Die Weimartage der FDJ

Bei mei­ner Arbeit zum Bei­trag Die Ossis und der Holo­caust habe ich nach den Wei­mer­ta­gen der FDJ gesucht, weil es da immer einen obli­ga­to­ri­schen Besuch der Gedenk­stät­te Buchen­wald gab. Mit gro­ßem Erstau­nen habe ich fest­ge­stellt, dass die Weim­ar­ta­ge außer auf einer Sei­te des Natio­nal­thea­ters Wei­mar nir­gend­wo im Netz auf­tau­chen. Kein Wiki­pe­dia-Ein­trag, kein Blog-Ein­trag, nichts. Das ist eini­ger­ma­ßen erstaun­lich, weil es ein jähr­lich wie­der­keh­ren­des Groß­ereig­nis war. Für 21 Mark konn­te man drei Tage in Schu­len über­nach­ten und vol­le Kan­ne von früh (7:00 Uhr !!!) bis abends (22:00) alles an Kul­tur (Thea­ter, Kon­zer­te, Lesun­gen, Muse­ums­füh­run­gen, Park­füh­run­gen, Vor­trä­ge, …) mit­neh­men, was man sich so vor­stel­len konn­te. Ham­let-Vor­füh­run­gen im Natio­nal­thea­ter Wei­mar. Abschluss­fest in den Parks Tie­furt oder Belvedere. 

Die FDJ hat genervt. Es war eine Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on, in der fast alle DDR-Bürger*innen Mit­glied waren. Man muss­te am FDJ-Stu­di­en­jahr teil­neh­men, wo man ein mal im Monat pro­pa­gan­dis­tisch ver­sorgt wur­de. Rot-Licht.

Aber eine Sache hat die FDJ wirk­lich gut gemacht: die Weim­ar­ta­ge der FDJ. Ich war sie­ben Mal dort und es waren wich­ti­ge Tage in mei­nem Leben. Damit das irgend­wo doku­men­tiert ist, stel­le ich hier eini­ge Pro­gramm­hef­te, Jour­na­le und Infor­ma­tio­nen für Rei­se­lei­ter ins Netz. Habt Spaß damit!

Der titel-fixierte Ossi?

Simo­ne Schmol­lack, die ich sehr schät­ze und die vie­le wich­ti­ge und rich­ti­ge Arti­kel über den Osten geschrie­ben hat, hat heu­te einen Bei­trag in der taz über pro­mo­vier­te Sta­si-Mit­ar­bei­te­rIn­nen und über Jahns Vor­schlag, Dok­tor­ti­tel, die an der Sta­si-Hoch­schu­le in Pots­dam erwor­ben wur­den, statt als Dr. Jur. als Dr. Stas ein­zu­ord­nen. Ich stim­me ins­ge­samt in allem mit Simo­ne Schmol­lack über­ein, nur eine klei­ne Text­stel­le hat mich geärgert: 

Denn so ein Dok­tor­ti­tel ver­zückt, das hat er schon immer getan, beson­ders im obrig­keits- und titel­ori­en­tie­ren Osten.

Obrig­keits­ori­en­tiert? Weiß ich nicht. Vie­le Men­schen haben sich ein­fach aus­ge­klinkt und sich ins Pri­va­te zurück­ge­zo­gen. Titel­ori­en­tiert war der Osten sicher nicht. Im Wes­ten hat­te und hat ein Pro­fes­sor, Offi­zier, Arzt viel höhe­res Anse­hen als es die­se Beru­fe im Osten je hat­ten. Ich wür­de sogar soweit gehen, den Osten als intel­lek­tu­el­len­feind­lich ein­zu­stu­fen. Man hat es tun­lichst ver­mie­den, sei­nen Dok­tor­ti­tel in den Per­so­nal­aus­weis zu schrei­ben, weil einem das bei Kon­trol­len eher scha­den als nüt­zen konn­te. Sozia­le Hier­ar­chien waren in der DDR eher flach. Intel­lek­tu­el­le waren im All­tag zu nichts zu gebrau­chen, viel wich­ti­ger waren Bezie­hun­gen zu Men­schen, die begehr­te Waren ver­kauf­ten oder zu Hand­wer­kern. Hand­wer­ke­rIn­nen ver­dien­ten viel, viel mehr Geld als Wis­sen­schaft­le­rIn­nen und waren auch ent­spre­chend ange­se­hen. Zu stu­die­ren bedeu­te­te, dass man erst mal zur Armee muss­te und dann fünf Jah­re lang kein Geld ver­dien­te. Irgend­wann kam man irgend­wo an, aber die Men­schen mit Lehr­be­ruf ver­dien­ten schon jah­re­lang. Schön blöd. 

Nach­trag vom 26.01.2020: Ich möch­te mei­nen Blog­post mit die­sem Zitat aus einem Buch de Sozio­lo­gen Prof. Dr. Stef­fen Mau stär­ken. (Ich weiß, das ist lustig …):

In unse­rer Klas­se blick­te die gro­ße Mehr­heit, die eine Berufs­aus­bil­dung anstreb­te, ver­ächt­lich auf die »Stre­ber«, und es war schwer zu ver­mit­teln, war­um man wei­ter die Schul­bank drü­cken soll­te, wenn es doch dar­um ging, schnell Geld zu ver­die­nen und auf eige­nen Füßen zu ste­hen. Ein Hoch­schul­stu­di­um erschien nicht allen als Gip­fel des Glücks, was sicher­lich auch damit zu tun hat­te, dass die damit ver­bun­de­nen Ein­kom­mens­ge­win­ne mar­gi­nal blie­ben (ein Argu­ment, das noch stär­ker zu Buche schlägt, wenn man die län­ge­re Bil­dungs­pha­se einrechnet).

Stef­fen Mau. 2019. Lüt­ten Klein, Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung, BD 10490 bzw. Suhr­kamp.

Der Ossi ist nicht demokratiefähig. Merkt Ihr’s noch?

(aktua­li­siert u.a. 03.11.2021,09.12.2021, 22.12.21,07.01.2022,12.01.2022, 14.01.2022, 16.02.2022, 13.03.2022, 11.04.2022, 27.02.2024)

Die Behaup­tung, die Ossis sei­en nicht demo­kra­tie­fä­hig, fin­det sich immer wie­der. In den Print-Medi­en, im Radio, im Fern­se­hen, ja, sogar im Inter­net.1 Aber, und hier stim­me ich zum ers­ten Mal in mei­nem Leben mit der AfD über­ein, was haben sie getan: Sie haben bei einer demo­kra­ti­schen Wahl eine im nor­ma­len demo­kra­ti­schen Pro­zess auf­ge­stell­te Par­tei gewählt. In Sach­sen hat­te die­se Par­tei das mit dem Pro­zess zwar nicht so rich­tig gerafft und hat Feh­ler bei der Auf­stel­lung der Kan­di­da­tIn­nen gemacht, aber sonst alles pri­ma. Und wie Kal­bitz mit einem süf­fi­san­ten Lächeln bemerk­te, hat die AfD sogar Nicht-Wäh­ler mobi­li­siert. Und zwar wie die Ana­ly­se der Wäh­ler­wan­de­rung zeigt: 115.000 in Bran­den­burg und 246.000 in Sach­sen! In Sach­sen stieg die Wahl­be­tei­li­gung um 17,5 % in Bran­den­burg um 15,2 %.

Ja, sie haben Nazis gewählt. Ver­tre­ter (ohne ‑Innen) des Flü­gels, der vom Ver­fas­sungs­schutz jetzt offi­zi­ell als kri­tisch ein­ge­stuft wird. Schau­en wir uns die Par­tei, die zur Wahl stand, mal an. 

Zusammensetzung des Vorstands / Personal in den Bundesländern / Rechtsextreme

Gründer*innen und Versitzende

Sie wur­de 2013 gegrün­det von neo­li­be­ra­len Professoren/Akademikern, die den Euro ablehnten.

  • Prof. Dr. Bernd Lucke (West-Ber­lin, Aus­tritt 2015 nach Abwahl als Vor­sit­zen­der zuguns­ten von Petry auch wegen aus­län­der- und islam­feind­li­cher Tendenzen)
  • Albrecht Gla­ser (Worms, per­sön­li­cher Refe­rent des Rek­tors der Uni Hei­del­berg, noch Mit­glied und im Vorstand)
  • Frau­ke Petry (Dres­den, Aus­tritt 2017)
  • Hans-Olaf Hen­kel (Ham­burg, Mana­ger bei IBM, Prä­si­dent BDI, Aus­tritt 2015, wegen Petry)
  • Kon­rad Adam (Wup­per­tal, Grün­dungs­spre­cher, 2015 wegen War­nung vor Rechts­ruck von Par­tei abge­mahnt, noch Mitglied)

Der ein­zi­ge Ossi, der auf Füh­rungs­ebe­ne eine Rol­le spiel­te, war Frau­ke Petry.

Zur Zeit (03.09.2019) sind fol­gen­de Per­so­nen im Vorstand:

Dr. Ali­ce Wei­del (Güters­loh, NRW) ist mit Gau­land Co-Vor­sit­zen­de der AfD-Bundestagsfraktion.

Die Lan­des­vor­sit­zen­den der AfD in Ost­län­dern sind:

  • Björn Höcke (Thü­rin­gen, Lünen, Westfalen)
  • Andre­as Kal­bitz (Bran­den­burg, Mün­chen, am 15.05.2020 mit sie­ben gegen fünf Stim­men bei einer Ent­hal­tung wegen fal­scher Anga­ben bzgl. Unver­ein­bar­keits­lis­te ausgeschlossen)
  • Bir­git Bes­sin (Bran­den­burg, Worms; ab 09.04.2022 Nach­fol­ger von Kal­bitz, gilt als Kal­bitz Vertraute)
  • Jörg Urban (Sach­sen, Meißen)
  • Leif-Erik Holm (Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Schwerin)
  • Mar­tin Rei­chardt (Sach­sen-Anhalt, Gos­lar, Niedersachsen)

Man kann also zusam­men­fas­sen, dass im Vor­stand 2 von 8 Per­so­nen aus dem Osten sind. Dazu noch Ali­ce Wei­del im Bun­des­tag an pro­mi­nen­ter Posi­ti­on. Also 2 von 9. Von den fünf neu­en Bun­des­län­dern haben zwei einen Ost­deut­schen zum Vor­sitz. Inzwi­schen ist Andre­as Kal­bitz durch den rechts­extre­men Hans-Chris­toph Berndt ersetzt wor­den, der aus dem Osten ist.

Rechtsextreme in der Presse

Pro­mi­nen­te Rechtsextreme/Nazis sind (fort­wäh­rend aktua­li­siert, die Namen ver­lin­ken auf die Wiki­pe­dia-Sei­ten, auf denen alles aus­führ­lichst belegt ist):

  • Doris von Sayn-Witt­gen­stein (Arol­sen, Hes­sen, rechts­extrem, Kon­takt zu Reichs­bür­gern und Holo­caust­leug­nern, bei lau­fen­dem Aus­chluss­ver­fah­ren Wie­der­wahl zur Lan­des­vor­sit­zen­den Schleswig-Holstein)
  • Bea­trix von Storch (Lübeck, Flü­gel, seit 2013 dabei, gegen Homo-Ehe, Rassistin)
  • Mar­cus Pret­zell (Rin­teln, Nie­der­sach­sen, Rechts­an­walt, Immo­bi­li­en­ent­wick­ler, seit 2013 dabei, 2016 Bei­tritt zur rechts­extre­men Frak­ti­on Euro­pa der Natio­nen und der Frei­heit (ENF), Ehe­mann von Frau­ke Petry aber immer noch in der AfD)
  • André Pog­gen­burg (Wei­ßen­fels, Sach­sen-Anhalt, Flü­gel)
  • PD Dr. phil. Hans-Tho­mas Till­schnei­der (Land­tag von Sach­sen-Anhalt, aus Freu­den­stadt, Baden-Würt­tem­berg, Flü­gel, habi­li­tiert 2019 in Bay­reuth und lehrt noch)
  • Dr. Wolf­gang Gede­on (Cham, Bay­ern, Anti­se­mit, Flü­gel, die AfD-Frak­ti­on in Baden-Würt­em­berg bekam kei­ne 2/3‑Mehrheit zusam­men, die für einen Aus­schluss von Gede­on nötig gewe­sen wäre, nach Spal­tung der Frak­ti­on wur­de wei­ter mit ihm zusam­men­ge­ar­bei­tet, im Sep­tem­ber 2019 spa­chen sich über die Hälf­te der Land­tags­ab­ge­or­den­ten für eine Wie­der­auf­nah­me von Gede­on in die Frak­ti­on aus, im Okto­ber 2019 schei­ter­te das zwei­te Ausschlussverfahren)
  • Joa­chim Paul (Ben­dorf, Reihn­land-Pfalz, Frak­ti­ons­vi­ze Reihn­land-Pfalz, hat höchst­wahr­schein­lich in NPD-Zeit­schrift H&J publi­ziert, mit 107 von 127 Stim­men zum stell­ver­tre­ten­den Lan­des­vor­sit­zen­den gewählt)
  • Den­nis Augus­tin (Ham­burg, Lan­des­vor­sit­zen­der Meck­len­burg-Vor­po­mern 2017–2019, NPD-Mit­glied, 2019 wegen Ver­heim­li­chung der NPD-Mit­glied­schaft ausgeschlossen)
  • Hei­ko Heßenk­em­per (Hamm, Lan­des­lis­te auf Platz 6 der AfD Sach­sen 2017)
  • Jens Mei­er (Bre­men, 2017 über Lan­des­lis­te Sach­sen (Platz 2) in den Bun­des­tag ein­ge­zo­gen, vom Säch­si­schen Ver­fas­sungs­schutz als rechts­extrem ein­ge­stuft, er war Obman des Flügels)
  • Ralph Weber (Bad Mer­gen­theim, Baden-Würt­em­berg, ab 2016 im Land­tag Meck­len­burg-Vor­pom­mern, stell­ver­tre­ten­der Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der, Kon­tak­te zu NPD, DVU, Tra­gen von Thor-Stei­nar-Sachen in der Uni­ver­si­tät, Ein­la­dung von Rechts­extre­men zu Vor­trä­gen, Pro­mo­ti­on eines klar faschis­ti­schen Neo­na­zis, 2021 Austritt)
  • Thors­ten Weiß (Ber­lin, Ste­glitz-Zehlen­dorf, bis zu des­sen Selbst­auf­lö­sung im April 2020 Lan­des­ob­mann des rechts­na­tio­na­len Par­tei­flü­gels „Der Flü­gel“ in Ber­lin, wel­cher 2020 vom Ver­fas­sungs­schutz als rechts­extrem ein­ge­stuft wur­de. Er gilt als Ver­trau­ens­mann des thü­rin­gi­schen Lan­des- und Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den Björn Höcke)
  • Dr. habil. Gott­fried Curio (Ber­lin, Gym­na­si­um in Schmar­gen­dorf, kommt im Bericht des Bun­des­am­tes für Ver­fas­sung­schutz mit aus­län­der­feind­li­chen Äuße­run­gen vor, die „die Gren­ze der ver­fas­sungs­schutz­recht­lich zuläs­si­gen Kri­tik“ über­schrei­ten und gegen diver­se Arti­kel des Grund­ge­set­zes verstoßen)
  • Carl-Wolf­gang Holz­ap­fel (Ber­lin-Zehlen­dorf, von der Ber­li­ner AfD 2022 in die Bun­des­ver­samm­lung ent­sandt hat 1973 die Ent­füh­rung einer Bri­tish-Euro­pean Air­ways-Maschi­ne von Stutt­gart nach Mos­kau ange­kün­digt, um die Frei­las­sung von Rudolf Heß zu erreichen) 
  • Ste­phan Protsch­ka (Din­gol­fing, Bay­ern, beschäf­tig­te Iden­ti­tä­re und stif­te­te im Novem­ber 2019 mit ande­ren ver­fas­sungs­feind­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen in Polen ein Krie­ger­denk­mal, auf dem auch Orga­ni­sa­tio­nen geehrt wer­den, die Polen und Juden ermor­de­ten. Dar­über wur­de in tages­schau und Pres­se aus­führ­lich berich­tet, aber Protsch­ka wur­de im Dezem­ber 2019 auf dem AfD-Bun­des­par­tei­tag zum Bei­sit­zer im AfD-Bun­des­vor­stand wiedergewählt.)
  • Tho­mas Seitz (Etten­heim, Baden-Würt­tem­berg, Flü­gel, wegen ras­sis­ti­scher Äuße­run­gen Rich­ter­amt für 8 Jah­re abge­spro­chen, Ver­fas­sungs­treue nicht gegeben)
  • Johan­nes Huber (Moos­burg an der Isar, Bay­ern, Flü­gel­nä­he, beschäf­tig­te Recht­ex­tre­me Mitarbeiter*innen im Bun­des­tag, anti­se­mi­ti­sche und rechts­extre­me Verschwörungtheorien)
  • Mat­thi­as Hel­fe­rich (Dort­mund-Hom­bruch, Kon­tak­te zu Dort­mun­der Neo-Nazis, bezeich­net sich selbst als „das freund­li­che Gesicht des NS“, trägt Nazi­sym­bo­le, Meu­then hat Aus­schluss­ver­fah­ren bean­tragt, dafür fand sich aber kei­ne Mehr­heit im Vor­stand und Tino Chrup­al­la und Ali­ce Wei­del stimm­ten für Hel­fe­richs Ver­bleib in der Partei!)
  • Josef Dörr (Illi­in­gen, Saar­land, soll­te vom Bun­des­par­tei wegen „all­zu enge Kon­tak­te zu rech­ten und neo­na­zis­ti­schen Krei­sen“ aus der AfD aus­ge­schlos­sen wer­den. Hat im Jahr 2015 Mit­glie­dern der Frei­en Bür­ger Uni­on sat­zungs­wid­rig Dop­pel­mit­glied­schaf­ten ange­bo­ten. taz, 12.03.2022)
  • Andre­as Win­hart (out of Rosen­heim, Bay­ern, seit 2021 Vor­stand der AfD-Land­tags­frak­ti­on, durch ras­sis­ti­sche und anti­semt­si­che Äuße­run­gen bekannt. Mit Mord­auf­ru­fen gegen See­not­ret­tung 2018. Bis 2019 unter Beob­ach­tung des Verfassungsschutzes.)
  • Bir­git Mal­sack-Win­ke­mann (Darm­stadt, Rich­te­rin, bis 2021 im Bun­des­tag, mut­maß­li­ches Mit­glied der rechts­ter­ro­ris­ti­schen Patrio­ti­schen Uni­on aus der Reichs­bür­ger­sze­ne)
  • Emil Sän­ze (Beu­ren, Baden-Würt­tem­berg, Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter und Co-Vor­sit­zen­der des AfD-Lan­des­ver­ban­des Baden-Würt­tem­berg, fand die anti­se­mi­ti­schen Äuße­run­gen von Gede­on (sie­he oben) nicht so schlimm … Gehört zum Stutt­gar­ter Auf­ruf, stu­dier­te Betriebs­wirt­schaft in Kon­stanz, arbei­te­te bei der Deut­schen Bank und für die BMW Bank GmbH)
  • Roland Ulb­rich (Düs­sel­dorf, NRW, Jurist, stu­diert in Bonn, Mar­burg und Köln, Mit­glied in diver­sen schla­gen­den Ver­bin­dun­gen, Ange­hö­ri­ger des Flü­gels, fand Par­tei­aus­schluss von Kal­bitz falsch, hat ver­spro­chen, dass es mit ihm im Schieds­ge­richt kei­ne Par­tei­aus­schluss­ver­fah­rens­or­gi­en mehr geben wür­de und wur­de dafür gewählt. 2024 hat er ein Urteil mit Bezug auf Geset­ze aus der Nazi-Zeit begrün­det.)
  • Chris­ti­an Buch­holz (Ham­burg, laut taz, 28.02.2024 Neo­na­zi Mar­tin Sell­ner ein­ge­la­den, Ange­hö­ri­ger des Flügels) 
  • Andre­as Lichert (Bad Hom­burg vor der Höhe, Hes­sen, Vor­stands­spre­cher AfD Hes­sen, bei Land­tags­wahl 2018 im Wahl­kreis Wet­ter­au II 17,4 % der Erst­stim­men, bis 2018 Vor­stands­mit­glied des Trä­ger­ver­eins des rechts­extre­men Insti­tuts für Staats­po­li­tik, war Haus­ver­wal­ter einer Immo­bi­lie in Hal­le, die von der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung als „iden­ti­tä­res Zen­trum“ genutzt wurde)
  • Jür­gen Elsäs­ser (Pforz­heim, Baden-Würt­em­berg, Rechts­extre­mist, Lei­ter des 2024 ver­bo­te­nen Compact)
  • Oli­ver Janich (Mün­chen, Bay­ern, vom Bay­ri­schen Ver­fas­sungs­schutz als Rechts­extre­mist und Anti­se­mit eingeordnet)

Rechts­extre­me, die ver­ur­teilt wur­den laut Volksverpetzer:

Hier noch eine Lis­te von Wiki­pe­dia-Sei­ten von AfD-Politiker*innen, auf denen nicht steht, dass die betref­fen­den Per­so­nen rechts­extrem sind, aber statt­des­sen aus­län­der­feind­li­che, anti-demo­kra­tisch oder sonst wie gear­te­te Mei­nun­gen bekun­det wer­den, die nor­ma­ler­wei­se Ossis vor­ge­wor­fen werden:

  • Nico­laus Fest (Ham­burg, islam­feind­lich und grund­ge­setz­wid­rig, weil er ent­ge­gen der Reli­gi­ons­frei­heit alle Moscheen schlie­ßen will, unter Mer­kel dro­he Ent-Par­la­men­ta­ri­sie­rung par­al­lel zum Ermäch­ti­gungs­ge­setz der Nazis, will völ­ki­schen Flü­gel in AfD-Ber­lin inte­grie­ren, sie­he auch taz, 15.02.22)

Ostler

Es folgt eine Lis­te von rechts­extre­men AfD-Politiker*innen aus dem Osten:

Man kann also zusam­men­fas­send sagen: Die AfD wur­de von West-Pro­fes­so­ren gegrün­det und sie wird von West­deut­schen gelei­tet. Pro­mi­nen­te Rechts­extre­me bzw. Nazis kom­men aus dem Wes­ten und wur­den zum Teil auch nach ange­lau­fe­nen Aus­schluss­ver­fah­ren in ihren Ämtern bestätigt.

Demokratieversagen?

Was ist pas­siert? 25 % der säch­si­schen und bran­den­bur­gi­schen Wäh­le­rIn­nen haben eine Nazi-Par­tei gewählt. Haben sie sich unde­mo­kra­tisch ver­hal­ten? Nein. Sie­he oben. Wie konn­te das über­haupt pas­sie­ren? Wie­so gab es das frü­her nicht? Es gab im Wes­ten immer schon sol­che Par­tei­en wie die NPD, die DVU, die Repu­bli­ka­ner. Das Gute war: Die waren zu doof. Sobald sie irgend­wie nen­nens­wer­te Stim­men­an­tei­le beka­men und Posi­tio­nen beset­zen konn­ten, brach alles zusam­men, weil die nöti­ge Struk­tu­riert­heit und der Durch­hal­te­wil­le fehl­ten. Das ist nun anders. Neo­li­be­ra­le Pro­fes­so­ren haben die­se Par­tei gegrün­det und auf einen rechts­kon­ser­va­ti­ven Weg gebracht. Die Par­tei wur­de dann schritt­wei­se von Nazis über­nom­men, bei den Macht­spiel­chen von Lucke, Petry und Gau­land ist eben eini­ges schief gelaufen.

Wer hat ver­sagt? Wir alle. Ja, unse­re Demo­kra­tie hat ver­sagt. Spä­tes­tens seit Maa­ßen ist das klar. Ver­fas­sungs­schutz­chef Maa­ßen (CDU, Mön­chen­glad­bach, Nord­rhein-West­fa­len) konn­te in Chem­nitz kei­ne Hetz­jag­den erken­nen und es hat ein Jahr gebraucht, bis dann irgend­wie doch klar war, dass es Hetz­jag­den gab. See­ho­fer (CSU) hat Mona­te gebraucht, bis er Maa­ßen end­lich gefeu­ert hat. Kurt „Die Sach­sen sind immun gegen Rechts­extre­mis­mus.“ Bie­den­kopf konn­te in Sach­sen kei­ne rechts­extre­men Ten­den­zen fest­stel­len. Der säch­si­sche Ver­fas­sungs­schutz war ihm offen­sicht­lich kei­ne gro­ße Hil­fe. Klei­ne gemei­ne Fra­ge: Wer hat den Ver­fas­sungs­schutz im Osten auf­ge­baut? Wer die Poli­zei? Die Ost­deut­schen? Nee. Wie war das mit dem NSU? Nix gemerkt? Oder viel­leicht doch sogar einer vom Ver­fas­sungs­schutz beim Mord dabei gewe­sen? Wir haben rie­si­ge rechts­extre­me Netz­wer­ke mit Todes­lis­ten (Han­ni­bal), rechts­extre­me Vor­fäl­le in Armee und Poli­zei. Gar einen Mord mit rechts­extre­men Hin­ter­grund in Hes­sen (wur­de lei­der bei der Mel­dung der Straf­ta­ten mit rechts­extre­men Hin­ter­grund ver­ges­sen, upsi).

Und nun? Ver­bie­ten? Ist nicht so ein­fach, wenn die Par­tei bereits 25 % der Stim­men bekom­men hat. 

Sind die Ostdeutschen nicht demokratiefähig?

Eine Stu­die der Uni­ver­si­tät Leip­zig hat erge­ben, dass die Ost­deut­schen Demo­kra­tie grund­sätz­lich befür­wor­ten und zwar zu 95 % (im Wes­ten nur 93 %). Ein Teil der Wäh­le­rIn­nen hat eine rechts­extre­me Par­tei gewählt. Die­se wur­de von West­deut­schen Pro­fes­so­ren gegrün­det und eta­bliert und wird immer noch über­wie­gend von West­deut­schen gelei­tet. Auf­grund der spe­zi­fi­schen Situa­ti­on im Osten sind Men­schen dort für ras­sis­ti­sche und natio­na­lis­ti­sche Posi­tio­nen und den Quatsch, den die AfD von der Wen­de erzählt, emp­fäng­lich. Ins­ge­samt ist es aber so, dass die­ses Land, das gesam­te Land, ein Rechts­extre­mis­mus­pro­blem hat. Die­ses kann man nur gemein­sam lösen und man löst es nicht durch Fin­ger­zei­gen und Bemer­kun­gen von oben nach unten. Das Posi­ti­ve ist, dass die jüngs­ten Ereig­nis­se zu einer Poli­ti­sie­rung und auch zu einem Umden­ken in der Poli­tik geführt haben:

Den­noch geben die Wah­len für all­zu apo­ka­lyp­ti­sche Deu­tun­gen kei­nen Anlass. In dem Schla­mas­sel ste­cken Geschich­ten, die Mut machen. Sie spie­len jen­seits der klas­si­schen Par­tei­e­narith­me­tik und klin­gen nach Auf­bruch und Erneue­rung. Da wäre zum Bei­spiel eine umfas­sen­de Poli­ti­sie­rung der Gesell­schaft, die bei Wahl­ver­an­stal­tun­gen von CDU, SPD, Grü­nen oder Lin­ken zu spü­ren war. Die Men­schen kamen, sie waren vie­le, und sie rede­ten ernst­haft über Poli­tik. Über schrump­fen­de Dör­fer, über Züge, die nicht mehr fah­ren, über die Braun­koh­le – und über Kon­zep­te, die es bes­ser machen. Was sel­ten vor­kam, war das ima­gi­nier­te Zuviel an Migra­ti­on. Es fand eine Erdung statt, die vor einem Jahr undenk­bar schien, als Neo­na­zis durch Chem­nitz maro­dier­ten.
Die demo­kra­ti­sche Mehr­heit hat sich dis­kur­si­ve Räu­me zurück­er­kämpft und mit Leben gefüllt. Von Des­in­ter­es­se der Bür­ge­rIn­nen kann kei­ne Rede sein, es gibt ein Bedürf­nis nach Teil­ha­be und Enga­ge­ment. Das, was Ost- und West­deutsch­land 30 Jah­re nach der Wen­de trennt, liegt jetzt auf dem Tisch, für alle sicht­bar. Auch die Par­tei­en haben viel rich­tig gemacht. Oben auf der Büh­ne steht einer, belehrt die ande­ren und wird gewählt – so funk­tio­niert es nicht mehr. CDU-Mann Kret­schmer hat im Wahl­kampf gefühlt jedem Sach­sen per­sön­lich die Hand geschüt­telt, der Grü­ne Habeck in sei­nen Town Halls auch dem kri­tischs­ten Atom­kraft­fan minu­ten­lang geantwortet. 

Ernst­haft ins Gespräch kom­men, Zuge­wandt­heit zei­gen, das ist ein Anfang, aus dem etwas ent­ste­hen kann. Die Zivil­ge­sell­schaft und die demo­kra­ti­schen Par­tei­en befin­den sich in einer Such­be­we­gung – auf­ein­an­der zu.

Ulrich Schul­te, Auch Mut machen­de Signa­le, taz, 03.09.2019

Hof­fen wir, dass die­se Ent­wick­lung anhält und dass wir die­ses Land ret­ten können.

Nach­trag 07.09.2019: In Alten­stadt-Wald­sied­lung (Hes­sen) wur­de der stell­ver­tre­ten­de NPD-Lan­des­vor­sit­zen­de ein­stim­mig mit Stim­men der SPD, FDP und CDU zum Orts­vor­ste­her gewählt.

Genau das ist das Problem: Selbstgefälligkeit und Arroganz

Vorgeschichte zur Einordnung

  1. Ich bin Anti­fa­schist, habe für #unteil­bar gear­bei­tet und bin zutiefst erschüt­tert über das Wahl­er­geb­nis der AfD in Bran­den­burg und in Sach­sen. Es ist umso schlim­mer, weil klar ist, dass Kal­bitz ein Nazi ist (taz, Spie­gel, Jung&Naiv). Mit tie­fer Ver­wur­ze­lung im rechts­extre­men Milieu.
  2. Ich bin in den 60ern in Jena gebo­ren wor­den und seit 2013 Ossi.
  3. Ana­tol Ste­fa­no­witsch ist ein guter Kol­le­ge von mir. Wir haben jah­re­lang zusam­men in Bre­men gear­bei­tet und uns zur Freu­de unse­rer Mit­ar­bei­te­rIn­nen jeden Tag beim Mit­tag­essen über alles Mög­li­che gestrit­ten. Meis­tens Grammatik.
  4. Ich tei­le vie­le sei­ner Ansich­ten und lie­be sei­ne poin­tier­ten Tweets. Sie sind oft auf den Punkt.

Klischees und wilde Behauptungen

In sei­nem Tweet vom 02.09.2019 direkt nach den Land­tags­wah­len in Sach­sen und Bran­den­burg schreibt Ana­tol Ste­fa­no­witsch fol­gen­des: Wahl­sta­tis­ti­ker: „War­um haben Sie AfD gewählt?“ Wäh­ler: „Aus Pro­test gegen Aus­län­der, Juden, Mus­li­me, Schwu­le, Frau­en und Gre­ta.“ Wahl­sta­tis­ti­ker: *kreuzt “Pro­test­wäh­ler” an.

Tweet von @aste­fa­no­witsch nach den Land­tags­wah­len in Bran­den­burg und Sach­sen, 02.09.2019

Damit tut Ana­tol (ich nehm’ mal den Vor­na­men) zwei Din­ge: Ers­tens er bezwei­felt die Wis­sen­schaft­lich­keit von Wahl­for­schung. Und er belei­digt die Pro­test­wäh­ler, denn er unter­stellt, dass ein gro­ßer Teil der Pro­test­wäh­le­rIn­nen Aus­län­der, Juden, Mus­li­me, Schwu­le, Frau­en oder Gre­ta Thun­berg ablehnt.

Infragestellung von Forschungsergebnissen: eine rechte Strategie, oder?

Der ers­te Punkt ist schlimm, denn er ent­spricht genau dem, was Rech­te und Rechts­extre­me tun: Sie zie­hen wis­sen­schaft­li­che Ergeb­nis­se in Zwei­fel. OK, wir alle wis­sen, dass mit Umfra­ge­er­geb­nis­sen auch Poli­tik gemacht wird. Aber es gibt ja meh­re­re Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tu­te und man kann die Pro­gno­sen vor Wah­len sehr gut mit den Wahl-Ergeb­nis­sen abglei­chen und kann dann das Insti­tut ent­spre­chend ein­ord­nen. Je nach Insti­tut schwan­ken die Zah­len um eini­ge Pro­zent. Bei der Wahl­be­richt­erstat­tung in der ARD wur­de aber gesagt, dass nur 39 % der AfD-Wäh­le­rIn­nen in Sach­sen sie wegen der Inhal­te gewählt haben, 52 % dage­gen aus Ent­täu­schung. Von 8–9% wis­sen wir es nicht.

Wahl­be­richt­erstat­tung Land­tags­wahl Sach­sen und Bran­den­burg am 01.09.2019

Selbst wenn man hier eine Ver­fäl­schung des Ergeb­nis­ses in eine bestimm­te Rich­tung unter­stel­len woll­te, bekä­me man immer noch einen Wert um die 50% von Wäh­lern, die sich nicht mit den Inhal­ten der Par­tei identifizieren.

Protestwähler

Noch mal: Ich bin zutiefst erschüt­tert ob des Wahl­er­geb­nis­ses. Es gibt kei­ne Recht­fer­ti­gung dafür, eine Par­tei mit Nazi-Per­so­nal an der Spit­ze zu wählen.

Aber: Es gibt Leu­te, die aus Pro­test kei­ne der demo­kra­ti­schen Par­tei­en mehr wäh­len. Man sieht in Sach­sen sehr deut­lich, dass Wäh­le­rIn­nen der Lin­ken zur AfD gewech­selt sind.

Wäh­ler­wan­de­rung, Dar­stel­lung aus dem Spie­gel-Arti­kel Ana­ly­se zu Wah­len in Sach­sen und Bran­den­burg, 2019

Man kann sich die Deutsch­land­kar­ten anse­hen und stellt fest, dass sozio­öko­no­mi­scher Sta­tus stark mit dem Wahl­ver­hal­ten kor­re­liert ist. Guckt man nach Bay­ern (19,2% Deg­gen­dorf) oder Baden-Würt­em­berg (16,3% Pforz­heim) so fin­det man in eini­gen Wahl­krei­sen einen 15–20%-Anteil an AfD-Wäh­lern, ohne dass es in die­sen Orten irgend­wel­che Pro­ble­me der Art gibt, mit der der Osten kämpft. Ähn­lich gela­gert dürf­te es im Osten sein: Es gibt einen Anteil der­je­ni­gen, die AfD-Posi­tio­nen teilt (die 39% der Wäh­le­rIn­nen). Oben drauf kom­men dann die Abghäng­ten und Frus­trier­ten. Das ist kei­ne Ent­schul­di­gung für irgend­was, aber wir müs­sen uns damit aus­ein­an­der­set­zen, damit wir etwas ändern können.

Arroganz

Auf mei­ne Kri­tik an Ana­tols ursprüng­li­chem Post kam die Ant­wort von einem Nut­zer aus NRW: „Niveau sieht nur von unten wie Arro­ganz aus.“ Net­ter­wei­se hat er noch dazu­ge­schrie­ben, dass NRW in West­deutsch­land liegt. Ich hät­te sonst erst nach­gu­cken müssen.

Lus­ti­ger Aus­tausch auf Twit­ter. 02.09.2019

Das zeigt recht deut­lich, wo das Pro­blem liegt: Man bewegt sich niveau­voll in sei­ner Bla­se und spricht von oben nach unten. Das löst aber das Pro­blem nicht. Lei­der ver­stärkt es das Pro­blem nur. Ja, das Von-oben-nach-unten-Reden ist ein Pro­blem. Der Wes­ten ist immer noch wirt­schaft­lich stär­ker. Im Osten gibt es die Tari­fe nicht, die es im Wes­ten gibt. Schon über Jahr­zehn­te (z.B. seit 2003 35-Stun­den-Woche bei der IG Metall im Wes­ten, 38 Stun­den im Osten für glei­ches Geld).

Keine Toleranz für Nazis und Mitläufer

Es gibt ganz vie­le Ant­wor­ten auf den Tweet, die ihre Abgren­zung zum Aus­druck brin­gen. Kann ich voll ver­ste­hen. Nur was folgt dar­aus? Dass wir mit 18 % der Bevöl­ke­rung (18,6 % in Sach­sen, 14,4 % in Bran­den­burg bei Berück­sich­ti­gung der Nicht­wäh­ler) nicht mehr reden? Es ist zu ein­fach zu sagen, ich bin gut und ihr seid Nazis. Das ist selbst­ge­fäl­lig. Man macht es sich bequem auf sei­nem Sessel/Bürodrehstuhl und guckt mit Schau­dern gen Osten und zeigt mit dem Fin­ger. Davon ändert sich aber nichts. Im Gegen­teil. Die ande­ren Reden mit ihnen. Und sie hören das wahn­sin­ni­ge Gefa­sel von der Wen­de 2.0. Von Leu­ten, die damals noch ganz klein waren und in West­fa­len oder Mün­chen zur Schu­le gegan­gen sind.

Höcke: Dafür haben wir nicht die fried­li­che Revo­lu­ti­on gemacht

Hier noch mal für den Geschichts­leh­rer: Das haben die Bür­ger­be­we­gun­gen damals gewollt. Der gan­ze ande­re Scheiß kam später.

Demo­auf­ruf der ver­schie­de­nen Grup­pie­run­gen der Bür­ger­be­we­gung, 19.12.1989, DDR-Muse­um Eisenhüttenstadt

Schlussfolgerung

Wir müs­sen mit­ein­an­der reden. Wohl eher nicht mit den Nazis, obwohl Thi­lo von Jung auch das sehr gut hin­be­kom­men hat (Inter­view mit Kal­bitz). Aber wenn wirk­lich 61 % von 25 % nicht mit den Ansich­ten der AfD über­ein­stim­men, dann sind das doch sehr vie­le Men­schen. Und selbst bei den 39 % ist noch nicht alles ver­lo­ren. Da sind sicher Men­schen dabei, die wegen „Gre­ta“ die AfD gewählt haben, denn die Kli­ma­wan­del­leug­ner haben sich recht klar für Koh­le posi­tio­niert und das ist für eini­ge Bran­den­bur­ge­rIn­nen existenziell.

Also, ver­su­chen wir mit ihnen zu reden. Bit­te ver­sucht Ihr Wes­sis mit uns Ossis auf Augen­hö­he zu reden. Es ist Eure ein­zi­ge Chan­ce. Es ist unse­re ein­zi­ge Chance.

Nachtrag 04.09.2019

Lei­der muss ich mir hier gleich wider­spre­chen. Den oben ange­spro­che­nen Erkennt­nis­sen von infra­test dimap, wonach nur 39% der Wäh­le­rIn­nen in Sach­sen die AfD aus Über­zeu­gung gewählt haben, wider­spricht eine Stu­die der For­schungs­grup­pe Wah­len, der­zu­fol­ge 28 % das Motiv „Denk­zet­tel“ nann­ten und 70% die AfD „wegen ihrer poli­ti­schen For­de­run­gen“ wähl­ten (Tele­fon­be­fra­gung unter 1071 zufäl­lig aus­ge­wähl­ten Wahl­be­rech­tig­ten in der Woche vor der Wahl und Befra­gung von 18 411 Wäh­lern am Wahl­tag). Ein Unter­schied von 31% in den Ergeb­nis­sen ist doch ziem­lich groß. Ich wer­de mich bemü­hen, Nähe­res über die ers­te Befra­gung her­aus­zu­fin­den. Immer­hin ist die Zahl 28% auch nicht klein. In Bran­den­burg lag die Zahl der Pro­test­wäh­le­rinn­nen bei über 50%.

Der Ossi und der Holocaust

Die­ser Text wur­de am 01.09.2019 begon­nen und ist lei­der immer noch nicht ganz fer­tig, aber er soll jetzt mal sicht­bar werden. 

Einleitung

Die Wes­sis ver­su­chen jetzt, den Osten zu ver­ste­hen. Ein biss­chen spät, denn das Kind ist in den Brun­nen gefal­len. Dazu gibt es ver­schie­de­ne Ana­ly­sen in Zei­tun­gen, die für die Mei­nungs­bil­dung rele­vant sind. Einen wich­ti­gen Punkt aus zwei die­ser Ana­ly­sen möch­te ich in die­sem Bei­trag bespre­chen: DDR und Holo­caust. Die AutorIn­nen der bespro­che­nen Bei­trä­ge sind jeweils aus dem Osten: Ines Gei­pel und Anet­ta Kaha­ne. Das macht ihre Aus­sa­gen um so ver­wun­der­li­cher. Sehen wir uns die Aus­sa­gen von Ines Gei­pel und Anet­ta Kaha­ne im Detail an:

Die West-Gesell­schaft des direk­ten Nach­kriegs, die sich manisch schön­putz­te, die schier mär­chen­gleich Koh­le mach­te und sich in ihrer Unfä­hig­keit zu trau­ern ver­pupp­te. Die post­fa­schis­ti­sche DDR der fünf­zi­ger Jah­re dage­gen wur­de zur Syn­the­se zwi­schen ein­ge­kap­sel­tem Hit­ler und neu­er Sta­lin-Dik­ta­tur, pla­niert durch einen roten Anti­fa­schis­mus, der ein­zig eine Hel­den­sor­te zuließ: den deut­schen Kom­mu­nis­ten als Über­win­der Hit­lers. Mit die­ser instru­men­tel­len Ver­ges­sens­po­li­tik wur­de im sel­ben Atem­zug der Holo­caust für 40 Jah­re in den Ost-Eis­schrank gescho­ben. Er kam öffent­lich nicht vor. 

Ines Gei­pel, Das Ding mit dem Osten, Frank­fur­ter All­ge­mei­ne, 14.08.2019

Im Osten war eine sys­te­mi­sche und indi­vi­du­el­le Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus und der Sho­ah nicht gewollt. Dies hät­te zu Fra­gen nach Men­schen­rech­ten oder Min­der­hei­ten­schutz geführt, die nur bei Stra­fe des Unter­gangs der DDR zu beant­wor­ten gewe­sen wären. 

Anet­ta Kaha­ne, Debat­te Ost­deut­sche und Migran­ten: Nicht in die Fal­len tap­pen, taz, 12.06.2018

Die kras­ses­te Behaup­tung ist die von Gei­pel, der Holo­caust sei öffent­lich nicht vor­ge­kom­men.1 Die­se Behaup­tung ist leicht zu wider­le­gen und Mat­thi­as Krauß hat das bereits 2007 getan.2 Für die Behaup­tung von Kaha­ne muss man etwas wei­ter ausholen.

Schulbildung: Geschichts- und Literaturunterricht 

Die Beschäf­ti­gung mit dem Holo­caust zog sich durch die gesam­te Schul­bil­dung. Die Schul­bil­dung war in der DDR zen­tral gere­gelt, d.h. alle Schü­le­rin­nen und Schü­ler wur­den nach dem­sel­ben Lehr­plan und mit den­sel­ben Lehr­ma­te­ria­li­en unterrichtet. 

Geschichtsunterricht

Die Nazi­zeit wur­de in der 9. Klas­se behan­delt. Im Geschichts­buch der 9. Klas­se fin­det man meh­re­re Sei­ten, auf denen Ver­bre­chen an Juden the­ma­ti­siert wer­den: Anti­se­mi­ti­sche Het­ze, Ras­sen­ge­set­ze, Boy­kott­auf­ru­fe, Berufs­ver­bo­te, zer­stör­te Syn­ago­gen, Ent­eig­nun­gen. Es fol­gen Sei­ten aus dem Geschichts­buch von 1977 (8. Auf­la­ge der Aus­ga­be von 1970):

Nimtz, Wal­ter. 1977. Geschich­te Lehr­buch für Klas­se 9. Ber­lin: Volk und Wis­sen Volks­ei­ge­ner Ver­lag. 8. Auf­la­ge, S. 157. 
Nimtz, Wal­ter. 1977. Geschich­te Lehr­buch für Klas­se 9. Ber­lin: Volk und Wis­sen Volks­ei­ge­ner Ver­lag. 8. Auf­la­ge, S. 158. 

Das War­schau­er Ghet­to wird the­ma­ti­siert, die Depor­ta­ti­on von Juden in die Todes­la­ger von Ausch­witz und Majdanek.

Nimtz, Wal­ter. 1977. Geschich­te Lehr­buch für Klas­se 9. Ber­lin: Volk und Wis­sen Volks­ei­ge­ner Ver­lag. 8. Auf­la­ge, S. 221. 

Zusam­men mit einem Bild von Ausch­witz-Bir­ken­au wird auf die acht Mil­lio­nen Men­schen hin­ge­wie­sen, die in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern ermor­det wur­den: „in ers­ter Linie Arbei­ter, Kom­mu­nis­ten, Sowjet­bür­ger, pro­gres­si­ve Ange­hö­ri­ge der Intel­li­genz und Juden“.

Nimtz, Wal­ter. 1977. Geschich­te Lehr­buch für Klas­se 9. Ber­lin: Volk und Wis­sen Volks­ei­ge­ner Ver­lag. 8. Auf­la­ge, S. 206. 

Der Nut­zer ste­ve hat auf Mast­o­don Sei­ten aus dem Geschichts­buch von 1988 zugäng­lich gemacht. Hier eini­ge Seiten:

Bericht über den Gene­ral­plan Ost im Geschichts­lehr­buch 9. Klas­se von 1988.

Bericht über die Pla­nung und Umset­zung der Ermor­dung von sla­wi­schen Völ­kern und Juden im Geschichts­lehr­buch 9. Klas­se von 1988.

Juden­ver­fol­gung und Wann­see­kon­fe­renz wer­den expli­zit the­ma­ti­siert. Die ras­sisch begrün­de­ten Mor­de wer­den klar angesprochen:

Errich­tung wei­te­rer Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger. Die Faschis­ten pferch­ten wei­te­re Mil­lio­nen Häft­lin­ge — Kom­mu­nis­ten, Sozi­al­de­mo­kra­ten, Gewerk­schaf­ter, Anti­fa­schis­ten ver­schie­dens­ter Klas­sen­zu­ge­hö­rig­keit, ras­sisch ver­folg­te, vor allem Juden, Kriegs­ge­fan­ge­ne, Zwangs­ar­bei­ter und ande­re Häft­lin­ge — in unzäh­li­gen Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern zusam­men (vgl. Kar­te). Auf pol­ni­schem Boden ent­stan­den die KZ Ausch­witz, Bełżec, Kulm­hof, Maj­da­nek, Sobi­bor und Treb­linka. In die­sen größ­ten Ver­nich­tungs­la­gern wur­den mehr als sie­ben Mil­lio­nen Men­schen unter ent­setz­li­chen Qua­len umgebracht.

Geschichts­lehr­buch 9. Klas­se von 1988. S. 168–169

Bericht über den Mas­sen­mord in Ver­nich­tungs­la­gern im Geschichts­lehr­buch 9. Klas­se von 1988.
Bericht über die Ermor­dung von 56.000 Juden im War­schau­er Ghet­to im Geschichts­lehr­buch 9. Klas­se von 1988.
Bericht über den Mas­sen­mord in Ver­nich­tungs­la­gern in der Zusam­men­fas­sung des Abschnitts im Geschichts­lehr­buch 9. Klas­se von 1988.

In der Zusam­men­fas­sung fin­det sich auch noch mal expli­zit folgendes:

durch soge­nann­te ‘Straf- und Ver­gel­tungs­ak­tio­nen’ began­nen die Faschis­ten den Mas­sen­mord an Mil­lio­nen Hit­ler­geg­nern und Ange­hö­ri­gen ver­schie­de­ner Völ­ker, ins­be­son­de­re von Bür­gern der Sowjet­uni­on und Polens sowie von Juden vie­ler euro­päi­scher Staa­ten. […] 20. Janu­ar 1942 ‘Wann­see-Kon­fe­renz’ beschließt Mas­sen­mord an Juden

Geschichts­lehr­buch 9. Klas­se von 1988. S. 173

In den Emp­feh­lun­gen für die außer­un­ter­richt­li­che Lek­tü­re kamen Roma­ne vor, die auch im Lite­ra­tur­un­ter­richt behan­delt wurden: 

Literaturunterricht

Wir haben in der 9. Klas­se Kin­der­schu­he aus Lub­lin von Johan­nes R. Becher gelernt. Vie­le haben das auf­ge­sagt (33 Stro­phen). Die, die es nicht selbst gelernt haben, haben es zumin­dest vie­le Male gehört. Bechers Bala­de von den Drei­en war eben­falls im Lese­buch der DDR 9. Klas­se (Aus­ga­be 1980) ent­hal­ten. Die­ses Gedicht hat­te nur neun Zei­len. Das haben die auf­ge­sagt, denen die Kin­der­schu­he zu lang waren. Ich habe es oft gehört.

Wir haben Nackt unter Wöl­fen von Bru­no Apitz gele­sen. Im Buch geht es um ein jüdi­sches Kind, das im KZ Buchen­wald ver­steckt wird. Der Mord an den Juden wird ganz klar thematisiert:

Unter den 6000 jüdi­schen Häft­lin­gen des Lagers ver­ur­sach­te der Befehl einen Auf­ruhr der Angst und Ver­zweif­lung. Zuerst war ein Schrei des Ent­set­zens in ihnen auf­ge­bro­chen. Sie woll­ten die schüt­zen­den Blocks nicht ver­las­sen. Sie schrien und wein­ten, wuss­ten nicht, was sie tun soll­ten. Wie ein wüten­der Wolf hat­te der furcht­ba­re Befehl sie ange­sprun­gen, hat­te sich in sie ver­bis­sen, und sie konn­ten ihn nicht mehr abschüt­teln. Unge­ach­tet von Weis­angks Befehl, die Blocks nicht zu ver­las­sen, stürz­ten vie­le der jüdi­schen Häft­lin­ge fort, kopf­los und in höchs­ter Not. Sie rann­ten in ande­re Blocks hin­ein, in die Seu­chen­ba­ra­cke des Klei­nen Lagers, ins Häft­lings­re­vier. »Helft uns! Ver­steckt uns!« »Wie euch ver­ste­cken? Wir kom­men doch sel­ber dran.« Trotz­dem, die Blocks nah­men sie auf. Man riss ihnen die jüdi­schen Mar­kie­run­gen von den Klei­dern, gab ihnen ande­re dafür. Köhn {und der Kapo vom Revier} steck­ten die Hil­fe­su­chen­den als »Kran­ke« in die Bet­ten, gab ihnen eben­falls ande­re Mar­kie­run­gen und Num­mern. Man­che der Gehetz­ten ver­steck­ten sich auf eige­ne Faust und kro­chen in den Lei­chen­kel­ler des Reviers. Ande­re wie­der stürz­ten in die Pfer­de­stäl­le des Klei­nen Lagers, in der Mas­se unter­tau­chend. Und doch war die­se Flucht die sinn­lo­ses­te, denn gera­de hier steck­ten vie­le jüdi­sche Ange­hö­ri­ge frem­der Natio­nen. Aber wer über­leg­te, wer dach­te klar, wenn er vom Wolf gehetzt wur­de … Was in den Blocks der jüdi­schen Häft­lin­ge zurück­blieb, unter­lag schließ­lich der Läh­mung des mör­de­ri­schen Befehls. Ver­stört sahen sie dem Kom­men­den ent­ge­gen. Die Block­äl­tes­ten, selbst jüdi­sche Häft­lin­ge, hat­ten nicht den Mut, zum Marsch nach dem Tor antre­ten zu las­sen. Dort war­te­te der Tod! Konn­te man ihn nicht auch hier erwarten? 

Bru­no Apitz. 1958. Nackt unter Wöl­fen, Mit­tel­deut­scher Ver­lag, Hal­le (Saa­le). Zitiert nach Aus­ga­be vom Auf­bau­ver­lag, 2012, S. 274–275

Zum Buch gab es 1963 eine Ver­fil­mung von Frank Bey­er für die DEFA (sie­he Fil­me). Nackt unter Wöl­fen erschien in 30 Spra­chen und erreich­te eine Gesamt­auf­la­ge von mehr als zwei Mil­lio­nen. (Nach­trag 19.06.2024: Ines Gei­pel spricht in ihrem 2019 erschie­ne­nen Buch Umkämpf­te Zone auf S. 36 des Ebooks selbst von Nackt unter Wöl­fen.)

Pro­fes­sor Mam­lock (ein Thea­ter­stück von 1934) wur­de 1961 ver­filmt und in Schu­len gezeigt. Der Film han­delt von einem jüdi­schen Kli­nik­lei­ter und des­sen Fami­lie. Arbeits­ver­bot, Inhaf­tie­rung. Ein Sohn flieht. Pro­fes­sor Mam­lock begeht Selbstmord.

Edu und Unku wur­de eben­falls im Lite­ra­tur­un­ter­richt behan­delt. Unku ist ein Sin­ti-Mäd­chen, das in Ausch­witz ermor­det wurde.

Die erst­mals 1958 ver­öf­fent­lich­te Erzäh­lung Früh­lings­so­na­te von Wil­li Bre­del befand sich im Lese­buch der 9./10. Klas­se.3 Es ging um einen jüdi­schen Polit­of­fi­zier, der mit der Roten Armee nach Deutsch­land gekom­men war. Er hört die Musik, die eine Fami­lie mit Kla­vier und Fagott spielt, kommt in deren Woh­nung, immer wie­der, bringt Essen mit. Sie wer­den ver­traut. Eines Tages fragt die Fami­lie ihn nach sei­nem Lieb­lings­stück und er nennt Beet­ho­vens Früh­lings­so­na­te. Die Fami­lie stu­diert das Stück ein, spielt es vor dem Offi­zier und die­ser bricht zusam­men und ver­wüs­tet die Woh­nung. Dar­auf­hin wird er ver­haf­tet und ein­ge­sperrt und von sei­nen Vor­ge­setz­ten ver­prü­gelt. Der Fami­li­en­va­ter – ein deut­scher Pro­fes­sor – ent­schul­digt ihn. Hier Aus­zü­ge aus dem Text, der aus sei­ner Per­spek­ti­ve geschrie­ben ist:

Der Fami­li­en­va­ter:

Ich beob­ach­te­te Rut­hil­de, sie spiel­te vor­treff­lich. Plötz­lich aber sah ich sie erschre­cken: Haupt­mann Pritz­ker wank­te an den Tisch und goss den Inhalt der Wod­ka-Karaf­fe in ein Bier­glas. Der Haupt­mann goss in einem ein­zi­gen Zug den Wod­ka in sich hin­ein. Auf­hö­ren! Um Got­tes Wil­len auf­hö­ren, dach­te ich. Rut­hil­de aber spiel­te wei­ter – und wie sie spiel­te. Mei­ne Frau muss­te ein­set­zen. Der Haupt­mann hat­te bei­de Hän­de vors Gesicht gepresst, als lit­te er Qua­len. Was bedeu­te­te das alles nur? „War­um spiel­ten sie noch? 

Plötz­lich geschah es. Ein Schrei dem unver­ständ­li­che Wor­te folg­ten – und plötz­lich riss der Haupt­mann mit einem Ruck die Tisch­de­cke samt allem, was dar­auf stand her­un­ter. Mei­ne Frau schlug mit dem Kopf auf die Tas­ten des Flügels – wie ohn­mäch­tig. Irm­gart und Häns­chen, zu Tode erschro­cken, rann­ten aus dem Zim­mer. Der Haupt­mann zog mit sei­nem gan­zen Gewicht an dem Schrank, in dem unse­re Glä­ser und etwas Geschirr stan­den, so dass er über den Tisch fiel. Er zerr­te mit einem Griff Vor­hän­ge und Gar­di­nen vom Fens­ter. Einem Stuhl gab er einen Tritt. Und unun­ter­bro­chen schrie er Flüche oder Dro­hun­gen in sei­ner Mut­ter­spra­che her­aus. Rut­hil­de, Gei­ge und Bogen noch in der Hand, stand da und rühr­te sich nicht. Gleich wird er über sie her­fal­len, dach­te ich, bereit, mich ihm ent­ge­gen­zu­wer­fen. Statt des­sen aber hock­te er sich plötz­lich in den Ses­sel, leg­te den Kopf auf die Leh­ne und wein­te, schluchz­te herz­zer­rei­ßend. Ich hat­te mei­ne Frau auf das Sofa gebet­tet, jetzt trat ich zu mei­ner Toch­ter und leg­te den Arm um ihre Schul­ter. So blick­ten wir auf den Unglücklichen, der den Kopf hin und her warf und wie ein Kind wim­mer­te. End­lich kamen Sol­da­ten der Mili­tär­po­li­zei und führ­ten ihn ab.

Wil­li Bre­del. 1971. Früh­lings­so­na­te, Ber­lin und Wei­mar: Auf­bau-Ver­lag. S. 164–165. (Zitat mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Wil­li-Bre­del-Gesell­schaft-Geschichts­werk­statt e. V., Hamburg)

Die Erklä­rung für das Ver­hal­ten wird am nächs­ten Tag von einem ande­ren Offi­zier geliefert:

Heu­te mit­tag näm­lich hat mich ein jun­ger Offi­zier von der Kom­man­dan­tur auf­ge­sucht. Er bat für sei­nen Lands­mann um Ent­schul­di­gung und erbot sich, den Scha­den zu erset­zen. Dann erzähl­te er mir das Schick­sal des Haupt­manns. Es ist noch tra­gi­scher, als wir ver­mu­ten konn­ten. Hören Sie nur: 

Haupt­mann Pritz­ker war vor sei­ner Ein­be­ru­fung zur Sowjet­ar­mee Musik­päd­ago­ge am Kon­ser­va­to­ri­um in Kiew. Er war ver­hei­ra­tet, hat­te eine Toch­ter und einen Sohn, bei­de noch schul­pflich­tig. Im Jah­re 1942 haben deut­sche Sol­da­ten der Hit­ler-Wehr­macht in Kiew Zehn­tau­sen­de Juden, Män­ner, Frau­en und Kin­der, zusam­men­ge­trie­ben wie Vieh und unweit der Stadt vor ihren Grä­bern erschos­sen. Unter den Opfern befan­den sich des Haupt­manns Frau und Kin­der. Die Fami­lie hat­te am Abend, bevor Pritz­ker ein­be­ru­fen wur­de, die Frühlingssonate von Beet­ho­ven gespielt.

Wil­li Bre­del. 1971. Früh­lings­so­na­te, Ber­lin und Wei­mar: Auf­bau-Ver­lag. S. 165.

An einer ande­ren, aus der Sicht des Oberst der sowje­ti­schen Mili­tär­kom­man­dan­turer, der den Haupt­mann ver­hört und geschal­gen hat, erzähl­ten Stel­le heißt es: 

Der Oberst über­leg­te … Da liest man in den Zei­tun­gen, hört in Rund­funk­sen­dun­gen, auch in Gesprä­chen: Bei Worow­schil­wo­grad zwölf­tau­send Juden mas­sa­kriert. In Kertsch Tau­sen­de Ein­woh­ner vor der Stadt füsi­liert. In Kiew zehn­tau­sen­de Juden und Kom­mu­nis­ten gemeu­chelt und in Mas­sen­grä­ber ver­scharrt. Man liest es, ist ent­setzt, aber es dringt nicht mehr rich­tig ins Bewusst­sein; der Ver­stand wehrt sich die­se Häu­fung von Ver­bre­chen aufzunehmen.

Wil­li Bre­del. 1971. Früh­lings­so­na­te, Ber­lin und Wei­mar: Auf­bau-Ver­lag. S. 168.

Der Bericht des Pro­fes­sors endet damit, dass er den Haupt­mann entschuldigt:


„Die Schul­di­gen sind doch eigent­lich wir“: sag­te der Pro­fes­sor, „ich mei­ne, wir Deut­schen. ” Er blick­te auf und fuhr fort: „Man stel­le sich vor: Ein Offi­zier befin­det sich als Sie­ger in dem Land, aus dem die Men­schen kamen, die in sei­ner Hei­mat sei­ne Frau und sei­ne bei­den Kin­der umge­bracht haben. Die Mör­der sind besiegt, aber die Men­schen die­ses Lan­des sind den Mör­dern nicht in den Arm gefal­len, sie haben sie gewäh­ren, das heißt mor­den las­sen. Und ein­sam geht er durch die Stadt der Besieg­ten. Da sitzt in ihrem Haus eine Fami­lie – nicht einer fehlt: Mann, Frau, Töch­ter, Sohn – sie musi­zie­ren, spie­len Schu­mann, Brahms und Mozart. Er steht auf der Stra­ße und lauscht. Jeden Akkord kennt er,
er ist ja Musik­leh­rer, ein Freund der Haus­mu­sik. Musik ist stär­ker als Hass. Gleich einem Bitt­stel­ler klopft er an die Tür der Besieg­ten und — ja, der Mit­schul­di­gen an sei­nem und sei­nes Lan­des Unglück. Er darf zuhö­ren und ist glücklich. Bei Deut­schen, den Lands­leu­ten derer, die sei­ne Frau und Kin­der und unge­zähl­te Tau­sen­de ande­rer Frau­en und Kin­der in sei­ner Hei­mat ermor­det haben. Er denkt dar­an, er muss immer wie­der dar­an den­ken, und ihn packt, ihn überwältigt das ihm zuge­füg­te Leid. Er will es betäu­ben, er will nicht, dass sei­ne deut­schen Bekann­ten etwas davon mer­ken. Er trinkt, um zu ver­ges­sen. Und gera­de das Stück, das sie nichts­ah­nend ihm zur Freu­de spie­len, wird ihm zur größ­ten Qual … ja, wir sind die Schul­di­gen. Die Schul­di­gen sind wir.”

Wil­li Bre­del. 1971. Früh­lings­so­na­te, Ber­lin und Wei­mar: Auf­bau-Ver­lag. S. 166.

Man beach­te, dass bei Bre­del 1958 auch schon ganz klar auf die Rol­le der Wehr­macht bei der Mas­sen­ver­nich­tung der Juden hin­ge­wie­sen wird. Die gan­ze Unge­heu­er­lich­keit ist im Arti­kel über Babyn Jar in Wiki­pe­dia aus­führ­lich doku­men­tiert. SS und Wehr­macht haben gemein­sam 33.771 Juden in einer Schlucht bei Kiew ermor­det und dann vor Kriegs­en­de noch ver­sucht, die Spu­ren zu besei­ti­gen. Men­schen aus dem Osten waren sehr erstaunt, was die Wehr­machts­aus­stel­lung noch 1995–1999 für einen Auf­ruhr erzeu­gen konn­te. Wir wuss­ten Bescheid. Wir hat­ten es spä­tes­tens in der 10. Klas­se gelernt. 

Wiki­pe­dia schreibt zur Wehrmachtsausstellung:

Die brei­te Öffent­lich­keit nahm so erst­mals his­to­risch gut erforsch­te, aber damals all­ge­mein noch wenig bekann­te Sach­ver­hal­te zur Kenntnis: 

  • den Beginn des Holo­caust in den besetz­ten Gebie­ten der Sowjet­uni­on, den die Wehr­machts­füh­rung mit plan­te und dann arbeits­tei­lig mit durchführte, 
  • die Betei­li­gung gan­zer Trup­pen­tei­le an die­sen Ver­bre­chen, wobei Wider­stand bis auf weni­ge Aus­nah­men ausblieb, 
  • den in Wehr­machts­füh­rung wie ein­fa­chen Trup­pen weit ver­brei­te­ten Anti­se­mi­tis­mus und Rassismus, 
  • die ver­bre­che­ri­schen Befeh­le (zum Bei­spiel den Kom­mis­sar­be­fehl) und ihre weit­hin wider­spruchs­lo­se Aus­füh­rung und 
  • die als Kriegs­ziel beab­sich­tig­te mil­lio­nen­fa­che Ver­nich­tung der ost­eu­ro­päi­schen Zivilbevölkerung.

In aktu­el­len poli­ti­schen Dis­kus­sio­nen wird immer wie­der behaup­tet, dass es in der DDR kei­ne sys­te­ma­ti­sche Auf­ar­bei­tung des Faschis­mus gege­ben habe, wohin­ge­gen das in der BRD nach 1968 gesche­hen sei. Wie das Wiki­pe­dia-Zitat nahe­legt, waren die Fak­ten Exper­ten bekannt, jedoch kein All­ge­mein­wis­sen. In der DDR kam nie­mand an die­sen Fak­ten vor­bei. Die Groß­nich­te von Her­mann Göring begann sich 1968 für ihren Groß­on­kel zu inter­es­sie­ren und such­te nach Lite­ra­tur. Sie hat in einem Inter­view im Jah­re 2024 gesagt, dass die bes­ten Geschichts­bü­cher zum The­ma aus der DDR kamen (Reich, 2024).

Über­le­ben­de wur­den in die Schu­len ein­ge­la­den. Schu­len wur­den nach Wider­stands­kämp­fern benannt z.B. nach Her­bert Baum (jüdi­scher Wider­stands­kämp­fer). Nach der Wen­de zog das Hein­rich-Hertz Gym­na­si­um in die Gebäu­de der POS Her­bert Baum. Es gibt jetzt kei­ne Schu­le mehr, die nach ihm benannt ist.

Neulehrer

Bei der gan­zen Sache mit der Schul­bil­dung soll­te man auch beden­ken, dass Nazis nach dem Krieg im Bil­dungs­sys­tem der DDR sys­te­ma­tisch durch soge­nann­te Neu­leh­rer ersetzt wur­den. 40.000 Neu­leh­rer. Laut Wiki­pe­dia waren 1949 67,8 Pro­zent aller Leh­rer­stel­len mit Neu­leh­rern besetzt. Es war somit sicher­ge­stellt, dass die Per­so­nen auch das in den Lehr­plä­nen Vor­ge­ge­be­ne unter­rich­ten wür­den, ins­be­son­de­re dann, wenn es sich um anti­fa­schis­ti­schen Lehr­stoff han­del­te. Leh­re­rIn­nen hät­ten den ent­spre­chen­den Stoff schon allein des­halb nicht weg­las­sen kön­nen, weil in jeder Klas­se Kin­der mit Genos­sen­el­tern waren und es sicher Pro­ble­me mit der Schul­lei­tung gege­ben hät­te. Das kann man fin­den, wie man will, aber dar­aus folgt, dass alle Kin­der in der DDR die Mate­ria­li­en, die sich mit dem Faschis­mus beschäf­tigt haben, auch behan­delt haben. Im Gegen­satz dazu hat­te Bet­ti­na Göring in den 60ern einen Nazi als Geschichts­leh­rer (Reich, 2024) und es gibt auch heu­te noch Geschichts­leh­rer, wie Björn Höcke (aus NRW, stu­diert in Bonn, Gie­ßen und Mar­burg, von 2001–2014 hat er Geschich­te unter­rich­tet), den man laut Gerichts­be­schluss Nazi nen­nen darf.

Bücher

LTI – Notiz­buch eines Phi­lo­lo­gen von Vic­tor Klem­pe­rer erschien 1947 im Auf­bau Ver­lag und wur­de dann 1966 in Reclams Uni­ver­sal-Biblio­thek in Leip­zig wie­der­ver­öf­fent­licht. 1990 wur­de die 10. Auf­la­ge gedruckt. Papier war in der DDR knapp. Popu­lä­re Zeit­schrif­ten wie das Maga­zin waren des­halb Bück­wa­re. Es muss also ers­tens einen Bedarf für LTI gege­ben haben und zwei­tens auch den poli­ti­schen Wil­len der Staats­macht, die­ses Buch in gro­ßen Stück­zah­len unters Volk zu brin­gen. Klem­pe­rer selbst war jüdi­scher Abstam­mung und hat sich dafür ent­schie­den, in der DDR zu bleiben.

Scan des Titel­blat­tes von LTI, Aus­ga­be 1975.

Außer­dem gab es Jakob der Lüg­ner von Jurek Becker Auf­bau-Ver­lag, Berlin/DDR 1969. und auch Das Tage­buch der Anne Frank erschien bereits 1957.4

Wei­te­re Bücher:

  • Mar­tin Rie­sen­bur­ger. 1960. Das Licht ver­lösch­te nicht. Ein Zeug­nis aus der Nacht des Faschis­mus, Ber­lin: Uni­on Ver­lag. wei­ter Auf­la­gen in den 1980ern.
  • Arnold Zweig. 1960. „Beginn und ‚End­lö­sung‘“. In: Pro­gramm­heft zu „Affä­re Blum“, Volks­büh­ne Ber­lin, Spiel­zeit 1960/61, S. 4–7., wei­te­re Arti­kel im Neu­en Deutsch­land etc.
  • Kurt Pät­zold. 1983. Ver­fol­gung, Ver­trei­bung, Ver­nich­tung. Doku­men­te des faschis­ti­schen Anti­se­mi­tis­mus 1933 bis 1942. Ber­lin: Reclam.
Reclam-Buch von 1983 über die Juden­ver­fol­gung. Kurt Pät­zold hat an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu die­sem The­ma geforscht. Sein Wiki­pe­dia­ein­trag ent­hält wei­te­re Quellen.

Die­se Auf­zäh­lung aus dem Hut wirkt gera­de­zu lächer­lich gegen­über der Lis­te von 1086 Titeln, die die eins­ti­ge Lei­te­rin der Biblio­thek der Jüdi­schen Gemein­de in Ost-Ber­lin, Rena­te Kirch­ner, zusam­men­ge­stellt hat (Kirch­ner, 2010).

Danie­la Dahn schreibt in ihrem Buch von 2019 (sie­he unten) zu die­ser Liste:

Die Biblio­gra­phie umfasst alle The­men – jüdi­sche Geschich­te, Reli­gi­on, Phi­lo­so­phie, Kul­tus und Brauch­tum, Lebens- und Werk­be­trach­tun­gen bekann­ter Juden, Anti­se­mi­tis­mus und Ras­sis­mus, jüdi­sches Leben in ande­ren Län­dern, ins­be­son­de­re die Welt der Ost­ju­den, auch Paläs­ti­na und Isra­el. Fast genau die Hälf­te aller Bücher aber wid­met sich dem The­ma: Natio­nal­so­zia­lis­mus und Juden­ver­fol­gung. Die meis­ten davon, näm­lich 302, waren Sach­bü­cher, Bio­gra­phien, Tage­bü­cher, Brief­bän­de, auch ein­zel­ne Diplom­ar­bei­ten und Dis­ser­ta­tio­nen, die der Jüdi­schen Biblio­thek zum Dank für Unter­stüt­zung über­ge­ben wur­den. Vie­le davon waren sach­li­che Fak­ten­samm­lun­gen, ande­re unver­kenn­bar der Sys­tem­aus­ein­an­der­set­zung und dem Legi­ti­ma­ti­ons­be­dürf­nis der DDR unter­ge­ord­net. So unter­schied­lich sie waren, kann man ihnen eine ver­in­ner­lich­te, huma­nis­ti­sche Grund­hal­tung und einen tief­emp­fun­de­nen Anti­fa­schis­mus schwer­lich absprechen. 

Ohne den im Raum ste­hen­den, mons­trö­sen Vor­wurf der Unter­drü­ckung jüdi­scher The­men in der DDR könn­te ich mir den nun viel­leicht schon pedan­tisch wir­ken­den Hin­weis spa­ren, dass zu dem auch ästhe­tisch heik­len The­ma Holo­caust, für das erst eine Spra­che gefun­den wer­den muss­te, außer­dem 238 DDR-Autoren wie Anna Seg­hers, Bru­no Apitz, Jurek Becker, Johan­nes Bobrow­ski, Franz Füh­mann, Ste­phan Herm­lin, Ste­fan Heym, Wal­ter Kauf­mann, Gün­ter Kun­ert, Fred Wan­der, Arnold Zweig. West­deut­sche Autoren wie Ilse Aichin­ger, Alfred Andersch, Paul Celan, Peter Härt­ling, Heinar Kipp­hardt, Wolf­gang Koep­pen, Lui­se Rin­ser und Peter Weiss wur­den in DDR-Ver­la­gen genau­so ver­legt wie die Gene­ra­ti­on davor: Lion Feucht­wan­ger, Frank Leon­hard, Klaus Mann, Erich Müh­sam, Erich Maria Remar­que, Nel­ly Sachs, Franz Wer­fel. Schließ­lich wur­de auch viel über­setzt, beson­ders aus Ost­eu­ro­pa: Josef Bor, Tibor Déry, Ladis­lav Gros­man, Imre Ker­té­sz, Ana­to­li Kus­ne­zow, Sta­nis­law Lem, Iccho­kas Meras, aber auch Nata­lia Ginz­burg, Pri­mo Levi, Elie Wie­sel oder Jor­ge Semprún.)

Dahn, Danie­la (2019) Der Schnee von ges­tern ist die Sint­flut von morgen.

Mei­ne Schwie­ger­el­tern hat­ten in ihrer Mann­hei­mer Woh­nung am Ess­tisch extra ein Regal mit Judai­ka plat­ziert, damit die West-Kol­le­gen die­ses bei Ein­la­dun­gen sehen konn­ten, denn auch ihre Kolleg*innen hat­ten merk­wür­di­ge Vor­stel­lun­gen über den Umgang mit Juden und dem Völ­ker­mord in der DDR.

Filme

Es gab diver­se Fil­me, die die Juden­ver­fol­gung the­ma­ti­sier­ten oder in denen sie vor­kam. Es gab in der DDR in vie­len klei­nen Orten Kinos und die Fil­me sind oft jah­re­lang durch die DDR getourt. Fol­gen­de Fil­me sind mir bekannt:

Zur Pre­mie­re des Anne-Frank-Films gibt es einen inter­es­san­ten Bei­trag in der ZEIT von 1959:

Vor der Urauf­füh­rung des Films „Ein Tage­buch für Anne Frank“ im Ost­sek­tor Ber­lins betrat der grei­se Arnold Zweig die Büh­ne im „Haus der Pres­se“ am Bahn­hof Fried­rich­stra­ße. Er sprach davon, daß mit die­sem Film ein Bei­trag zur mora­li­schen Wie­der­gut­ma­chung geleis­tet wer­den solle. 

Anne Frank in West und Ost, Zeit 14/1959

Zu Ich bin klein aber wich­tig gibt es einen Text von Kon­rad Weiß, der 1988 in Film und Fern­se­hen ver­öf­fent­licht wurde.

Fernsehserien

Nach der ers­ten Ver­öf­fent­li­chung die­ses Tex­tes erschien am 17.09.2019 ein Buch von Danie­la Dahn (aus einer jüdi­schen Fami­lie) zum The­ma Wie­der­ver­ei­ni­gung. Die­ses Buch ent­hält auch eine erhel­len­de Dis­kus­si­on der Behaup­tung, der Holo­caust sei in der DDR nicht vor­ge­kom­men. Ich habe das Buch lei­der erst 2023 gele­sen. Dahn weist dar­auf hin, dass es meh­re­re Jah­re vor der Holo­caust-Serie in der DDR eine vier­tei­li­ge Serie zum Völ­ker­mord an den Juden gab: Die Bil­der des Zeu­gen Schatt­mann.

Cover der DVD, auf der die Serie Die Bil­der des Zeu­gen Schatt­mann ver­trie­ben wird

Die Serie war nach dem auto­bio­gra­fi­schen Roman von Peter Edel kon­zi­pert und es spiel­ten meh­re­re Jüd*innen in den Hauptrollen:

Was gab es doch unlängst für einen Hype um den 40. Jah­res­tag der Sen­dung der US-Serie Holo­caust, durch die 1979 das deut­sche Publi­kum, und zwar das gesamt­deut­sche, angeb­lich erst­ma­lig eine Ahnung vom Aus­maß des den Juden zuge­füg­ten Leids bekom­men habe. Was für ein Armuts­zeug­nis! Nir­gends war ein Hin­weis dar­auf zu hören, dass im DDR-Fern­se­hen bereits sie­ben Jah­re [fünf Jah­re, St. Mü.] vor der Hol­ly­wood-Serie eine vier­tei­li­ge Fol­ge über eine jüdi­sche Fami­lie gesen­det wur­de, die nach Ausch­witz depor­tiert wird. Erst­ma­lig durf­te dafür ein deut­scher Film­stab im Lager Ausch­witz dre­hen. Die Authen­ti­zi­tät des Films rühr­te aber nicht nur vom schwer zu ver­kraf­ten­den Ori­gi­nal­schau­platz, son­dern von dem Wis­sen, dass es sich hier um die Ver­fil­mung des auto­bio­gra­phi­schen Romans des Juden Peter Edel han­delt, der all die­se Schre­cken in Ausch­witz selbst erlebt hat. Und nicht nur er, auch eini­ge der Haupt­dar­stel­ler hat­ten die fürch­ter­li­che Hür­de zu neh­men, an die Stät­te ihres grau­en­vol­len Trau­mas zurück­zu­keh­ren. In der Rol­le des Stu­ben­äl­tes­ten Tade­usz spiel­te August Kowal­c­zyk ein Stück sei­nes eige­nen Lebens. Er war zwei Jah­re Häft­ling in Ausch­witz gewe­sen und hat­te sich eigent­lich geschwo­ren, nie wie­der an die­sen Ort zurück­zu­keh­ren. Peter Sturm, im Film der Eli­as, stamm­te aus einer sehr from­men, armen jüdi­schen Fami­lie aus Wien. Er hat­te das Mar­ty­ri­um der Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Dach­au, Buchen­wald und eben­falls Ausch­witz hin­ter sich. Und die Schau­spie­le­rin Mar­ga Legal, im Film Frau Mül­ler, bekam 1933 wegen ihrer jüdi­schen Vor­fah­ren ein Arbeits­ver­bot und konn­te sich nur durch eine soge­nann­te «pri­vi­le­gier­te Ehe» vor Ver­fol­gung retten.

Dahn, Danie­la (2019) Der Schnee von ges­tern ist die Sint­flut von morgen.

Der Film wur­de im West­ber­li­ner Tages­spie­gel posi­tiv bespro­chen (25.05.1972).

Zu die­ser Serie und dem Roman, der die Grund­la­ge bil­det, soll­te man noch fol­gen­des ins­be­son­de­re über die Ver­brei­tung wissen:

Die­ser Peter Edel, aus einer bür­ger­li­chen Ber­li­ner Fami­lie stam­mend, konn­te wegen der Ras­sen­ge­set­ze das Gym­na­si­um nicht been­den und nahm ille­gal Zei­chen­un­ter­richt bei Käthe Koll­witz. Ver­su­che, ins Exil zu gehen, miss­lan­gen, ein Groß­teil sei­ner Ver­wand­ten und sei­ne ers­te Frau wur­den in Ausch­witz umge­bracht. Er selbst über­lebt die­ses Ver­nich­tungs­la­ger nur, weil er als bil­den­der Künst­ler nach Sach­sen­hau­sen zum Geld­fäl­schen ver­legt wird. Noch im Lager beschließt er, Kom­mu­nist zu wer­den, als Kon­se­quenz des Erlit­te­nen. Nach der Befrei­ung ver­sucht er es in Öster­reich als Jour­na­list und Gra­phi­ker, spä­ter in West­ber­lin, ab 1947 in Ost­ber­lin. Häu­fig suchen ihn Fie­ber­an­fäl­le heim, die eini­ge Tage andau­ern. Im Fie­ber­wahn durch­lei­det er immer wie­der Ausch­witz. Danach kann er sich an nichts erin­nern.
Davon befreit hat er sich mit sei­nem auto­bio­gra­phi­schen Roman, der 1969 erschien. Bis 1989 erleb­te der Schatt­mann 12 Auf­la­gen, danach kei­ne mehr. Die vier­tei­li­ge Ver­fil­mung lief im Fern­se­hen alle drei, vier Jah­re erneut, auch nach­mit­tags im Schul­pro­gramm, sonst zur bes­ten Sen­de­zeit, mit Wie­der­ho­lung am nächs­ten Mor­gen, zuletzt 1988. Man kam an die­sem Film eigent­lich nicht vor­bei, wer ihn nicht gese­hen hat, woll­te ihn nicht sehen.

Dahn, Danie­la (2019) Der Schnee von ges­tern ist die Sint­flut von morgen.

Ich kann­te die­se Serie nicht, weil wir kei­nen Fern­se­her hatten.

Durch Dahn bin ich auch auf die Arbeit Elke Schie­ber auf­merk­sam gewor­den. Sie hat alle Fil­me auf­ge­lis­tet, die in der SBZ/DDR zwi­schen 1946 und 1990 zu den The­men Anti­se­mi­tis­mus vor 1933, jüdi­sches Leben, Juden­ver­fol­gung im Natio­nal­so­zia­lis­mus, jüdi­sche Ver­gan­gen­heit in der Gegen­wart, Paläs­ti­na-Isra­el-Naher Osten pro­du­ziert wur­den. 700 Sei­ten. 1000 Fil­me. Wie Dahn rich­tig fest­stellt, sagt das allein noch nichts über die Qua­li­tät der Fil­me aus, aber die schie­re Mas­se die­ser Doku­men­te reicht wohl dazu aus, die Falsch­dar­stel­lung, in der DDR sei Jüdi­sches nicht vor­ge­kom­men oder der Holo­caust sei igno­riert wor­den, zu widerlegen.

Theaterstücke

Der DEFA-Film Affä­re Blum, 1948, Erich Engel, hat­te zu DDR-Zei­ten über 4 Mio Zuschau­er. Es geht um einen anti­se­mi­ti­schen Jus­tiz­sa­kndal im Jah­re 1925. Zum Film gab es auch ein Thea­ter­stück und im Pro­gramm­heft von 1960/1961 gab es einen Bei­trag von Arnold Zweig: Beginn und ‚End­lö­sung‘. In: Pro­gramm­heft zu „Affä­re Blum“, Volks­büh­ne Ber­lin, Spiel­zeit 1960/61, S. 4–7.

Skulpturen und Denkmäler

Inge­borg Hun­zin­ger. 1970. Stür­zen­de, Sand­stein; für die Opfer des Todes­mar­sches des KZ Sach­sen­hau­sen vom April 1945 in Par­chim in einer Park­an­la­ge zwi­schen Goe­the­schu­le und Krankenhaus.

Der Bild­hau­er Will Lam­bert war mit einer jüdi­schen Frau ver­hei­ra­tet und floh 1933 aus Deutsch­land. Nach sei­ner Rück­kehr aus dem Exil und der Ver­ban­nung arbei­te­te er haupt­säch­lich an der Gestal­tung der Mahn- und Gedenk­stät­te Ravens­brück. Die Jüdin Olga Bena­rio war das Vor­bild für die Skulp­tur Tra­gen­de (1957). Die­se Skulp­tur wur­de 1959 in Ravens­brück aufgestellt.

Ori­gi­nal­bild­un­ter­schrift: Zen­tral­bild Jun­ge 15.4.65 DDR: Zum 20. Jah­res­tag der Befrei­ung des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers Ravens­brück. An der Natio­na­len Mahn- und Gedenk­stät­te Ravens­brück geden­ken die Bür­ger der DDR und vie­le aus­län­di­sche Gäs­te am 30. April die­ses Jah­res der 92.000 Frau­en, Müt­ter und Kin­der, die an die­ser Stät­te einen qual­vol­len Tod fan­den. Hier ver­nei­gen wir uns vor den unsterb­li­chen Hel­den des anti­fa­schis­ti­schen Kamp­fes aus mehr als 20 Natio­nen, die für eine glück­li­che Zukunft aller Völ­ker ihr Leben gaben. 132.000 Frau­en und Kin­der ver­schlepp­ten die Hit­ler­fa­schis­ten nach Ravens­brück, 92.000 erleb­ten den Tag der Befrei­ung nicht mehr. CC-BY-SA Von Bun­des­ar­chiv, Bild 183-D0415-0016–006

13 Figu­ren, die eigent­lich mit der Tra­gen­den kom­bi­niert wer­den soll­ten (sie­he auch Brief­mar­ken), ste­hen seit 1985 zum Geden­ken an die jüdi­schen Opfer des Faschis­mus am Alten Jüdi­schen Fried­hof in Berlin-Mitte.

Denk­mal „Jüdi­sche Opfer des Faschis­mus“ von Will Lam­mert am Alten Jüdi­schen Fried­hof, Ber­lin-Mit­te, 1956/85 Wiki­me­dia, CC-BY-SA Jochen Teufel.

Briefmarken

Es gab eine Rei­he von Son­der­mar­ken, die in der Zeit von 1955–1964 her­aus­ge­ge­ben wur­den. Mit einem Auf­schlag konn­ten sich die Käu­fe­rIn­nen am Auf­bau und der Erhal­tung der Natio­na­len Mahn- und Gedenk­stät­ten Buchen­wald, Sach­sen­hau­sen und Ravens­brück betei­li­gen. Die gesam­ten Mar­ken inklu­si­ve Auf­la­gen­hö­he sind aus­führ­lich in Wiki­pe­dia doku­men­tiert: Auf­bau und Erhal­tung der Natio­na­len Mahn- und Gedenk­stät­ten. Laut dem Wiki­pe­di­ar­ti­kel zur Gedenk­stät­te Sach­sen­hau­sen sind allein 1955 2 Mil­lio­nen Mark auf die­se Wei­se gespen­det wor­den. Zum Ver­gleich: Das Durch­schnitts­ein­kom­men (brut­to) betrug damals 432 Mark (Sta­tis­ti­sches Jahr­buch der DDR, 1990, S. 52).

Brief­mar­ken­se­rie zu KZs
Die­se Brief­mar­ke (Auf­la­ge 1.500.000) zeigt die Plas­tik Tra­gen­de von Will Lam­mert. Die Tra­gen­de ist nach der Jüdin Olga Bena­rio model­liert. Die Figu­ren am Fuße der Säu­le wur­den spä­ter zum Geden­ken an die jüdi­schen Opfer des Faschis­mus am Alten Jüdi­schen Fried­hof in Ber­lin Mit­te aufgestellt.
Her­bert Baum-Brief­mar­ke, 1961, Auf­la­ge 2.000.000, 5 Pfen­nig wur­den für den Auf­bau von Gedenk­stät­ten gespendet

1963 wur­de eine Brief­mar­ke „Nie­mals wie­der Kris­tall­nacht“ in einer Auf­la­ge von 5 Mil­lio­nen Stück herausgegeben. 

Brief­mar­ke von 1963 zum 25 Jah­res­tag der Reichs­po­grom­nacht, Auf­la­ge 5 Mio
Brief­mar­ke 1988 zum 50 Jah­res­tag der Reichs­po­grom­nacht, Auf­la­ge 3,5 Mio

Straßen, Schulen, Plätze

Im Abschnitt über Schu­len wur­de schon erwähnt, dass es Schu­len gab, die nach Juden benannt waren, die in KZs ermor­det wur­den. Nach Her­bert Baum wur­de auch eine Stra­ße benannt: Eine Gedenk­ta­fel für die Getö­te­ten der Her­bert-Baum-Grup­pe und das Grab Baums befin­den sich auf dem Jüdi­schen Fried­hof Wei­ßen­see. Das Grab ist als Ehren­grab der Stadt Ber­lin gewid­met. Die auf das Haupt­por­tal des Fried­hofs füh­ren­de Stra­ße heißt seit 1951 Herbert-Baum-Straße.

Rudi Arndt (in Buchen­wald ermor­det) ist ein wei­te­rer Jude, nach dem vie­le Stra­ßen, Plät­ze, Thea­ter und Jugend­her­ber­gen benannt wur­den. Zu den Details sie­he Ehrun­gen in sei­nem Wiki­pe­dia­ein­trag. Wie auch Her­bert Baum war Rudi Arndt im kom­mu­nis­ti­schen Wider­stand, aber bei einer Aus­ein­an­der­set­zung mit sei­ner Per­son stieß man auch auf sei­ne Religionszugehörigkeit:

1938 wur­de er als „poli­ti­scher Jude“ ins KZ Buchen­wald depor­tiert. Nach sei­ner Ankunft war Arndt zunächst kur­ze Zeit in einem Bau­kom­man­do tätig. 1938/1939 arbei­te­te er als Kran­ken­pfle­ger für jüdi­sche Häft­lin­ge und war Block­äl­tes­ter im Block 22. Er setz­te sich sehr für die jüdi­schen Pati­en­ten ein, was der SS außer­or­dent­lich miss­fiel. Nach einer Denun­zia­ti­on durch kri­mi­nel­le Häft­lin­ge im Stein­bruch wur­de er von der SS vor­geb­lich „auf der Flucht“ erschossen. 

Wiki­pe­dia­ein­trag von Rudi Arndt, 03.03.2020

Nach Olga Bena­rio waren Schu­len, Kin­der­gär­ten und Stra­ßen benannt.

Ich selbst bin in der Georg-Ben­ja­min-Stra­ße auf­ge­wach­sen, einer Stra­ße, die 1974 in einem Neu­bau­ge­biet nach dem jüdi­schen Arzt und Wider­stands­kämp­fer Georg Ben­ja­min benannt wur­de. Zu wei­te­ren Ehrun­gen sie­he Wiki­pe­dia. In Wiki­pe­dia steht übri­gens auch, dass eine im Som­mer 1951 am Wed­din­ger Net­tel­beck­platz auf­ge­stell­te Gedenk­ta­fel für „Hin­ge­rich­te­te und ermor­de­te Wed­din­ger Anti­fa­schis­ten“, die Georg Ben­ja­mins Namen ent­hielt, von Unbe­kann­ten recht schnell ent­fernt wurde.

Weimartage der FDJ und Besuche im KZ Buchenwald

Die FDJ hat jedes Jahr in Wei­mar ein gro­ßes drei­tä­gi­ges Fes­ti­val ver­an­stal­tet. Thea­ter, Musik, Muse­en. Man konn­te für 21 Mark alles besu­chen, bekam Essen und konn­te in Wei­ma­rer Schu­len schla­fen. Auf Pro­be­büh­nen und den Haupt­büh­nen fan­den gleich­zei­tig meh­re­re Vor­stel­lun­gen pro Tag statt. (Merk­wür­dig, dass man dazu im Netz bis auf eine Sei­te des Natio­nal­thea­ters in Wei­mar und das Archiv des Neu­en Deutsch­lands nichts, aber auch gar nichts, fin­den kann.)

Arti­kel im ND Weim­ar­ta­ge der FDJ laden ein, 04.07.1988

Obli­ga­to­risch mit im Pro­gramm war immer ein Besuch im KZ Buchen­wald inklu­si­ve Film in der Gedenk­stät­te. Gezeigt wur­de Film­ma­te­ri­al, das die Ame­ri­ka­ner nach der Befrei­ung ange­fer­tigt haben. Lei­chen­ber­ge, fast ver­hun­ger­te KZ-Insas­sen und die Wei­ma­rer Bevöl­ke­rung, die auf Anord­nung der Ame­ri­ka­ner durch das Lager geführt wur­de, um zu sehen, was dort pas­siert war. Der Spie­gel hat ein Inter­view mit einer Frau, die als 17jährige Teil die­ses KZ-Besu­ches war. Ich war sie­ben Mal bei den Weim­ar­ta­gen. Ich sage immer, dass die Weim­ar­ta­ge das ein­zi­ge Gute sind, was die FDJ zustan­de gebracht hat. Sechs Mal war ich mit im KZ. Ein­mal habe ich geschwänzt. Man möge es mir ver­zei­hen. Ich kann­te da schon jedes Detail. Ich habe die Öfen gese­hen, die Schrumpf­köp­fe, die Lam­pen­schir­me aus Men­schen­haut.5

Schrumpf­köp­fe und Men­schen­haut mit Täto­wie­run­gen im KZ Buchenwald

Obligatorische Besuche in KZs

Mei­ne Mut­ter hat einen gro­ßen Teil ihrer Jugend in Jena ver­bracht. Im Rah­men ihrer Jugend­wei­he war sie Ende der 50er Jah­re auch im KZ Buchen­wald. Der Besuch eines Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers war für alle Schü­le­rin­nen und Schü­ler in der DDR obli­ga­to­risch. (Sie­he Wiki­pe­dia-Arti­kel zu Jugend­stun­den, die in Vor­be­rei­tung auf die Jugend­wei­he stattfanden.)

Die Ber­li­ner und Bran­den­bur­ger Schü­ler waren alle im KZ Sach­sen­hau­sen. Ich war dort wahr­schein­lich in der 8ten Klas­se. Es gab (und gibt) in Sach­sen­hau­sen Aus­stel­lungs­tei­le, die auf das Leid der jüdi­schen Bür­ger hin­ge­wie­sen haben: Die Bara­cke 38 war das „Muse­um des Wider­stands­kamp­fes und der Lei­den jüdi­scher Bür­ger“.

Ich war außer­dem noch in Lub­lin-Mai­danek (1984 bei einer Rei­se im Rah­men einer Schul­part­ner­schaft in Polen). Ich habe die Bara­cken mit den deut­schen Auf­schrif­ten gese­hen. Ich habe die Haa­re und die Schu­he gese­hen. Bara­cken voll damit.

Schu­he von Ermor­de­ten, Maj­da­nek, Polen, August 1944 (Quel­le)

Es gab übri­gens eine inter­es­san­te Umfra­ge des chris­mons, einer Bei­la­ge der ZEIT, die von der Evan­ge­li­schen Kir­che her­aus­ge­ge­ben wird. Nach die­ser Umfra­ge sagen 89 % der Ost­deut­schen, man sol­le unbe­dingt ein­mal im Leben eine KZ-Gedenk­stät­te ­besu­chen. Im Wes­ten sind das nur 77 %.

(Nach­trag vom 19.06.2024: Ines Gei­pel war selbst auch in Buchen­wald. 1974 zur Jugend­wei­he. So steht es in ihrem 2019 erschie­ne­nen Buch Umkämpf­te Zone.)

Zeitzeugen

Auch Zeit­zeu­gen spiel­ten im Osten eine Rol­le. Wie schon gesagt, wur­den sie z.B. in Schu­len ein­ge­la­den. Mei­ne Mut­ter berich­te­te mir von einem Kon­zert­abend 1959 im Volks­haus Jena, bei dem die Pia­nis­tin ihre ein­tä­to­wier­te KZ-Num­mer gezeigt hat. Sie hat nur über­lebt, weil sie für die Nazis gespielt hat.

Holocaust im West-Fernsehen

Die ame­ri­ka­ni­sche Mini-Serie Holo­caust wur­de im Jahr 1979 im West-Fern­se­hen gezeigt (da sich eini­ge Sen­de­an­stal­ten der ARD wei­ger­ten, die Serie im Haupt­pro­gramm zu zei­gen, kam sie dann in den drit­ten Pro­gram­men). Da bis auf die Sach­sen im Tal der Ahnungs­lo­sen alle DDR-Bür­ger West-Pro­gram­me emp­fan­gen konn­ten, dürf­ten eini­ge die Serie gese­hen haben. Nein, jetzt bit­te kei­nen Zusam­men­hang zwi­schen schlech­tem Fern­seh­emp­fang und Wahl von Nazi-Par­tei­en herstellen.

Der Begriff Holo­caust wur­de durch die­sen Film sowohl im Osten als auch im Wes­ten bekannt. Im Osten wur­de sonst von Völ­ker­mord gesprochen.

Wiederaufbau der Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin

Am 10.11.1988 leg­te Erich Hon­ecker den Grund­stein für den Wie­der­auf­bau der Syn­ago­ge in der Ora­ni­en­bur­ger Stra­ße, die im Krieg zer­stört wor­den war.

In Wiki­pe­dia steht dazu:

Eine voll­stän­di­ge Wie­der­her­stel­lung in den Ori­gi­nal­zu­stand wur­de ver­wor­fen – sie hät­te als Ver­such miss­ver­stan­den wer­den kön­nen, die Lei­den der Ver­gan­gen­heit zu ver­drän­gen und womög­lich zu ver­ges­sen. Die Absicht war aber, mit dem Gebäu­de gleich­zei­tig ein Mahn­mal zur stän­di­gen Erin­ne­rung zu erhalten.

Jüdische Personen in einflussreichen/sichtbaren Positionen

Es gab in der DDR vie­le ein­fluss­rei­che und bekann­te jüdi­sche Fami­li­en. Es gab Minis­ter oder ansons­ten hoch­ste­hen­de Funktionäre. 

Stra­ßen­schild der Albert-Nor­den-Stra­ße 1984–1992 im Jüdi­schen Muse­um in Ber­lin in der Aus­stel­lung „Ein ande­res Land – Jüdisch in der DDR“. Der Aus­stel­lungs­text: „Die heu­ti­ge Ceci­li­en­stra­ße im Nord­os­ten Ber­lins war zwi­schen 1984–1992 nach Albert Nor­den (1904–1982) benannt. In der Nach­wen­de­zeit wur­de das Stra­ßen­schild mit rotem Kle­be­strei­fen als ungül­tig mar­kiert und spä­ter abmon­tiert. Nor­den stamm­te aus einer Rab­bi­ner­fa­mi­lie. Er war hoch­ran­gi­ges Mit­glied im Polit­bü­ro des Zen­tral­ko­mi­tees der SED.“, Ber­lin, 19.11.2023

Eini­ge Funk­tio­nä­re sind hier aufgezählt:

  • Alex­an­der Abusch (Par­tei­vor­stan­des der SED, Vize­prä­si­dent des Kul­tur­bun­des und haupt­amt­li­cher Mit­ar­bei­ter des Zen­tral­ko­mi­tees der SED, Kul­tur­mi­nis­ter, IM)
  • Hel­mut Aris (Prä­si­dent des Ver­ban­des der Jüdi­schen Gemein­den in der DDR, Mit­glied des Prä­si­di­ums des Natio­nal­ra­tes der Natio­na­len Front, Ver­dienst­me­dail­le der DDR, Ernst-Moritz-Arndt-Medail­le der Natio­na­len Front, Vater­län­di­scher Ver­dienst­or­den, Ehren­span­ge zum Vater­län­di­schen Ver­dienst­or­den, Deut­sche Frie­dens­me­dail­le, IM)
  • Ellen Brom­ba­cher (Sekre­tär für Kul­tur in der SED-Bezirks­lei­tung Ber­lin, sie hat­te damit wesent­li­chen Ein­fluss auf alle Kul­tur­ein­rich­tun­gen von Ost-Ber­lin, Ban­ner der Arbeit, Vater­län­di­scher Ver­dienst­or­den in Bron­ze, Dr.-Theodor-Neubauer-Medaille)
  • Her­mann Axen (Sekre­tär des ZK der SED, Mit­glied des Politbüros)
  • Albert Nor­den (Pro­fes­sor für neue­re Geschich­te, Sekre­tär des ZK der SED, Mit­glied des Polit­bü­ros, Autor Braun­buch)
  • Horst Brasch (stell­ver­tre­ten­der Minis­ter für Kultur)
  • Klaus Gysi (Minis­ter für Kul­tur, Staats­se­kre­tär für Kirchenfragen)
  • Mar­kus Wolf (Gene­ral­oberst, Lei­ter des Aus­lands­nach­rich­ten­diens­tes HVA bei der Stasi)
  • Fried­rich Karl Kaul (Anwalt in Ost und West, Pro­fes­sor und Natio­nal­preis­trä­ger, orga­ni­sier­te Zusam­men­ar­beit der RAF-Anwäl­te mit Stasi)
  • Hans Roden­berg (Roden­berg war 1952 bis 1956 Haupt­di­rek­tor des DEFA-Stu­di­os für Spiel­fil­me, 1956–1960 Dekan an der Deut­schen Hoch­schu­le für Film­kunst in Pots­dam-Babels­berg; ab 1958 Pro­fes­sor, stell­ver­tre­ten­der Kul­tur­mi­nis­ter (1960–1963), Mit­glied des Staats­rats, der Volks­kam­mer und des Zen­tral­ko­mi­tees der SED. 1969–1974 Vize­prä­si­dent der Aka­de­mie der Küns­te, Ber­lin (Ost))

Ich habe hier auch die Zusam­men­ar­beit mit der Sta­si als Inof­fi­zi­el­ler Mit­ar­bei­ter immer mit ange­ge­ben, weil das ja auch ein spe­zi­el­les Ver­trau­ens­ver­hält­nis impli­ziert. Mit­un­ter war die IM-Tätig­keit nur zeit­wei­se. Die Details fin­den sich in den Wikipedia-Einträgen. 

Journalisten:

  • Max Kaha­ne (Mit­grün­der des All­ge­mei­nen Deut­schen Nach­rich­ten­diens­tes (ADN), spä­ter Stell­ver­tre­ten­der Direk­tor, stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur der Ber­li­ner Zei­tung, Chef­kom­men­ta­tor des Neu­en Deutschlands)

Ande­re bekann­te und ein­fluss­rei­che Intel­lek­tu­el­le waren:

Schriftsteller

Bücher jüdi­scher Autor*innen im Jüdi­schen Muse­um in Ber­lin in der Aus­stel­lung „Ein ande­res Land – Jüdisch in der DDR“. Das Buch „Die Jagd nach dem Stie­fel“ von Max Zim­me­ring war ein Kin­der­buch, das ich auch gele­sen habe. Die Troi­ka von Mar­kus Wolf kurz vor dem Ende der DDR auch. Ber­lin, 19.11.2023
  • Peter Edel (Schrift­stel­ler und Gra­fi­ker, Mit­glied des P.E.N.-Zentrums der DDR und 1978 Vor­stands­mit­glied des Deut­schen Schrift­stel­ler­ver­ban­des, Hein­rich-Hei­ne-Preis des Minis­te­ri­ums für Kul­tur der DDR, Vater­län­di­scher Ver­dienst­or­den in Gold, Natio­nal­preis der DDR, vom MfS beob­ach­tet, dann selbst IM)
  • 1979: Karl-Marx-Orden
  • Ste­phan Herm­lin (Schrift­stel­ler, Über­set­zer, Redak­teur Ulen­spie­gel, Auf­bau sowie Sinn und Form, enger Freund von Hon­ecker, Pro­test gegen Biermann-Ausbürgerung), 
  • Wie­land Herz­fel­de (Pro­fes­sor für Sozio­lo­gie der moder­nen Welt­li­te­ra­tur in Leip­zig, Prä­si­dent des P.E.N.-Zentrums der DDR)
  • Ste­fan Heym (Schrift­stel­ler, Nationalpreisträger), 
  • Anna Seg­hers (Schrift­stel­le­rin, Prä­si­den­tin des Schrift­stel­ler­ver­bands der DDR, Nationalpreisträgerin), 
  • Maxi Wan­der (Ihr Por­trät­band „Guten Mor­gen, du Schö­ne“ war eines der erfolg­reichs­ten Bücher in der DDR.)
  • Max Zim­me­ring (Von 1949 bis 1953 Lan­des­vor­sit­zen­der der Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Nazi­re­gimes (VVN) Sach­sen, von 1950 bis zu des­sen Auf­lö­sung 1952 Abge­ord­ne­ter im Säch­si­schen Land­tag, anschlie­ßend bis 1958 Abge­ord­ne­ter im Bezirks­tag des Bezirks Dres­den. Von 1952 bis 1956 1. Vor­sit­zen­der des Deut­schen Schrift­stel­ler­ver­bands im Bezirk Dres­den, 1956 bis 1958 1. Sekre­tär des Deut­schen Schrift­stel­ler­ver­bands in Ber­lin. Von 1958 bis 1964 Direk­tor des Insti­tuts für Lite­ra­tur „Johan­nes R. Becher“ in Leip­zig. 1963 Kan­di­dat des ZK der SED. 1968 Kunst­preis der DDR, 1969 den Natio­nal­preis der DDR)
  • Arnold Zweig (Schrift­stel­ler, Natio­nal­preis­trä­ger, Prä­si­dent der Deut­schen Aka­de­mie der Küns­te der DDR, Prä­si­dent des Deut­schen P.E.N.-Zentrums Ost und West) 

Musiker

Plat­ten­co­ver von Stern-Mei­ßen, Pan­kow, City mit jeweils einem jüdi­schen Sän­ger im Jüdi­schen Muse­um in Ber­lin in der Aus­stel­lung „Ein ande­res Land – Jüdisch in der DDR“. Der Aus­stel­lungs­text: „Die Lead­sän­ger der drei erfolg­rei­chen Rock­bands teil­ten eine gemein­sa­me Erfah­rung: Sie wuch­sen als Kin­der jüdi­scher Remi­gran­ten in der DDR auf. Die Eltern von Mar­tin Schrei­er (gebo­ren 1948) gehör­ten in Bel­gi­en dem Wider­stand an, die Fami­li­en von André Herz­berg (gebo­ren 1955) und Toni Krahl (gebo­ren 1949) kehr­ten aus dem bri­ti­schen Exil zurück.“, Ber­lin, 19.11.2023
  • Wolf Bier­mann (Lie­der­ma­cher, leb­te ab 1953 in der DDR, soll­te für die Sta­si ange­wor­ben wer­den, war SED-Kan­di­dat, hat sich dann aber in den 60ern sys­tem­kri­tisch geäu­ßert und wur­de nicht in die SED auf­ge­nom­men und Ziel von Zer­set­zungs­maß­nah­men der Sta­si und letzt­end­lich aus­ge­bür­gert, Mar­got Hon­ecker hat­te als Kind meh­re­re Jah­re in Bier­manns Fami­lie gelebt.)
  • Paul Des­sau (Musi­ker, Pro­fes­sor in Des­sau, arbei­te­te mit Brecht am Ber­li­ner Ensem­ble, Vize­prä­si­dent Deut­schen Aka­de­mie der Küns­te in Ber­lin (Ost))
  • Hanns Eis­ler (Pro­fes­sur für Kom­po­si­ti­on in Berlin)
  • Lou­is Fürn­berg (Kom­po­nist, Text und Melo­die des Lieds der Par­tei, Ers­ter Bot­schafts­rat (Kul­tur­at­ta­ché) der tsche­cho­slo­wa­ki­schen Bot­schaft in Ost-Ber­lin, spä­ter Weimar)
  • Andrej Herm­lin (Musi­ker, am 7.10.1989 zum Kon­zert bei Fei­er mit Honecker)
  • André Herz­berg (Sän­ger und Tex­ter für die Rock­band Pankow), 
  • Lin Jal­da­ti (Sän­ge­rin, die jid­di­sche Volks­lie­der sang, Kunst­preis der DDR, Vater­län­di­scher Ver­dienst­or­den in Bron­ze, Sil­ber und Gold, Ehren­span­ge zum Vater­län­di­schen Ver­dienst­or­den in Gold)
  • Toni Krahl (Sän­ger von City, einer der erfolg­reichs­ten Band im Osten und auch inter­na­tio­nal erfolg­reich, saß nach 1968 im Gefäng­nis wegen Pro­tes­ten gegen den Ein­marsch der Rus­sen in Prag, seit 1975 bei City, ab 1988 Vor­sit­zen­der der Sek­ti­on Rock­mu­sik beim Komi­tee für Unterhaltungskunst)
  • Mar­tin Schrei­er (Sän­ger bei Stern Mei­ßen, spä­ter Stern-Com­bo Mei­ßen war der Sohn jüdi­scher Remi­gran­ten, die in Bel­gi­en im Wider­stand gewe­sen waren)

Maler/Fotografen/Grafiker

Gra­fik von Lea Grun­dig im Jüdi­schen Muse­um in Ber­lin in der Aus­stel­lung „Ein ande­res Land – Jüdisch in der DDR“. Der Aus­stel­lungs­text: „Die Künst­le­rin Lea Grun­dig (1906–1977) gelang­te 1941 auf der Flucht vor den Nazis in das bri­ti­sche Man­dats­ge­biet Paläs­ti­na. Dort arbei­te­te sie als Male­rin, Gra­fi­ke­rin und Kin­der­buch­il­lus­tra­to­rin. Auch poli­tisch war sie in der Emi­gra­ti­on aktiv und wid­me­te sich in ihren Arbei­ten dem Leid und der Ver­fol­gung der Juden in Euro­pa. 1949 kehr­te Lea Grun­dig in die DDR zurück, wo sie Pro­fes­so­rin für Gra­fik und spä­ter Prä­si­den­tin des Ver­ban­des Bil­den­der Künst­ler der DDR wur­de.“, Ber­lin, 19.11.2023
  • Sibyl­le Boden-Gerst­ner (Kos­tüm­bild­ne­rin, Male­rin und Mode­jour­na­lis­tin, Grün­de­rin der Mode­zeit­schrift Sibyl­le, Mut­ter von Danie­la Dahn)
  • Lea Grun­dig (Male­rin und Gra­fi­ke­rin, Pro­fes­sur für Gra­fik an der Hoch­schu­le für Bil­den­de Küns­te Dres­den, Pro­fes­sur für Gra­fik an der Hoch­schu­le für Bil­den­de Küns­te Dres­den, Mit­glied der Aka­de­mie der Küns­te der DDR, von 1964 bis 1970 Prä­si­den­tin des Ver­ban­des Bil­den­der Künst­ler., ab 1967 Mit­glied des Zen­tral­ko­mi­tees der SED)
  • John Heart­field (Hel­mut Herz­feld, Natio­nal­preis für Kunst und Lite­ra­tur, Professor)

Filmschaffende

  • Kon­rad Wolf (Regis­seur u.a. „Solo Suny“, Prä­si­dent der Aka­de­mie der Küns­te der DDR)

Wissenschaftler

  • Ernst Bloch (Phi­lo­soph Uni Leip­zig, Natio­nal­preis der DDR)
  • Vic­tor Klem­pe­rer (Pro­fes­sor Dres­den, Greifs­wald, Wit­ten­berg, HU Ber­lin: Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler und Roma­nist, Ehren­dok­tor Dres­den, Natio­nal­preis­trä­ger, Abge­ord­ne­ter der Volks­kam­mer, zu LTI sie­he oben)
  • Jür­gen Kuc­zyn­ski (Öko­nom),
  • Inge­borg Rapo­port (Pro­fes­so­rin für Päd­ia­trie und Inha­be­rin des ers­ten euro­päi­schen Lehr­stuhls für Neo­na­to­lo­gie, Ver­dien­ter Arzt des Vol­kes, Vater­län­di­scher Ver­dienst­or­den in Bron­ze und Sil­ber, zusam­men mit ande­ren Ärz­ten den Natio­nal­preis der DDR III. Klas­se für Wis­sen­schaft und Tech­nik für ihren Bei­trag zur Sen­kung der Säug­lings­sterb­lich­keit in der DDR. Sie zähl­te über die Wis­sen­schafts­ge­mein­de in der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik hin­aus zu den renom­mier­tes­ten Kin­der­ärz­ten ihrer Zeit.)
  • Samu­el Mit­ja Rapo­port (Arzt und Bio­che­mi­ker, Direk­tor des Insti­tuts für Bio­lo­gi­sche und Phy­sio­lo­gi­sche Che­mie an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät in Ost-Ber­lin, Mit­glied der Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten der DDR gewählt. Er erhielt meh­re­re Ehren­dok­to­ra­te. Zahl­rei­che staat­li­che Auszeichnungen)
  • Tom Rapo­port (Prof. am Zen­tral­in­sti­tut für Mole­ku­lar­bio­lo­gie der Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten der DDR in Ber­lin-Buch bezie­hungs­wei­se an des­sen Nach­fol­ge­ein­rich­tung, dem Max-Del­brück-Cen­trum für Mole­ku­la­re Medi­zin. Seit Janu­ar 1995 ist er Pro­fes­sor für Zell­bio­lo­gie an der Medi­zi­ni­schen Fakul­tät der Har­vard Uni­ver­si­ty in Boston.)
  • die Rapo­ports (Medi­zi­ner, Naturwissenschaftler*innen),
  • Sus­an Rich­ter (Kin­der­ärz­tin im Prenz­lau­er Berg, Fami­lie Rapo­port, Ärz­tin mei­ner Kinder)
  • Alfred Kan­to­ro­wicz (Jurist, Schrift­stel­ler, Pro­fes­sor für neue deut­sche Lite­ra­tur an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät Berlin), 
  • Hans May­er (Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler),
  • Wolf­gang Stei­nitz (Lin­gu­ist, Mit­glied des ZK der SED, Vize­prä­si­dent der Deut­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten der DDR)

Diskussion

Das war der Osten. Im Osten kam man als Schü­ler nicht am Holo­caust vor­bei. Ich war übri­gens auch bei Füh­run­gen in einer jüdi­schen Syn­ago­ge in Ber­lin. Ich wuss­te, dass es in Ost-Ber­lin noch zwei­hun­dert in der jüdi­schen Gemein­de orga­ni­sier­te Juden gab. Und ich wuss­te auch, war­um das so weni­ge waren.

Zum Ver­gleich möch­te ich von einem per­sön­li­chen Erleb­nis in einer süd­deut­schen Stadt Ende der 90er Jah­re berich­ten. Wir durf­ten bei Nach­barn von Bekann­ten über­nach­ten. Dort hing an der Wand ein Bild des Vaters in Uni­form. Waf­fen-SS. Mit Toten­kopf­sym­bol. Eine ganz nor­ma­le net­te Nach­ba­rin (Leh­re­rin), die ande­re in ihrer Woh­nung woh­nen lässt. Kein nor­ma­ler Mensch hät­te sich im Osten sei­nen Vater in SS-Uni­form ins Wohn­zim­mer gehängt. So etwas hät­te es im Osten nie gege­ben. Nie. [Inzwi­schen ist mir noch ein wei­te­rer sol­cher Fall bekannt.]

Kaha­ne schreibt wei­ter: „Dies [die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Holo­caust] hät­te zu Fra­gen nach Men­schen­rech­ten oder Min­der­hei­ten­schutz geführt, die nur bei Stra­fe des Unter­gangs der DDR zu beant­wor­ten gewe­sen wären.“ Das ist eini­ger­ma­ßen bizarr, denn damit rela­ti­viert sie den Holo­caust. In der DDR wäre nie­mand im Traum dar­auf gekom­men, so ein biss­chen Rede­frei­heit und Publi­ka­ti­ons­frei­heit, Rei­se­frei­heit mit der sys­te­ma­ti­schen Ermor­dung von Mil­lio­nen Men­schen zu ver­glei­chen. Sol­che Ein­schrän­kun­gen zu erklä­ren, war für die Staats­macht kein Pro­blem. Sie wur­den ja sogar auch damit erklärt, dass ver­hin­dert wer­den soll­te, dass sich so etwas wie­der­holt. Damit das ganz klar ist: Ich war 1989 auf der Stra­ße für Rede­frei­heit, Rei­se­frei­heit und nicht als Sta­si-Mit­ar­bei­ter. Ich ver­ste­he nicht, war­um Kaha­ne schreibt, was sie schreibt. Es ent­spricht jeden­falls nicht der Wahrheit.

Auch legt ihr Satz nahe, dass es in der DDR kei­ne Dis­kus­sio­nen über Men­schen­rech­te gege­ben hät­te. Es gab sehr wohl Men­schen, die sich mit Fra­gen der Men­schen­rech­te beschäf­tigt haben. Die Initia­ti­ve für Frie­den und Men­schen­rech­te wur­de 1986 offi­zi­ell gegrün­det. Vor­her gab es Grup­pen, meist unter dem Dach der Kir­che orga­ni­siert aber nicht not­wen­di­ger­wei­se reli­gi­ös, die den Ein­satz für Men­schen­rech­te als ihr Haupt­an­lie­gen sahen. Dafür brauch­te es kei­ne Holocaust-Diskussion.

„Lügenpresse“ bzw. Pfuschpresse

Der Wes­ten wun­dert sich, war­um der Osten sich anders benimmt, als man das viel­leicht erwar­ten wür­de. Ein Grund dafür sind sol­che Arti­kel in der Pres­se. Sieht man vom Neu­en Deutsch­land ab, gibt es kei­ne Ost-Pres­se mehr. Die West-Medi­en haben immer nur über den Osten geschrie­ben. Die Wes­sis haben über die Ossis gere­det, nicht mit ihnen. Das beginnt sich nun gera­de zu ändern. Es gibt tol­le Arti­kel von Anja Mai­er, Simo­ne Schmol­lack und Sabi­ne am Orde in der taz6, gute Arti­kel im Spie­gel, von Sabi­ne Renne­fanz in der Ber­li­ner Zei­tung und auch die Zeit ist aktiv um Ände­run­gen bemüht. Aber die oben zitier­ten Bei­trä­ge ent­hal­ten gro­be Unwahr­hei­ten und das macht die, über die gere­det wird, wütend. Es ver­letzt sie, sie wen­den sich ab und sind nicht mehr erreich­bar. Ein Vier­tel der Men­schen, die in die­sem Land leben. Unglaub­lich, oder?

Es ist ein Armuts­zeug­nis, dass die FAZ einen Arti­kel wie den von Gei­pel ein­fach so ver­öf­fent­licht. Wenn sie irgend­was über den Osten wüss­ten, wüss­ten sie eben auch, wie die Schul­bil­dung aus­sah, was die Men­schen gemacht und gedacht haben. Ich habe für das Schrei­ben die­ses Arti­kels einen Sonn­tag gebraucht. Die Quel­len sind im Netz ver­füg­bar. Es gibt sogar ein Buch, das sich mit dem Holo­caust im DDR-Unter­richt aus­ein­an­der­setzt. Wenn es der FAZ wich­tig wäre, wür­den sie Men­schen ein­stel­len, die das nöti­ge Wis­sen für ent­spre­chen­de Dis­kus­sio­nen haben. So ist es ein­fach nur unterirdisch.

Wenn Ost­deut­sche behaup­ten, der Holo­caust wäre in der DDR nicht the­ma­ti­siert wor­den, dann gibt es dafür zwei mög­li­che Grün­de: Sie ver­fol­gen politische/persönliche Zie­le und lügen bewusst oder sie haben die Behand­lung des Holo­caust ver­ges­sen. Ich weiß nicht, was schlim­mer ist.

Nachtrag

Auch Jan Fed­der­sen von der taz ver­sucht in sei­nem Inter­view mit Dani­el Rapo­port immer wie­der aus die­sem State­ments zum angeb­li­chen Anti­se­mi­tis­mus in der DDR her­aus­zu­kit­zeln, bekommt aber Ant­wor­ten, die dem hier Gesag­ten ent­spre­chen (aber bes­ser for­mu­liert sind). Jakob der Lüg­ner und der Bau der Syn­ago­ge wer­den erwähnt.

Literatur

Bodo von Borries

Dahn, Danie­la. 2019. Der Schnee von ges­tern ist die Sint­flut von heu­te: Die Ein­heit – eine Abrech­nung. Ham­burg: Rowohlt Verlag.

dpa. 2024. Buchen­wald: Klei­ner Lam­pen­schirm doch aus Men­schen­haut. Ber­li­ner Zei­tung. Ber­lin. 21.03.2024 (https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/buchenwald-kleiner-lampenschirm-doch-aus-menschenhaut-li.2198817)

Fed­der­sen, Jan. 2023. „Jude sein ist kein Beruf“ Inter­view mit Dani­el Rapo­port. taz 16.09.2023.

Gei­pel, Ines. 2019. Umkämpf­te Zone: Mein Bru­der, der Osten und der Hass. Stutt­gart: Klett-Cotta.

Krauß, Mat­thi­as. 2007. Völ­ker­mord statt Holo­caust. Jude und Juden­bild im Lite­ra­tur­un­ter­richt der DDR. Leip­zig: Ander­beck Verlag.

Krauß, Mat­thi­as. 2012. Völ­ker­mord statt Holo­caust. Jude und Juden­bild im Lite­ra­tur­un­ter­richt der DDR. Schkeu­ditz: Schkeu­dit­zer Buch­ver­lag. Über­ar­bei­te­te Ver­si­on von Krauß (2007).

Nimtz, Wal­ter. 1977. Geschich­te Lehr­buch für Klas­se 9. 8. Auf­la­ge. Ber­lin: Volk und Wis­sen Volks­ei­ge­ner Ver­lag. (https://okv-ev.de/wp-content/documents/DDR-Literatur/Lehrmaterial/Geschichte/Geschichte%20Klasse%209%20-%201977.pdf)

Reich, Anja. 2024. Bet­ti­na Göring: „Über die Nazi-Zeit habe ich erst aus DDR-Geschichts­bü­chern gelernt“. Ber­li­ner Zei­tung. Ber­lin. (https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/bettina-goering-ueber-die-nazi-zeit-habe-ich-erst-aus-ddr-geschichtsbuechern-gelernt-li.2206296)

Schie­ber, Elke. 2016. Tan­gen­ten. Holo­caust und jüdi­sches Leben im Spie­gel audio­vi­su­el­ler Medi­en der SBZ und der DDR 1946 bis 1990 – Eine Doku­men­ta­ti­on. Ber­lin. (https://www.defa-stiftung.de/defa/publikationen/buecher/tangenten/)

Danksagung

Ich habe nach der Erstel­lung einer Ent­wurfs­fas­sung die­ses Tex­tes mit vie­len Men­schen gespro­chen bzw. Mail aus­ge­tauscht und den Text dann ent­spre­chend ange­passt. Dafür dan­ke ich ihnen. Beson­de­rer Dank geht an XY für den Hin­weis, mal nach Plas­ti­ken und Brief­mar­ken zu suchen. Über die Wiki­pe­dia­sei­te zu den Brief­mar­ken bin ich dann auch auf die Plas­ti­ken von Will Lam­bert gesto­ßen. Ich dan­ke der Wil­li-Bre­del-Gesell­schaft für promp­te Aus­kunft zu Erschei­nungs­da­ten der Früh­lings­so­na­te.

Links

  • Jüdi­sche Gemein­den in Meck­len­burg-Vor­pom­mern: Vom Über­le­ben einer Min­der­heit, Deutsch­land­funk, 17.10.2015.
  • Johann Nie­mann, der Lager­kom­man­dant des Ver­nich­tungs­la­gers Sobi­bor, in dem 180.000 Juden ermor­det wur­den steht auf dem Krie­ger­denk­mal im ost­frie­si­schen Völ­len mit der Inschrift „Unse­ren gefal­le­nen Hel­den“. taz, 26.02.2020

Was macht die Brandenburger Mutter, wenn sie ins Kinderzimmer geht?

Im ers­ten Post in die­sem Blog geht es um einen Witz. Ich habe ihn zuerst von einem lie­ben Freund aus Schwa­ben gehört und fand ihn damals noch ein biss­chen lustig.

Fra­ge: „Was macht die Mut­ter in Bran­den­burg, wenn sie ins Kin­der­zim­mer geht?“

Ant­wort: „Mal nach dem Rech­ten sehn.“

Tol­ler Witz, tol­les Kli­schee. War­um gibt es die­sen Witz nicht mit Dort­mund? Die taz berich­te­te über den Kiez Dorst­feld in Dort­mund, in dem Hard­core-Nazis woh­nen, demons­trie­ren, Men­schen ver­prü­geln. An den Häu­sern gibt es Nazi-Paro­len. Der Ver­mie­ter wei­gert sich, die­se ent­fer­nen zu las­sen. Also:

Fra­ge: „Was macht die Mut­ter, wenn sie ihren Sohn in Dort­mund besucht?”

Ant­wort: „Mal nach dem Rech­ten sehn.“

Nicht lus­tig? In Dort­mund gibt es auch noch Men­schen, die kei­ne Nazis sind? Echt? Oh, Ent­schul­di­gung, da war mei­ne Wahr­neh­mung wohl etwas ein­sei­tig. Immer, wenn ich in der taz was über Dort­mund lese, geht es um sozia­le Pro­ble­me im Ruhr­ge­biet und über die Nazis dort.

Mei­ne Kin­der erzäh­len die Wit­ze, die wir uns als Ost­frie­sen­wit­ze erzählt haben mit Dumms­dorf statt mit Ost­fries­land. Ich weiß nicht, ob die Ost­frie­sen unter den Wit­zen gelit­ten haben, aber es ist irgend­wie bes­ser mit Dumms­dorf. Lei­der funk­tio­niert der Witz mit Dumms­dorf nicht so gut.1 Man soll­te ihn wohl des­halb ein­fach nicht mehr machen.

Vor­sicht: Post kann Spu­ren von Iro­nie enthalten.