Wenn Ihr wissen wollt, was viele Ossis aufregt, dann lest diesen Beitrag in der taz: Den Radikalisierungsmotor stoppen. Gareth Joswig schreibt über Nazis von der Jungen Alternative in Bayern:
Wie radikal die Junge Alternative ist, haben vorletzte Samstagnacht wieder einige ihrer Mitglieder beim Feiern nach einem Parteitag im mittelfränkischen Greding in Bayern zur Schau gestellt. Eine Gruppe von bis zu 30 Personen grölte tanzend in einer Diskothek den stumpfen Neonazi-Slogan: „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“
Soweit so gut, aber dann geht es weiter:
– also exakt jene Parole, die Neonazis 1993 bei den Pogromen von Rostock-Lichtenhagen riefen, während sie Brandsätze auf ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter warfen.
Was soll das? Lichtenhagen hat in dem ganzen Artikel nichts zu suchen. Was Gareth Joswig hier macht, vielleicht unbewusst, ist zu sagen: Ach gucke, die Bayern sind Nazis, aber die Ossis sind noch viel schlimmer. Obwohl das aktuell für den Artikel nicht der Punkt ist. Solches Ossi-Bashing kommt immer wieder zur Selbstentlastung und ist so was wie Whataboutism oder auch diese Hufeisen-Geschichte: Immer wenn jemand auf die Rechten schimpft, wird auch gleich mal kräftig auf die Linken geschimpft.
Inhaltlich ist es grober Unfug, den Ossis diesen Spruch anheften zu wollen. Wenn man mal bei Google-Books nachguckt, wie diese Phrasen verwendet werden, dann findet man … Überraschung.
Die Phrase „Ausländer raus“ gab es ab 1973 in Buch-Publikationen. (Nebenbemerkung: Den Ossis wird immer erklärt, dass es im Osten Faschismus und Rassismus gäbe, weil es dort kein 1968 gegeben habe. Deshalb ist es natürlich interessant zu sehen, dass die Ausländerfeindlichkeit erst nach 1968 auftrat.)
Am häufigsten war die Phrase um 1992.
Die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen fanden im August 1992 statt. Da Bücher eine gewisse Vorlaufzeit haben, bis sie in den Druck und den Handel gehen, dürfte der Höhepunkt der Verwendung ein bis zwei Jahre vor den Ausschreitungen gelegen haben. Das heißt der Spruch geht nicht auf die pöbelnden bepissten Ost-Nazis aus Lichtenhagen zurück, sondern war schon vorher weit verbreitet. Man kann sich die Stellen in den Publikationen auch ansehen, indem man unten auf die Jahreszahlen klickt. Man findet dann Publikationen, die sich mit Ausländerhass beschäftigen.
„Gastarbeiter raus!“ in Arbeit und Arbeitsrecht von 1976.
Hier ein Ausschnitt aus einem 1984 erschienen Buch:
Die Parole wird Anfang der 80er in vielen Publikationen im Zusammenhang mit der NPD diskutiert.
Wir können uns noch mal den Stand zur Wende angucken.
1982 gab es ein Hoch, das dann aber 1989 noch übertroffen wurde. Ein Drittel des Höchstwertes von 1992 war 1989 bereits erreicht. Und es dürfte klar sein, dass die entsprechenden Publikationen nicht in der DDR erschienen sind. In der DDR gab es auch einige Nazis (viel, viel weniger und anders als im Westen nicht in leitenden Funktionen), aber diese hatten keinen Zugriff auf Druckereien. Es konnte nur gedruckt werden, was vom Staat genehmigt wurde. Es gab nicht genug Papier und eben auch nur staatliche Druckereien. Umweltgruppen haben in kleinen Auflagen Untergrundblätter produziert (siehe Umwelt-Bibliothek in Berlin). Von Nazis ist mir nichts dergleichen bekannt und die entsprechenden Druckerzeugnisse dürften es auch nicht zu Google Books geschafft haben. Wenn es die Phrase in Ost-Büchern gegeben haben sollte, dann wohl höchstens als Reflex der Vorgänge und Entwicklungen im Westen. Offiziell war Völkerverständigung und Völkerfreundschaft die Linie im Osten.
Das heißt, von der Phrase „Ausländer raus!“ die irgendwelche besoffenen Jung-Nazis in Bayern grölen, einen Schwenk nach Lichtenhagen zu machen, ist tendenziös und faktenfrei.
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