Zwei Diktaturen – zwei Töpfe

Die Opfer der nationalsozialisitschen Diktatur und der Diktatur des Proletariats

(Vor­weg: Ich habe die DDR, so wie sie war, abge­lehnt und kann mit nost­al­gi­scher Ver­klä­rung nichts anfan­gen. Ich bin froh, dass sie Geschich­te ist. Wie vie­le ande­re bin ich jedoch nicht glück­lich damit, wie die­se Geschich­te von West­lern erzählt wird.)

In Bei­trä­gen, in denen ver­sucht wird, den Osten zu ver­ste­hen, wird oft davon gespro­chen, dass die Ossis durch zwei Dik­ta­tu­ren geprägt wur­den. Das ärgert mich immer wie­der, weil es zwar fak­tisch rich­tig ist, dass Ost­deut­sche in zwei Dik­ta­tu­ren gelebt haben, aber damit sug­ge­riert wird, dass die­se Dik­ta­tu­ren irgend­wie von der glei­chen Art sind. Meist wird das nicht expli­zit gesagt, aber hier in einem Leser­brief von Bar­ba­ra Hartz aus Bre­men zu einem Inter­view von Anne Fromm mit Anne Rabe und Kat­ja Heu­er fin­det man den Ver­gleich ziem­lich offen:

Zur Mei­nung Kat­ja Hoyers fällt mir mei­ne poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on in der Real­schu­le ein: Unse­re Leh­rer mach­ten uns d­urchgehend deut­lich, dass all die gelob­ten Maß­nah­men der national­so­zia­lis­tischen Regie­rungs­zeit wie der viel gelob­te ­Auto­bahn­bau, die Kraft-durch-Freu­de-Feri­en, die Gemein­schafts­er­leb­nis­se der Jugend und vie­les mehr nicht gegen die gene­ral­stabs­mä­ßig geplan­te und gna­den­los orga­ni­sier­te Aus­rot­tung von Men­schen und gegen die pro­pa­gier­te Menschen­verachtung auf­zurechnen sind.

Die Leh­rer mach­ten klar, dass die­se Ver­bre­chen so schlimm sind, dass sie durch nichts Gutes zu rela­ti­vie­ren oder aus­zu­glei­chen sind.

Wie fällt die Beur­tei­lung der DDR aus, wenn man mit die­sem mora­li­schen Maß­stab auf ihre Zeit blickt?

Bar­ba­ra Hartz, Bre­men in einem Leser­brief in der taz zu einem Inter­view von Anne Fromm mit Anne Rabe und Kat­ja Heu­er, 16.11.2024.

Ich bin in der DDR auf­ge­wach­sen und dazu erzo­gen wor­den, mit die­sen Maß­stä­ben auf die Welt zu sehen. Ich möch­te dazu eini­ge der Ver­bre­chen auf­lis­ten, die in der Nazi-Zeit began­gen wor­den sind. Nichts davon hat es in der DDR gegeben.

  • Nazi-Deutsch­land hat einen Welt­krieg begon­nen, in dem 60 bis 65 Mil­lio­nen Men­schen gestor­ben sind. (Wiki­pe­dia: Tote des zwei­ten Welt­kriegs)
  • Nazi-Deutsch­land hat sys­te­ma­tisch und geplant und beschlos­sen 6 Mil­lio­nen Juden ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 7 Mil­lio­nen sowje­ti­sche Zivi­lis­ten ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 3 Mil­lio­nen sowje­ti­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 1,8 Mil­lio­nen pol­ni­sche Zivi­lis­ten ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 312.000 ser­bi­sche Zivi­lis­ten ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 250.000 Behin­der­te ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 250.000 Sin­ti und Roma ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat 1.900 Zeu­gen Jeho­vas ermor­det, weil die­se den Kriegs­dienst ver­wei­gert haben.
  • Nazi-Deutsch­land hat 70.000 so genann­te „Berufs­ver­bre­cher“ und „Aso­zia­le“ ermordet.
  • Nazi-Deutsch­land hat Euge­nik gut­ge­hei­ßen und woll­te bes­se­re Men­schen züch­ten. Her­ren­men­schen. Das hat­te Hit­ler bereits in „Mein Kampf“ (1925–1926) aus­for­mu­liert und die NSDAP wur­de 1932 mit 33,1 % stärks­te Par­tei. Hit­ler wur­de bei den Reichs­prä­si­den­ten­wah­len 1932 von 30,1% der Wäh­len­den gewählt, zwei­ter nach Hin­den­burg 49,5%.
  • Der ent­spre­chen­de Teil des deut­schen Vol­kes hat für sich Arier­nach­wei­se erstellt, um zu zei­gen, dass sie irgend etwas Bes­se­res waren, als Men­schen ande­rer „Ras­sen“.
  • Nazi-Deutsch­land hat Eutha­na­sie-Pro­gram­me (Akti­on T4) durch­ge­führt und psy­chisch Kran­ke und Behin­der­te ermor­det oder ver­hun­gern las­sen. Es wur­de von „unwer­tem Leben“ gesprochen.
Kre­ma­to­ri­um im KZ Buchen­wald mit klei­ner Wol­ke dar­über. Links stan­den die Bara­cken. Sie wur­den nach der Befrei­ung des Lagers wegen Seu­chen­ge­fahr abge­ris­sen. Buchen­wald bei Wei­mar, 13.08.2024

Hier kann man die Zah­len der Ermor­de­ten noch ein­mal in einer Gra­fik sehen:

In der Akti­on T4 wur­den Psych­ia­trie-Pati­en­ten sys­te­ma­tisch umge­bracht. Nach deren Ende, das even­tu­ell damit zusam­men­hing, dass die Mör­der in den neu ein­ge­rich­te­ten Ver­nich­tungs­la­gern für die Ermor­dung der Juden und sowje­ti­schen Bürger*innen und Kriegs­ge­fan­ge­nen benö­tigt wur­den, gab es den Hun­ger­kost-Erlaß.

Der Hun­ger­kost-Erlaß des Baye­ri­schen Staats­mi­nis­ters des Inne­ren vom 30. Novem­ber 1942 schloss an die Ein­stel­lung der Akti­on T4 an. Die Kost psych­ia­tri­scher Pati­en­ten, die ins­be­son­de­re nicht mehr arbeits­fä­hig waren, wur­de infol­ge­des­sen so weit redu­ziert, dass nach drei Mona­ten mit ihrem Tod zu rech­nen war. Der Erlass führ­te zum Tod vie­ler tau­sen­der Psych­ia­trie-Pati­en­ten in Bayern.

Unter­zeich­net wur­de der Erlass von Wal­ter Schult­ze, der von 1933 bis 1945 als Minis­te­ri­al­di­rek­tor die Abtei­lung Gesund­heits­we­sen im Baye­ri­schen Innen­mi­nis­te­ri­um lei­te­te. Schult­ze war außer­dem von 1935 bis 1944 als „Reichs­do­zen­ten­füh­rer“ Lei­ter des Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deut­schen Dozen­ten­bun­des (NSDDB).

Nach heu­ti­gem Kenntnisstand[2] ist der von Schult­ze unter­zeich­ne­te Erlass gleich­zei­tig „eine Art nach­träg­li­cher Recht­fer­ti­gung für Hand­lungs­wei­sen […], die schon längst prak­ti­ziert wur­den“ und die „Anord­nung von neu­en und bru­ta­le­ren Maß­nah­men, die aber in dem Erlaß selbst nicht ange­spro­chen sind, im Grun­de also […] ein Doku­ment der Tar­nung und Verschleierung.“[3] Der Direk­tor der Heil- und Pfle­ge­an­stalt Kauf­beu­ren, Valen­tin Faltl­hau­ser, hat­te bereits 1941 die Ein­schrän­kung der Kost der nicht­ar­beits­fä­hi­gen Pati­en­ten ange­ord­net. Seit August 1942 ließ Faltl­hau­ser arbeits­un­fä­hi­gen Pati­en­ten eine völ­lig fett­lo­se „Son­der­kost“ ver­ab­rei­chen, die Kran­ken star­ben inner­halb von drei Mona­ten an Hun­ge­röde­men. Faltl­hau­ser refe­rier­te über sei­ne Erfah­run­gen bei einer Kon­fe­renz der Anstalts­di­rek­to­ren mit Schult­ze am 17. Novem­ber 1942, auf die im „Hun­gerer­lass“ Bezug genom­men wird.

Wiki­pe­dia-Ein­trag Hun­ger­kost-Erlaß

Alles bis hier­her Geschil­der­te zeugt von einer unglaub­li­chen Bru­ta­li­tät und Unmensch­lich­keit des NS-Regimes. Man möge den Ein­trag zur Akti­on T4 lesen. Dar­aus geht her­vor, dass ein ein­zi­ger Rich­ter sich den mit der Ermor­dung ver­bun­de­nen Anord­nun­gen wider­setz­te. 90 höchst­ran­gi­ge Rich­ter wur­den dann in die Akti­on ein­ge­weiht, waren also mitschuldig.

Nichts, nichts davon gab es in der DDR. Die DDR hat kei­nen Krieg begon­nen. Die NVA war als Ver­tei­di­gungs­ar­mee kon­zi­piert, deren Auf­ga­be es war, poten­ti­el­le Angrif­fe aus dem Wes­ten für 24 Stun­den auf­zu­hal­ten. Die DDR war kom­plett durch­mi­li­ta­ri­siert (Sport, Wehr­kun­de­un­ter­richt, Gesell­schaft für Sport und Tech­nik) aber das lief alles unter „Der Frie­de muss bewaff­net sein“. Krieg stand nicht auf dem Pro­gramm, was in der Nazi-Zeit defi­ni­tiv anders war. Die Kom­mu­nis­ten hat­ten vor den letz­ten Wah­len gewarnt: „Wer Hit­ler wählt, wählt den Krieg.“ Die Erzie­hung in der DDR war anti­fa­schis­tisch, die Ver­bre­chen der Nazis inklu­si­ve Holo­caust wur­den im Schul­un­ter­richt und an vie­len ande­ren Stel­len the­ma­ti­siert, obwohl das von Men­schen wie Anet­ta Kaha­ne und Ines Gei­pel geleug­net wird (sie­he Blog-Bei­trag Der Ossi und der Holo­caust). Die Völ­ker­freund­schaft wur­de offi­zi­ell befür­wor­tet, was natür­lich mit dem Befrei­ungs­kampf der ent­spre­chen­den Völ­ker ver­knüpft wur­de, aber es gab von staat­li­cher Sei­te kei­nen über Ras­sen­kon­zep­te moti­vier­ten Ras­sis­mus (für Bele­ge aus der Bum­mi-Zei­tung, der Für Dich, der NBI und der Wochen­post zur inter­na­tio­na­len Soli­da­ri­tät und zur medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung von Men­schen aus Afri­ka in der DDR sie­he „His­to­ri­sche Ursa­chen der Frem­den­feind­lich­keit in den neu­en Bun­des­län­dern“: Kom­men­ta­re zu einem Auf­satz von Patri­ce G. Pou­trus, Jan C. Beh­rends und Den­nis Kuck). Zum Umgang mit Behin­der­ten habe ich in Mein Gott, Walt­her! Die DDR als prä-faschis­ti­scher, post-faschis­ti­scher und faschis­ti­scher Staat und über­haupt. geschrie­ben. Ich bin in Buch auf­ge­wach­sen, dort gab es ab 1976 staat­lich geplan­te bar­rie­re­freie Woh­nun­gen für Men­schen mit Rollstühlen.

Es gab Men­schen, die Opfer des DDR-Regimes gewor­den sind. Dazu gehö­ren ganz offen­sicht­lich die Mau­er­to­ten, aber auch Systemgegner*innen, die nach frag­wür­di­gen Pro­zes­sen hin­ge­rich­tet wur­den oder irgend­wo in Gefäng­nis­sen ver­schwan­den und nie wie­der gese­hen wur­den. Zur Zahl der Toten gibt es nur Schät­zun­gen. Der wis­sen­schaft­li­che Dienst des Bun­des­tags geht von eini­gen Hun­dert bis zu 4.000 aus (Wis­sen­schaft­li­cher Dienst des Bun­des­ta­ges 2021). An der Mau­er sind wohl weni­ger als 327 Men­schen gestor­ben. Es gab 52 bis 72 Todes­ur­tei­le für poli­tisch Ver­folg­te. Ohne ver­läss­li­che Zah­len wird von bis zu 50 poli­tisch moti­vier­ten Mor­den oder Mord­ver­su­chen durch das MfS (ohne Thü­rin­gen) aus­ge­gan­gen. Die Todes­ur­sa­che für in der Haft Gestor­be­ne lässt sich im Nach­hin­ein nicht mehr rekon­stru­ie­ren. Man geht von eini­gen Hun­dert bis 2.500 aus. Nimmt man jetzt die Ober­gren­ze der Schät­zung, also den für die DDR am ungüns­tigs­ten Fall von 4.000 Opfern des DDR-Regimes an, so sieht man, dass das in abso­lut ande­ren Grö­ßen­ord­nun­gen liegt als die Ver­bre­chen der Nazis. Wenn in den 40 Jah­ren der DDR 4.000 Men­schen umge­kom­men sind, dann sind das 100 pro Jahr. Das ist eine gro­ße Zahl, ohne Zwei­fel, aber in der Schlucht von Babyn Jar hat die SS und die Wehr­macht in 36 Stun­den 33.000 Juden (Frau­en, Kin­der und Män­ner) erschossen. 

Hoyers Arbeit

Ich habe das Buch von Hoyer noch nicht ganz gele­sen. Bis­her nur das Kapi­tel über die Mau­er und das fol­gen­de Kapi­tel über Urlaubs­plät­ze. Hoyer schreibt an kei­ner Stel­le, dass die Mau­er eine duf­te Sache war. Sie erklärt, war­um sie gebaut wur­de und beschreibt aus­führ­lich tra­gi­sche Todes­fäl­le. Hoyer erklärt im Kapi­tel Hart arbei­ten und das Leben genie­ßen, das dem Mau­er­ka­pi­tel folgt, war­um der Aus­bau des Urlaubs­sys­tems not­wen­dig war: Ab 1961, als die Mau­er stand, konn­te Ulb­richt bzw. die Staats­füh­rung Miss­stän­de nicht mehr auf Kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re schie­ben und muss­te selbst dafür sor­gen, dass sich das Volk wohl­fühl­te. Das her­aus­zu­ar­bei­ten ist not­wen­dig, wenn man eine Geschich­te der DDR haben will und wenn man die DDR und das Han­deln ihrer Bewohner*innen in der Gegen­wart ver­ste­hen will. Auch im Inter­view mit der taz gibt es nichts, was man Kat­ja Heu­er als Ost­al­gie oder Ver­klä­rung von Tat­sa­chen vor­wer­fen könnte.

Die DDR war der Staat mit dem größ­ten Spit­zel­netz, mit der größ­ten Dich­te an Geheimdienstmitarbeiter*innen pro Ein­woh­ner, welt­weit (Wiki­pe­dia-Arti­kel MfS: ein haupt­amt­li­cher Mit­ar­bei­ter pro 180 Einwohner*innen). Die DDR hat sich mit einer Mau­er Rich­tung Wes­ten abge­grenzt und ihr dahin­ter ein­ge­sperr­tes Volk bespit­zelt und unter­drückt. Das gehört zur Geschich­te der DDR. Es gehört aber auch dazu, dass der Freie Deut­sche Gewerk­schafts­bund Urlaubs­plät­ze ver­teilt hat. Über die von Frau Hartz ange­spro­che­nen Fak­ten (Auto­bahn­bau, Kraft-druch-Freu­de, Volks­wa­gen, usw.) wird auch jede Geschich­te des Natio­nal­so­zia­lis­mus berich­ten und wird die­se his­to­risch einordnen.

Wer war Hitler? Relativierungen

Auf die Fra­ge: „Wer war Hit­ler?“ gibt es drei mög­li­che Ant­wor­ten. Die ers­te kann man hier in die­sem Bei­trag des Hes­si­schen Rund­funks aus dem Jahr 1959 bestaunen.

Drei Ant­wort-Arten sind:

  1. Hit­ler hat die Auto­bah­nen gebaut und vie­le Men­schen in Arbeit gebracht.
  2. Hit­ler hat sys­te­ma­tisch Mil­lio­nen Men­schen ermor­den las­sen, einen Krieg geführt, bei dem noch mehr umge­kom­men sind, aber er hat auch Auto­bah­nen gebaut.
  3. Hit­ler hat sys­te­ma­tisch Mil­lio­nen Men­schen ermor­den las­sen, einen Krieg geführt, bei dem noch mehr umge­kom­men sind, und er hat Auto­bah­nen gebaut.

Den Fall 1) kann man im Video sehen. Unak­zep­ta­bel. 2) Ist die Rela­ti­vie­rung. Eben­falls unak­zep­ta­bel. 3) mit und statt aber ist die Fest­stel­lung einer his­to­ri­schen Tat­sa­che, die natür­lich in einem Text ent­spre­chend ein­ge­ord­net wer­den muss. Nach dem Mus­ter 3) arbei­tet Hoyer und das ist auch wis­sen­schaft­lich korrekt.

Schlussfolgerung

Nazi-Deutsch­land und die DDR sind unver­gleich­bar. Die Grö­ßen­ord­nun­gen der began­ge­nen Ver­bre­chen ist um den Fak­tor 20.000 (80.000.000 zu 4.000) oder 133.000 (80 Mio zu 600) ver­schie­den. In Nazi-Deutsch­land gab es eine grö­ße­re Betei­li­gung der Bevöl­ke­rung schon allein durch die Kriegs­be­tei­li­gung aber auch durch die Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger, den Umgang mit Zwangs­ar­bei­tern, Depor­ta­tio­nen von Juden, die Euthanasie-Verbrechen.

Man soll­te also Nazi-Deutsch­land und die DDR nicht in einen Topf wer­fen. Wer es tut, hat ent­we­der kei­ne Ahnung vom Umfang der Ver­bre­chen in der DDR oder rela­ti­viert die Nazi-Ver­bre­chen, die in den 1000 Jah­ren davor began­gen wurden.

Quellen

Wis­sen­schaft­li­cher Dienst des Bun­des­ta­ges. 2021. Zur Zahl der Todes­op­fer auf­grund poli­ti­scher Ver­fol­gung in der DDR. Aus­ge­wähl­te Aspek­te. (https://www.bundestag.de/resource/blob/855618/52a47e246eee6bec67127050c4224a74/WD‑1–015-21-pdf.pdf)

Sächsische Separatisten (SS)

Vor eini­ger Zeit sind die Säch­si­schen Sepa­ra­tis­ten auf­ge­flo­gen. Eine Grup­pe Rechts­extre­mer, die mit Waf­fen für den Tag X trai­niert haben, wur­de fest­ge­nom­men. Eini­ge von ihnen AfD-Funk­tio­nä­re. Heu­te schreibt die taz zu die­ser Gruppe:

Zu den Fest­ge­nom­men gehö­ren auch die Brü­der Jörg und Jörn S. aus Bran­dis, deren Vater in den 1980er Jah­ren bereits in der mili­tan­ten Neo­na­zi-Sze­ne in Öster­reich aktiv war. Jörg S. gilt der Bun­des­an­walt­schaft als Anfüh­rer der Gruppe. 

Lit­sch­ko, Kon­rad. 2024. Kurth finan­zier­te Ter­ror­ver­däch­ti­ge. taz 13.11.24. Berlin.

Das heißt, das wie­der eine Grup­pe von in den Osten gekom­me­nen West-Nazis gelei­tet wird. Ich bit­te, das zu berück­sich­ti­gen, wenn über „die Ossis“ berich­tet wird und ver­sucht wird, die Exis­tenz von Nazis im Osten irgend­wie auf Eigen­schaf­ten von Ossis zurückzuführen.

Übri­gens hat Peter Kurth, frü­her Ber­li­ner CDU-Sena­tor, den Ter­ro­ris­ten den Kauf eines Hau­ses finan­ziert. Ost-Nazis ver­fü­gen nor­ma­ler­wei­se nicht über aus­rei­chend Mit­tel zum Kauf von Häusern.

Quellen

Lit­sch­ko, Kon­rad. 2024. Kurth finan­zier­te Ter­ror­ver­däch­ti­ge. taz 13.11.24. Ber­lin. (https://www.taz.de/!6049011)

Lilane Eierdiebe, ostdeutsche Institute und Framing

Johan­nes Geck, Dok­to­rand am Insti­tut für Zeit­ge­schich­te München–Berlin, schreibt in einem Mei­nungs­bei­trag in der taz, dass das rechts­extre­me Insti­tut für Staats­po­li­tik erns­ter genom­men wer­den soll­te. Dem ist unbe­dingt zuzu­stim­men. Es gibt nur eine Klei­nig­keit in sei­nem Bei­trag, die mich extrem stört. Eigent­lich sind es zwei Klei­nig­kei­ten. Oder eine, die zwei­mal vorkommt.

Das Insti­tut war eine rechts­extre­me Denk­fa­brik, die rechts­extre­men Politiker*innen der AfD zuar­bei­te­te. Das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz und der Lan­des­ver­fas­sungs­schutz Sach­sen-Anhalt stuf­ten die Grup­pie­rung als „gesi­chert rechts­extrem“ und als ver­fas­sungs­feind­lich ein. Es wur­de 2024 auf­ge­löst, wohl um einem Ver­bot zuvorzukommen.

Geck schreibt:

In der deut­schen Bericht­erstat­tung über das Umfeld des neu­rech­ten Ver­le­gers Götz Kubit­schek ent­steht bis­wei­len der Ein­druck, es hand­le sich um einen Kreis ver­wirr­ter Hoch­stap­ler. Zuletzt sprach etwa die Spie­gel-Redak­teu­rin Ann-Kath­rin Mül­ler schmun­zelnd von „ganz viel pseu­do­in­tel­lek­tu­el­lem Gere­de“, das aus dem sach­sen-anhal­ti­ni­schen Schnell­ro­da zu ver­neh­men sei. Eine sol­che Ver­harm­lo­sung des inzwi­schen for­mal auf­ge­lös­ten Insti­tuts für Staats­po­li­tik ver­kennt jedoch des­sen Bedeu­tung für die radi­ka­le Rech­te und führt zu einer gefähr­li­chen Unter­schät­zung der orga­ni­sier­ten Geg­ner der libe­ra­len Demo­kra­tie. Neben Maxi­mi­li­an Krah und Ali­ce Wei­del sind die Prot­ago­nis­ten der Wahl­er­fol­ge im Osten, Björn Höcke, Jörg Urban und Hans-Chris­toph Berndt, gern gese­he­ne Gäs­te in der ost­deut­schen „Denk­fa­brik“.

Johan­nes Geck. 2024. Rech­te Extramei­len, taz, 08.11.2024, S. 12.

Framing

Johan­nes Geck ver­wen­det die Wort­grup­pe ost­deut­sche „Denk­fa­brik“ noch ein wei­te­res Mal in sei­nem Arti­kel. Es scheint ihm also wich­tig zu sein, einen Zusam­men­hang zwi­schen Rechts­extre­mis­mus und Ost­deutsch­land her­zu­stel­len. Das Fach­wort dafür ist Framing und die Hebbsche Lern­re­gel erklärt, was im Gehirn pas­siert: „What fires tog­e­ther wires tog­e­ther.“. Wenn Kon­zep­te immer wie­der in Bezie­hung zuein­an­der gesetzt wer­den, reicht es irgend­wann, eins der Kon­zept zu erwäh­nen. Im kon­kre­ten Fall wäre dann Ost­deutsch­land in den Gehir­nen der Medienkonsument*innen untrenn­bar mit Rechts­extre­mis­mus verknüpft.

„Bran­den­burg zeigt Hal­tung“ Demo­teil­neh­me­rin bei „Wir sind die Brand­mau­er“ Kund­ge­bung gegen den Faschis­mus, Ber­lin, 03.02.2024

Im gesamt­deut­schen Dis­kurs ist es bequem, das Gru­se­li­ge aus­zu­la­gern und zu exter­na­li­sie­ren. Die Nazis sind ost­deutsch. Sie sind alle so gewor­den, weil sie zu heiß geba­det wur­den (Rabe)/nebeneinander auf dem Töpf­chen sit­zen muss­ten (Pfei­fer, sie­he Decker, 1999)/unter den Kom­mu­nis­ten gelit­ten haben (der gan­ze Rest, sie­he Zei­tung, Fern­se­hen, irgend­was). Lei­der ist das zu kurz geschos­sen, denn Nazis bzw. Nazi-Wähler*innen gibt es auch in West­deutsch­land (und in Frank­reich, Ita­li­en, Öster­reich und in den USA, wo ja nun kaum die Kom­mu­nis­ten Schuld gewe­sen sein konn­ten). Die Grün­de für ent­spre­chen­des Wahl­ver­hal­ten sind oft ähn­lich und solan­ge das nicht erkannt wird, rut­schen wir wei­ter in Rich­tung Faschismus.

Westdeutsche Denkfabrik und westdeutsche Nazis

Hier noch kurz die Erklä­rung, war­um mich die Phra­se ost­deut­sche „Denk­fa­brik“ ärgert. Das Insti­tut für Staats­po­li­tik wur­de im Mai 2000 von Götz Kubit­schek, Karl­heinz Weiß­mann und dem Rechts­an­walt Ste­fan Hanz gegrün­det. Das Insti­tut hat­te sei­nen Sitz am Anfang in Bad Vil­bel (Hes­sen) und ist erst 2003 nach Schnell­ro­da in Sach­sen-Anhalt umge­zo­gen. Die Grün­der kom­men aus Ravens­burg (Baden-Würt­tem­berg) und Nort­heim (Nie­der­sach­sen). Die Her­kunft von Ste­fan Hanz ist mir nicht bekannt, ich ver­mu­te aber, dass er eben­falls aus dem Wes­ten kommt. Das Staats­po­li­tik-Insti­tut ist also eine west­deut­sche Denk­fa­brik, die seit 2003 im Osten ange­sie­delt ist.

Auch die auf­ge­zähl­ten Politiker*innen sind fast zur Hälf­te aus dem Wes­ten: Höcke und Wei­del sind bei­de aus NRW.

Lilane Eierdiebe und ultimative Attributionsfehler

Zum Pres­se­ko­dex gehört seit 2017 folgendes:

In der Bericht­erstat­tung über Straf­ta­ten ist dar­auf zu ach­ten, dass die Erwäh­nung der Zuge­hö­rig­keit der Ver­däch­ti­gen oder Täter zu eth­ni­schen, reli­giö­sen oder ande­ren Min­der­hei­ten nicht zu einer dis­kri­mi­nie­ren­den Ver­all­ge­mei­ne­rung indi­vi­du­el­len Fehl­ver­hal­tens führt. Die Zuge­hö­rig­keit soll in der Regel nicht erwähnt wer­den, es sei denn, es besteht ein begrün­de­tes öffent­li­ches Inter­es­se. Beson­ders ist zu beach­ten, dass die Erwäh­nung Vor­ur­tei­le gegen­über Min­der­hei­ten schü­ren könnte.

Wenn über einen Eier­dieb­stahl berich­tet wird, ist die Haut­far­be der Täter*in nor­ma­ler­wei­se irrele­vant und soll nicht genannt wer­den. Der Grund dafür ist genau das, was ich oben aus­ge­führt habe: Wenn stän­dig von lila­nen Eier­die­ben gespro­chen wird, ver­fes­tigt sich das Bild, dass alle Men­schen mit lila­n­er Haut­far­be Eier­die­be wären oder zum Eider­dieb­stahl nei­gen. Es kommt dann zum ulti­ma­ti­ven Attributionsfehler:

Erklärt man sich das Ver­hal­ten eines Men­schen damit, dass er Mit­glied einer sozia­len Grup­pe ist, spricht man seit Pet­ti­g­rew (1979) vom „ulti­ma­ti­ven Attri­bu­ti­ons­feh­ler“. Oft dient die­se dis­po­si­tio­na­le Ursa­chen­zu­schrei­bung der Auf­recht­erhal­tung von Vor­ur­tei­len („Er han­delt so, weil er Aus­län­der ist“).

Wiki­pe­dia­ein­trag ulti­ma­ti­ver Attri­bu­ti­ons­feh­ler, 09.11.2024

Folgt man die­sen Grund­sät­zen (Ossis sind eine Min­der­heit, da es fünf mal mehr Wes­sis als Ossis gibt, und sie haben in der Pres­se kei­ne Stim­me) und bedenkt, wor­um es in die­sem Mei­nungs­bei­trag geht, wird klar, dass das Wort ost­deutsch in Gecks Auf­satz Fehl am Plat­ze war. Die Lage des Insti­tuts war für die Aus­sa­ge, des Arti­kels irrele­vant. Der Effekt des Wor­tes ist das Framing von Rechts­extre­mis­mus als spe­zi­fisch ost­deutsch. Ob das die Absicht Gecks war, weiß ich nicht, aber wenn einem Dok­to­ran­den in Neue­rer und Neu­es­ter Geschich­te das aus Ver­se­hen pas­sie­ren wür­de, wür­de das auch nicht für ihn sprechen.

Axel Graf­manns und Miri­am Tödter von „Wir packen’s an Not­hil­fe für Geflüch­te­te“ aus Ber­lin-Bran­den­burg spre­chen auf der Ver­an­stal­tung „Wir sind die Brand­mau­er“ gegen Faschis­mus, die 1630 Orga­ni­sa­tio­nen mit­ein­an­der orga­ni­siert haben. Reichs­tag, Ber­lin, 03.02.2024

Schlussfolgerung

Hört bit­te auf damit, Rechts­extre­mis­mus als ost­deut­sches Pro­blem zu framen. Es ist unser aller Pro­blem. Guckt nach unten auf Eure Füße, sie ste­hen schon jetzt im brau­nen Matsch.

Quellen

Decker, Kers­tin. 1999. Das Töpf­chen und der Haß. tages­spie­gel. Ber­lin. (https://www.tagesspiegel.de/kultur/das-toepfchen-und-der-hass/77844.html)

Das SS-Lagerpersonal von Buchenwald

Ich habe vor Kur­zem das Buch Nackt unter Wöl­fen von Bru­no Apitz erneut gele­sen. Dar­in gibt es die fol­gen­de Passage:

Aus­zug aus Nackt unter Wöl­fen. Ein Gespräch zwi­schen zwei SS-Män­nern über ihr Abtau­chen nach dem Krieg.

Ein SS-Mann legt einem zwei­ten nahe, dass er sich schon auf eine mög­lichst unauf­fäl­li­ge Exis­tenz nach dem Krieg vor­be­rei­ten soll­te. Das hat mich an mei­ne Recher­che zum SS-Per­so­nal des KZ Lich­ten­burg erin­nert und ich habe beschlos­sen, auch für Buchen­wald mal nach­zu­se­hen, was aus dem Per­so­nal gewor­den ist.

Die Struk­tur und die Namen der SS-Ver­wal­tung des KZs Buchen­wald habe ich von der Wiki­pe­dia-Sei­te Per­so­nal im KZ Buchen­wald über­nom­men. Die Daten zum Ver­bleib der SS-Män­ner nach 1945 sind aus den ein­zel­nen Ein­trä­gen der Personen.

Abteilung I: Kommandantur

Lagerkommandant

  • Karl Otto Koch, Juli 1937 bis Dezem­ber 1941, im April 1945 in Buchen­wald von der SS hingerichtet
  • Her­mann Pis­ter, Janu­ar 1942 bis April 1945, zum Tode ver­ur­teilt und im Gefäng­nis an Herz­in­frakt gestorben

Adjutanten

  • Hart­wig Block, 1937, unbekannt
  • Johan­nes Wel­lers­haus, 1937, unbekannt
  • Hans Hüt­tig, 1938 bis 1939, 1954 in Metz durch ein fran­zö­si­sches Mili­tär­ge­richt zu lebens­lan­ger Haft ver­ur­teilt, leb­te bis 1980 in Wachen­heim an der Wein­stra­ße, Rheinland-Pfalz
  • Her­mann Hack­mann, 1939 bis 1940, vor 1945 mehr­fach zum Tode ver­ur­teilt, wegen Buchen­wald zum Tode ver­ur­teilt, 1948 begna­digt in lebens­lan­ge Frei­heits­stra­fe umge­wan­delt, 1955 ent­las­sen, gestor­ben 1994 in Uslar
  • Heinz Bün­ge­ler, 1941 bis 1942, 1943 in SS-Pan­zer­gre­na­dier-Divi­si­on „Toten­kopf“ in der Sov­jet­uni­on gefallen
  • Hans-Theo­dor Schmidt, 1942 bis 1945, 1951 nach Buchen­wald­pro­zess hingerichtet

Abteilung II: Politische Abteilung (Lager-Gestapo)

  • Wil­helm Fre­richs, 1937 bis 1941, ver­bleib unbe­kannt, zuletzt im Som­mer 1947 im Spe­zi­al­la­ger Nr. 2 Buchen­wald lebend gesehen
  • Wal­ter Ser­no, 1941 bis 1945, gestor­ben 1961 in Bremen

Abteilung III: Schutzhaftlagerführung

  • Arthur Rödl, 1937 bis 1940, Sui­zid im April 1945 mit Handgranate
  • Her­mann Flor­stedt, 1940 bis 1942, Ver­bleib unklar, angeb­lich von SS hin­ge­rich­tet, aber auch bei Schwä­ge­rin in Hal­le gese­hen und dann unter­ge­taucht, angeb­lich 1962 bei Kri­mi­nal­po­li­zei in Mainz gear­bei­tet. Ermitt­lun­gen ergeb­nis­los. Ober­staats­an­walt in Lud­wigs­burg sah Tod 1975 nicht als erwie­sen an.
  • Max Scho­bert, 1940 bis 1942, 1942 bis 1945, 1948 nach Buchen­wald­pro­zess hingerichtet
  • Jakob Wei­se­born, 1937 bis 1938, 1939 Sui­zid wegen Unter­schla­gun­gen im KZ Buchenwald
  • SS-Sturm­bann­füh­rer Hans Hüt­tig, 1938 bis 1939, 1954 in Metz durch ein fran­zö­si­sches Mili­tär­ge­richt zu lebens­lan­ger Haft ver­ur­teilt. 1956 ent­las­sen, gestor­ben 1980 in Wachen­heim, Rheinland-Pfalz. 
  • Wolf­gang Plaul, 1941, seit Kriegs­en­de verschollen
  • SS-Ober­sturm­füh­rer Erich Gust, 1942 bis 1944, Gust betrieb ab 1966 das Lokal „Hei­mat­hof“ in Mel­le, Nie­der­sach­sen. Dort speis­ten bekann­te Bon­ner Poli­ti­ker (z.B. Kai-Uwe von Has­sel und Wil­ly Brandt). Die Sta­si wuss­te, wo Gust sich auf­hielt und woll­te die Poli­ti­ker­kon­tak­te aus­nut­zen. Die west­deut­sche Jus­tiz hat ihn nie gefun­den. Gust ist 1992 in Mel­le gestorben.
  • Hans Mer­bach, 1945, wegen Ver­bre­chen bei Eva­ku­ie­rung von Buchen­wald zum Tode ver­ur­teilt und 1949 hingerichtet

Abteilung III/E: Arbeitseinsatz

  • Phil­ipp Grimm, 1940 bis 1942, Im Buchen­wald-Pro­zess zum Tod ver­ur­teilt, in lebens­läng­lich umge­wan­delt, 1954 ent­las­sen, 1984 in Bay­reuth, Bay­ern, gestorben.
  • SS-Haupt­sturm­füh­rer Albert Schwartz, 1942 bis 1945, Im Buchen­wald-Pro­zess zum Tod ver­ur­teilt, zu lebens­läng­lich umge­wan­delt, 1954 ent­las­sen, in lei­ten­der Posi­ti­on in der Indus­trie tätig,1984 in Ahrens­bök, Schles­wig-Hol­stein, gestorben.

Abteilung IV: Verwaltung (SS-Standortverwaltung)

  • Chris­ti­an Mohr, 1937
  • Karl Weich­sel­dor­fer, 1937 bis 1942
  • SS-Sturm­bann­füh­rer Otto Bar­ne­wald, 1942 bis 1945, Im Buchen­wald-Pro­zess zum Tod ver­ur­teilt, 1948 in lebens­läng­lich umge­wan­delt, 1954 ent­las­sen, 1973 in Rhein­hau­sen, NRW, gestorben. 

Abteilung V: Sanitätswesen (Standortarzt)

Standortarzt

  • SS-Ober­sturm­bann­füh­rer Wer­ner Kir­chert, 1937 bis 1938, Inhaf­tiert in Eich­stätt, 1953 in Mün­chen zu vier Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt, Geschäfts­füh­rer bei der O.W.G‑Chemie in Kiel. Gestor­ben 1987 in Eitorf, NRW, Ermitt­lungs­ver­fah­ren der Staats­an­walt­schaft Würz­burg 1995 nach dem Tod Kir­cherts eingestellt
  • Hans Schlos­ser, 1939
  • Gus­tav Bus­se, 1939 bis 1941
  • SS-Haupt­sturm­füh­rer Wal­de­mar Hoven, 1942 bis 1943, 1945 von SS-Rich­ter wegen Mord zum Tod ver­ur­teilt im April 1945 aber wegen Ärz­te­man­gels ent­las­sen. 1947 im Nün­ber­ger Ärz­te­pro­zess zum Tode ver­ur­teilt und 1948 hingerichtet.
  • SS-Haupt­sturm­füh­rer Ger­hard Schied­laus­ky, 1943 bis 1945, 1947 zum Tod ver­ur­teilt und gehängt.

Weitere

Lagerärzte

  • SS-Haupt­sturm­füh­rer Hein­rich Pla­za, nach 1945 Arzt in Alt­öt­ting, Bay­ern, Lei­ter der Patho­lo­gie in Buchen­wald und betei­ligt am Mas­sen­mord, wegen Mul­ti­pler Skle­ro­se Ermitt­lungs­ver­fah­ren 1952 von der Staats­an­walt­schaft Traun­stein ein­ge­stellt, 1954 in Frank­reich in Abwe­sen­heit zum Tod ver­ur­teilt, 1968 in Alt­öt­ting gestorben.
  • Erwin Ding-Schul­er, Men­schen­ver­su­che, 1945 Sui­zid in ame­ri­ka­ni­scher Haft
  • Erich Wag­ner, 1948 aus Haft ent­flo­hen, leb­te unter Pseud­onym sechs Jah­re in Bay­ern, ab 1957 arbei­te­te er in der Pra­xis sei­ner Frau, 1958 Fest­nah­me und Ankla­ge, 1959 Suizid. 
  • August Ben­der, 1947 zu zehn Jah­ren Haft ver­ur­teilt, 1948 ent­las­sen, als Mit­läu­fer ent­na­zi­fi­ziert, von 1953 bis zur Auf­lö­sung der Kame­rad­schaft Düren 1993 Mit­glied in der Hilfs­ge­mein­schaft auf Gegen­sei­tig­keit der Ange­hö­ri­gen der ehe­ma­li­gen Waf­fen-SS e.V. (HIAG), gestor­ben 2005 in Düren, NRW.
  • SS-Haupt­sturm­füh­rer Hans Eise­le, 1943 im Dach­au-Pro­zess zum Tod ver­ur­teilt, Umwand­lung zu lebens­läng­lich, 1947 erneut Todes­ur­teil im Buchen­wald-Pro­zess, nach Über­prü­fung in zehn Jah­re Haft umge­wan­delt, 1952 ent­las­sen. Kas­sen­arzt in Mün­chen mit Exis­tenz­auf­bau­hil­fe. 1958 ande­re Anschul­di­gun­gen und Flucht nach Ägyp­ten. Wiki­pe­dia schreibt: „Unter dem ägyp­ti­schen Staats­prä­si­den­ten Gam­al Abdel Nas­ser waren seit Mit­te der fünf­zi­ger Jah­re deut­sche und öster­rei­chi­sche, zum gro­ßen Teil ehe­mals natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Wis­sen­schaft­ler ins Land gekom­men, die in mili­tä­ri­schen For­schungs­ein­rich­tun­gen an der Kon­struk­ti­on von Kampf­flug­zeu­gen und Mit­tel­stre­cken­ra­ke­ten betei­ligt waren, die Nas­ser für den Aus­bau der ägyp­ti­schen Vor­rang­stel­lung im Nahen Osten und spe­zi­ell für den Kampf gegen Isra­el benö­tig­te. In die­sen Krei­sen tauch­te auch Eise­le unter, nach­dem ein deut­sches Aus­lie­fe­rungs­ge­such abge­lehnt wor­den war.“ Anschlag des Mos­sad schug fehl. 1967 in Ägyp­ten gestorben.
  • SS-Unter­sturm­füh­rer Wer­ner Greu­nuss, zu lebens­läng­li­cher Haft ver­ur­teilt, auf 20 Jah­re redu­ziert, 1949 geflo­hen, Ver­bleib unklar.
  • Carl Eisen,
  • Lud­wig Ehrsam, 
  • Her­bert Gräff, 
  • Heinz Guda­cker,
  • Ari­bert Heim, 1945 ver­haf­tet, 1947 im Zuge einer Weih­nachts­am­nes­tie ent­las­sen, Ent­na­zi­fi­zie­rung, Haft­be­feh­le, 1962 Flucht nach Ägyp­ten, 1992 in Kai­ro gestor­ben. Der Wiki­pe­dia-Ein­trag ist wild, unbe­dingt dort lesen.
  • Peter Hofer,
  • Kon­rad Köbrich, 
  • Richard Krie­ger,
  • Vik­tor Lewe, 
  • SS-Haupt­sturm­füh­rer Karl-Wer­ner Maa­ßen „Nach Kriegs­en­de betrieb er eine Arzt­pra­xis in Kiel.“
  • Hans Mül­ler,
  • Heinz Neu­mann,
  • Ralf Rog­ge,
  • Wer­ner Roh­de, 1946 in Hameln hingerichtet
  • Wer­ner Stephan

Lagerzahnärzte

  • Georg Col­dew­ey,
  • SS-Ober­sturm­bann­füh­rer Hel­mut Johann­sen, gestor­ben 1994 Hamburg
  • Hans Fischer,
  • Ger­hard Palfer, 
  • Wal­ter Pongs, ab 1945 betrieb er eine Zahn­arzt­pra­xis in Wies­ba­den, Hessen.
  • Paul Reut­ter

SS-Sanitätsdienstgrade

Wachkompanie KZ Buchenwald

  • Paul Krö­ger
  • Arnold Büscher
  • Otto Försch­ner, 1942 bis 1943, 1945 im Dach­au­er Pro­zess zum Tod ver­ur­teilt und 1946 gehängt
  • SS-Ober­sturm­füh­rer Gui­do Rei­mer, 1943 bis 1944, 1947 zum Tod ver­ur­teilt, zu lebens­läng­li­cher Haft begna­digt, 1952 ent­las­sen, Ver­bleib unbekannt
  • Offi­zier der Wehr­macht ab 1944

Zusammenfassung

Wie auch beim Per­so­nal von Lich­ten­burg gab es unter den Buchen­wald-Nazis kei­nen ein­zi­gen, der in den Osten gegan­gen ist. Die SS-Män­ner sind alle hin­ge­rich­tet wor­den, nach Ägyp­ten geflo­hen oder nach Begna­di­gung (im Wes­ten) und Ent­las­sung im Wes­ten geblie­ben. Es gibt eini­ge, die geflo­hen sind und ande­re, bei denen der Ver­bleib unklar ist. Aber es steht zu ver­mu­ten, dass kei­ner von ihnen an die schö­ne Oder gezo­gen ist. Die Buchen­wald-SS war auch an der sys­te­ma­ti­schen Ermor­dung von Sowjet-Bür­gern betei­ligt und so ist es nicht ver­wun­der­lich, dass sie nicht in die SBZ bzw. die DDR zurück wollten.

Wie die­se Men­schen dann die Gesell­schaft in der BRD beein­flusst haben, steht nicht in Wiki­pe­dia, aber zumin­dest einer war in der Hilfs­ge­mein­schaft auf Gegen­sei­tig­keit der Ange­hö­ri­gen der ehe­ma­li­gen Waf­fen-SS e.V. (HIAG) organisiert.

Das soll­te man beden­ken, wenn man die­se Behaup­tun­gen hört, dass es in der DDR auch Nazis gege­ben habe. Ja, hat es, immer­hin gin­gen die Mit­glieds­num­mern der NSDAP bis 10 Mil­lio­nen. Aber die Fra­ge ist natür­lich, was für Nazis, in wel­chen Orga­ni­sa­tio­nen sie wie mit­ge­ar­bei­tet haben, wel­che Dienst­gra­de sie hat­ten, wenn es mili­tä­ri­sche Orga­ni­sa­tio­nen waren, und was aus ihnen dann spä­ter in der DDR im Ver­gleich zur BRD gewor­den ist.

Und eine HIAG gab es in der DDR nicht.

Nachtrag

03.11.2024: Mit­hil­fe von Lei­de (2011) habe ich einen KZ-Arzt gefun­den, der in den Osten gegan­gen ist: Horst Fischer

Als KZ-Arzt im KZ Ausch­witz III Mono­witz und Stell­ver­tre­ten­der Lager­arzt im gesam­ten Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Ausch­witz war er von 1942 bis 1945 an Mor­den von Gefan­ge­nen in tau­send­fa­cher Zahl beteiligt.

Wiki­pe­dia­ein­trag Horst Fischer

Er hat bis 1964 unent­deckt als Land­arzt in Bran­den­burg praktiziert.

Quellen

Lei­de, Hen­ry. 2011. NS-Ver­bre­cher und Staats­si­cher­heit: Die gehei­me Ver­gan­gen­heits­po­li­tik der DDR (Ana­ly­sen Und Doku­men­te: Wis­sen­schaft­li­che Rei­he Der Bun­des­be­auf­trag­ten Für Die Unter­la­gen Des Staats­si­cher­heits­diens­tes Der Ehe­ma­li­gen Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik (BStU) 28). 2nd edn. Göt­tin­gen: Van­den­hoeck & Ruprecht.

Die Ost-CDU, der Schießbefehl und die Verrohung

Ein Mast­o­don-User hat mich um mei­ne Mei­nung zu einem Post von Mari­us Six­tus gebeten.

Post von Mari­us Six­tus zu einer Ent­glei­sung eines Mit­glieds der Ost-CDU imLand­tag von Sach­sen-Anhalt. 25.10.2024

Im Post schreibt Sixstus: 

Die Ost-CDU ist eine Block­par­tei, die für Mau­er und Schieß­be­fehl der DDR his­to­risch mit­ver­ant­wort­lich ist. Es gab kei­ne Auf­ar­bei­tung, kei­nen per­so­nel­len Bruch, und es gab nie eine Ent­schul­di­gung. Das nur, falls sich jemand fragt, woher die­se mora­li­sche Ver­roht­heit rührt.

Ich habe dar­auf in zwei Tröts geant­wor­tet. Hier kommt alles noch ein­mal etwas sor­tier­ter und verlinkt.

Alex­an­der Räu­scher war zur Wen­de 19, ist also wohl eher kein Gewächs einer Block­par­tei. Die Block­par­tei­en hat­ten im Osten nur eine Ali­bi­funk­ti­on. Nie­mand hat die ernst­ge­nom­men. Wenn man irgend­wie behaup­tet, dass die CDU mit­schul­dig am Schieß­be­fehl sei, dann muss man merk­wür­di­ge Vor­stel­lun­gen davon haben, was die Volks­kam­mer war und was für Ent­schei­dungs­macht, die Dele­gier­ten dort hat­ten. Hier die Zusam­men­fas­sung aus Wikipedia:

Nach dem Ver­ständ­nis der sowje­ti­schen Besat­zungs­macht und der SED war die Volks­kam­mer kein Par­la­ment im bür­ger­li­chen Sin­ne einer reprä­sen­ta­ti­ven Demo­kra­tie, son­dern soll­te eine Volks­ver­tre­tung neu­en Typs dar­stel­len. Sie soll­te den pos­tu­lier­ten Ansprü­chen nach die im bür­ger­li­chen Par­la­men­ta­ris­mus nicht gege­be­ne Ein­heit zwi­schen poli­ti­scher Füh­rung und Bevöl­ke­rung her­stel­len und Par­tei­en­ego­is­mus, Par­tei­nah­me für das Kapi­tal, per­sön­li­che Berei­che­rungs­sucht und Selbst­blo­cka­de durch Gewal­ten­tei­lung ausschließen.

Wiki­pe­dia­ein­trag Volks­kam­mer, 27.10.2024

Die Volks­kam­mer war also ein Win­ke-Win­ke-Gre­mi­um. Nicht im Sin­ne der Tele­tub­bies, son­dern im Sin­ne des Durch­win­kens von Beschlüs­sen. Die ein­zi­ge Aus­nah­me war die Ände­rung des Geset­zes zur Abtrei­bung im Jah­re 1972. Und da spiel­te sogar die CDU eine Rolle:

Die ein­zi­ge Abstim­mung der Volks­kam­mer, in der Kon­flik­te öffent­lich bekannt wur­den, war im März 1972 die Abstim­mung über das Gesetz über die Unter­bre­chung der Schwan­ger­schaft zur Ein­füh­rung der Fris­ten­lö­sung bei Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen, bei der 14 Abge­ord­ne­te der CDU nach Abspra­che mit ihrer Par­tei­füh­rung gegen das Gesetz stimm­ten. Die­se Gegen­stim­men und eini­ge Ent­hal­tun­gen blie­ben jedoch ohne Wir­kung auf den Gesetz­ge­bungs­pro­zess zur Fris­ten­lö­sung, erhöh­ten auf der ande­ren Sei­te aber die Legi­ti­ma­ti­on der Volks­kam­mer, da in die­sem Fall in der Öffent­lich­keit der Ein­druck eines ech­ten, strei­ten­den Gre­mi­ums ent­stand. Fak­tisch war die Volks­kam­mer weit­ge­hend ohne Ein­fluss auf das poli­ti­sche Gesche­hen, denn der seit 1968 in der Ver­fas­sung der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik auch offi­zi­ell ver­an­ker­te Füh­rungs­an­spruch der SED ver­hin­der­te von Beginn an eine ech­te poli­ti­sche Ein­fluss­nah­me des Parlaments.

Wiki­pe­dia­ein­trag Volks­kam­mer, 27.10.2024

Was ich bis­her selbst nicht wuss­te (Es war ja letzt­end­lich auch egal.), war dass die SED als Block nicht die abso­lu­te Mehr­heit hat­te. Die­se wur­de aber durch SED-Mit­glie­der in ande­ren Blö­cken gesi­chert, denn die Mas­sen­or­ga­ni­sa­tio­nen waren eben­falls als sol­che in der Volks­kam­mer ver­tre­ten. Das waren die Urlaubs­or­ga­ni­sier­or­ga­ni­sa­ti­on Frei­er Deut­scher Gewerk­schafts­bund (FDGB), der Demo­kra­ti­scher Frau­en­bund Deutsch­lands (DFD), die Freie Deut­sche Jugend (FDJ), und der Kul­tur­bund. Wenn also Six­tus’ Behaup­tung, die CDU sei an der Mau­er und am Schieß­be­fehl mit­schul­dig, irgend­ei­ne argu­men­ta­ti­ve Kraft haben wür­de, müss­te man genau­so sagen kön­nen, dass der FDGB, der Frau­en­bund und der Kul­tur­bund an Mau­er und am Schieß­be­fehl mit­schul­dig gewe­sen sei­en. Letzt­end­lich waren sie sys­tem­tra­gend und erhal­tend, inso­fern ist da ein Quänt­chen Wahr­heit dran, aber es gibt in die­sem kur­zen Post von Six­tus auch noch ein ganz ande­res Pro­blem. Es gab näm­lich in der DDR kei­nen Schieß­be­fehl, der irgend­wie von der Volks­kam­mer beschlos­sen wor­den wäre. Der Umgang mit der Schuss­waf­fe war ab 1982 gesetz­lich gere­gelt. Inter­es­san­ter­wei­se war das Gesetz aber genau­so for­mu­liert, wie das West-Gegenstück:

Im Wort­laut stimm­ten Vor­schrif­ten der DDR, soweit sie den Schuss­waf­fen­ge­brauch an der inner­deut­schen Gren­ze regel­ten, weit­ge­hend mit den Vor­schrif­ten der Bun­des­re­pu­blik in §§ 10–13 UZwG und §§ 15–17 UZwGBw über­ein.[30] Die weit­ge­hen­de Anleh­nung in der For­mu­lie­rung war bewusst gewählt, um die DDR aus der Kri­tik zu brin­gen und die wei­ter­hin unver­än­dert geüb­te rechts­wid­ri­ge Staats­pra­xis zu ver­schlei­ern.[31]

Wiki­pe­dia­ein­trag Schieß­be­fehl, 27.10.2024

Das bedeu­tet also, dass weder die CDU noch der Kul­tur­bund für die Mau­er­to­ten ver­ant­wort­lich gemacht wer­den kön­nen, denn sie haben – Win­ke-Win­ke – ein Gesetz ver­ab­schie­det, das genau dem West-Gegen­stück ent­sprach. Es gibt Doku­men­te, die Sta­si-inter­ne Anwei­sun­gen zum Schie­ßen an der Gren­ze bele­gen (Zeit, 13.08.2007) und auch Aus­sa­gen von Hon­ecker im Natio­na­len Ver­tei­di­gungs­rat von 1974 (mdr, 13.08.2023). Nur war der Natio­na­le Ver­tei­di­gungs­rat per Gesetz nur mit SED-Mit­glie­dern und Ange­hö­ri­gen der bewaff­ne­ten Orga­ne besetzt. Die CDU hat­te damit also nichts zu tun.

Ein wich­ti­ger Punkt noch: Lie­be Wes­sis, Ihr könnt nicht einer­seits behaup­ten, dass wir in einer Dik­ta­tur gelebt haben (Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats war die Eigen­be­zeich­nung der SED) und ande­rer­seits den Schein­par­tei­en, die da irgend­wie mit­ge­spielt haben, irgend­ei­ne Ver­ant­wor­tung zuwei­sen. Also eine Ver­ant­wor­tung, die über das Mit­spie­len im All­ge­mei­nen hin­aus­geht. Ich wür­de als Ossi nie im Leben dar­auf kom­men, von der Ost-CDU eine Auf­ar­bei­tung zu ver­lan­gen oder eine Ent­schul­di­gung. Die­se Par­tei­en waren zu DDR-Zei­ten ein­fach abso­lut bedeu­tungs­los und haben nach der Wen­de den Anschluss vollzogen.

Sixs­tus’ Post unter­stellt ja irgend­wie, dass die Ost-CDU­ler das Schie­ßen an der Mau­er gut gefun­den hät­ten. Das war ver­mut­lich nicht der Fall. Ich ken­ne nur zwei CDU­ler per­sön­lich. Einer war mein Chef. Er ist in die Ost-CDU ein­ge­tre­ten, weil die SED ihn immer gefragt hat, ob er Mit­glied wer­den wol­le. Nach­dem er in die CDU ein­ge­tre­ten war, war er ja in einer ande­ren Par­tei und hat­te dann sei­ne Ruhe. Ein Bekann­ter von mir war Christ und woll­te den Sozia­lis­mus auf­bau­en. Er war in der CDU, aber ganz sicher gegen Schüs­se an der Gren­ze. Die­se Gene­ra­ti­on woll­te noch die Wiedervereinigung.

Die Verantwortlichen und die Täter

Also: Sta­si und Natio­na­ler Ver­tei­di­gungs­rat. Die Befeh­le wur­den inner­halb der bewaff­ne­ten Orga­ne wei­ter­ge­ge­ben. Egon Krenz (SED) ist ver­ur­teilt wor­den und eini­ge der Schützen.

Mari­enet­ta Jir­kos­ky wur­de im Alter von 18 Jah­ren an der Mau­er erschos­sen. Der Schüt­ze wur­de 1995 wegen „Tot­schlags in einem min­der schwe­ren Fall“ zu einer Jugend­stra­fe von einem Jahr und drei Mona­ten verurteilt.

94% der Offi­zie­re der NVA waren in der SED. Ver­ant­wort­lich für die Mau­er­to­ten sind neben der Staats­füh­rung Offi­zie­re der Grenz­trup­pen. CDU­ler sind wahr­schein­lich nicht zu den Grenz­trup­pen gegan­gen. Zumin­dest zu mei­ner Zeit muss­te man das nicht und wenn man bei der Mus­te­rung bei der Erwäh­nung der Grenz­trup­pen nicht in Begeis­te­rung aus­ge­bro­chen ist, kam man da auch nicht hin. Der Staat war Chris­ten gegen­über gene­rell misstrauisch. 

Die Ost-CDU

Sixs­tus sagt, dass es kei­nen per­so­nel­len Bruch gege­ben habe. Sicher gibt es in der CDU Men­schen, die auch vor der Wen­de in der CDU waren. Ich wür­de gern mehr dar­über erfah­ren, wel­che Ansich­ten sie damals ver­tre­ten haben, wel­che Rol­le sie damals gespielt haben und wel­che Funk­tio­nen sie jetzt in der Par­tei spie­len. Rei­ner Hasel­off ist seit 1976 in der Ost-CDU. Aber die Ost-CDU war vor der Wen­de bedeu­tungs­los. Es dürf­ten nach der Wen­de viel, viel mehr Enga­gier­te und Kar­rie­ris­ten in die CDU ein­ge­tre­ten sein, als vor­her schon dabei waren. Zum Bei­spiel Ange­la Mer­kel (vor­her Agi­ta­to­rin in der FDJ) und Vera Lengs­feld (aus SED aus­ge­schlos­sen, Bür­ger­recht­le­rin). Viel­leicht gab es lokal Ein­flüs­se von Ein­zel­nen, aber es lässt sich wohl nicht leug­nen, dass Ange­la Mer­kel die CDU in Ost und West zum Guten beein­flusst hat. Sie hat die CDU in die Mit­te manö­vriert (vor ihr und nach ihr gab es Merz) und weni­ger ras­sis­tisch gemacht.

Auf die Schnel­le konn­te ich Fol­gen­des her­aus­fin­den: Wer­ner Münch (1991–1993), Tho­mas Webel (2004–2018), Hol­ger Stahl­knecht (2018–2020) waren Par­tei­vor­sit­zen­de. Die Genann­ten sind alle­samt aus dem Wes­ten (Wiki­pe­dia CDU Sachsen-Anhalt#Personen). Joa­chim Auer (1990–1991) war Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der und aus dem Wes­ten. Das bedeu­tet ins­be­son­de­re, dass 1991 sowohl Par­tei- als auch Frak­ti­ons­vor­sitz in West-Hand waren. Von Kon­ti­nui­tät kann man wohl kaum spre­chen. Die CDU war eine West-Par­tei geworden.

Gerd Gies (1990–1991 Par­tei­vo­sit­zen­der) war seit 1976 in der CDU und in der Tat sys­tem­treu. Karl-Heinz Daeh­re war von 1993–1998 Par­tei­vor­sit­zen­der. Er ist aus Lan­gen­wed­din­gen, aber erst 1990 in die CDU ein­ge­tre­ten. Wolf­gang Böh­mer ist aus Dürrhen­ners­dorf bei Gör­litz. Wiki­pe­dia schreibt: „In der DDR enga­gier­te sich Böh­mer in evan­ge­li­schen Kir­chen­krei­sen und wur­de 1990 Mit­glied der CDU der DDR. Von 1998 bis 2004 war er Lan­des­vor­sit­zen­der der CDU Sach­sen-Anhalt.“ Das bedeu­tet, dass Böh­mer vor­her in der Oppo­si­ti­on war. Von 2002 bis 2011 war er außer­dem Minis­ter­prä­si­dent des Lan­des Sach­sen-Anhalt. Hei­ke Breh­mer trat 1989 in die CDU ein. André Schrö­der trat 1996 in die CDU ein. Mar­co Tull­ner trat 1996 in die CDU ein. Sven Schul­ze war zur Wen­de 10 Jah­re alt. Er war mit 19 Gemein­de­rat. Das war 1998 und wahr­schein­lich war er da schon in der CDU.

Chris­toph Berg­ner (1991–1993, 1994–2001 Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der) ist seit 1976 Mit­glied der Ost-CDU. Auch wie Gies sys­tem­treu? Unge­bro­che­ne Kon­ti­nui­tät der Block­flö­ten? Hat Six­tus Recht? Nö. Denn Berg­ner war von Sep­tem­ber 1989 bis Janu­ar 1990 im Neu­en Forum in Hal­le (Saa­le). Das heißt er war in der Oppo­si­ti­on und hat aktiv gegen die DDR-Regie­rung gekämpft. Jür­gen Scharf (1993–1994, 2002–2011 Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der) war seit 1976 in der CDU. Zu sei­nen Ein­stel­lun­gen wäh­rend der DDR-Zeit steht nichts in Wiki­pe­dia. 2001–2002 war Wolf­gang Böh­mer Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der, den ich oben schon bespro­chen habe. Er war Oppo­si­tio­nel­ler. Rei­ner Hasel­off war 2011 Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der. Er war seit 1976 in der CDU. Über sei­ne Akti­vi­tä­ten zu DDR-Zei­ten steht nichts in Wiki­pe­dia. And­re Schrö­der (2011–2016) kam oben eben­falls schon mal vor. Er ist erst 1996 in die CDU ein­ge­tre­ten. Sieg­fried Borg­wardt (2016–2022) war ab 1979 in der CDU. Ab 1983 war er Regio­nal­ge­schäfts­füh­rer und Bei­sit­zer in einem Kreis­vor­stand. Gui­do Heu­er (seit 2022) ist 2009 in die CDU eingetreten.

Das heißt, dass die Lis­te der Par­tei­vor­sit­zen­den und der Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den mit Gies, Berg­ner, Scharf, Hasel­off und Borg­wardt fünf Ost-CDU­ler ent­hält. Davon war nur Gies erwie­se­ner­ma­ßen sys­tem­treu. Borg­wardt hat­te eine nied­ri­ge Funk­ti­on inner­halb der Par­tei inne. Berg­ner war in der Oppo­si­ti­on und von Hasel­hoff und Scharf weiß man nicht, was sie gemacht haben, außer Mit­glied zu sein. CDU-Mit­glied gewe­sen zu sein, war an sich noch nichts Ver­werf­li­ches. Vier Per­so­nen sind aus dem Wes­ten, fünf erst nach der Wen­de eingetreten.

Jetzt da irgend­wie eine Kon­ti­nui­tät ablei­ten zu wol­len, ist an den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen. Noch dazu, wo ja das, wozu die Kon­ti­nui­tät bestehen soll (Mit­wir­kung an Mau­er und Schieß­be­fehl), über­haupt nicht existiert.

Ich möch­te hier nur noch schnell anmer­ken, dass ich kein CDU-Fan-Boy bin. Mir kommt es sehr komisch vor, dass ich hier qua­si die CDU ver­tei­di­ge. Ich leh­ne die CDU in all ihren For­men und Vari­an­ten ab. 2021 bin ich des­halb gegen den Ste­fan Mül­ler aus Erlan­gen ange­tre­ten. Lei­der hat er doch wie­der gewon­nen, aber wir hat­ten defi­ni­tiv mehr Spaß als er. 

Ste­fan Mül­ler pla­ka­tiert in Erlan­gen im Wahl­kampf gegen Ste­fan Mül­ler mit Pla­ka­ten, die for­dern: „Nie mehr Ste­fan Mül­ler!“ Er hängt sein Pla­kat über das von Ste­fan Mül­ler, Erlan­gen, 27.08.2021 Bild CC-BY: Mari­us Bey­er, Die PARTEI Erlangen

Und ich war zwei Tage vor ihm da bei der Deutsch­land­tour! Der Wie­sent­bo­te berich­te­te: Erlangen/Herzogenaurach: Ste­fan Mül­ler holt 1. Platz bei Deutsch­land Tour. Details fin­den sich bei stefanmueller.bayern.

Verrohung und Politiker der CSU bzw. der West-CDU

2011hat Horst See­ho­fer, damals Bay­ri­scher Minis­ter­prä­si­dent und spä­ter dann Bun­des­in­nen­mi­nis­ter, davon gespro­chen, dass die Regie­rung sich bis zur letz­ten Patro­ne gegen Ein­wan­de­rung (in die deut­schen Sozi­al­sys­te­me) weh­ren werde:

Horst See­ho­fer soll­te es bes­ser wis­sen. Vor vier Jah­ren han­del­te sich der CSU-Chef eine Anzei­ge wegen Volks­ver­het­zung ein. Auch damals ging es um Migran­ten. „Bis zur letz­ten Patro­ne“ wer­de die Regie­rung sich gegen eine mas­sen­haf­te Zuwan­de­rung in die deut­schen Sozi­al­sys­te­me weh­ren, sag­te der Bay­er beim poli­ti­schen Ascher­mitt­woch am 9. März 2011. Auf den Tag genau 66 Jah­re, nach­dem Hit­lers Gene­rä­le in Ber­lin mit genau die­ser mar­tia­li­schen Wort­wahl befah­len, die Reichs­haupt­stadt „bis zum letz­ten Mann und bis zur letz­ten Patro­ne“ zu verteidigen.

Der Spie­gel. 2015. See­ho­fers „Notwehr“-Sprüche: Rhe­to­risch braun. Der Spie­gel. 09.10.2015.

Inzwi­schen ist das Aus­bau der Fes­tung Euro­pa weit fort­ge­schrit­ten und Von der Ley­en kuschelt mit der ita­lie­ni­schen Post­fa­schis­tin Meloni.

Vor dem Hin­ter­grund des Schieß­be­fehls an der Mau­er muss man sich die aktu­el­len Bemer­kun­gen und die aktu­el­le Poli­tik von CDU-Grö­ßen noch mal genau angu­cken. 1) Im Osten hat nie jemand öffent­lich damit geprahlt, dass er Men­schen an der Gren­ze erschie­ßen will. Schon gar nicht CDU-Mit­glie­der. 2) Und jetzt muss ich Euch lei­der weh­tun: Die Situa­ti­on an der Gren­ze zwi­schen DDR und BRD ist lei­der mit der an den EU-Außen­gren­zen ver­gleich­bar. Men­schen flie­hen, weil sie ent­we­der poli­tisch ver­folgt wer­den oder weil es für sie öko­no­misch in ihren Her­kunfts­län­dern kei­ne Per­spek­ti­ven mehr gibt. Das liegt zum Teil auch an der von uns im Nor­den ver­ur­sach­ten Kli­ma­ka­ta­stro­phe. Es han­delt sich um so genann­te Wirt­schafts­flücht­lin­ge, denn die Kli­ma­ka­ta­stro­phe ist kein aner­kann­ter Flucht­grund. Wirt­schafts­flücht­lin­ge gab es auch bei DDR-BRD-Fluch­ten, nur dass es da um Farb­fern­se­her und Video­re­cor­der ging, wäh­rend die Flücht­lin­ge aus dem Süden zum Teil aus Regio­nen kom­men, die wegen der Erd­er­hit­zung unbe­wohn­bar gewor­den sind. Bei­de Men­schen­grup­pen riskier(t)en ihr Leben, um in ein ande­res Land zu kom­men. An der DDR-BRD-Gren­ze sind von 1961–1989 327 Men­schen gestor­ben, Gren­zer ein­ge­schlos­sen. Im Mit­tel­meer sind in den letz­ten zehn Jah­ren über 30.000 Men­schen ertrun­ken (sta­tis­ta 2024). Das heißt 100 Mal so vie­le Men­schen. Außer­dem ster­ben schon jetzt Men­schen bei Ver­su­chen, die Grenz­an­la­gen zu über­win­den (23 Tote bei Ver­such, Grenz­an­la­gen bei Mel­il­la zu über­win­den, tages­schau. 29.06.2022).

Dass „wir“ die Tode von DDR-Flücht­lin­gen schlim­mer fin­den als die an den euro­päi­schen Außen­gren­zen, ist Ras­sis­mus und Nationalismus.

Die DDR konn­te ohne die Mau­er nicht exis­tie­ren. Die Men­schen ver­lie­ßen ein­fach das Land. Gut aus­ge­bil­de­te Ärzt*innen und Ingenieur*innen. Auch mit Mau­er gab es eine kon­ti­nu­ier­li­che Abwan­de­rung. Ähn­lich, mit ande­rem Vor­zei­chen, ist es jetzt an den EU-Gren­zen. Men­schen ver­su­chen in Län­der zu gelan­gen, in denen sie frei­er, öko­no­misch bes­ser oder ein­fach auch nur über­haupt leben kön­nen. Wenn „wir“ nicht bereit sind, mit ihnen zu tei­len, müs­sen „wir“ sie erschießen.

Wir sind jetzt an einem Punkt ange­langt, an dem wir ent­schei­den müs­sen: Ver­ro­hung oder etwas von unse­rem Wohl­stand bzw. dem unse­rer Mil­li­ar­dä­re abge­ben (durch Auf­nah­me von Flücht­lin­gen oder Finan­zie­rung des Südens, zum Bei­spiel Schul­den­er­lass). Zur Zeit sieht es nach all­ge­mei­ner Ver­ro­hung aus. AfD, CDU/CSU und BSW arbei­ten an der Fes­tung Euro­pa und SPD, FDP und Grü­ne hel­fen irgend­wie mit. Ein­zig die sich in Selbst­auf­lö­sung befind­li­che Lin­ke hat­te ande­re Vor­stel­lun­gen und setz­te die See­not­ret­te­rin Caro­la Racke­te auf Platz 1 der Lis­te für die EU-Wahlen.

Caro­la Racke­te, Kapi­tä­nin der Sea-Watch 3 und Unter­stüt­ze­rin von Extinc­tion Rebel­li­on beim Gespräch von Aktivist*innen der Letz­ten Gene­ra­ti­on mit Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz, Ber­lin, Fried­rich-Ebert-Stif­tung, 12.11.21

Das ist irgend­wie inter­es­sant, wenn man dar­über nach­denkt, wo die Wur­zeln der Lin­ken lie­gen, denn die haben ja das Ver­mö­gen der Mau­er-Par­tei über­nom­men. Depri­mie­rend an der Situa­ti­on ist noch ein wei­te­rer Punkt: 1961 hat eine Min­der­heit für den Rest der DDR den Mau­er­bau beschlos­sen, die Frei­heit eines Vol­kes ein­ge­schränkt und somit vie­le Tote auf dem Gewis­sen. Heu­te sind es demo­kra­tisch legi­ti­mier­te Regie­run­gen, die für Mehr­hei­ten ste­hen, die für ein Viel­fa­ches an Toten ver­ant­wort­lich sind. Wir alle sind dafür ver­ant­wort­lich und wir kön­nen nicht auf die SED oder irgend­wen zeigen. 

Ultimativer Attributionsfehler

Mario Six­tus unter­läuft nicht zum ers­ten Mal ein Attri­bu­ti­ons­feh­ler. Er erklärt das Ver­hal­ten einer Per­son mit der Zuge­hö­rig­keit zu einer Gruppe:

Erklärt man sich das Ver­hal­ten eines Men­schen damit, dass er Mit­glied einer sozia­len Grup­pe ist, spricht man seit Pet­ti­g­rew (1979) vom „ulti­ma­ti­ven Attri­bu­ti­ons­feh­ler“. Oft dient die­se dis­po­si­tio­na­le Ursa­chen­zu­schrei­bung der Auf­recht­erhal­tung von Vor­ur­tei­len („Er han­delt so, weil er Aus­län­der ist“).

Wiki­pe­dia­ein­trag Attri­bu­ti­ons­feh­ler, 27.10.2024

Ich habe nach wei­te­rem Nach­den­ken noch einen Tröt nach­ge­scho­ben: Letzt­end­lich läuft der Bei­trag von Six­tus nach dem alten Muster: 

  • Ossi ist komisch.
  • Eigen­schaft von Ossi wird pau­scha­li­siert und mit irgend­was aus der Ost-Bio­gra­fie zu erklä­ren versucht.

Ich ver­mu­te, dass es im Wes­ten fünf­mal mehr schreck­li­che Men­schen gibt als im Osten. Die Ver­mu­tung ist dar­auf begrün­det, dass die Bevöl­ke­rungs­zahl fünf­mal so hoch ist.

Man stel­le sich vor, ich wür­de immer, wenn sich einer schräg benimmt, das auf irgend­ei­ne Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit bezie­hen. In mei­nem Tröt habe ich Gau­land als Bei­spiel gewählt. Gau­land ist Mit­grün­der und Ehren­vor­sit­zen­der einer Nazi­par­tei. Er war vor­her in der (West-)CDU. Als CDU-Mit­glied arbei­te­te er im Magis­trat von Frankfurt/M. und im Bun­des­um­welt­mi­nis­te­ri­um. Er lei­te­te von 1987 bis 1991 die Hes­si­sche Staats­kanz­lei. Ich behaup­te jetzt, dass der Gau­land so komisch ist, weil er eben aus die­ser West-CDU kommt, die alle Nazis sind, weil es im Wes­ten zwar 1968 gab, aber das waren nur so ein paar links-grü­ne Hip­pie-Stu­den­ten, die Pro­ble­me mit ihren auto­ri­tä­ren Eltern hat­ten. Die CDU-Fami­li­en sind ein­fach wei­ter Nazis geblie­ben. Wäre das eine gute Argu­men­ta­ti­on? Nö, irgend­wie nicht, oder? Biss­chen platt und pau­schal, oder? Immer­hin fak­tisch rich­tig, was Gau­land angeht. Aber genau­so platt sind die meis­ten Argu­men­ta­tio­nen gegen Ost­ler. Nur dann eben auch noch knapp an den his­to­ri­schen Fak­ten vorbei.

Das Bei­spiel, das ein Fol­lower auf Mast­o­don gefun­den hat, ist noch bes­ser geeig­net: Der ehe­ma­li­ge Köl­ner CDU-Bezirks­po­li­ti­ker Hans-Josef Bäh­ner hat drei Men­schen ras­sis­tisch belei­digt und dann beschos­sen. „Das Pro­jek­til bohr­te sich durch den rech­ten Ober­arm und trat an der Schul­ter wie­der aus.“ (Spie­gel, 10.01.2022) Der Ras­sist und Fast-Mör­der wur­de zu zu drei­ein­halb Jah­ren Haft ver­ur­teilt. Was nun? Wie wäre es, wenn ich schriebe: 

  • Die­se Tat ist das Ergeb­nis der Erzie­hung in einer ras­sis­ti­schen kal­ten Ellen­bo­gen­ge­sell­schaft, wie wir sie in den ver­gan­ge­nen 75 Jah­ren in der BRD beob­ach­ten konnten. 
  • Oder: Hans-Josef Bäh­ner war wahr­schein­lich das Kind einer frus­trier­ten Haus­frau. Er ist ohne Lie­be auf­ge­wach­sen, weil sei­ne Mut­ter sich beruf­lich nicht ver­wirk­li­chen konn­te. Das ist das Ergeb­nis einer durch und durch sexis­ti­schen und patri­ar­cha­li­schen Gesellschaft. 
  • Oder: Hans-Josef Bäh­ner ist ein Ras­sist, weil die­ser Ras­sis­mus fest in der BRD ver­an­kert ist. Er kommt aus Nazi-Deutsch­land und wur­de von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on weitergegeben.
  • Oder: Hans-Josef Bäh­ner ist ein Ras­sist und Fast-Mör­der. Um das zu ver­ste­hen, muss man sich nur anse­hen, wo er her­kommt. Er kommt aus Köln. Dort sind alle Ras­sis­ten und Nazis, also jeden­falls vie­le. Die tun immer so fröh­lich, aber in Wirk­lich­keit sind sie alle Nach­fol­ger von Faschis­ten, Men­schen die Ras­sen­ge­set­ze und Euge­nik gut fan­den und sich nie wirk­lich davon los­ge­sagt haben.

Geht nicht? War­um nicht? Genau das ist es, was seit 35 Jah­ren mit Ossis gemacht wird. Sie sind angeb­lich komisch, weil sie gemein­sam auf dem Töpf­chen saßen oder weil sie ihre Mut­ter zu heiß geba­det habe (Anne Rabe). Das wird per­ma­nent in allen Medi­en hoch und run­ter­ge­trö­tet. Und dann wun­dert sich jemand über das Ergebnis.

Was ist eigentlich passiert?

Aber die­ser Ossi, der Alex­an­der Räu­scher, ist wirk­lich komisch. Er pos­tet ein Foto mit Patro­nen­hül­sen als Mit­tel gegen Kopfschmerzen!?!

Chris­ti­an Fran­ke-Lang­mach pos­tet die­sen Tweet über sei­ne Emp­fin­dun­gen beim Lesen von Tweets von Alex­an­der Räuscher:

Tweet von Chris­ti­an Fran­ke-Lang­mach zu sei­nen Emp­fin­dun­gen beim Lesen von Tweets von Alex­an­der Räu­scher. 23.10.2024.

Alex­an­der Räu­scher gab ihm fol­gen­de Hin­wei­se auf Mit­tel, die Schmer­zen zu beenden.

Tweet von Räu­scher, inzwi­schen gelöscht. Der Tweet war eine Ant­wort auf Fran­ke-Lang­mach, der twit­ter­te, dass die Tweets von Räu­scher bei ihm Kopf­schmer­zen aus­lö­sen würden.

Patro­nen! Nein! Also wirk­lich! Dafür muss es doch eine Erklä­rung geben! 

Räu­scher war zur Wen­de 19. Seit dem sind 35 Jah­re ver­gan­gen. Das heißt, er hat zwei Drit­tel sei­nes Lebens in die­sem Land ver­bracht, in dem wir nun alle gemein­sam leben. Viel­leicht ist er so, wie er ist, weil die­ses Land so ist, wie es ist. Die bes­te Erklä­rung für sein Ver­hal­ten lie­fert der Betrof­fe­ne selbst:

Fran­ke-Lang­mach sag­te der MZ, er füh­le sich durch das Patro­nen­fo­to zwar nicht bedroht. „Aber ich fin­de es ein­fach dumm, so ein Foto zu pos­ten. Er prä­sen­tiert sich, wie er ist. Das ist ein Hil­fe­ruf nach Auf­merk­sam­keit, weil ihn nie­mand ernstnimmt.“

Mit­tel­deut­sche Zei­tung. 2024. Ent­glei­sung bei Twit­ter CDU-Abge­ord­ne­ter schickt Grü­nen-Poli­ti­ker Patro­nen-Foto — „gegen Ihr Leiden“.

Jemand woll­te auf Social Media Auf­merk­sam­keit. Das ist eine ein­fa­che Erklä­rung, die ganz ohne Schieß­be­fehl aus­kommt. Knallt halt nicht so schön. Auf Social Media.

West-Block und Ost-Blog

Mein zwei­ter Post (der Gau­land-Ver­gleich) brach­te mir dann die Blo­ckie­rung ein:

Und so bleibt ein Account mit 31.000 Fol­lo­wern, der unge­stört das Ver­hal­ten von CDU-Wirr­köp­fen mit Ereig­nis­sen und Tra­di­tio­nen von vor 35 Jah­ren zu erklä­ren ver­sucht. Ein Mensch, der Jagd­schüt­ze ist, wird in Zusam­men­hang mit dem Schieß­be­fehl an der Mau­er gebracht, für den weder er noch irgend­wer anders aus sei­ner Par­tei irgend­wie ver­ant­wort­lich ist.

Ich kann wenigs­tens hier im Ost-Blog und auf Mast­o­don dar­auf hin­wei­sen. Vie­le Men­schen im Osten haben die­se Mög­lich­keit nicht. Sie sind ein­fach nur frus­triert. Sie haben es ein­fach so satt. Denn es ist nicht nur Mario Six­tus, der sei­nen 31.000 fol­lo­wern so etwas ein­trö­tet, Ähn­li­ches fin­det man auch in vie­len west­deut­schen Medi­en. Ost­deut­sche Medi­en mit ent­spre­chen­der Reich­wei­te gibt es kaum noch.

Das Ergeb­nis sind dann die Wahl­er­fol­ge von AfD und BSW im Osten. Der maxi­ma­le Stin­ke­fin­ger. Wir sind jetzt an einem Punkt ange­langt, wo ein­zel­ne Bun­des­län­der nicht mehr regier­bar sind. Spä­tes­tens jetzt soll­te man als Linke*r oder als Politiker*in sei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gie mal überdenken.

Danksagung

Die­ser Post ist wie­der mit Mit­hil­fe mei­ner Mast­o­don-Freun­de ent­stan­den. Beson­ders die Hin­wei­se auf Horst See­ho­fer, der bis zur letz­ten Patro­ne gegen Migrant*innen kämp­fen will, und auf Hans-Josef Bäh­ner, der wirk­lich auf Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund geschos­sen hat, waren wich­tig. Dan­ke Peer und Echo Zebra.

Quellen

AFP. 2022. CDU-Poli­ti­ker wegen Schuss auf jun­gen Mann zu Haft­stra­fe ver­ur­teilt. Spie­gel. 10.01.2022. (https://www.spiegel.de/panorama/koeln-cdu-politiker-wegen-koerperverletzung-zu-haftstrafe-verurteilt-a-dc638155-5fe8-454a-a916-5f087303f7f6)

Bor­chol­te, Andre­as. 2015. See­ho­fers „Notwehr“-Sprüche: Rhe­to­risch braun. Der Spie­gel. 09.10.2015. (https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/horst-seehofer-brisantes-notwehr-gerede-a-1057081.html)

Die Zeit. 2007. Mör­de­ri­scher SED-Staat. Die Zeit. Ham­burg. 13.08.2007. (https://www.zeit.de/online/2007/33/presseschau-schiessbefehl-ddr/komplettansicht)

Eich­ler, Hagen & Schu­mann, Jan. 2024. Ent­glei­sung bei Twit­ter CDU-Abge­ord­ne­ter schickt Grü­nen-Poli­ti­ker Patro­nen-Foto — „gegen Ihr Lei­den“. Mit­tel­deut­sche Zei­tung. (https://www.mz.de/mitteldeutschland/landespolitik/cdu-abgeordneter-schickt-grunen-politiker-patronen-foto-gegen-ihr-leiden-3937895)

mdr. 2023. Mau­er­bau: Mau­er und Grenz­an­la­gen — töd­li­che Fal­len. mdr. (https://www.mdr.de/geschichte/ddr/mauer-grenze/fluechtlinge-todesstreifen-grenzsoldaten-mauerbau-schiessbefehl-100.html)

tages­schau. 2022. Ermitt­lun­gen wegen Tod von Migran­ten von Mel­il­la. tagesschau.de. 29.06.2022 (https://www.tagesschau.de/ausland/europa/spanien-melilla-migranten-ermittlungen-101.html)



(Ost-)Deutsche Christen in Ost und West

In den letz­ten Jah­ren gibt es mit dem Erstar­ken der AfD wie­der eine grö­ße­re Debat­te zu Nazis in der DDR. Es wird immer wie­der die offi­zi­el­le Geschich­te des nazifrei­en Lan­des zitiert. Dass die DDR nazifrei war ist sicher nicht rich­tig, aber dass die Nazi-Dich­te gerin­ger war und dass sie eben nicht – im Unter­schied zu Nazi-Grö­ßen wie Hans Glob­ke und Hans Fil­bin­ger – in Füh­rungs­po­si­tio­nen waren ist und bleibt wahr. Im Wikip­deia-Arti­kel zu Rechts­extre­mis­mus in der DDR wer­den drei Per­so­nen exem­pla­risch genannt: Arno von Len­ski, Franz Füh­mann oder Erhard Mau­ers­ber­ger. Per­so­nen wie Arno von Len­ski habe ich schon in einem frü­he­ren Post bespro­chen. Len­ski war in Sta­lin­grad in sowje­ti­sche Gefan­gen­schaft gera­ten und hat dann die Sei­ten gewechselt:

Nach eini­gem Zögern trat Len­ski am 7. Mai 1944 dem Natio­nal­ko­mi­tee Frei­es Deutsch­land und dem Bund Deut­scher Offi­zie­re bei. Dafür wur­de er von einem Kriegs­ge­richt in Tor­gau in Abwe­sen­heit zum Tode ver­ur­teilt. Er war Mit­ar­bei­ter der Zei­tung und des Sen­ders Frei­es Deutsch­land in Luno­wo. Von Dezem­ber 1944 bis Mai 1945 stu­dier­te er Gesell­schafts­wis­sen­schaf­ten und Poli­ti­sche Öko­no­mie in der Anti­fa-Schu­le in Kras­no­gorsk. Von März 1946 bis August 1949 war er mili­tä­ri­scher Fach­be­ra­ter bei Mos­film für den Doku­men­tar­film Die Schlacht um Sta­lin­grad.

Wiki­pe­dia-Ein­trag von Len­ski, abge­ru­fen 22.06.2024

Franz Füh­mann war eben­falls auf einer Anti­fa-Schu­le und hat dann als Assis­tenz­leh­rer an Anti­fa-Schu­len gelehrt. Wenn wir über Faschis­mus und Faschis­ten reden, dann nicht über sol­che, die zu Antifaschist*innen wur­den, son­dern sol­che, die unbe­hel­ligt ihr Leben füh­ren konn­ten und es zum Teil noch füh­ren. Sol­che wie Karl M.:

Der drit­te Name ist Erhard Mau­ers­ber­ger, der Mit­ar­bei­ter des Insti­tuts zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben war. Er hat dar­an mit­ge­wirkt, Kir­chen­lie­der umzu­dich­ten. Das wur­de zu DDR-Zei­ten nicht auf­ge­ar­bei­tet und ist in der Tat unakzeptabel.

Inter­es­sant ist, dass das Insti­tut sei­ne Mit­ar­bei­ter ver­öf­fent­licht hat, so dass man jetzt unter­su­chen kann, was aus den Nazis und Anti­se­mi­ten, die bis 1945 im Osten gelebt haben, gewor­den ist. Wiki­pe­dia hat eine lan­ge Lis­te mit Namen, von denen vie­le ver­linkt sind. Um zu zei­gen, dass nach dem Krieg weni­ger Nazis im Osten waren, muss man nur die Ost-Nazis anschau­en und unter­su­chen, wie vie­le von ihnen in den Wes­ten gegan­gen sind, denn es wird wohl kaum ein West-Nazi sein Leben auf­ge­ge­ben haben, um zu den Rus­sen in den Osten zu zie­hen. (Das setzt natür­lich eine Gleich­ver­tei­lung von Nazis in Ost und West direkt nach dem Krieg voraus.)

Die Wiki­pe­dia-Sei­te lis­tet die Mit­ar­bei­ter in drei Rubriken:

  • Mit­ar­bei­ter in kir­chen­lei­ten­der Funktion
  • Geist­li­che bzw. Pfarrer
  • Hoch­schul­leh­rer bzw. Akademiker

Im fol­gen­den sor­tie­re ich die Lis­ten nach Ster­be- oder Wohn­ort nach 1945 in West, Ost, unbekannt/irrelevant. Irrele­vant ist der Ster­be­ort zum Bei­spiel bei Per­so­nen, die in Kriegs­ge­fan­gen­schaft gestor­ben sind. Irrele­vant sind auch die­je­ni­gen, die schon vor Kriegs­en­de im Wes­ten waren.

In kirchenleitender Funktion

In den Westen gegangen 

  1. Bischof Fried­rich Peter, Ber­lin, gestor­ben 1960, Gro­nau, NRW „Obgleich Peter 1948 aus dem Pfarr­amt ent­las­sen wur­de, blie­ben ihm die geist­li­chen Rech­te erhal­ten. So erhielt er Beschäf­ti­gungs­auf­trä­ge in der Evan­ge­li­schen Kir­che von West­fa­len, zunächst in Oeding und seit 1953 in Gro­nau (Westf.).“
  2. Lan­des­bi­schof Walt­her Schultz, Schwe­rin, gestor­ben 1957 in Schna­cken­burg, Nie­der­sach­sen „Nach Kriegs­en­de wur­de Schultz, zusam­men mit Kon­sis­to­ri­al­prä­si­dent Her­mann Schmidt zur Ned­den, am 25. Juni 1945 von der bri­ti­schen Besat­zungs­macht ver­haf­tet und inter­niert. Zwei Tage spä­ter leg­te er sein Amt nie­der. Im Jah­re 1948 wur­de er aus dem Dienst der Lan­des­kir­che Meck­len­burgs ent­las­sen. Im Jah­re 1950 wur­de Schultz mit der pfarr­amt­li­chen Hil­fe­leis­tung in der St.-Dionysius-Kirchengemeinde Fal­ling­bos­tel in der Lüne­bur­ger Hei­de beauf­tragt. Als für die­se Auf­ga­be dort eine neue Pfarr­stel­le errich­tet wur­de, muss­te Schultz die Gemein­de ver­las­sen und über­nahm in Schna­cken­burg an der Elbe ein Gemein­de­pfarr­amt, das er bis zu sei­nem Tode innehatte.“
  3. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Theo­dor Ell­wein, Ber­lin, gestor­ben 1962 Mün­chen „Nach der Ent­las­sung im Dezem­ber 1949 wur­de er 1950 von kirch­li­cher Sei­te in den Ruhe­stand ver­setzt. Im Jah­re 1951 wur­de er Reli­gi­ons­leh­rer am Gym­na­si­um Pasing und Lehr­be­auf­trag­ter an der Leh­rer­bil­dungs­an­stalt Mün­chen-Pasing. Von 1954 bis 1961 war er Lei­ter der Päd­ago­gi­schen Arbeits­stel­le der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Bad Boll bei Göp­pin­gen. 1955 war er Mit­glied der Stu­di­en­kom­mis­si­on für Leh­rer­bil­dung („Tutz­in­ger Emp­feh­lun­gen“) in der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Tutz­ing. 1961 trat er in den Ruhestand.“
  4. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Hans Hohl­wein, Eisen­ach, gestor­ben 1996 in Solin­gen „Nach 1945 wirk­te Hohl­wein als theo­lo­gi­scher Hilfs­ar­bei­ter in der Props­tei Hal­ber­stadt, und von 1947 bis 1951 ver­wal­te­te er die Pfarr­stel­le Heu­de­ber in der Kir­chen­pro­vinz Sach­sen. Im Jah­re 1951 erfolg­te sei­ne Über­sied­lung in die Bun­des­re­pu­blik Deutschland.“
  5. Kir­chen­rat Wil­helm Bau­er, Eisen­ach, gestor­ben 1969 in Bay­ern „In dem von ihm 1935 her­aus­ge­ge­be­nen Buch „Fei­er­stun­den Deut­scher Chris­ten“ kamen neben Bibel­zi­ta­ten auch Autoren wie Adolf Hit­ler zu Wort. Zugleich betä­tig­te er sich als Schrift­lei­ter der Zeit­schrift „Deut­sche Fröm­mig­keit“, in der die Posi­tio­nen der Deut­schen Chris­ten ver­tre­ten wur­den. In einer ihrer Aus­ga­ben bekun­de­te er: „Wir sind Natio­nal­so­zia­lis­ten. Der Natio­nal­so­zia­lis­mus bedeu­tet uns die Wie­der­auf­rich­tung einer wahr­haf­ten Volks­ord­nung auf dem Grun­de der ewi­gen Geset­ze unse­res Blu­tes und unse­rer Hei­mat­er­de.“ Im Jah­re 1939 erklär­te er sei­ne Mit­ar­beit am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben. Zu Beginn der 1940er Jah­re wur­de er stell­ver­tre­ten­der Stu­di­en­lei­ter des Thü­rin­ger Pre­di­ger­se­mi­nars. Nach der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus leb­te Bau­er in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, publi­zier­te dort wei­ter und starb in einem Ort des Frei­staats Bayern.“
  6. Lan­des­su­per­in­ten­dent Fried­rich Kent­mann, Güs­trow, gestor­ben 1953 in Ham­burg „Nach dem Ende von Natio­nal­so­zia­lis­mus und Zwei­tem Welt­krieg 1945 wur­de er sei­nes Amtes als Lan­des­su­per­in­ten­dent ent­ho­ben und vom pfarr­amt­li­chen Dienst sus­pen­diert. Sein Nach­fol­ger als Lan­des­su­per­in­ten­dent wur­de mit Wir­kung vom 1. Okto­ber 1945 der Güs­trower BK-Pas­tor Sibrand Sie­gert (1890–1954). 1950 erfolg­te die Ent­las­sung Kent­manns aus dem Dienst der meck­len­bur­gi­schen Landeskirche.“
  7. Super­in­ten­dent Ger­hard Span­gen­berg, Alten­wed­din­gen, gestor­ben 1975 in Dül­men, NRW „Bis zum Antritt der Pfarr­stel­le im west­fä­li­schen Dül­men, wo er bis zu sei­nem Tod leb­te, arbei­te­te er als Ver­wal­ter einer Obst­fir­ma und spä­ter als Kran­ken­haus­ver­wal­ter. Die Kir­chen­lei­tun­gen ver­lang­ten zur Wie­der­auf­nah­me in den Dienst zunächst die Wie­der­ho­lung des Ordi­na­ti­ons­ge­lüb­des, ein Kol­lo­qui­um und die zeit­wei­li­ge Tätig­keit als Hilfs­pre­di­ger, was er ablehn­te. Den­noch stimm­te 1955 die Kir­chen­lei­tung in Bie­le­feld sei­ner Wahl zum Pfar­rer der Gemein­de in Dül­men zu, wo er nach sei­nem Ruhe­stand auch als Mili­tär­pfar­rer wirkte.“

Im Osten geblieben

  1. Reichs­vi­kar Fritz Engel­ke, Schwe­rin, gestor­ben 1956 in Schwe­rin „Nach 1945 wirk­te er als Pas­tor der Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Lan­des­kir­che Meck­len­burgs in Schwe­rin. Ab 1950 ver­trat er den im Gulag Worku­ta inhaf­tier­ten Aurel von Jüchen an der Kir­che St. Niko­lai (Schelf­kir­che) Schwerin.
  2. Ober­lan­des­kir­chen­rat Wil­ly Kretz­schmar, Dres­den, gestor­ben 1962 in Dres­den „Nach Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges 1945 erfolg­te zunächst sei­ne Ent­las­sung aus dem akti­ven Kir­chen­dienst. 1946 stell­te er den erfolg­rei­chen Antrag auf Reha­bi­li­tie­rung, in dem er sei­ne Mit­ar­beit im „Ent­ju­dungs­in­sti­tut“ in Eisen­ach extrem her­un­ter­spiel­te. In sei­nem Reha­bil­tie­rungs­an­trag an das säch­si­sche Lan­des­kir­chen­amt in Dres­den stell­te er sich selbst „als Ver­führ­ten der NSDAP“ dar. Spä­tes­tens seit 1939 habe er sich „zu akti­ven Geg­ner des NS-Regimes gewan­delt“ und sich anti­na­tio­na­lis­tisch und par­tei­schäd­lich ver­hal­ten sowie Grund­sät­ze der NSDAP bekämpft. 1959 ging Kretz­schmar als kirch­li­cher Finanz­ver­wal­ter der Lan­des­kir­che Sach­sens in den Ruhestand.“
  3. Ober­lan­des­kir­chen­rat Hein­rich Seck, Dres­den, gestor­ben 1947 in Stadt Weh­len „In die­ser Eigen­schaft und als Mit­glied der Deut­schen Chris­ten war er Mit­ar­bei­ter am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben und wur­de des­halb nach Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges 1945 aus dem akti­ven Kir­chen­dienst ent­las­sen. Er zog in die Säch­si­sche Schweiz, wo er im Alter von 51 Jah­ren in Stadt Weh­len starb.“
  4. Ober­kir­chen­rat Fried­rich Busch­töns, Ber­lin, gestor­ben 1962 in Ber­lin „1945 über­nahm er die Auf­sicht über die kirch­li­chen Ver­mö­gens­wer­te im Schloss Ilsen­burg und wenig spä­ter über das kirch­li­che Flücht­lings­la­ger in Stol­berg. 1946 wur­de Busch­töns in den Ruhe­stand ver­setzt. Er hat aber auch danach noch pfarr­amt­li­che Diens­te geleis­tet, so etwa in Klein­mach­now. 1955 gehör­te er zum Her­aus­ge­ber- und Redak­ti­ons­kreis der vom ZK der SED ange­reg­ten Zeit­schrift Glau­be und Gewis­sen: eine pro­tes­tan­ti­sche Monats­schrift.
  5. Kir­chen­rat Erhard Mau­ers­ber­ger, Eisen­ach, gestor­ben 1982 Leip­zig, Chor­lei­ter, Lei­ter Bach-Komi­tee, 1972 bei poli­ti­scher Säu­be­rung aus Chor­lei­tung entfernt. 

Unbekannt / irrelevant

  1. Lan­des­bi­schof Mar­tin Sas­se, Eisen­ach, gestor­ben 1942 an Schlaganfall
  2. Lan­des­bi­schof Erwin Bal­zer, Lübeck
  3. Lan­des­bi­schof Adal­bert Paul­sen, Kiel
  4. Bischof Wil­helm Sta­edel, Her­mann­stadt
  5. Bischof Hein­rich Josef Ober­heid, Bad Godesberg
  6. Prä­si­dent Chris­ti­an Kin­der, Kiel
  7. Prä­si­dent Fried­rich Wer­ner, Ber­lin-Char­lot­ten­burg
  8. Vize­prä­si­dent Hahn, Berlin-Charlottenburg
  9. Ober­kir­chen­rat Johan­nes Sie­vers, Lübeck
  10. Super­in­ten­dent Thie­me, Solingen
  11. Dekan Wal­ter Mulot, Wiesbaden
  12. Ober­kir­chen­rat Fröh­lich, Leipzig
  13. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Schön­rock, Schwerin
  14. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Schultz, Schwerin
  15. Ober­kon­sis­to­ri­al­rat Wie­ne­ke, Berlin
  16. Kir­chen­re­gie­rungs­rat Erwin Brau­er, Eisen­ach, gestor­ben 1946 Buchen­wald „Nach der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­lor er sei­ne Ämter und wur­de von den sowje­ti­schen Mili­tär­be­hör­den im Spe­zi­al­la­ger Nr. 2 in Buchen­wald inter­niert, wo er am 19. Dezem­ber 1946 verstarb.“
  17. Kir­chen­rat Ger­hard Braun­schweig, Dresden
  18. Kon­sis­to­ri­al­rat Hans Pohl­mann, Schnei­de­mühl
  19. Gene­ral­su­per­in­ten­dent Hans Schött­ler, Buch­schlag
  20. Lan­des­su­per­in­ten­dent Hans Hein­rich Fölsch, Neustrelitz
  21. Lan­des­ju­gend­pfar­rer Gar­ten­schlä­ger, Potsdam
  22. Kir­chen­rat Volk­mar Franz, Eisenach
  23. Propst Johan­nes Grell (1875–1947), Lei­ter der Kir­chen­pro­vinz Grenz­mark Posen-West­preu­ßen, Schneidemühl
  24. Super­in­ten­dent Krü­ger, Sagan
  25. Super­in­ten­dent Hugo Pich, Eisen­ach

Zwi­schen­fa­zit: Von den Nazi-Chris­ten mit kirch­li­cher Funk­ti­on im Osten sind 7 in den Wes­ten gegan­gen und 5 im Osten geblie­ben. Das bedeu­tet ers­tens, dass die Mehr­heit in den Wes­ten gegan­gen ist und zwei­tens, dass es im Osten sie­ben Nazis weni­ger und im Wes­ten sie­ben Nazis mehr gab als vor der Befreiung.

Geistliche bzw. Pfarrer

Die Lis­te der Geist­li­chen ist lang. Nur weni­ge sind in Wiki­pe­dia ver­linkt. Ich lis­te hier nur die ver­link­ten auf.

In den Westen gegangen 

  1. Pfar­rer Her­men­au, Pots­dam, gestor­ben 1981 Wies­ba­den „Im Jah­re 1939 erklär­te er sei­ne Mit­ar­beit am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben. In zahl­rei­chen Publi­ka­tio­nen ver­trat er sei­ne Über­zeu­gung von der Rol­le der deut­schen Frau im Reich Adolf Hit­lers. […] 1972: Ver­dienst­kreuz 1. Klas­se der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land“ Zur Ent­na­zi­fi­zie­rung und zum Grund für das Bun­des­ver­dienst­kreuz steht nichts in Wikipedia. 
  2. Pfar­rer Hosen­thien, Mag­de­burg, gestor­ben 1972 in Braun­schweig „1949 folg­te Albert Hosen­thien sei­nem Sohn und zog nach Fort Bliss in El Paso (Texas), kehr­te jedoch, da er mit den dor­ti­gen Gege­ben­hei­ten nicht zurecht­kam, 1954 wie­der nach Deutsch­land zurück. Da die Regi­on Mag­de­burg jetzt in der DDR lag, sie­del­te er sich in Braun­schweig, im west­li­chen Teil Deutsch­lands an. Er arbei­te­te hier auch wie­der als Pfarrer.“
  3. Pfar­rer Hun­ger, Eisen­ach, gestor­ben 1995 Müns­ter, NRW „Nach 1945 ori­en­tier­te er sich auf das Gebiet der Sexu­al­erzie­hung, was ihm den Spitz­na­men „Sex-Hun­ger“ ein­trug. Bis Ende der 1960er Jah­re publi­zier­te er sei­ne christ­lich-kon­ser­va­ti­ve Sexu­al­mo­ral im Güters­lo­her Ver­lags­haus. Er wur­de auch Redak­ti­ons­lei­ter der Zeit­schrift Der evan­ge­li­sche Reli­gi­ons­leh­rer an der Berufs­schu­le, die vom Schrif­ten­mis­si­ons­ver­lag Glad­beck her­aus­ge­ge­ben wurde.“ 
  4. Pfar­rer Kers­ten-Thie­le, Köthen, gestor­ben 1988 Göt­tin­gen, Nie­der­sach­sen „Nach 1945 wirk­te Kers­ten-Thie­le im Vor­stand der Deut­schen Ost­asi­en-Mis­si­on und publi­zier­te in deren Sin­ne meh­re­re Bücher. 1948 war er Pfar­rer in Göt­tin­gen-Gro­ne und 1954 in Düs­sel­dorf. Von 1960 bis 1964 war er Reli­gi­ons­leh­rer am Rethel-Gym­na­si­um (bzw. Jaco­bi-Gym­na­si­um) Düs­sel­dorf und zwi­schen 1968 und 1973 war er als Pas­tor in Sereetz tätig. Anschlie­ßend ging er in die Rhei­ni­sche Lan­des­kir­che zurück.“ 
  5. Pfar­rer Kuhl, Ber­lin, gestor­ben 1959 Kas­sel „Spä­te­re Wohn­sit­ze waren Nord­kir­chen, wo er von 1949 bis 1956 Pfar­rer war. Hier grün­de­te er einen Kirch­bau­ver­ein, um in Nord­kir­chen ein Gemein­de­zen­trum schaf­fen zu kön­nen. Im Jahr 1956 wur­de ihm von der evan­ge­lisch-theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn die Ehren­dok­tor­wür­de ver­lie­hen. Nach­dem Kuhl 1957 in den Ruhe­stand gegan­gen war, leb­te er bis zu sei­nem Tod 1959 in Kas­sel und hin­ter­ließ eine Frau und zwei Kin­der. In sei­nen letz­ten Lebens­jah­ren hat­te er einen Lehr­auf­trag an der Georg-August-Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen. Gemein­sam mit Bo Rei­cke arbei­te­te er ab 1958 am Biblisch-his­to­ri­schen Hand­wör­ter­buch für den Ver­lag Van­den­hoeck & Ruprecht. Kuhl war von 1921 bis zu sei­nem Tod Mit­glied der Deut­schen Mor­gen­län­di­schen Gesellschaft.“
  6. Pfar­rer Schmidt-Claus­ing, Pots­dam-Babels­berg, gestor­ben 1984 in West-Ber­lin „Nach dem Zwei­ten Welt­krieg lei­te­te Schmidt-Claus­ing den Wie­der­auf­bau der Gemein­de von 1947 bis 1962 als Pfar­rer an der Ber­li­ner Kai­ser-Fried­rich-Gedächt­nis­kir­che. In der Kir­chen­rui­ne wur­de die ein­zi­ge ver­blie­be­ne Glo­cke wie­der gang­bar gemacht und bis in die 1950er Jah­re zum Begrü­ßungs­läu­ten für die Ber­li­ner Russ­land­heim­keh­rer benutzt. Im begin­nen­den Kal­ten Krieg setz­te Schmidt-Claus­ing damit ein poli­ti­sches Zei­chen und mach­te sei­ne Gemein­de bekannt – bis hin zur US-ame­ri­ka­ni­schen Wochen­schau, die das The­ma dank­bar auf­nahm. Fritz Schmidt-Claus­ing starb in einem West-Ber­li­ner Pfle­ge­heim und wur­de auf dem Fried­hof Wil­mers­dorf beigesetzt.“

Hans-Joa­chim Thi­lo hat sich neu­ori­en­tiert, so dass ich ihn hier extra auf­zäh­le. Prin­zi­pi­ell ist das bei den sechs oben genann­ten Per­so­nen natür­lich auch denk­bar, es steht aber ncihts dazu­in Wikipedia.

  1. Pas­tor Thi­lo, Pir­na, gestor­ben 2003 in Lübeck „Thi­los Erfah­run­gen im Kriegs­dienst, sei­ne Ver­wun­dung bei Kiew und sei­ne Kriegs­ge­fan­gen­schaft, zunächst in Kana­da, dann in Eng­land, führ­ten ihn zu einem Umden­ken und Neu­an­fang. Im Dezem­ber 1947 kehr­te er nach Deutsch­land zurück und erhielt eine Pfarr­stel­le der Kir­chen­ge­mein­de am Liet­zen­see in Ber­lin-Witz­le­ben. Gleich­zei­tig bau­te er hier die kirch­li­che Bera­tungs­ar­beit auf. Von 1956 bis 1961 wirk­te er an der Deut­schen Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Kir­che in Genf. Anschlie­ßend war er Refe­rent an der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Bad Boll, bis er 1966 zum Pas­tor der Mari­en­kir­che in Lübeck beru­fen wur­de, wo er bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung wirk­te. 1973 habi­li­tier­te er sich an der Uni­ver­si­tät Ham­burg für das Fach Prak­ti­sche Theo­lo­gie. Er blieb Gemein­de­pas­tor, hielt jedoch regel­mä­ßig Lehr­ver­an­stal­tun­gen in Ham­burg. 1979 wur­de ihm der Titel Pro­fes­sor verliehen.“

Im Osten geblieben

  1. Ober­pfar­rer Ungern von Stern­berg, Ron­ne­burg, gestor­ben 1949 in Gera „Noch im Janu­ar 1945 gehör­te er zu den Thü­rin­ger Pröps­ten, die den DC-Kir­chen­prä­si­den­ten Hugo Rönck dazu dräng­ten, den Bischofs­ti­tel anzu­neh­men.[2] Auf­grund des Geset­zes zur Über­prü­fung der Pfar­rer­schaft und der Ver­wal­tung der Thü­rin­ger evan­ge­li­schen Kir­che (Rei­ni­gungs­ge­setz) vom 12. Dezem­ber 1945 wur­de Ungern-Stern­berg aus dem Pfarr­dienst ent­las­sen und die Dienst­be­zeich­nung „Super­in­ten­dent im War­te­stand“ wur­de ihm aberkannt. Er wur­de aber zunächst kom­mis­sa­risch als Pfar­rer in Ron­ne­burg wei­ter­be­schäf­tigt, ab dem 1. Dezem­ber 1947 wur­de er dann wie­der offi­zi­ell als Pfar­rer in Nie­der­pöll­nitz eingesetzt.“
  2. Pfar­rer Busch, Dres­den, gestor­ben 1952, Pir­na, Sachsen 
  3. Pfar­rer Del­ling, Leip­zig, gestor­ben 1986 in Hal­le „Im Jah­re 1945 geriet Del­ling in Däne­mark in Kriegs­ge­fan­gen­schaft und wirk­te bis 1947 als Seel­sor­ger im Inter­nie­rungs­la­ger Aar­hus. Nach sei­ner Ent­las­sung ging er nach Pom­mern und erhielt 1947 einen Lehr­auf­trag an der Ernst-Moritz-Arndt-Uni­ver­si­tät Greifs­wald. 1948 habi­li­tier­te er sich hier mit der Schrift Got­tes­dienst im Neu­en Tes­ta­ment (gedruckt 1952) für das Fach Neu­es Tes­ta­ment. Im Jah­re 1950 wur­de Del­ling als Pro­fes­sor mit Lehr­auf­trag an die Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg beru­fen, 1952 bekam er den vol­len Lehr­auf­trag, die Beför­de­rung zum Pro­fes­sor mit Lehr­stuhl für spät­an­ti­ke Reli­gi­ons­ge­schich­te erfolg­te 1953. 1955 erhielt er durch Kurt Aland, dem Lei­ter der Kom­mis­si­on für spät­an­ti­ke Reli­gi­ons­ge­schich­te der Deut­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten zu Ber­lin, eine Stel­le zur Reor­ga­ni­sa­ti­on des Cor­pus Hel­le­ni­sti­cum. 1955/56 über­nahm Del­ling eine Gast­pro­fes­sur an der Uni­ver­si­tät Leip­zig, eine Beru­fung kam jedoch eben­so wenig zustan­de wie die von Tei­len der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät in den 1960er Jah­ren gewünsch­te Ver­set­zung nach Ber­lin. An der Uni­ver­si­tät Hal­le bau­te Del­ling das Insti­tut für spät­an­ti­ke Reli­gi­ons­ge­schich­te auf, dem er seit 1963 als Direk­tor vor­stand. Nach der IV. Hoch­schul­re­form wur­de Del­ling 1969 zum ordent­li­chen Pro­fes­sor ernannt und 1970 eme­ri­tiert. Del­ling forsch­te vor allem zur Über­lie­fe­rungs­ge­schich­te des Neu­en Tes­ta­ments und zum anti­ken Juden­tum (Das Zeit­ver­ständ­nis des Neu­en Tes­ta­ments, 1940; Jüdi­sche Leh­re und Fröm­mig­keit in den para­li­po­me­na Jere­miae, 1967; gesam­mel­te Auf­sät­ze: Stu­di­en zum Neu­en Tes­ta­ment und zum hel­le­nis­ti­schen Juden­tum, 1950–1968, 1970; Stu­di­en zum Früh­ju­den­tum, 1971–1987, 2000). Außer­dem gab er Biblio­gra­phien zur jüdisch-hel­le­nis­ti­schen For­schung her­aus und arbei­te­te am Cor­pus Hel­le­ni­sti­cum Novi Tes­ta­men­ti mit. Die Uni­ver­si­tät Greifs­wald ver­lieh ihm 1964 die Ehren­dok­tor­wür­de. Del­ling ver­starb am 18. Juni 1986, im Alter von 81 Jah­ren, in Halle.“
  4. Pfar­rer Ohl­and, Unkero­da (Thü­rin­gen), gestor­ben 1953 in Frie­dels­hau­sen, Thü­rin­gen „Im Jah­re 1946 ver­lor Ohl­and sein Amt, durf­te aber seit 1948 in Beh­run­gen als Pfarr­vi­kar wie­der amtie­ren, seit 1952 als Pfar­rer in Friedelshausen.“

Irrelevant

  1. Pfar­rer Dungs, Essen
  2. Pfar­rer Jäger, Frei­burg
  3. Pfar­rer Peters­mann, Bres­lau
  4. Pfar­rer Rie­ge, Lübeck
  5. Pfar­rer Joseph Roth, Diers­heim, gestor­ben 1941 Tirol
  6. Pas­tor Dungs, Wei­mar, gestor­ben 1947 durch Hin­rich­tung oder 1949 in Haft

Zwi­schen­fa­zit: Von den Nazi-Pfar­rern im Osten sind 7 in den Wes­ten gegan­gen und 4 im Osten geblie­ben. Zählt man Hans-Joa­chim Thi­lo zu den irrele­van­ten Fäl­len, weil es bei ihm ein Umden­ken und Neu­an­fang gab, blei­ben 6 in den Wes­ten gegan­ge­ne, die zu den Nazis, die ohne­hin aus dem Wes­ten waren, dazu­ge­kom­men sind und den Osten ver­las­sen haben.

Hochschullehrer bzw. Akademiker

In den Westen gegangen

  1. Johan­nes Hem­pel, Ber­lin, gestor­ben 1964 in Göt­tin­gen „Er über­nahm die Her­aus­ge­ber­schaft der Zeit­schrift für die alt­tes­ta­ment­li­che Wis­sen­schaft. Im Jah­re 1937 wur­de er nach Ber­lin beru­fen und lei­te­te das Insti­tu­tum Judai­cum zur Erfor­schung des Juden­tums „vom Boden der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Welt­an­schau­ung aus“. Im Jah­re 1939 erklär­te Hem­pel sei­ne Mit­ar­beit am Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben als Lei­ter der Arbeits­grup­pe Altes Tes­ta­ment. Auf der Arbeits­ta­gung im März 1941 refe­rier­te er über Die Auf­ga­be von Theo­lo­gie und Kir­che von der Front her gese­hen. Wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges fun­gier­te er als Mili­tär­pfar­rer. Das Kriegs­en­de erleb­te er 1945 in einem Laza­rett an der Nord­see. Im Jah­re 1947 wur­de Hem­pel Pfarr­ver­we­ser in Salz­git­ter-Lebens­tedt, einem Ort im Gebiet der Braun­schwei­gi­schen Lan­des­kir­che. Im Jah­re 1955 wur­de er Hono­rar­pro­fes­sor in Göt­tin­gen und betrieb ab 1958 als Eme­ri­tus sei­ne wis­sen­schaft­li­che Arbeit wei­ter, beson­ders für die von ihm betreu­te Zeitschrift.“
  2. Wolf Mey­er-Erlach, Jena, gestor­ben 1982 in Idstein, Hes­sen „Im Jah­re 1945 ging er aller Ämter ver­lus­tig, auch eine Wie­der­ein­stel­lung in der baye­ri­schen Lan­des­kir­che blieb ihm ver­sagt. 1950 flüch­te­te Mey­er-Erlach aus der DDR. Von 1951 bis 1963 wur­de er Pfarr­ver­wal­ter in Wall­ra­ben­stein und Wörs­dorf bei Idstein im Tau­nus (Evan­ge­li­sche Kir­che in Hes­sen und Nas­sau). Von ihm wur­den his­to­ri­sche Sujets wie das Stück „Anno 1634“ aufgeführt.“
  3. Max Adolf Wagen­füh­rer, Jena, gestor­ben 2010 irgend­wo im Wes­ten „Nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs kam er an die Luther­kir­che nach Köln-Nip­pes und wur­de zunächst in den Pfarr­dienst der Rhei­ni­schen Kir­che über­nom­men. 1949 wur­de er wegen sei­ner feh­len­den Ordi­na­ti­on vor­über­ge­hend sus­pen­diert und wech­sel­te in den Schul­dienst. 1953 kam er zurück in den Pfarr­dienst, wur­de ordi­niert und erhielt eine Beru­fung an die neu­erbau­te Erlö­ser­kir­che in Wei­den­pesch. Von 1970 bis 1982 war er Pfar­rer in Prien am Chiemsee.“

Im Osten geblieben

  1. Richard Barth, Jena, gestor­ben nach 1946 „Nach der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­lor er sein Amt. Ab 1946 arbei­te­te er als Grund­schul­leh­rer in Jena.“
  2. Paul Fie­big, Leip­zig, gestor­ben 1949 in Kal­be Sach­sen Anhalt 
  3. Rein­hard Lie­be, Frei­berg (Sach­sen), gestor­ben 1956 in Frei­berg. Der Wiki­pe­dia-Ein­trag lässt zu wün­schen übrig.
  4. Heinz Erich Eisen­huth, Jena, gestor­ben 1983 Pferdsdorf/Werra, Thü­rin­gen „Nach­dem er 1945 aus dem Uni­ver­si­täts­dienst ent­las­sen wor­den war, wur­de er 1946 zunächst kom­mis­sa­risch, spä­ter im Haupt­amt Pfar­rer in Jena-Zwät­zen. 1952 wur­de er Super­in­ten­dent in Eisen­ach. Anders als in der For­schungs­li­te­ra­tur bis­wei­len behaup­tet wird, über­nahm er jedoch nie die Lei­tung der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Thü­rin­gen. Er gehör­te aber zeit­wei­se der Syn­ode an und erhielt meh­re­re Lehr­auf­trä­ge am Theo­lo­gi­schen Semi­nar Leip­zig. Nach­dem er 1967 in den War­te­stand getre­ten war, ging er 1969 in den Ruhestand.“
  5. Wil­helm Knevels, Ros­tock, gestor­ben 1978 in West-Ber­lin „Im Jah­re 1950 erhielt er einen Lehr­auf­trag an der Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg. Nach sei­ner Eme­ri­tie­rung leb­te er in West-Ber­lin und wirk­te dort wei­ter an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin. Er ist auf dem Wald­fried­hof Dah­lem bestat­tet. Auf dem Grab­stein steht unter den Lebens­da­ten: „Theo­lo­ge des drit­ten Weges / = Selbst­be­sin­nung des Glau­bens / zwi­schen Fun­da­men­ta­lis­mus / und Exis­ten­zi­al­theo­lo­gie / Unser Glau­be ist der Sieg / der die Welt über­win­det“.“ Knevels ist 1897 geboh­ren, die Eme­ri­tie­rung muss also gegen 1962 gewe­sen sein. Ich lis­te ihn hier unter Im Osten geblie­ben, weil er sein gesam­tes Berufs­le­ben im Osten ver­bracht hat.
  6. Wil­helm Koepp, Greifs­wald, gestor­ben 1965 Klein­mach­now „1952 erhielt er den Lehr­stuhl an der Uni­ver­si­tät Ros­tock. 1954 eme­ri­tiert, lehr­te er noch bis zu sei­nem Tode an der Uni­ver­si­tät Ros­tock weiter.“
  7. Johan­nes Lei­poldt, Leip­zig, gestor­ben 1965 in Leip­zig „Nach 1945 war er Dom­herr des Hoch­stifts Mei­ßen und erhielt eine Pro­fes­sur mit Lehr­stuhl für Neu­tes­ta­ment­li­che Wis­sen­schaft in Leip­zig. Er wur­de als ordent­li­ches Mit­glied in die Säch­si­sche Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten auf­ge­nom­men und 1954 mit dem Vater­län­di­schen Ver­dienst­or­den in Sil­ber und 1960 in Gold aus­ge­zeich­net. […] Lei­poldt war von 1953 bis 1963 als Ver­tre­ter der CDU Abge­ord­ne­ter der Volkskammer.“
  8. Her­bert von Hint­zen­s­tern, Eisen­ach, gestor­ben 1996 in Wei­mar „Seit August 1945 war er in Lauscha, ab 1948 als Pfar­rer. Dort trat er der DDR-CDU bei, sein Par­tei­aus­tritt erfolg­te zum 1. Mai 1947. Im Jah­re 1952 wur­de er zum Lan­des­ju­gend­pfar­rer der Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Kir­che in Thü­rin­gen beru­fen. Seit 1956 lei­te­te er die Evan­ge­li­sche Aka­de­mie Thü­rin­gen und die Pres­se­stel­le der Kir­che. Gleich­zei­tig wur­de er zum Chef­re­dak­teur der Kir­chen­zei­tung Glau­be und Hei­mat beru­fen. 1962 wur­de er zum Kir­chen­rat ernannt. Von 1968 bis 1986 war er neben­amt­li­cher Lei­ter des Pfarr­haus­ar­chivs im Luther­hau­ses in Eisen­ach. 1981 ging er in den Ruhestand.“
  9. Rudolf Mey­er, Leip­zig, gestor­ben 1991 in Jena, Thü­rin­gen „Im Jah­re 1947 wur­de er außer­plan­mä­ßi­ger Pro­fes­sor und 1948 […] Ordi­na­ri­us für Altes Tes­ta­ment an der Fried­rich-Schil­ler-Uni­ver­si­tät Jena. Hier unter­rich­te­te er Gene­ra­tio­nen von Theo­lo­gie­stu­den­ten in Hebrä­isch, der Geschich­te des Vol­kes Isra­el und der Theo­lo­gie des Alten Tes­ta­ments. Zusam­men mit […] wur­de ihm 1952 von der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin die Ehren­dok­tor­wür­de ver­lie­hen. Mey­er war seit 1959 ordent­li­ches Mit­glied der Säch­si­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten und seit 1978 kor­re­spon­die­ren­des Mit­glied der Hei­del­ber­ger Aka­de­mie der Wissenschaften.“
  10. Sieg­fried Morenz, Leip­zig, gestor­ben 1970 Leip­zig „Morenz wur­de 1946 Dozent an der Uni­ver­si­tät Leip­zig und habi­li­tier­te sich im sel­ben Jahr bei Wil­helm Schub­art mit einer Schrift zu Ägyp­tens Bei­trag zur wer­den­den Kir­che. Ab 1948 lei­te­te Morenz, zunächst kom­mis­sa­risch, das Ägyp­to­lo­gi­sche Insti­tut der Uni­ver­si­tät Leip­zig. Im Febru­ar 1952 wur­de er Pro­fes­sor mit Lehr­auf­trag, im Sep­tem­ber des Jah­res mit vol­lem Lehr­auf­trag und zwi­schen 1954 und 1961 schließ­lich als Lehr­stuhl­in­ha­ber für Ägyp­to­lo­gie und hel­le­nis­ti­sche Reli­gi­ons­ge­schich­te. Zwi­schen 1952 und 1958 nahm Morenz zudem neben­amt­lich die Lei­tung der Ägyp­ti­schen Abtei­lung der Staat­li­chen Muse­en zu Ber­lin in Ost-Ber­lin wahr. Zwi­schen 1961 und 1966 lehr­te Morenz als Lehr­stuhl­in­ha­ber an der Uni­ver­si­tät Basel, lei­te­te jedoch im Neben­amt wei­ter­hin das Leip­zi­ger Ägyp­to­lo­gi­sche Insti­tut. Danach kehr­te er nach Leip­zig zurück, wo er bis zu sei­nem Tod 1970 wie­der den Lehr­stuhl für Ägyp­to­lo­gie innehatte.“
  11. Kon­rad Weiß, Ber­lin, gestor­ben 1979 in Ros­tock „1946 wur­de Weiß außer­or­dent­li­cher Pro­fes­sor für neu­tes­ta­ment­li­che Theo­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Ros­tock, 1948 wur­de er dort auf eine ordent­li­che Pro­fes­sur beru­fen und 1972 eme­ri­tiert. Die Uni­ver­si­tät Kiel zeich­ne­te Weiß 1961 mit der Ehren­dok­tor­wür­de aus.“

Unbekannt / irrelevant

Die Aus­wer­tung der Lebens­da­ten der Hoch­schul­leh­rer ist ver­blüf­fend. Nur drei sind in den Wes­ten gegan­gen. 11 sind im Osten geblie­ben. Man müss­te die Ein­zel­fäl­le näher anse­hen und erfor­schen, wie inten­siv ihre Mit­ar­beit im Insti­tut zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben war und was davon zu Leb­zei­ten bekannt war. Teil­wei­se hat­ten die Wis­sen­schaft­ler Ehren­dok­tor­tit­le von Uni­ver­si­tä­ten in Ost und West.

Weitere Nazis aus dem Umfeld der Deutschen Christen / dem Institut

In den Westen gegangen

  1. Hugo Rönck deut­scher evan­ge­li­scher Pfar­rer und Bischof, gestor­ben 1990, bis 1976 Pas­tor in Eutin, Schles­wig-Hol­stein. „Im Jah­re 1945 nahm er „kurz vor dem Ein­marsch der amerikan[ischen] Trup­pen“ den Titel Lan­des­bi­schof an. Im April 1945 wur­de er von den Ver­tre­tern der inner­kirch­li­chen Oppo­si­ti­on um Moritz Mit­zen­heim, Erich Hertzsch und Ger­hard Kühn zum Amts­ver­zicht gedrängt und weni­ge Tage spä­ter von US-ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen ver­haf­tet. Im August 1945 ent­ließ ihn die Thü­rin­ger Kir­che aus dem kirch­li­chen Dienst. Spä­ter war er von 1947 bis 1976 Pas­tor in Eutin.“

Im Osten geblieben

  1. Johan­nes Klot­sche gestor­ben 1963, Stadt Weh­len, Pir­na, Sach­sen, „Der „fana­ti­sche Anti­se­mit“ Klot­sche unter­zeich­ne­te im April 1939 gemein­sam mit zehn ande­ren Lan­des­kir­chen­lei­tern die Bekannt­ma­chung über Gemein­schafts­ar­beit von Lan­des­kir­chen­lei­tern, deren ers­te Maß­nah­me in der Grün­dung des Insti­tuts zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben bestand. Im Dezem­ber 1941 wur­den Chris­ten jüdi­scher Her­kunft aus der Lan­des­kir­che aus­ge­schlos­sen, womit das Sakra­ment der Tau­fe in Sach­sen par­ti­ell außer Kraft gesetzt war. Bis 1942 gehör­te er dem Ver­wal­tungs­rat des sog. Ent­ju­dungs­in­sti­tuts an. Nach Kriegs­en­de absol­vier­te er 1951/52 eine Aus­bil­dung zum volks­mis­sio­na­ri­schen Dienst an der Pre­di­ger­schu­le Pau­li­num in Ost-Berlin.“
  2. Wal­ter Grund­mann gestor­ben 1976 in Eisen­ach „1930 wur­de er Mit­glied der NSDAP und 1933 akti­ves Mit­glied der Deut­schen Chris­ten, deren im gan­zen Deut­schen Reich gül­ti­ge Richt­li­ni­en er ver­fass­te. 1939 wur­de er zum aka­de­mi­schen Direk­tor des neu gegrün­de­ten Insti­tuts zur Erfor­schung und Besei­ti­gung des jüdi­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben in Eisen­ach ernannt, das im Dienst des staat­li­chen Anti­se­mi­tis­mus die „Ent­ju­dung“ der Bibel und der theo­lo­gi­schen Aus­bil­dung betrieb. Unge­ach­tet sei­ner NS-Ver­gan­gen­heit erlang­te Grund­mann in der DDR als Theo­lo­ge erheb­li­ches Anse­hen: 1954 erteil­ten ihm das Kate­che­ti­sche Ober­se­mi­nar Naum­burg (Saa­le) und das Theo­lo­gi­sche Semi­nar Leip­zig Lehr­auf­trä­ge und er wur­de Rek­tor des Eisen­acher Kate­che­ten­se­mi­nars; sei­ne ab 1959 erschie­ne­nen Evan­ge­li­en­kom­men­ta­re waren Stan­dard­li­te­ra­tur und wer­den bis heu­te (2022) zitiert. Er arbei­te­te für das Minis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit, unter dem Deck­na­men GI Berg. […] In der DDR galt Grund­mann bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung 1975 trotz sei­ner NS-Ver­gan­gen­heit als ange­se­he­ner theo­lo­gi­scher Leh­rer. 1974 ver­lieh die Kir­chen­lei­tung ihm noch­mals den Titel eines „Kir­chen­rats“, um sei­ne Arbeit anzu­er­ken­nen und um sei­ne Pen­si­on zu erhö­hen.“ Sei­ne Wiki­pe­dia-Sei­te ent­hält eine aus­führ­li­che­re Schil­de­rung der Stasi-Tätigkeit.

Irrelevant

  1. Fried­rich Coch gestor­ben Sep­tem­ber 1945 in ame­ri­ka­ni­scher Gefan­gen­schaft „Füh­rer der Glau­bens­ge­mein­schaft Deut­sche Chris­ten in Sach­sen und Her­aus­ge­ber der Monats­zeit­schrift Chris­ten­kreuz und Haken­kreuz.“

Schlussfolgerung

7 + 6 + 3 der Per­so­nen, die in der NSDAP waren und sich öffent­lich zum Anti­se­mi­tis­mus bekannt hat­ten, sind vom Osten in den Wes­ten gegan­gen. Dazu noch min­des­tens ein lei­ten­des Mit­glied der Deut­schen Chris­ten. Damit hat sich die Anzahl der Anti­se­mi­ten und Nazis im Osten ver­rin­gert und im Wes­ten erhöht. Von eini­gen die­ser Per­so­nen ist klar, dass sie wirk­lich har­te Nazis und Ras­sis­ten waren. Ande­re waren even­tu­ell weni­ger invol­viert, eini­ge haben sich viel­leicht gewan­delt. Das geht aus Wiki­pe­dia nicht hervor.

„Ines Geipel lügt“

In Der Ossi und der Holo­caust habe ich die Behaup­tun­gen von Anet­ta Kaha­ne und Ines Gei­pel zum Umgang der DDR mit dem Holo­caust unter­sucht und bin zum Schluss gekom­men, dass bei­de Autorin­nen ent­we­der kei­ne Ahnung haben oder lügen. 

Die West-Gesell­schaft des direk­ten Nach­kriegs, die sich manisch schön­putz­te, die schier mär­chen­gleich Koh­le mach­te und sich in ihrer Unfä­hig­keit zu trau­ern ver­pupp­te. Die post­fa­schis­ti­sche DDR der fünf­zi­ger Jah­re dage­gen wur­de zur Syn­the­se zwi­schen ein­ge­kap­sel­tem Hit­ler und neu­er Sta­lin-Dik­ta­tur, pla­niert durch einen roten Anti­fa­schis­mus, der ein­zig eine Hel­den­sor­te zuließ: den deut­schen Kom­mu­nis­ten als Über­win­der Hit­lers. Mit die­ser instru­men­tel­len Ver­ges­sens­po­li­tik wur­de im sel­ben Atem­zug der Holo­caust für 40 Jah­re in den Ost-Eis­schrank gescho­ben. Er kam öffent­lich nicht vor.

Ines Gei­pel, Das Ding mit dem Osten, Frank­fur­ter All­ge­mei­ne, 14.08.2019

Im Blog-Post zei­ge ich recht deut­lich, dass die Ver­bre­chen an den Juden über­all the­ma­ti­siert wur­den. In den Geschichts­bü­chern der neun­ten Klas­se, im Lite­ra­tur­un­ter­richt, in Büchern, Fil­men, Stra­ßen­nah­men usw.

Beim taz-Lab gab es eine Podi­ums­dis­kus­si­on mit der His­to­ri­ke­rin Kat­ja Hoyer und dem Schrift­stel­ler Mar­co Mar­tin, bei der letz­te­rer sag­te, das mit der Geschichts­schrei­bung durch die Sie­ger im Ver­ei­ni­gungs­pro­zess sei doch eine Mär, denn es gäbe doch auch ost­deut­sche Stim­men wie Ines Gei­pel und Anne Rabe. Ich habe dann im Dis­kus­si­ons­teil dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Anet­ta Kaha­ne und Ines Gei­pel kei­ne glaub­wür­di­gen Quel­len sei­en, da sie ent­we­der kei­ne Ahnung hät­ten oder lügen wür­den, was zu gro­ßer Ent­rüs­tung führ­te. Lei­der kann­te ich zu die­sem Zeit­punkt eine Doku­men­ta­ti­on des MDRs noch nicht, denn aus die­ser geht her­vor, dass Ines Gei­pel erheb­li­che Pro­ble­me mit der Wahr­heit in Bezug auf ihr eige­nes Leben hat. Auch die Zah­len der Doping­be­trof­fe­nen, die sie als Che­fin der Doping­op­fer­hil­fe ver­tre­ten hat, hiel­ten einer Über­prü­fung nicht stand.

Das ist der MDR-Beitrag:

Doping und Dich­tung: Bei­trag vom MDR über Behaup­tun­gen von Ines Geipel

Ines Gei­pel hat behaup­tet, dass die Sta­si bei einer Blind­darm-Ope­ra­ti­on ihre Bauch­mus­ku­la­tur und all ihre Orga­ne zer­schnit­ten habe. 

Eine Unter­leibs­ope­ra­ti­on 1984 bot die Gele­gen­heit, „sie zumin­dest für län­ge­re Zeit auf Eis zu legen“, wie sie aus den Akten zitier­te. Ein Chir­urg der Virch­ow-Kli­nik in Ber­lin stell­te 2004, zwan­zig Jah­re nach der per­fi­den Tat, fest, was die Ärz­te in der DDR ihr ange­tan hat­ten. „Mein gesam­ter Bauch war samt Mus­ku­la­tur durch­schnit­ten wor­den“, erfuhr sie. „Alle inne­ren Orga­ne waren verletzt.“

Reinsch, Micha­el. 12.04.2011. Ines Gei­pel: Der Schre­cken steht mit­ten im Raum. Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung. Frankfurt/Main.

In der Doku­men­ta­ti­on wur­de sie bei einem Sprint-Wett­be­werb zwei Mona­te nach der OP gezeigt. Mit ver­letz­ten Orga­nen läuft man kei­ne 100m, weil man auch vor dem Wett­kampf trai­nie­ren muss. 

Den kom­plet­ten Bauch auf­schnei­den, wer glaubt in so einen Unsinn? Da könn­te man nicht mehr lau­fen. Ich habe ja erst vor ein paar Tagen wie­der gele­sen, dass alle inne­re inne­ren Orga­ne wur­den ver­letzt. Das ist ein Unding. Das geht nicht und da kann man vor allen Din­gen nicht sechs Wochen oder acht Wochen spä­ter lau­fen. Schlecht wie immer – aber gelau­fen ist sie.

Uwe Trö­mer im MDR-Bei­trag Doping und Dichtung

Bezüg­lich ihrer Blind­darm­ope­ra­ti­on gibt sie an, dass sie als Fol­ge der durch die Sta­si durch­ge­führ­ten Ope­ra­ti­on kei­ne Kin­der mehr bekom­men konn­te (Ein­zel­kämp­fer bei 1:24:15). Laut MDR-Fak­ten­check (2023: 60) steht im OP-Bericht vom 17.01.2003 nichts von Ver­let­zun­gen ande­rer Orga­ne oder Ver­let­zun­gen, die Kin­der­lo­sig­keit hät­ten ver­ur­sacht haben können.

Gei­pel gibt mit Welt­re­kor­den an und damit Olym­pio­ni­kin gewe­sen zu sein, sie hat aber nie eine gewon­nen, ja, sie hat nicht ein­mal an einer Olym­pia­de teil­ge­nom­men. Bei Sprint-Wett­kämp­fen lan­de­te sie trotz hoher Doping­wer­te auf hin­te­ren Plät­zen. In die natio­na­le Aus­wahl der Sprint­staf­fel kam sie nicht, weil es bes­se­re Läu­fe­rin­nen gab. 

Nach Aus­strah­lung der MDR-Doku leg­te Ines Gei­pel eine Pro­gramm­be­schwer­de ein (doku­men­tiert auf ihrer Web-Sei­te: Pro­gramm­be­schwer­de Doping und Dich­tung). Die­se ist eigent­lich noch schlim­mer, als das, was man aus der Doku erfährt, denn sie zeigt, wie Ines Gei­pel arbei­tet. Mit bewuss­ten Aus­las­sun­gen, Ver­dre­hun­gen und Mani­pu­la­tio­nen. Der MDR hat die Pro­gramm­be­schwer­de durch zwei renom­mier­te Sportjournalist*innen prü­fen las­sen und auf 101 Sei­ten ist die gan­ze Unge­heu­er­lich­keit des Vor­gangs doku­men­tiert. Die Autor*innen nen­nen Gei­pel dar­in eine Lüg­ne­rin und Hoch­stap­le­rin, die Wör­ter Unver­fro­ren­heit und Dreis­tig­keit kom­men vor. Nur ein Bei­spiel: In Gei­pels Sta­si-Akte steht:

Die­ser Darm­ver­schluss ergab sich jedoch, da dies bei jun­gen Men­schen noch der Fall ist oder mög­lich ist; ansons­ten wäre eine wei­te­re Ope­ra­ti­on nötig gewe­sen. Danach soll­te Gei­pel wie­der in ein Kran­ken­haus wegen ihrer .… Geschich­te. Dies wäre die Chan­ce gewe­sen, sie für län­ge­re Zeit auf Eis zu legen. Sie ist jetzt z.Z. in einer Pha­se der Rehabilitation …

BStU, nach Screen­shot aus MDR-Doku.

BStU, Screen­shot aus MDR-Doku.

Die­se Aus­sa­ge belegt, dass das eine Chan­ce gewe­sen wäre, d.h. das Auf-Eis-Legen ist nicht erfolgt. Gei­pel lässt in ihren Zita­ten das Wort gewe­sen ein­fach weg: „Das ist die Chan­ce, sie für län­ge­re Zeit auf Eis zu legen.“ (In Ein­zel­kämp­fer, 2013: 1:26:15 kann man sehen, wie sie die Pas­sa­ge „vor­liest“).

Man kann also schlie­ßen, dass Ines Gei­pel kei­ne glaub­wür­di­ge Zeu­gin in Bezug auf die DDR-Geschich­te ist. 

Denn der ver­ant­wor­tungs­vol­le Umgang mit der Wahr­heit gehört augen­schein­lich nicht zu den Stär­ken der 62 Jah­re alten Berlinerin.

Lud­wig, Udo & Neu­mann, Thi­lo & Pursch­ke, Tho­mas. 2023. Ver­lei­hung des Erich-Loest-Prei­ses: Ines Gei­pel und der schwie­ri­ge Umgang mit der Wahr­heit. Der Spie­gel. 23.02.2023

Ich hat­te ja in der Aus­ein­an­der­set­zung über den Umgang mit dem Holo­caust in der DDR als Ergeb­nis die bei­den Mög­lich­kei­ten „kei­ne Ahnung“ und „lügen“. Theo­re­tisch ist es immer noch mög­lich, dass Ines Gei­pel kei­ne Ahnung in Bezug auf das The­ma Holo­caust hat­te bzw. hat, aber die Lügen-Mög­lich­keit erhält mit die­ser Infor­ma­ti­on über Ines Gei­pel mehr Plausibilität.

Nachtrag

Die Doku­men­te auf Ines Gei­pels Web-Sei­te sind mir bekannt. Sie wer­den im Fak­ten­check in der Erwi­de­rung auf die Pro­gramm­be­schwer­de gegen den MDR bespro­chen. Die von Gei­pel bei­gebrach­ten Doku­men­te wider­le­gen nichts von dem, was oben aus den Doku­men­ta­tio­nen zitiert wurde.

Nachtrag 2: Manipulative Darstellung Nazis vs. Neulehrer

In ihrem Buch Umkämpf­te Zone: Mein Bru­der, der Osten und der Hass schreibt Gei­pel auf S. 33 der e‑Book-Aus­ga­be: „Anfangs waren 80 Pro­zent der Leh­rer im #Osten ehe­ma­li­ge Mit­glie­der der NSDAP.“ Die­se Aus­sa­ge ist even­tu­ell wahr, wenn man die Zeit direkt nach dem Krieg betrach­tet. Sie ist jedoch hoch­gra­dig mani­pu­la­tiv, da nichts wei­ter zu den Leher*innen gesagt wird. Es gab jedoch nach dem Krieg ein umfang­rei­ches Neu­leh­rer-Pro­gramm. Die Nazi-Lehrer*innen wur­de ent­las­sen. Man­che durf­ten nie wie­der, ande­re erst erst Jah­re spä­ter wie­der als Lehrer*innen arbei­ten. In Wiki­pe­dia steht unter Anga­be von Quel­len das Fol­gen­de zu Neulehrern:

Wur­den im ers­ten Schul­jahr noch eini­ge Leh­rer mit natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ver­gan­gen­heit gedul­det, so wur­den die Richt­li­ni­en für den Ver­bleib im Schul­dienst schritt­wei­se ver­schärft. In den west­li­chen Besat­zungs­zo­nen konn­ten eini­ge Leh­rer mit zwei­fel­haf­tem Hin­ter­grund nach soge­nann­ten „Ent­bräu­nungs­kur­sen“ ab 1947 wie­der in den Schul­dienst ein­tre­ten, wäh­rend in der sowje­ti­schen Besat­zungs­zo­ne das Neu­leh­rer­pro­gramm so umfang­reich gestal­tet wur­de, dass gro­ße Tei­le der bis­he­ri­gen Leh­rer­schaft von den rund 40.000 Neu­leh­rern ersetzt wur­den. Obschon die alte Leh­rer­schaft die Qua­li­tät einer höchs­tens ein­jäh­ri­gen Umschu­lung anzwei­fel­te, war auf­grund des zumeist aka­de­mi­schen Hin­ter­grun­des der Neu­leh­rer das Ergeb­nis hin­rei­chend gut und ermög­lich­te den sonst im Nach­kriegs­deutsch­land auf­ga­ben­lo­sen Beru­fen eine fes­te Anstel­lung. Die gro­ße Mehr­zahl der Neu­leh­rer blieb auf Dau­er im Schul­dienst tätig.

In der sowje­ti­schen Besat­zungs­zo­ne dien­te die Ein­stel­lung der Neu­leh­rer auch dazu, die Kon­trol­le der SED über die Schul­aus­bil­dung sicher­zu­stel­len. 1949 waren bereits 67,8 Pro­zent aller Leh­rer­stel­len mit Neu­leh­rern besetzt. 47,7 Pro­zent die­ser Neu­leh­rer gehör­ten der SED an, 13 Pro­zent der LDPD und 10 Pro­zent der CDU, die zu Block­par­tei­en gleich­ge­schal­tet waren. Damit war die Kon­trol­le der SED über das Schul­we­sen weit­ge­hend erreicht.

Wiki­pe­dia­ein­trag zu Neu­leh­rer, abge­ru­fen am 11.11.2024.

Gei­pel schickt Ihre Leser*innen also bewusst auf den Holzweg.

Quellen

Gei­pel, Ines. 2019. Umkämpf­te Zone: Mein Bru­der, der Osten und der Hass. Stutt­gart: Klett-Cotta.

Kar­te, Uwe. 2023. Doping und Dich­tung: Das schwie­ri­ge Erbe des DDR-Sports. 2023. mdr. (https://www.youtube.com/watch?v=FUInTLwH4fI)

Kau­del­ka, San­dra. 2013. Ein­zel­kämp­fer. ZDF. (https://youtu.be/Vdhu-cNkWcc?t=5054)

Kowal­c­zuk, Ilko-Sascha. 2022. Getrüb­te Erin­ne­run­gen? Über ein Buch, das nicht erschie­nen ist. Deutsch­land Archiv. (https://www.bpb.de/513987)

Kowal­c­zuk, Ilko-Sascha. 2023. Der Fall Gei­pel und Gesin­nungs­kämp­fe: Doping und Praw­da. taz 16.12.2023. Ber­lin. (https://taz.de/Der-Fall-Geipel-und-Gesinnungskaempfe/!5977524/)

Lud­wig, Udo & Neu­mann, Thi­lo & Pursch­ke, Tho­mas. 2022. Wir­bel um Ver­tre­te­rin von Doping-Opfern: Lügen, betrü­gen, täu­schen. Der Spie­gel 21. (https://www.spiegel.de/sport/ines-geipel-vertreterin-von-doping-opfern-luegen-betruegen-taeuschen-a-4f0bebfd-c8f3-4eda-bc21-0baf6ecaf7ea)

Lud­wig, Udo & Neu­mann, Thi­lo & Pursch­ke, Tho­mas. 2023. Ver­lei­hung des Erich-Loest-Prei­ses: Ines Gei­pel und der schwie­ri­ge Umgang mit der Wahr­heit. Der Spie­gel. (https://www.spiegel.de/sport/ddr-dopingsystem-ines-geipel-und-der-schwierige-umgang-mit-der-wahrheit-a-7e209638-b5ce-4ad7-b35f-9d096b33e04b)

MDR Haupt­re­dak­ti­on Sport. 2023. MDR-Doku­men­ta­ti­on „Doping und Dich­tung“ Fak­ten­check. Leip­zig. 24.08.2023.

Reinsch, Micha­el. 2011. Ines Gei­pel: Der Schre­cken steht mit­ten im Raum. Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung. 12.04.2011. Frankfurt/Main. (https://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/doping/ines-geipel-der-schrecken-steht-mitten-im-raum-1621434.html)

Antwort auf abgedruckte Leserbriefe (Directors cut = viel zu lange Version)

Ich möch­te mich recht herz­lich für alle Emails, Brie­fe und Päck­chen bedan­ken, die ich nach der Ver­öf­fent­li­chung mei­nes Arti­kels zu Anne Rabes Buch Die Mög­lich­keit von Glück erhal­ten habe. Ich hat­te das nicht erwar­tet, aber das Feed­back war im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes über­wäl­ti­gend. Von den Brie­fen waren sechs kritisch/negativ und 23 posi­tiv. Ich habe die kritischen/negativen unge­kürzt in mei­nen Blog auf­ge­nom­men und dis­ku­tie­re sie dort detail­liert: https://so-isser-der-ossi.de/2024/05/27/anne-rabe-leserbriefe/, auch den zum Jam­mer-Ossi. Auf die in der Ber­li­ner Zei­tung abge­druck­ten Tei­le der Leser­brie­fe möch­te ich im Fol­gen­den ein­ge­hen. In mei­nem Blog und auch im ver­öf­fent­lich­ten Bei­trag in der BLZ geht es mir dar­um, wel­chen Ein­druck Anne Rabe von der DDR ver­mit­telt und was dar­aus abge­lei­tet wird. Den ers­ten Blog-Ein­trag Gewalt­er­fah­run­gen und 1968 für den Osten habe ich auch zu einem Arti­kel in der taz geschrie­ben, bevor ich Anne Rabes Roman über­haupt gele­sen hat­te. Anne Rabe argu­men­tiert grob ver­ein­fa­chend für eine Töpf­chen­theo­rie 2.0: Weil es Fami­li­en gab, in denen es Gewalt gab, war der ganz Osten so und man kann dar­aus letzt­end­lich alles ablei­ten: Ras­sis­mus, Faschis­mus, Natio­na­lis­mus, Anti­se­mi­tis­mus. Alles, wovor sich das Bil­dungs­bür­ger­tum zu Recht gru­selt. Und es ist pri­ma: Das alles ist nur im Osten zu ver­or­ten. Dun­kel­deutsch­land eben. Dabei ist es lei­der so, dass es im gesam­ten Land ziem­lich fins­ter aus­sieht, ja, sogar in Euro­pa. Die Rechts­extre­mis­mus-Stu­die hat das für Deutsch­land dis­ku­tiert. Der Autor der Stu­die hat in der Ber­li­ner Zei­tung (BLZ, 08.07.2023) her­vor­ge­ho­ben, dass der Rechts­extre­mis­mus mit der Struk­tur der Bevöl­ke­rung im Osten zusam­men­hängt und in struk­tu­rell ähn­li­chen Gebie­ten im Wes­ten ähn­li­che Ein­stel­lun­gen nach­zu­wei­sen sind. Das bedeu­tet also, dass man für die Wahl­er­fol­ge der AfD im Osten oder ras­sis­ti­sche Ein­stel­lun­gen kei­ne gewalt­tä­ti­gen Eltern als Erklä­rung benö­tigt. Die empi­ri­sche For­schung lie­fert Grün­de. Auch bricht Anne Rabes Töpf­chen­theo­rie sofort in sich zusam­men, wenn man ihren auto­fik­tio­na­len Roman genau­er liest, denn dort fin­det sich die fol­gen­de Passage: 

Alle Fami­li­en haben sol­che Geschich­ten. Gemein­sa­me Erleb­nis­se, die eine Fami­lie zu einer Fami­lie machen. Geschich­ten, die man sich immer wie­der erzählt. Die Geschich­ten von einem miss­glück­ten Weih­nachts­bra­ten, von Irr­fahr­ten zu einem lang ersehn­ten Urlaubs­ziel, Miss­ge­schi­cke und Toll­pat­schig­kei­ten, die einem noch immer die Lach­trä­nen in die Augen trei­ben. Die­se Geschich­ten, an die man denkt, wenn man Zuhau­se denkt.

Was Tim und ich uns erzäh­len, wenn wir über unse­re Kind­heit spre­chen, sind Geschich­ten davon, wie wir gelernt haben, still zu sein.

Rabe, Anne. 2023. Die Mög­lich­keit von Glück. Stutt­gart: Klett-Cot­ta. S. 23

Das bedeu­tet, dass Anne Rabe bzw. die Ich-Erzäh­le­rin die­se Fami­lie als unnor­mal ein­stuft. Wenn sie aber unnor­mal war, dann kann man aus der Exis­tenz die­ser Fami­lie nicht auf die Bevöl­ke­rung eines gan­zen Lan­des schlie­ßen. Wie hoch die Antei­le von auto und fik­tio­nal an der auto­fik­tio­na­len Geschich­te sind, wer­den wir nie her­aus­fin­den, denn Anne Rabe äußert sich in Inter­views zu dies­be­züg­li­chen Fra­gen nicht (zum Bei­spiel beim taz-Lab-Gespräch mit Simo­ne Schmol­lack).

Zwei Brie­fe spre­chen die Fra­ge nach den abso­lu­ten und den rela­ti­ven Zah­len bei Kinds­tö­tun­gen an und einer unter­stellt mir eine bewuss­te Falsch­dar­stel­lung. Die Poli­zei­li­che Kri­mi­nal­sta­tis­tik (PKS) ver­wen­det rela­ti­ve Zah­len, um die Zah­len über­haupt ver­gleich­bar zu machen. Ich möch­te das an einem Bei­spiel erklä­ren: Im Fall der so genann­ten Neo­na­ti­zide, also der Kinds­tö­tun­gen direkt nach der Geburt, sind abso­lu­te Zah­len nicht aus­sa­ge­kräf­tig, denn in Bre­men wur­den zum Bei­spiel im Jahr 2022 nur 6.720 Kin­der gebo­ren. In NRW waren es im sel­ben Zeit­raum dage­gen 164.496 Kin­der. Wenn in bei­den Bun­des­län­dern jeweils ein Kind getö­tet wor­den wäre, wäre die abso­lu­te Anzahl gleich, aber für Bre­men wäre die rela­ti­ve Anzahl, also die Anzahl im Ver­gleich zu den Kin­dern, die über­haupt Opfer hät­ten wer­den kön­nen, viel grö­ßer. Neh­men wir an, in Bre­men wären 6.720 Kin­der getö­tet wor­den, dann wären es 100% gewe­sen. 6.270 Kin­der in NRW wären aber nur 4,1%. Der Ver­gleich abso­lu­ter Zah­len ist also offen­sicht­lich unsin­nig. In der PKS wird des­halb der abso­lu­te Wert auf Opfer pro 100.000 mög­li­che Opfer umge­rech­net. In Bre­men wäre die ermit­tel­te Zahl dann also grö­ßer als die tat­säch­li­che Zahl und in NRW klei­ner. So wer­den die Neo­na­ti­zi­de in Bre­men und NRW ver­gleich­bar. Das ist auch in der zitier­ten Stu­die zu den Kinds­tö­tun­gen auf S. 337 erklärt (Höynck, Behn­sen & Zäh­rin­ger, 2015). Ich zitie­re genau die­se Sei­te in mei­nem Blog-Post vom 20.02.2024, der die Kinds­tö­tun­gen aus­führ­li­cher bespricht, als das in der Ber­li­ner mög­lich war. Im Arti­kel, der als Print-Ver­si­on erschie­nen ist, sind die Quel­len aus Platz­grün­den aus­ge­la­gert wor­den. Wenn man nun über die Kinds­tö­tun­gen von Kin­dern unter 6 Jah­ren spricht, muss man als Bezugs­grö­ße 100.000 Kin­der in den jewei­li­gen Bun­des­län­dern anneh­men. Ein Bezug auf die Gesamt­be­völ­ke­rungs­zahl, wie von einem Leser vor­ge­schla­gen, wäre nicht kor­rekt. In mei­ner Ori­gi­nal­ein­rei­chung war ein Satz zu den rela­ti­ven Zah­len bzgl. 100.000 mög­li­chen Opfern ent­hal­ten. Ich wur­de gebe­ten, das noch bes­ser zu erklä­ren und habe des­halb die Sät­ze ein­ge­fügt, die dar­le­gen, wie absurd das Ergeb­nis wür­de, wenn man von abso­lu­ten Zah­len aus­gin­ge. Die PKS und auch die Pres­se­be­rich­te dar­über haben sich auf rela­ti­ve Zah­len (Fach­wort Opferzahlen/OZ) bezo­gen, Anne Rabe hat aber geschrie­ben: „Die Zahl der Kinds­tö­tun­gen ist im Osten Deutsch­lands in den 90er und 00er Jah­ren dop­pelt so hoch wie im Wes­ten und steigt im Jahr 2006 sogar auf das Vier­fa­che an.“ Die­se Aus­sa­ge ist fak­tisch falsch. Ein Leser schrieb mir AR hät­te die rela­ti­ve Zahl gemeint. Was jemand gemeint hat, ist aber nicht rele­vant, ent­schei­dend ist, was jemand ver­öf­fent­licht hat. Als Sprach­wis­sen­schaft­ler kann ich ein­schät­zen, was ein Satz bedeu­tet und als Mathe­ma­ti­ker und pro­mo­vier­ter Infor­ma­ti­ker weiß ich, was Anne Rabe statt­des­sen hät­te schrei­ben müs­sen. Dass ich das jetzt nicht hin­ter­her irgend­wie zurecht­ge­bo­gen habe, sieht man, wenn man sich den Print-Arti­kel ansieht: Dort sind die Bevöl­ke­rungs­grö­ße und die Gebur­ten­ra­ten erwähnt. Nur der eine Satz mit der Bezugs­grö­ße 100.000 ist lei­der im Ping-Pong mit der Redak­ti­on ver­lo­ren gegan­gen. Ich hät­te bes­ser auf­pas­sen müs­sen. Der Punkt mit den abso­lu­ten und rela­ti­ven Zah­len hat jetzt in der Dis­kus­si­on und auch im Arti­kel einen viel zu gro­ßen Raum ein­ge­nom­men. Wich­tig ist, und das sagen Höynck, Behn­sen & Zäh­rin­ger (2015: 337) auch sehr klar (auch an ande­ren Stel­len in ihrem im renom­mier­ten Wis­sen­schafts­ver­lag Sprin­ger erschie­nen Buch), dass man aus der PKS nichts ablei­ten kann. Der wich­tigs­te Punkt ist, dass die Zah­len (glück­li­cher­wei­se) zu klein sind. Die Autorin­nen lis­ten wei­te­re Pro­ble­me auf, die zei­gen, dass das Zie­hen von Schlüs­sen aus der PKS zu Kinds­tö­tun­gen unzu­läs­sig ist. Es wur­de in vie­len Brie­fen kri­ti­siert, dass ich auf Wiki­pe­dia ver­wie­sen habe. Ich bin Pro­fes­sor und bil­de zukünf­ti­ge Wissenschaftler*innen aus. Ich weiß sehr wohl, was Wiki­pe­dia kann und was Wiki­pe­dia nicht kann. In mei­nem Blog-Bei­trag zu den Leser­brie­fen gehen ich dar­auf auch genau­er ein. Der Punkt ist hier, dass genau die­se Stu­die und auch die ent­spre­chen­de Sei­te im Wiki­pe­dia-Ein­trag zu Kinds­tö­tun­gen zitiert wird. Wenn also jemand einen Quick­check zu Anne Rabes Behaup­tun­gen hät­te machen wol­len (Ver­lag, Jury, Rezen­sen­ten), so wäre es ein Leich­tes gewe­sen, in Wiki­pe­dia die Stel­le für wei­te­re Nach­for­schun­gen zu fin­den. Das Pro­blem für die­ses Land ist, dass nie­mand sich die Mühe gemacht hat. Die Gru­sel­ge­schich­te war doch zu schön.

Bern­hard Kave­mann liest aus mei­nem Arti­kel, dass ich kein Ver­ständ­nis für Kau­sa­li­tät hät­te. Ich habe in mathe­ma­ti­scher Logik eine 1,0 im Stu­di­um gehabt, habe ein Sys­tem mit Dis­kurs­re­prä­sen­ta­ti­ons­theo­rie imple­men­tiert und Logik und Com­pu­ta­tio­na­le Seman­tik an diver­sen Unis gelehrt. Wie Schlüs­se funk­tio­nie­ren, weiß ich sehr wohl. Ich habe nir­gends behaup­tet, dass es im Osten kei­ne Nazis gab. Wes­halb wäre ich sonst wohl 1989 im Anti­fa-Block mar­schiert (was ich im Arti­kel auch erwähnt habe). Ich habe behaup­tet, dass Anne Rabe fak­tisch fal­sche Behaup­tun­gen in ihren Roman ein­ge­baut hat. Den Nach­weis dafür haben ich im Arti­kel und noch detail­lier­ter in den Blog-Posts erbracht. Bern­hard Kave­mann schreibt wei­ter: „Der Ver­such mit den AfD-Poli­ti­kern geht eben­falls dane­ben: „Höcke und Kal­bitz sind aus dem Wes­ten.“ Ja, aber da sind sie nichts gewor­den, waren klei­ne Lich­ter, groß sind sie erst im Osten gewor­den.“ Im Arti­kel habe ich bereits Georg Maa­ßen erwähnt, der nicht im Osten groß gewor­den ist, son­dern im Ver­fas­sungs­schutz. Das Bun­des­ka­bi­nett hat ihn 2012 auf Vor­schlag des Bun­des­in­nen­mi­nis­ters Hans-Peter Fried­rich (CSU) zum Chef gemacht. Inzwi­schen wird Maa­ßen von der Behör­de, der er vor­saß, beob­ach­tet. Auch Dr. Alex­an­der „Wir wer­den sie jagen“ Gau­land ist nicht durch Ossis groß gewor­den. Vogel­schiss-Gau­land war von 1973 bis 2013 in der CDU, war im Magis­trat von Frankfurt/Main, und lei­te­te von 1987 bis 1991 die Hes­si­sche Staats­kanz­lei. Er ist jetzt Ehren­vor­sit­zen­der der Höcke-AfD und Vor­sit­zen­der der Bun­des­tags­frak­ti­on. Alle die­je­ni­gen, die noch ein biss­chen Anstand haben, sind bereits aus der AfD aus­ge­tre­ten. Wo kom­men die füh­ren­den Nazis her? Wer hat sie groß gemacht? Gern bit­te in mei­nem Blog in der Rubrik Nazis nachlesen. 

Hel­gard Most merkt an, dass man bei der Dis­kus­si­on mit Anne Rabe beim taz-Lab mei­ne Behaup­tun­gen nicht nach­prü­fen konn­te. Dafür habe ich den Blog geschrie­ben und den Arti­kel in der Ber­li­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht. Die Blog-Bei­trä­ge hat­te ich aus­ge­druckt beim taz-Lab mit. 80 Sei­ten. Ich hät­te sie Anne Rabe geschenkt. Wirk­lich. HM behaup­tet wei­ter: „Wir Leser*innen sind intel­li­gent genug, zwi­schen einem Roman, der Anre­gun­gen für eige­ne Gedan­ken geben soll, und der Pau­scha­li­sie­rung einer gan­zen Bevölkerung, wie Herr Müller sie behaup­tet, zu unter­schei­den.“ Das mag für Frau Most zutref­fen, ist aber im All­ge­mei­nen lei­der nicht rich­tig. Mein ers­ter Anne Rabe-Post im Blog bezog sich des­halb auch nicht auf den Roman, den ich damals noch nicht gele­sen hat­te, son­dern auf die Dis­kus­si­on, den die­ser Roman aus­ge­löst hat. Da wird pau­scha­li­siert, die Mär von der gewalt­tä­ti­gen DDR wird ver­brei­tet. End­lich eine Erklä­rung dafür, wie komisch die Ossis sind. Ich möch­te hier ein wei­te­res wich­ti­ges Bei­spiel für die Roman/­Sach­buch-Dis­kus­si­on geben. Anne Rabe behaup­tet: „Auch waren Anti­se­mi­tis­mus und Natio­na­lis­mus wich­ti­ge Bestand­tei­le der sowje­ti­schen und real­so­zia­lis­ti­schen Ideo­lo­gie.“ Das ist eine Tat­sa­chen­be­haup­tung. Der Kon­text ist:

In der DDR droh­te die Dik­ta­tur zudem stän­dig, einen für die Ver­gan­gen­heit zur Ver­ant­wor­tung zu zie­hen. Auch des­halb wur­de geschwie­gen. In einem Land, in dem der Anti­fa­schis­mus Staats­rä­son war, wie soll man da über das spre­chen, was man in der »faschis­ti­schen Wehr­macht« getan hat­te? Auch waren Anti­se­mi­tis­mus und Natio­na­lis­mus wich­ti­ge Bestand­tei­le der sowje­ti­schen und real­so­zia­lis­ti­schen Ideologie.

S. 215

Das ist nicht ein Satz, den irgend­ei­ne Per­son im Roman sagt. Das ist eine Erklä­rung für den Leser. Und sie ist fak­tisch falsch. Ich habe das in mei­nem Blog-Post zum Holo­caust aus­führ­lich bespro­chen und es gibt auch diver­se ande­re Posts, zum Bei­spiel einen, der eine wis­sen­schaft­li­che Stu­die zu Poli­ti­kern in Ost und West aus­wer­tet. Im Osten gab es in den ver­schie­de­nen Regie­run­gen neun, dann acht, dann einen jüdi­schen Poli­ti­ker. Unter ande­rem Klaus Gysi. Im Wes­ten gab es nie in irgend­ei­ner Regie­rung einen. Null. Wich­ti­ge Poli­ti­ker, Musi­ker, Künst­ler der DDR waren Juden. Der Vater von Anet­ta Kaha­ne war ganz vorn mit dabei: Er hat die Nach­rich­ten­agen­tur ADN auf­ge­baut und lei­te­te das Neue Deutsch­land. Wolf Bier­mann hat­te mit Mar­got Hon­ecker meh­re­re Jah­re in einem Haus­halt gelebt. Mari­on Brasch hat als Jüdin Yas­sir Ara­fat am Wer­bel­lin­see begrüßt. Als ich einen Bre­mer Pro­fes­sor für Poli­tik­wis­sen­schaft nach sei­ner Evi­denz bezüg­lich tra­dier­ten Anti­se­mi­tis­mus’ in der DDR frag­te, schrieb er mir zurück, ich sol­le doch mal das Buch von Anne Rabe lesen. Das ist das Niveau, auf dem die Dis­kus­si­on läuft. Ein Wis­sen­schaft­ler ver­weist mich auf ein Buch, das nicht als Sach­buch bewer­tet wur­de und des­halb auch nicht das wis­sen­schaft­li­che Qua­li­täts­si­che­rungs­sys­tem durch­lau­fen hat. Beim taz-Lab gab es eine Dis­kus­si­on zwi­schen dem Schrift­stel­ler Mar­co Mar­tin und der His­to­ri­ke­rin Kat­ja Hoyer. Ich habe Hoyers Buch noch nicht gele­sen und kann zu sei­ner Qua­li­tät nichts sagen, aber Mar­co Mar­tin behaup­te­te, dass es nicht wahr sei, dass die Sie­ger die Geschich­te schrei­ben, und führt zum Bei­spiel Ines Gei­pel und Anne Rabe als ost­deut­sche Stim­men an, die ja den Gegen­part zu den Sie­gern über­näh­men. Das heißt, dass Anne Rabe auf eine Stu­fe mit His­to­ri­kern gestellt wird, die in einem Qua­li­täts­si­che­rungs­sys­tem arbei­ten und ver­öf­fent­li­chen. So wird aus einem Roman ein Sach­buch. Zu Ines Gei­pel gibt es eine Doku­men­ta­ti­on des MDR, die dis­ku­tiert, dass Gei­pel weder Olym­pio­ni­kin, noch Welt­re­kord­hal­te­rin war, dass die Zah­len der Doping­op­fer, die sie als Che­fin der Doping­op­fer­hil­fe genannt hat, viel zu hoch waren. Gei­pel hat eine Pro­gramm­be­schwer­de beim Rund­funk­rat ein­ge­legt. Die 101-sei­ti­ge Erwi­de­rung des MDR liegt mir vor. Die Autor*innen nen­nen Gei­pel dar­in eine Lüg­ne­rin und Hoch­stap­le­rin, die Wör­ter Unver­fro­ren­heit und Dreis­tig­keit kom­men vor. Wie­so soll jemand, der in Bezug auf sei­ne eige­ne Geschich­te lügt, eine glaub­wür­di­ge Quel­le für unser aller Geschich­te sein? Über den Holo­caust schreibt Gei­pel: „Mit die­ser instru­men­tel­len Ver­ges­sens­po­li­tik wur­de im sel­ben Atem­zug der Holo­caust für 40 Jah­re in den Ost-Eis­schrank gescho­ben. Er kam öffent­lich nicht vor.“ Das ist fak­tisch falsch, wie ich aus­führ­lich in Der Ossi und der Holo­caust nach­ge­wie­sen habe.  Anne Rabe und ihre (ehe­ma­li­ge?) Freun­din Ines Gei­pel sind kei­ne ver­läss­li­chen Quel­len, was die Geschich­te der DDR angeht. Das in Bezug auf Anne Rabe zu zei­gen, war das Ziel mei­nes Bei­trags in der Ber­li­ner Zei­tung. Und dann bleibt die Fra­ge: Wer schreibt unse­re Geschichte?

Den Leser­brief zu den Blu­men­töp­fen ver­ste­he ich nicht. Ich weiß nicht, war­um die Leser­brief­re­dak­ti­on ihn aus­ge­sucht hat. 

Rein­hard Brett­schnei­der wirft mir vor, dass ich die Spal­tung erhal­ten will. Nichts liegt mir fer­ner. Wie gesagt: Ich habe mich bis 2013 nicht als Ossi gese­hen. Die Spal­tung ist jedoch real. Vie­les wird man nicht mehr repa­rie­ren kön­nen. Eigen­tums­struk­tu­ren wer­den immer so blei­ben: Ver­mie­ter woh­nen im Wes­ten, die Ein­nah­men flie­ßen dort­hin ab. Fir­men­sit­ze lie­gen im Wes­ten, Ein­nah­men und Paten­te gehen in den Wes­ten. Steu­ern wer­den nicht im Osten gezahlt, son­dern am Fir­men­sitz. Aber man könn­te eini­ge Din­ge ändern, die zur Ver­hei­lung eini­ger Wun­den bei­tra­gen könn­ten. Dazu gehört, dass respekt­voll über den Osten geschrie­ben wird, ja, dass die Men­schen dort über­haupt als sol­che wahr­ge­nom­men wer­den. Ich habe in mei­nem Blog eini­ge Fäl­le dis­ku­tiert, in denen West-Autoren und ‑Wis­sen­schaft­ler über den Osten reden, als wäre er nicht Teil des Lan­des. Und das in Arti­keln, die einen posi­ti­ven Bei­trag zur Ost-West-Debat­te leis­ten wol­len. Ich kämp­fe dafür, dass für die­se Pro­ble­me über­haupt erst mal ein Bewusst­sein ent­steht. Das ist drin­gend not­wen­dig, denn ein ver­nünf­ti­ges Mit­ein­an­der ist auch ein Betrag im Kampf gegen den Faschis­mus. In der taz schreibt Georg Seeß­len: „Die Men­schen, die einem Maxi­mi­li­an Krah zuju­beln, […] trotz der Nach­rich­ten über die­sen Mann, müs­sen einen fun­da­men­ta­len Bruch voll­zo­gen haben.“ Der Punkt hier ist: Die­se Men­schen wur­den von den rele­van­ten Nach­rich­ten wahr­schein­lich nicht erreicht, denn sie sind nicht mehr Teil des gesell­schaft­li­chen Dis­kur­ses. 2021 schrieb Anne Fromm in der taz: „2,5 Pro­zent ihrer Gesamt­auf­la­ge ver­kauft die Süd­deut­sche Zei­tung in den Neu­en Bun­des­län­dern. 3,4 Pro­zent sind es bei der FAZ, etwa 4 Pro­zent beim Spie­gel. Bei der taz sind es, das steht nicht in der Stu­die, rund 6 Pro­zent. […] Die Ost­deut­schen lesen also kei­ne Zei­tun­gen, zumin­dest kei­ne über­re­gio­na­len mit Sitz in der alten BRD.“ War­um soll ich Geld für Druckerzeug­nis­se bezah­len, in denen dau­ernd merk­wür­di­ge Din­ge über mich ste­hen? Ich möch­te, dass es wie­der einen Dis­kurs gibt. Dass wir mit­ein­an­der reden, nicht über­ein­an­der. Ich bin also kein Spal­ter. Ich kämp­fe für ein Mit­ein­an­der, eine Eini­gung, für die deut­sche Ein­heit! Wer hät­te das 1989 gedacht?

Quellen

Beer, Maxi­mi­li­an & Hol­ler­sen, Wieb­ke. 2023. „Es hat eher wenig mit der DDR zu tun“: For­scher über Rechts­extre­mis­mus in Ost­deutsch­land. Ber­li­ner Zei­tung. 08.07.2023. (https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/die-these-vom-rechtsruck-ist-unsinn-forscher-ueber-ostdeutschland-extremismus-und-afd-li.366563)

Fromm, Anne. 2021. Pres­se in Ost­deutsch­land: Wer strei­chelt unse­re See­le? taz, 09.03.2021. Ber­lin. (https://taz.de/Presse-in-Ostdeutschland/!5756271/)

Höynck, The­re­sia & Behn­sen, Mira & Zäh­rin­ger, Ulri­ke. 2015. Tötungs­de­lik­te an Kin­dern unter 6 Jah­ren in Deutsch­land: Eine kri­mi­no­lo­gi­sche Unter­su­chung anhand von Straf­ver­fah­rens­ak­ten (1997–2006). Wies­ba­den: Sprin­ger. (https://doi.org/10.1007/978–3‑658–07587‑3)

Kar­te, Uwe. 2023. Doping und Dich­tung – Das schwie­ri­ge Erbe des DDR-Sports. mdr. 21.01.2023 (https://www.youtube.com/watch?v=FUInTLwH4fI)

MDR Haupt­re­dak­ti­on Sport. 2023. MDR-Doku­men­ta­ti­on „Doping und Dich­tung“ Fak­ten­check. Leip­zig.

Teuw­sen, Peer. 2023. Ver­heim­lich­te Nähe. Neue Züri­cher Zei­tung. 30.09.2023. (https://www.nzz.ch/feuilleton/anne-rabe-verheimlichte-naehe-ld.1782626)

Wir, die Soziologin und die aus dem zwar vorbildlichen, aber abweichenden Osten

Ich habe schon im Bei­trag über Kling Klang und den Osten dar­über geschrie­ben, dass Zei­tungs­bei­trä­ge die Ossis ein­fach nicht zur Leser­schaft zäh­len. Es wird über sie geschrie­ben. Selbst in Fäl­len in denen die Autor*innen das eigent­lich ändern wol­len und auf eine bes­se­re Ver­stän­di­gung und mehr Respekt hin­ar­bei­ten. Hier möch­te ich ein par­al­le­les Bei­spiel aus der Wis­sen­schaft diskutieren.

Die Sozio­lo­gin Prof. Jut­ta All­men­din­ger spricht über Kin­der­be­treu­ung und wie sich das alles bei „uns“ ver­än­dert und ver­bes­sert hat. Wie „wir“ mit gewis­sen Pro­ble­men umge­hen und erwähnt dann lobend und ver­glei­chend den Osten. Wenn man genau hin­hört oder hin­ter­her noch mal drü­ber nach­denkt, merkt man, dass der Osten nicht zu „wir“ gehört. Der Osten ist immer das Ande­re, das Abwei­chen­de. Etwas mit dem man sich ver­glei­chen kann. 

Wir sind halt kei­ne dop­pel­ten Lott­chen. Wir leben in unse­rer Gesell­schaft. Wir kön­nen hier nur Ver­glei­che anziehn. Bei­spiels­wei­se zu den ost­deut­schen Län­dern, wo immer noch es viel, viel selbst­ver­ständ­li­cher ist, dass Frau­en auch erwerbs­tä­tig, auch ganz­tags erwerbs­tä­tig sind.

Zer­back, Sarah, 15. Mai 2024: Sozio­lo­gin zu Fami­li­en: 33-Stun­den-Woche für bei­de Eltern­tei­le ide­al Inter­view mit Prof. Jut­ta All­men­din­ger. Rele­van­ter Teil beginnt ab 4:03.

Als Wissenschaftler*in müss­te man sagen: Bei uns ist das so: Einer­seits haben wir X im Wes­ten und ande­rer­seits haben wir Y im Osten.

Dass es Unter­schie­de gibt, lässt sich nicht leug­nen. Aber die gibt es auch zwi­schen Nord und Süd (zum Bei­spiel im Fleischverbrauch).

Vie­le Ossis woll­ten lan­ge dazu­ge­hö­ren. Jetzt haben sie auf­ge­ge­ben. Die Schlumpf­par­tei hört ihnen zu. Alle ande­ren haben ver­sagt. Ver­sa­gen immer noch.

Und wie man sieht, ist das Gan­ze nicht nur ein Pro­blem der (West-)Medien, son­dern auch eins der Intel­li­genz, der wis­sen­schaft­li­chen Elite.

Kling, klang, Du und ich – Und was ist mit mir?

Das war lus­tig: Peter Unfried fragt in der taz: „Wer von Ihnen hat schon zu „Kling Klang“ getanzt?“ Ich denk so bei mir: „Äh, Kling Klang? Was meint er? Keim­zeit kann’s ja nicht sein, ist doch ein Wes­si.“ Und dann geht es im Arti­kel dar­um, dass das ein Ossi-Wes­si-Test ist, mit dem man ermit­teln kann, wo jemand herkommt.

Keim­zeit ist Schla­ger. Biss­chen über banal. Das Lus­ti­ge ist, dass mir Nor­bert Lei­se­gang als Sup­port von San­dow unter­ge­kom­men ist, wes­halb ich ihn sogar foto­gra­fiert habe.

Peter Unfried schreibt: 

Eine vol­le Tanz­flä­che bei „Kling Klang“ wird es nicht rei­ßen, aber es wäre ein Anfang, eine Ges­te des kul­tu­rell-bio­gra­fi­schen Respekts, die du und ich uns echt abrin­gen sollten.

Peter Unfried: Ossis und Wes­sis: Wer hat zu „Kling Klang“ getanzt? taz, 23.04.2024

Es gibt drei Mög­lich­kei­ten, wie ich auf die­se Zei­len ant­wor­ten kann.

  • Ich schreie drei mal India­ner! Weil die Wes­sis sich jetzt ein­fach unse­re Kul­tur aneig­nen! Selbst #Keim­zeit wol­len sie uns wegnehmen.
  • Ich sage schlicht, dass ich nie zu Keim­zeit tan­zen wer­de. Dann lie­ber gleich zu Sandow.
  • Ich wei­se dar­auf hin, dass die­ser ver­damm­te Wes­si Peter Unfried für dich und für sich sel­ber geschrie­ben hat, aber nicht für uns, denn Wes­sis reden nicht mit uns, son­dern über uns und dass sie mal nett zu uns sein sollten.

Ich habe das Gan­ze für Mast­o­don etwas zuge­spitzt, aber das Bei­spiel illus­triert doch recht schön, dass „die Medi­en“ über uns schrei­ben, als wären wir nicht im sel­ben (Diskurs-)Raum. Selbst wenn sie wie Peter Unfried im Kon­kre­ten und die taz im All­ge­mei­nen das Pro­blem erkannt haben und eine Wie­der­ver­ei­ni­gung her­bei­füh­ren wol­len. Der Osten, das sind immer die Ande­ren. Selbst bei Wissenschaftler*innen, die doch neu­tra­ler und sys­te­ma­ti­scher vor­ge­hen soll­ten. Sie­he Blog-Post über ein Radio-Inter­view mit Jut­ta Allmendinger.

PS: Mir ist erst spä­ter auf­ge­fal­len, dass das „Du und ich“ eine geschick­te Wie­der­auf­nah­me des Lied­tex­tes war. Nur ist sie lei­der für alle, die „Born in the GDR“ sind, dane­ben gegangen.

Kai-Uwe Kohl­schmidt, Sän­ger von Sandow
her­vor­ge­ho­be­ner Leser­brief in der taz, die zum taz-Lab erschie­nen ist.
Leser­brief in der taz, die zum taz-Lab erschie­nen ist.