Gestern war ich beim tazlab zum Thema Osten und es war großartig. Viele parallel stattfindende Veranstaltungen zu Themen, die mich auch hier immer wieder beschäftigen. Rassismus in der DDR ist ein Thema und die Frage ist, ob die DDR rassistisch war oder nicht. Es gab eine spezielle Diskussionsrunde mit „Ossis of Colour“. (Aufzeichnung auf Youtube)
Rassismus
Patrice Potrous hat von einer Begebenheit erzählt, bei der er einen rassistischen Vorfall bei der NVA melden wollte und dieser einfach nicht verfolgt wurde. Der Offizier habe das einfach abgebügelt mit der Bemerkung: „Willst Du etwa sagen, dass es in der DDR Rassismus gäbe?“ Was nicht sein kann, dass nicht sein darf.
Katharina Warda wurde 1985 in der DDR geboren. Ihr Vater war Widerstandskämpfer im ANC und ist geflohen. Der ANC wurde in der Bundesrepublik nicht unterstützt, so also DDR. Katharina Wardas Eltern wurden bei der Schwangerschaft der Mutter vor die Wahl Ausreise oder Abtreibung gestellt. Wie es dazu kam, dass sie doch in der DDR geboren wurde, hat sie nicht erklärt.
Alle drei waren sich einig, dass sie froh sein können, die DDR und die Nachwendezeit überlebt zu haben. Katharina Warda hat davon berichtet, dass Personen, die mit ihr über Rassismus im Osten reden, immer ihre vorgefasste Meinung bestätigt sehen wollen. Sie meinte, dass Rassismus kein spezifisches DDR-Problem gewesen und der Westen genauso gewesen sei.
Interessant war, dass alle irgendwie nicht schwarz sein wollten und irgendwie nicht auffallen wollten.
Ich habe die meiste Zeit in der DDR damit zugebracht den Genossenen zu beweisen, dass man zu mir Vertrauen haben kann, dass ich irgendwie doch nicht anders bin. Das ging soweit, dass ich zeitweise sogar im Sommer mich geweigert habe, mich in die Sonne zu stellen, weil es zu einer signifikanten Veränderung meines Äußeren führte.
Patrice Potrous beim tazlab, 27.04.2024
Andere schwarze Ostdeutsche haben was sehr Ähnliches in dem Bereich erlebt, war unglaublich heilsam für mich, denn ich finde auch, und ich weiß nicht wie das in Westdeutschland ablief oder in der alten BRD, aber wir hatten das ja eben schon beschrieben: Wir hätten uns nicht mal Hallo gesagt wahrscheinlich früher und zumindest hätten wir kein Interesse aneinander gehabt. Das ist ein Effekt von Rassismus und ein anderer Effekt von Rassismus, der damit einhergeht, ist eine enorme Einsamkeit, die ich empfunden habe im Heranwachsen, weil eben genau diese Perspektive so blind gemacht wurde so mit Scham aufgeladen war und überhaupt nicht besprechbar war und ich nie jemanden hatte, mit dem ich diesen Ballast der auch du hattest gesagt: „Dass du noch am Leben bist, ist ein Wunder.“ und ich sag das oft auch: Ich fühle mich als Überlebende der Zeit vor allem was die 90er Jahre angeht und das meine ich auch so, denn viele andere haben es nicht überlebt, aber was man da alles mit sich trägt, sich nie darüber austauschen zu können und nie jemanden zu sehen, dem es ähnlich geht und ich immer in seinem Schwarzsein verstecken zu müssen oder sich als Person verstecken zu müssen, sich klein machen zu müssen, diese Last der Einsamkeit ist ein Teil von Rassismus und darüber zu sprechen und zu merken „So, wir haben da doch was gemeinsam.“, ist unglaublich befreiend.
Katharina Warda beim tazlab, 27.04.2024
Patrice Potrous meinte, wenn man andere PoCs getroffen hat, dann hat man nicht gesagt: „Hey, Du bist ja Schwarz. Wie ich. Wie geht es Dir?“. Bei der Veranstaltung, die danach auf derselben Bühne stattfand, war Prof. Dr. Naika Foroutan, Soziologin an der Humboldt-Universität zu Berlin, zu Gast. Sie hatte ja 2018 Ossis und Migrant*innen verglichen (taz, 13.05.2018).
Daran musste ich denken, als ich neulich eine Frau in einem Klimacamp Thüringisch sprechen hörte. Ich sprach sie an, ob sie aus dem Osten sei, wegen ihrem Dialekt. Sie entschuldigte sich und sagte, dass sie den manchmal nicht unterdrücken könne. Ich war schockiert, denn ich bin ja aus Jena und habe mich sehr gefreut, jemanden zu treffen, der Dialekt spricht. Ich denke, dass das dasselbe Phänomen ist, obwohl die Gefahren, die sich aus einer nicht-weißen Haut und einem nicht westdeutschen Sprache ergeben, nicht zu vergleichen sind.
Ganz ähnlich hatte Oschmann auch über das Sächsische geschrieben:
Und schon vor 1989 ist das Sächsische als die am deutlichsten im Ostteil des Landes zu verortende Sprachvarietät in der öffentlichen Wahrnehmung zum Inbegriff des gesamten Ostens »aufgestiegen«, das heißt zum Inbegriff des Hässlichen, Schlechten, Unfähigen und Ungebildeten, zum Inbegriff all dessen, was man nicht haben will und was man selbst nicht zu sein glaubt. Ich habe in Sachsen aufgewachsene Bekannte, die Schulungen belegt haben, um lupenreines Hochdeutsch zu erlernen, weil sie schmerzlich erfahren mussten, wegen ihres Heimatidioms unablässig diskriminiert zu werden und gesellschaftlich chancenlos zu sein. Dazu passt eine Dresdner Zeitungsannonce aus den Neunzigerjahren: »Sächsischer Dialekt in der freien Marktwirtschaft? Undenkbar! Nehmen Sie Sprechunterricht!« Thomas Rosenlöcher teilt das mit und markiert das Sächsische prägnant als »Verliererspache«. Ganz auf dieser Linie habe ich meinen eigenen Kindern angedroht, ihnen das Taschengeld zu streichen, sollten sie je anfangen, Sächsisch zu sprechen. Wie schlimm aber ist es um eine Region bestellt, die nicht mehr wagt, ihre Sprache zu pflegen, weil sie Sanktionen aller Art, mehr noch die Beschädigung ihrer gesamten Existenz fürchten muss?! Was ist das für ein gesellschaftliches Klima, was für ein Land, in dem ein großer Teil der Menschen die eigene Muttersprache ablegen und die eigene Herkunft verleugnen muss, wenn er gesellschaftlich der Stigmatisierung entgehen möchte? Was für ein Land, in dem sich Menschen ihrer Sprache, ihrer Herkunft und ihrer Vergangenheit schämen sollen, mithin zentraler unhintergehbarer Existenzialien, was für ein Land, in welchem sie sich ausgerechnet von dem distanzieren sollen, was sie fundamental ausmacht und allererst in der Welt beheimatet?
Oschmann, Dirk. 2023. Der Osten – eine westdeutsche Erfindung, Ullstein.
Ossis versuchen, nicht aufzufallen. Wie man dem Roman von Lutz Seiler Stern 111 entnehmen kann, wurde ihnen das auch von Wessis explizit beigebracht. Sein Vater, der fünf Programmiersprachen konnte und im Westen Schulungen durchgeführt hat, sollte unbedingt darauf achten, dass die Schulungsteilnehmer*innen nicht merkten, dass sie etwas von einem Ossi erklärt bekamen. Einem Ossi! Für 1000 DM/Tag kriegt man nur einen Ossi. Über die Vorstellung, dass die Ossis alle doof waren, und die Verwunderung darüber, dass jemand im Osten (!) fünf (!) Programmier(!)sprachen(!) konnte, habe ich auch in Wissen, Unwissen, Ignoranz und Arroganz geschrieben.
Man sieht den Ossis ihre Herkunft weniger an als PoCs, aber manche „verraten“ sich halt über die Sprache. (1995 war ein Kollege von mir total geschockt, weil er, nachdem wir eine Woche zusammen gearbeitet haben, herausgefunden hatte, dass ich ein Ossi bin. Ich hatte „Plaste“ gesagt.) Sprache oder Haare, beides nicht gut und vielleicht kommen wir ja irgendwann in einer Gesellschaft an, die das verstanden hat. Und alle Kinder bekommen Taschengeld und Liebe, egal wie sie aussehen oder sprechen.
Mode unter Lebensgefahr?
Peggy Kurka und Katharina Warda waren Punks, was sicher kein Spaß war. Schon als weißer Punk hatte man es nicht unbedingt leicht. Peggy Kurka war außerdem noch Model. Sie sprach davon, dass Mode in der DDR subversiv gewesen ist und dass man unter Todesdrohung lebte. Sie erwähnte auch die Modegruppe Allerleirauh:
Ich nehme jetzt mal mein Feld: Man hat, es gab Allerleirauh, es gab eine Modenschau, wenn die eine Modenschau gemacht haben, dann haben die ihr Leben riskiert für diese Modenschau.
Peggy Kurka: tazlab Ossis of Colour, 27.04.2024, Stelle im Viedeo
Mich und die beiden Ost-Frauen, die anwesend waren, hat das einigermaßen verwundert, denn die Ost-Mode hatte ziemlich große Freiheiten. Es gab die Sibylle, in der immer in sehr guten Fotostrecken abgedrehte Mode präsentiert wurde. Eine meiner Begleiterinnen war mit den Kindern der Mitarbeiter*innen vom Modeinstitut im Ferienlager und berichtete auch von den großen Freiräumen im Modebereich.
Ich habe spezifisch zu Allerleirauh in der Wikipedia nachgesehen und – Was soll ich sagen? – die Aussage von Peggy Kurka ist einfach falsch. Allgemein würde ich behaupten wollen, dass in den 80er Jahren niemand mehr einfach so ermordet wurde und schon gar nicht für Mode. In Wikipedia kann man lesen, dass Katharina Reinwald und Angelika Kroker 1988 in den Verband Bildender Künstler der DDR (VBK) aufgenommen wurden. Leider hat der Präsident des VBK im Jahr 1988 gewechselt, so dass man nicht genau sagen kanne, wer den VBK zur Zeit des Eintritts der beiden Designerinnen geleitet hat. Von 1974 bis 1988 war der wegen seiner schinkenlastigen Arbeiter*innengemälde allseits gefürchtete Willi Sitte Präsident (Lieber vom Leben gezeichnet, als von Sitte gemalt.). Danach der Designer Clauss Dietel. Von 1986 bis 1989 war Sitte Mitglied des Zentralkomitees der SED (ZK der SED). Clauss Dietel war Mitglied der Bezirksleitung der SED in Karl-Marx-Stadt. Das heißt, der VBK war fest in SED-Hand, wie eigentlich alle größeren Strukturen und Vereine. Man kann also sicher ableiten, dass die Modedesigner*innen ihrem Beruf nicht unter Einsatz ihres Lebens ausübten.
Dem Artikel über Allerleirauh kann man entnehmen, dass die Gruppe große Auftritte hatte:
Als Höhepunkt gilt das Allerleirauh-Happening im Jahr 1988, das an drei Abenden vor 600 Zuschauern im ausverkauften Haus der jungen Talente in Ost-Berlin stattfand. Die Rockband Pankow spiele live, die Mannequins traten in Mänteln aus Lederflicken und geschuppten 3‑D-Kleidern auf.
Wikipedia-Eintrag für Allerleirauh, 28.04.2024
Das HdjT war staatlich verwaltet. Niemand, der schon mit einem Bein im Knast stand konnte dort auftreten. Die Rockgruppe Herbst in Peking hatte zum Beispiel nach einer Schweigeminute für die Opfer des Massakers am Tian’anmen-Platz Auftrittsverbot. Das heißt, dass Allerleirauh staatlich anerkannt war und es heißt auch, dass diese Mode-Designer*innen und Models sich nicht irgendwelchen Gefahren ausgesetzt haben.
Ein Schulfreund von mir war Ensemblemitglied beim Modetheater Larifari, das auch im Wikipediaeintrag von Allerleirauh erwähnt wird. Er hat mir zum Thema Folgendes geschrieben:
Ich kann das, wie auch du, so nicht bestätigen. Meine Tätigkeit war beim Modeinstitut und bei einer freien Truppe namens Larifari. Natürlich waren wir stasidurchsetzt, was ich zu DDR-Zeiten nicht wahrhaben wollte, später dann offensichtlich wurde. Mein Ausschluss aus beiden vorgenannten 1987 scheint damit in Zusammenhang gestanden zu haben – ich habe das nicht weiter recherchiert, bisher nicht in die Akte schauen wollen. Die Szene und der Bedarf waren sicher nicht zu verhindern, so gab es die Ventilmethodik. Ich kann mich gut an 1986/87 erinnern. Wir sind durch die Lande getingelt und als Farbtupfer willkommen gewesen, das sogar auf den Arbeiterfestspielen. Eine unserer Damen war sogar im Zentralrat der FDJ. Hast du den Film „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ gesehen? Für mich war er ein Ausflug in meine Jugend – logischerweise alles sehr komprimiert, Stasi an Frank Schäfer – klar, aber auch viele Freiheiten und knallharte Konkurrenz, was sicher gewisse Äußerungen motiviert. Sybille war nicht so nah am Modeinstitut, wie es der Film sagt. Eine mir suspekte Szene mit Grenzhunden an der Ostsee wollte ich bei Gelegenheit hinterfragen. Ein Trachten nach Leben ist mir nicht bekannt.
Email 30.04.204
Ich kann es nicht direkt nachweisen, aber es sollte mich sehr wundern, wenn irgendwer in der DDR wegen Mode mit dem Tode bedroht worden sein sollte oder ins Gefängnis kam. Nein, man kam in die Sibylle.
(Was Peggy Kurka vorher im Video über abweichende Meinungen in der DDR sagt, stimmt. Es wurde alles unterdrückt, aber ganz so krass war es dann doch nicht.)
Schlussfolgerung
Liebe Wessis, liebe Ossis, liebe Nachgeborene: Die Messitsch ist simpel. Glaubt uns nicht. Auch wenn die Stories zu Euren Geschichten und Klischees passen. Die DDR ist nun zum Glück lange Geschichte, aber Erinnerungen verschieben sich und manche Menschen erzählen auch bewusst falsche Dinge. Guckt einfach mal in Wikipedia nach. Das ist die Schmalspurvariante der historischen Forschung, aber Wikipedia gibt ja immer Quellen an. Da könnt Ihr dann weitermachen.
Quellen
Oschmann, Dirk. 2023. Der Osten: eine westdeutsche Erfindung. Berlin: Ullstein Buchverlage.
Schulz, Daniel. 2018. Professorin über Identitäten: „Ostdeutsche sind auch Migranten“. taz. Berlin. (https://taz.de/Professorin-ueber-Identitaeten/!5501987/)
Wie gesagt — richtig gute und wichtige Arbeit!
Der Verweis auf “Wikipedia” ist allerdings fatal. Man sollte nicht erwarten, dass man — gerade bei politischen und geschichtlichen Themen — dort die Wahrheit erfährt.
https://wikihausen.de/dokumentarfilm-die-dunkle-seite-der-wikipedia/