ein Gefan­ge­nen­zug. An die zwan­zig Wag­gons, ver­schlos­se­ne Vieh­wa­gen, waren voll­ge­pfropft mit gefan­ge­nen Frau­en und Kin­dern. Sie kamen von Ravens­brück und soll­ten nach Bel­sen geschafft wer­den. Doch das dor­ti­ge Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger war zu der Stun­de, da der Zug in Doll­ha­gen auf­ge­hal­ten wur­de, bereits von ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen besetzt. Nun war­te­te die Zug­be­glei­tung, eine Abtei­lung SS, auf wei­te­re Anwei­sung. Sie war­te­te einen Tag und eine Nacht. Es war ein Tag und eine Nacht des Grau­ens für Dollhagen.

Die Gefan­ge­nen waren größ­ten­teils Jüdin­nen, und zwar Jüdin­nen aus allen Län­dern Euro­pas, über­wie­gend aus Polen und der einst­mals besetz­ten Tei­le Sowjet­ruß­lands. Sie mach­ten einen erbar­mungs­wür­di­gen Ein­druck, tru­gen nur noch Fet­zen ihrer ehe­ma­li­gen Klei­der auf den Lei­bern und waren auf das erschre­ckends­te abge­ma­gert. Wim­mern und Heu­len drang aus den dicht­ver­schlos­se­nen Wag­gons. Kaum hielt der Zug an der Sta­ti­on, als auch schon acht ver­hun­ger­te Frau­en aus den Wag­gons gezerrt und der Rei­he nach an dem Bahn­damm hin­ge­legt wur­den. Sämt­li­che Frau­en und auch die Kin­der, die bei ihnen waren, hat­ten seit vie­len Tagen nichts zu trin­ken oder zu essen erhal­ten und waren nicht aus ihren fah­ren­den Käfi­gen her­aus­ge­kom­men. In ihrer Todes­qual jam­mer­ten und wim­mer­ten, schrien und brüll­ten die Tod­ge­weih­ten. Die SS-Bur­schen hat­ten Stö­cke und Peit­schen und schlu­gen damit auf die Gefan­ge­nen ein, die in ihrer Ver­zweif­lung ihre dür­ren Arme hun­ger­schrei­end durch die Git­ter­fens­ter zwängten.

Plötz­lich stürz­ten die Frau­en eines Wag­gons ins Freie und rann­ten über das Bahn­glei­se hin­weg ins Dorf hin­ein. Wahr­schein­lich war eine Wagen­tür geöff­net wor­den, um Lei­chen her­aus­zu­schaf­fen. Zwei der flüch­ti­gen Frau­en wur­den am Bahn­damm bereits von der SS erschos­sen, die übri­gen jedoch erreich­ten das Dorf; es waren ins­ge­samt vier­zehn. Da es schon zu däm­mern begann, war die Ver­fol­gung schwie­rig, und den Flücht­lin­gen war es leicht, sich in Scheu­nen und Stäl­len zu verbergen.

Die SS hol­te den Orts­grup­pen­lei­ter des Dor­fes, das war Uhle Bruhns. Sie tru­gen ihm auf, sämt­li­che flüch­ti­ge Frau­en tot oder lebend wie­der her­bei­zu­schaf­fen oder aber, so droh­ten sie, sie wür­den das Dorf zur Ver­ant­wor­tung zie­hen. Außer­dem, so behaup­te­ten die SS-Leu­te hämisch, hät­ten die Frau­en Typhus und wür­den sowie­so das gan­ze Dorf verseuchen.

Uhle Bruhns hol­te sich Hel­fer, den Eisen­bahn­ar­bei­ter Böh­le, den Huf­schmied Belz, den Kauf­mann Mar­tens, die Bau­ern Dirck­sen und Hin­nerk. Den Penz­lin­ger tra­fen sie in sei­nem Hau­se nicht an, weil er ins Holz gegan­gen war, um eini­ge Stäm­me zu holen; er gebrauch­te Lat­ten zur Aus­bes­se­rung sei­nes Vieh­stal­les. Das war sein Glück.

Mit Knüp­peln bewaff­net mach­ten die Bau­ern sich auf, die Flüch­ti­gen in ihren Ver­ste­cken auf­zu­stö­bern. Fan­den sie eine Frau, wur­de sie unter Stock­hie­ben nach der Sta­ti­on zurück­ge­trie­ben, wo sie die SS in Emp­fang nahm. Sie fan­den alle vier­zehn. Eine Frau jedoch war so geschwächt, daß sie schon unter den Hie­ben des Huf­schmieds im Dorf tot zusammenbrach.

Die SS war mit der Leis­tung der Bau­ern sehr zufrie­den und stell­te ihnen neue Auf­ga­ben. Sie muß­ten die Schwächs­ten und Hin­fäl­ligs­ten unter den Frau­en aus den Wag­gons her­aus­su­chen und zur Sta­ti­on schlep­pen. Uhle Bruhns, von dem man sag­te, er habe anfangs nur wider­wil­lig den Befeh­len der SS gehorcht, soll dabei der Wil­des­te, der Sata­nischs­te von allen gewe­sen sein. Erzählt wird, er sei von Wagen zu Wagen gegan­gen und habe geru­fen: „Wer hat am meis­ten Hun­ger?“ Die sich mel­de­ten, zerr­te er an den Haa­ren vom Wagen her­un­ter und schleif­te sie nach der Sta­ti­on. Unmit­tel­bar bei der Sta­ti­on ste­hen – wie Sie schon wis­sen – drei ein­sa­me Eichen. Unter die­sen Bäu­men wur­den die Unglück­li­chen von einer SS-Wache durch Genick­schüs­se getö­tet. Die Bau­ern muß­ten bei den Eichen eine Gru­be aus­he­ben, und in die wur­den die Ver­hun­ger­ten und Erschos­se­nen gewor­fen, ins­ge­samt, wie bis­her fest­ge­stellt wur­de, zwei­und­sieb­zig, dar­un­ter auch etli­che Kin­der, sogar Brust­kin­der. Uhle Bruhns soll alles, was in der Gru­be noch zuck­te, mit sei­nem Spa­ten voll­ends getö­tet haben.

Den gan­zen Abend war das Schrei­en, Brül­len und Toben der Gefan­ge­nen zu hören, bis tief in die Nacht hin­ein. Es ver­stumm­te erst, als gegen Mor­gen­grau­en der Todes­zug sei­ne Fahrt fort­setz­te. Aber Tage spä­ter fan­den die Doll­ha­ge­ner längs der Bahn­stre­cke noch Leichen.

Bre­del, Wil­li. 1948. Das schwei­gen­de Dorf. Ros­tock: Carl Hinstorff Ver­lag. 48–50.

In der Erzäh­lung ret­tet die Ver­lob­te des Erzäh­lers ein jüdi­sches Kind. Das Paar adop­tiert das Kind und stu­diert in Ros­tock Architektur.

Die Realität

In Bre­dels Erzäh­lung ist die Dorf­be­völ­ke­rung an den Grau­sam­kei­ten gegen die jüdi­schen Frau­en betei­ligt. Wie Gan­sel (2009: 26 fn. 21) fest­stellt, gab es einen rea­len Vor­gang, der als Vor­la­ge für die Erzäh­lung dient.

Wil­li Bre­del bezog sich in sei­ner Erzäh­lung näm­lich auf einen rea­len Vor­gang. In der Täg­li­chen Rund­schau vom 20.04.1947 wur­de über den Fund eines Mas­sen­gra­bes im Dorf Süls­torf bei Schwe­rin berich­tet. In dem Grab fan­den sich die Lei­chen von Häft­lin­gen, die im April 1945 bei einem Trans­port aus einem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger ermor­det wor­den waren. 1951 errich­te­te die Jüdi­sche Lan­des­ge­mein­de in Süls­torf einen Gedenk­stein für die 53 ermor­de­ten jüdi­schen Frau­en aus Ungarn. Sie­he dazu: Vier­n­ei­sel, Bea­tri­ce: Die Erin­ne­rung an den KZ-Zug in Süls­torf im loka­len Gedächt­nis und der Kunst der DDR. In: Fried­hof für 53 unga­ri­sche Jüdin­nen in Süls­torf. Zur Geschich­te einer klei­nen Gedenk­stät­te. Hrsg. vom Poli­ti­sche Memo­ria­le e. V. Meck­len­burg-Vor­pom­mern. Ros­tock: Ingo Koch Ver­lag 2007, S. 45–86. Vier­n­ei­sel ver­weist dar­auf, dass es für die von Bre­del in sei­nem Text behaup­te­ten Ver­bre­chen der Dorf­be­völ­ke­rung kei­ne Bewei­se gebe. Ent­spre­chend heißt es: »Doch weder die frü­he­ren Zeu­gen­aus­sa­gen zu Süls­torf noch ande­re Berich­te zu den Todes­mär­schen übers Land in Meck­len­burg-Vor­pom­mern lie­fern, soweit bis heu­te erforscht, Bei­spie­le für Ver­bre­chen von Dorf­be­woh­nern.« (Ebd., S. 75).

Gan­sel, Cars­ten. 2009. Die „Gren­zen des Sag­ba­ren über­schrei­ten“: Zu „For­men der Erin­ne­rung“ in der Lite­ra­tur der DDR. In Gan­sel, Cars­ten (ed.), Rhe­to­rik der Erin­ne­rung: Lite­ra­tur und Gedächt­nis in den „geschlos­se­nen Gesell­schaf­ten“ des Real-Sozia­lis­mus zwi­schen 1945 und 1989 (Deutsch­spra­chi­ge Gegen­warts­li­te­ra­tur Und Medi­en 1), 19–38. Göt­tin­gen: V & R unipress.

Der Ver­ein Mahn- und Gedenk­stät­ten im Land­kreis Lud­wigs­lust-Par­chim e.V. schreibt:

Jüdi­sche Frau­en, die drei Mona­te vor­her aus dem KZ Ber­gen-Bel­sen in die SS-Reit­schu­le nach Braun­schweig gebracht wor­den waren, um Trüm­mer in der zer­bomb­ten Stadt zu räu­men, ver­lie­ßen Ende Febru­ar 1945 die Stal­lun­gen an der Salz­dah­lu­mer Stra­ße. Sie wur­den in das KZ-Außen­la­ger Been­dorf bei Helm­stedt gebracht. Am 9. April 1945 star­te­te hier der Räu­mungs­trans­port mit einem Güter­zug, in den 1300 Män­ner und 3000 Frau­en aus die­sem Lager gepfercht wur­den. Der Zug fuhr über Mag­de­burg, Stend­al, Nau­en, Wit­ten­ber­ge und erreich­te am 13. April 1945 den Bahn­hof in Süls­torf. Hier stand er drei Tage auf einem Neben­gleis. Mehr als 300 Men­schen kamen in Süls­torf ums Leben, auch auf­grund von Gewaltexzessen.

Am 15. April 1945 wur­den die männ­li­chen Häft­lin­ge in das noch unfer­ti­ge Stein­ba­ra­cken­la­ger des KZ- Außen­la­gers Wöb­be­lin gebracht. Die Frau­en ver­blie­ben in den Wag­gons. Erst eine Woche spä­ter erreich­te der Zug Ham­burg, wo die über­le­ben­den Frau­en auf die Ham­bur­ger Außen­la­ger Eidel­stedt, Sasel, Langenhorn/Ochsenzoll und Wands­bek ver­teilt wur­den. Die meis­ten Frau­en konn­ten Ham­burg am 1. Mai 1945 mit einem Trans­port nach Schwe­den ver­las­sen. Die in Ham­burg Ver­blie­be­nen wur­den eini­ge Tage spä­ter von bri­ti­schen Sol­da­ten befreit.

Die Son­der­aus­stel­lung doku­men­tiert eben­falls die Geschich­te der Süls­tor­fer Gedenk­stät­te, die bereits 1947 errich­tet wurde.

Mahn und Gedenk­stät­ten Wöb­be­lin. 2020. Son­der­aus­stel­lung zum Räu­mungs­trans­port aus dem KZ Been­dorf wird in Braun­schweig gezeigt.

Einordnung

Wil­li Bre­del schreibt in sei­ner Erzäh­lung über Ari­sie­rung, Berei­che­rung und Mor­de in Ausch­witz. Er beschreibt eine Dorf­ge­mein­schaft, die an Taten der SS betei­ligt war und nach dem Kriegs­en­de zwei Jah­re dar­über geschwie­gen hat. Nach aktu­el­lem For­schungs­stand ent­spricht die Tat­be­tei­li­gung der Dorf­be­woh­ner nicht den Tat­sa­chen, das Schwei­gen jedoch schon. Die Mas­sen­grä­ber wur­den erst 1947 entdeckt.

Bre­del schreibt über Nazis im Osten. Das wider­legt die Bau­haup­tung in der DDR sei behaup­tet wor­den, dass ALLE Nazis im Wes­ten sei­en. Bre­del gibt auch Moti­ve für ein Dableiben:

Gute Nacht, Herr!’ Leicht und beglückt schlüpf­te der Wirt aus dem Zim­mer. Er hat sicher­lich ruhig geschla­fen, wahr­schein­lich als ein­zi­ger in Doll­ha­gen. Drei Häu­ser wei­ter erhäng­te sich in die­ser Nacht auf dem Dach­bo­den sei­ner Werk­statt der Wagen- und Huf­schmied Fried­rich Belz.

Das war der zwei­te. Paul Böh­le, der Eisen­bah­ner war geflo­hen, hat­te alles in sei­ner Kate stehn und lie­gen las­sen und war ver­mut­lich im Wes­ten. Er hat­te gut flie­hen, denn er war Jung­ge­sel­le und besaß auch kein Land, das ihm an den Schuh­soh­len hing. Und nun hat­te sich der Huf­schmied erhängt. Tod und Angst, wah­re Todes­angst lag auf dem Dorf. Es muß her­ge­gan­gen sein, wie am Vor­tag des Jüngs­ten Gerichts.

Bre­del, Wil­li. 1948. Das schwei­gen­de Dorf. Ros­tock: Carl Hinstorff Ver­lag. S. 40.

In der Erzäh­lung Bre­dels blie­ben die Bau­ern, die ver­wur­zelt waren. Täter und Mitwisser*innen. Im rea­len Dorf Süls­torf gab es kei­ne Täter aber Mitwisser*innen.

Wider­legt ist auch ein­mal mehr, dass die DDR den Holo­caust ver­tu­schen woll­te oder dass der nicht erwähnt wur­de oder dass die Kom­mu­nis­ten nur sich selbst gefei­ert hät­ten. Gera­de die Arbei­ten von Wil­li Bre­del wider­le­gen die­se Behaup­tun­gen. Der Kom­mu­nist Bre­del hat in der Früh­lings­so­na­te über das Mas­sa­ker an Kie­wer Juden in Babyn Jar geschrie­ben. Alle Kin­der, die in der DDR groß gewor­den sind, haben die Früh­lings­so­na­te in der 9. Klas­se im Lite­ra­tur­un­ter­richt behan­delt (sie­he Der Ossi und der Holo­caust: Lite­ra­tur­un­ter­richt). Und in der Erzäh­lung Das schwei­gen­de Dorf kom­men die Ver­bre­chen an Jüd*innen eben auch vor.

Auf der Suche nach dem Buch Das schwei­gen­de Dorf habe ich Fotos der zwei­ten Auf­la­ge aus dem Insti­tut für Leh­rer­bil­dung Güs­trow samt Aus­leih­zet­tel gefun­den. Das Buch war in einem Lerhrer­bil­dungs­in­sti­tut von spä­tes­tens 1959 bis min­des­tens 1988 ver­füg­bar, wie die Aus­leihstem­pel zeigen. 

Zum Satz von Ben­no Schirr­meis­ter „Nach dem Krieg brüs­kier­te er mit „Das schwei­gen­de Dorf“ (1948) fast schon die offi­zi­el­le Geschichts- und Gedenk­po­li­tik in Sowje­ti­scher Besat­zungs­zo­ne und DDR: Die hät­te den Holo­caust lie­ber ver­drängt.“: Was soll „schon fast“ bedeu­ten? Und Wil­li Bre­del WAR die offi­zi­el­le „Geschichts- und Gedenk­po­li­tik“. Er war in Mos­kau im Exil gewe­sen, hat­te den sta­lin­schen Gro­ßen Ter­ror über­lebt und kam mit der „Grup­pe Ulb­richt“ im Mai 1945 in die SBZ, um einen sozia­lis­ti­schen Staat nach sowje­ti­schem Vor­bild auf­zu­bau­en. Bre­del war im Meck­len­bur­gi­schen Land­tag, in der Volks­kam­mer und dann im Zen­tral­ko­mi­tee der SED. Von 1962 bis 1964 war er Prä­si­dent der Deut­schen Aka­de­mie der Küns­te und mach­te die­se zu einer sozia­lis­ti­schen Aka­de­mie, wie das ZK der SED es vor­sah (sie­he Bre­dels Wiki­pe­dia-Ein­trag und dort ange­ge­be­ne Quel­len). Sei­ne Wer­ke wur­den auch nach sei­nem Tod 1964 noch in wei­te­ren Auf­la­gen ver­öf­fent­licht. Es gab in der DDR Zen­sur und, wie man dem Wiki­pe­dia-Ein­trag des Auf­bau Ver­lags ent­neh­men kann, schreck­te die Staats­füh­rung auch nicht davor zurück, gan­ze Aus­ga­ben von unge­neh­men Wer­ken maku­lie­ren zu las­sen. Nichts der­glei­chen geschah mit Bre­dels Wer­ken. Auch die Ver­öf­fent­li­chung 1948 war sicher durch einen Zen­sur-Pro­zess gegangen/irgendwo abge­seg­net wor­den, denn in der Nach­kriegs­zeit war in der SBZ Papier noch knap­per als spä­ter in der DDR. Das fol­gen­de Bild zeigt, dass es auch vom Schwei­gen­den Dorf min­des­tens noch eine wei­te­re Auf­la­ge 1951 gab. In den gesam­mel­ten Erzäh­lun­gen, die 1981 im Auf­bau Ver­lag erschie­nen, ist das Schwei­gen­de Dorf wahr­schein­lich auch enthalten.

1947 wur­de in Süls­torf eine Gedenk­stät­te und ein Ehren­fried­hof für die 53 ermor­de­ten jüdi­schen Frau­en und die ins­ge­samt 300 ermor­de­ten Men­schen ein­ge­rich­tet. Das ist sehr früh. Ich weiß von kei­ner sol­chen Gedenk­stät­te auf BRD-Gebiet.

Quellen

Gan­sel, Cars­ten. 2009. Die „Gren­zen des Sag­ba­ren über­schrei­ten“: Zu „For­men der Erin­ne­rung“ in der Lite­ra­tur der DDR. In Gan­sel, Cars­ten (ed.), Rhe­to­rik der Erin­ne­rung: Lite­ra­tur und Gedächt­nis in den „geschlos­se­nen Gesell­schaf­ten“ des Real-Sozia­lis­mus zwi­schen 1945 und 1989 (Deutsch­spra­chi­ge Gegen­warts­li­te­ra­tur Und Medi­en 1), 19–38. Göt­tin­gen: V & R uni­press. (https://www.carsten-gansel.de/wp-content/uploads/2019/09/Rhetorik_der_Erinnerung_Druckfassung‑v.23.01.09-Erinnerungen_2009-23–03__imp_.pdf)

Schirr­meis­ter, Ben­no. 2025. NS-Wider­stands­ro­man „Die Prü­fung“: Eine not­wen­di­ge Qual. taz Nord. 01.01.2025 Ham­burg. (https://taz.de/NS-Widerstandsroman-Die-Pruefung/!6030440/)