Ich lese gerade das Buch von Katja Hoyer Diesseits der Mauer. Sehr interessant und vieles wird mir so klarer. Warum der Strauß fast ganz zum Schluss noch mal ein paar Milliarden in die DDR gebracht hat, die Aufs und Abs in der Wirtschaftsentwicklung usw. Ein paar Sachen sind aber auch einfach falsch. Das Kapitel über den Wehrdienst enthält grobe Fehler.
Der verpflichtende Grundwehrdienst dauerte normalerweise 18 Monate. Ihn zu verweigern war ausschließlich aus religiösen Gründen möglich. In diesem Fall musste die Zeit ebenfalls abgeleistet werden, und zwar als sogenannter Bausoldat im nichtkämpfenden Dienst. Männer, die studieren wollten, sollten sich zuvor unter Beweis stellen, wie der Staat ab 1970 offen argumentierte. Sie hatten keine Chance, dem Militär zu entgehen, sondern waren obendrein angehalten, sich zu einer dreijährigen Offizierslaufbahn zu verpflichten.
Das ist im Prinzip richtig. Auf Totalverweigerung stand Gefängnis. Wenn man Bausoldat wurde, baute man in Uniform Raketenstellungen. Nicht unbedingt das, was man sich als Pazifist so erträumt. Bausoldaten hatten keine rosige Perspektive in der DDR, es sei denn, sie wollten Theologie studieren. Ansonsten enthält das Zitat einen bedauerlichen Fehler, denn für das Studium musste man nicht Offizier werden, sondern Unteroffizier. Ich werde die verschiedenen Laufbahnen im Folgenden genauer erklären.
Militärische Laufbahnen in der DDR
Es gab in der NVA verschiedene Laufbahnen:
Soldat, 1,5 Jahre Grundwehrdienst
Unteroffizier, 3 Jahre (ein halbes Jahr Ausbildung, dann zweieinhalb Jahre Dienst)
Offizier auf Zeit, bis 1983 drei Jahre, danach 4 Jahre (ein Jahr Studium, dann zwei bzw. drei Jahre Dienst)
Berufsunteroffizier auf Zeit, 10 Jahre endete mit Meisterabschluss
Der dreijährige Wehrdienst bestand aus einer halbjährigen Ausbildung zum Unteroffizier und 2 1/2 Jahren Dienst in der entsprechenden Waffengattung. Eine Ausbildung zum Offizier erfolgte an einer Offiziershochschule und dauerte vier Jahre. Dreijährige Offizierslaufbahnen gab es nur bis 1983.
Selbst die klügsten und vielversprechendsten künftigen Akademiker und Wissenschaftler waren so gezwungen, eine langwierige Militärausbildung zu absolvieren, bevor sie einen Studienplatz bekamen.
Das ist korrekt. 1981–1986 wurde von uns erwartet, dass wir uns für drei Jahre zur Armee verpflichteten. Nicht als Offiziere sondern als Unteroffiziere. Aus meiner EOS-Klasse gingen alle bis auf einen Jungen für drei Jahre zur Armee. Ich wäre beinahe nicht für meine Schule (EOS Heinrich Hertz) zugelassen worden, weil ich einen von zwei Aufnahmetests nicht bestanden hatte. Es gab einen Mathetest mit Knobelaufgaben, den ich mit voller Punktzahl abschloss und ein politisches Aufnahmegespräch, in dem ich als Dreizehnjähriger gefragt wurde, ob ich gern drei Jahre zur Armee gehen würde. Ich hielt das spontan für keine gute Idee und war somit leider raus. Nur dem unglaublichen Einsatz meiner Eltern ist es zu verdanken, dass ich doch noch auf die Matheschule gekommen bin. Ich musste vorher noch mit dem Direktor meiner POS ein Gespräch führen, in dem ich ihm versicherte, dass es mein größter Wunsch sei, drei Jahre meines Lebens in einer militärischen Einrichtung zu verplämpern. Ich habe in meinem Klimablog darüber geschrieben: Der moralische Druck der Öko-Gutmenschen ist ja wie in der DDR.
Schummeln bei den Verpflichtungen?
Hoyer schreibt:
Manche von ihnen waren so mutig wie Thoralf und tricksten das System aus, indem sie sich zunächst zu einer »freiwilligen Verlängerung« verpflichteten, um einen Platz an der Erweiterten Oberschule zu erhalten, und später angaben, sie hätten es sich doch anders überlegt. Auf diese Weise gelang es Thoralf, lediglich 18 Monate abzuleisten anstelle der vollen drei Jahre, für die er sich ursprünglich gemeldet hatte.
Da hatte der Thoralf aber Glück. Ich habe neulich die Zulassung zu meinem Studium wiedergefunden und in dieser stand explizit drin, dass die Zulassung vorbehaltlich erfolgt und vom Wohlverhalten während der Armeezeit abhing. Ich habe mich 1985 für einen Studienplatz 1989 beworben, also nach meiner Armeezeit. Hätte ich nach meinem Abitur gesagt: „Hi, hi, April, April, ich mach jetzt doch nur Grundwehrdienst.“, hätte die Humboldt-Uni gesagt: „Hi, hi, dann such Dir mal nen Job mit Abitur aber ohne Studium und mit dem entsprechenden Vermerk in der Kaderakte.“. Ganz so einfach war die Sache also nicht. Wenn es einem gelang, bei der Armee ausgemustert zu werden, dann konnte das wohl funktionieren, dass man früher wieder auftauchte und in einem früheren Studienjahr mitstudieren konnte. Aber ein System auszutricksen, dass den gesamten Lebenslauf in einer personengebundenen Akte (Stichwort: Kaderakte) begleitete, war eben sonst nicht möglich.
Vertrag mit dem Staat: Militärische Ausbildung beim Studium
Das hier ist übrigens die Verpflichtungserklärung für das Studium:
Verpflichtungserklärung für das Studium
Man verpflichtete sich nach Zuteilung des Studienplatzes an einer Ausbildung zum Offizier der Reserve teilzunehmen und einen zentral zugeteilten Arbeitsplatz für mindestens drei Jahre anzunehmen.
Drei Jahre Pflicht für’s Studium?
Es gab Menschen, die trotz Grundwehrdienst studieren konnten, aber an meiner Schule gab es eben auch einen Jungen, der nicht mit ins GST-Lager zur vormilitärischen Ausbildung gefahren ist und das Schießen verweigert hat. Er war genial und hätte zur internationalen Matheolympiade fahren können, aber das wurde alles nichts und er ist Schäfer geworden. Ich wusste nicht, dass es auch ohne die drei Jahre hätte gehen können und in jedem Fall wäre es nicht ohne Risiko gewesen und da ich außer Mathe nichts konnte, bin ich eben drei Jahre gegangen. Es waren die schlimmsten drei Jahre meines Lebens.
Bindung durch Isolation?
Hoyer schreibt weiter:
Die NVA wollte die jungen Männer möglichst ganz für sich vereinnahmen, um sie militärisch optimal zu indoktrinieren. Deshalb stationierte man Rekruten häufig so weit weg von zu Hause wie möglich und gewährte ihnen kaum Urlaub, damit sie nur selten ihre Familie, Freunde und Freundin in der Heimat besuchen konnten. Sie wurden bewusst isoliert, um sie aneinander und an den Staat zu binden.
Es stimmt, dass man meist so weit weg von zuhause war wie möglich. Ich wurde Anfang November 1986 eingezogen und war Silvester 1986 zum ersten Mal auf Urlaub. Aber wenn das Ziel wirklich war, die Soldaten an den Staat zu binden, denn mussten die, die sich diese Strategie überlegt hatten, über sehr geringe Menschenkenntnis verfügen. Alle, die zum Grundwehrdienst oder für drei Jahre bei der Armee waren, haben die Armee (auch Asche genannt) als Gefängnis empfunden. Na ja, fast alle.
Und übrigens: Das war bei den Offizieren und Offiziersschülern ganz anders. Sie haben außerhalb der Kaserne gewohnt. In den letzten Jahren vor dem Ende der DDR wurden die Offizierswohnheime sogar mit Sattelitenschüsseln ausgestattet, damit die Offiziere West-Fernsehen gucken konnten. Die Fernseher im Fernsehraum der Soldaten und Unteroffiziere waren verplombt. Nix Westvernsehen. Offiziersschüler konnten, glaube ich, im letzten Studienjahr außerhalb der Kaserne wohnen. Ich habe in Kamenz an einer Offiziershochschule gedient und war dann irgendwann mit einem ehemaligen Offiziersschüler befreundet. Er hatte abgekeult (mitten in der Ausbildung seine Verpflichtung für 25 Jahre widerrufen: gesellschaftliches Harakiri) und musste noch die Restzeit des normalen Grundwehrdienstes abdienen. Wir mochten beide Punk und sonstige abseitige Musik, haben uns Abends in dem Büro, in dem ich gearbeitet habe, getroffen und auf dem Kassettenrecorder des Oberleutnants, dem das Büro gehörte, Punk gehört. Das war lustig, denn als normaler Soldat oder Unteroffizier durfte man keine Kassettenrecorder haben und man hatte natürlich auch keinen Platz, an dem man sich mal eben so treffen konnte. Es gab einen Clubraum, aber da gab es natürlich keinen Kassettenrecorder, sondern den Schallplattenspieler und Platten von Silly. Ich war auch mal mit ihm und anderen Offiziersschülern in Dresden im Jugendclub Spirale bei einem Punkkonzert. Einer von denen hatte einen Trabant. Ansonsten, wenn ich allein unterwegs war, bin ich die Strecke immer mit dem Rad gefahren.
Ich hatte es nach der Grundausbildung in Bad Düben und anfänglichen Wirren in Kamenz (Ich war erst in der FLA-Rakten-Werkstatt) geschafft, in die Computergruppe zu kommen. Von da bin ich dann einem Oberstleutnant direkt unterstellt worden und landete in dem Büro des Leutnants, der für die FDJ-Arbeit der Kompanie zuständig war. Der ging pünktlich 16:00 oder 16:30 nach Hause und ich hatte meine Ruhe. Das Paradies (inmitten der Hölle). Manchmal schlief ich im Büro mit Schlafsack auf dem Tisch. Ich konnte so ausschlafen und wurde am Morgen nicht von der normalen Routine der Kompanie gestört. Das funktionierte aber eben nur, weil Offiziere etwas ganz anderes waren als Unteroffiziere. Die waren abends bis auf den Offizier vom Dienst weg.
Ungebildete Opportunisten?
Diese Strategie hatte für das Regime jedoch auch einige Nachteile. Denn sie zwang viele gebildete, weniger aktive und eher ablehnend eingestellte Personen dazu, einen Militärdienst zu absolvieren, für den sie nicht sonderlich geeignet waren. Dies stärkte die Opposition gegen den Staat oder erzeugte sie bisweilen regelrecht bei Menschen, die sich ansonsten mit der Realität in der DDR abgefunden hätten. Andererseits ermöglichte sie auch Opportunisten den Zugang zur begehrten höheren Bildung, selbst wenn sie dafür von ihren Leistungen her gar nicht geeignet waren.
Das stimmt im Prinzip, ist aber hochgradig irreführend, weil der Unteroffiziersdienstgrad mit dem Offiziersdienstgrad durcheinandergeworfen wurde. Die Zahl der Abiturplätze war sehr gering. Weder im Westen noch im Osten machten damals so viele Menschen Abitur wie heute. Von einer Klasse mit 32 Schüler*innen wurden zwei zum Abitur weiterempfohlen. Da waren dann auch genügend sehr gut gebildete dabei, die dann auch noch drei Jahre zur Armee „wollten“. Anders war das bei den Offiziersbewerbern. Es gab nicht viele, die sich für 25 Jahre für den Dienst fürs Vaterland verpflichten wollten. Wenn das der Fall war, dann wurden die betreffenden Personen gefördert. So kamen auch leistungsschwächere Schüler auf Erweiterte Oberschulen und Spezialschulen.
Das landläufige Argument, dass sämtliche Offiziersbewerber nur durch die Aussicht auf einen Studienplatz geködert wurden, greift jedoch zu kurz. Das mit Rang und Abschluss verbundene Prestige wäre für die überwiegende Mehrheit von ihnen ansonsten unerreichbar geblieben, sodass viele Arbeiterkinder es weniger als Bürde, sondern eher als Chance begriffen.
Das gesamte Kapitel verliert natürlich an Wert, weil nicht klar ist, ob Unteroffiziere oder Offiziere gemeint sind. Das Offiziersstudium dauerte vier Jahre. Danach hatte man eben ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Wie das mit dem Prestige aus Arbeitersicht aussah, vermag ich nicht zu beurteilen. Offizier war in der DDR etwas anderes als in der BRD. Offiziere waren Teil der Staatsmacht und eben auch, weil jede*r das werden konnte, war es nicht besonders angesehen. Aber wahrscheinlich variierte das auch über die verscheidenen Phasen der DDR hinweg.
Die Unteroffizierslaufbahn war in keinem Fall mit Prestige verbunden. Ich habe das Ganze eher als Schmach empfunden. Ich musste mich dem Druck beugen und haben drei Jahre meiner Jugend in Bad Düben und Kamenz verplämpert.
Es gab übrigens zum Ende der DDR noch einen Spezialwitz: Die DDR brauchte dringend Informatiker. Deshalb war es irgendwie irrsinnig, Männer mit entsprechendem Studienwunsch im Wald rumliegen zu lassen. Ab 1987 konnte man deshalb mit dem Studienwunsch Informatik einen reduzierten Wehrdienst von nur neun Monaten ableisten. Voraussetzung war, dass man sich vorher für drei Jahre verpflichtet hatte. Leider kam diese Reglung für mich zu spät, denn 1987 war ich schon ein Jahr bei der Armee. Die, die ein Jahr jünger waren als ich, kamen so ein Jahr vor mir wieder raus. Tja.
In der DDR gab es ab den 70er Jahren Intershops, in denen man für Forumschecks Westwaren erwerben konnte. West-Geld musste man in Forumschecks umtauschen. Ich habe vor dem 10.11.1989 exakt 5,01 DM besessen. Das kam so: Ich war in der Komischen Oper unter den Linden und wollte mit zwanzig Mark zwei Karten für insgesamt 14 Mark bezahlen. Die Frau am Schalter gab mir zwei Münzen zurück. Eine war komisch. Ich wollte mich erst beschweren, aber zum Glück habe ich rechtzeitig geschaltet und nichts gesagt: Sie hatte mir fünf West-Mark gegeben.
5 DM.
Den West-Pfennig hatte ich im Pioniertheater Theater der Freundschaft gefunden, wo wir ab und zu mit der Schule zu Aufführungen gingen. Westgeld! Ausgerechnet da! Jedenfalls war ich durch den Opernbesuch zu ungeahntem Reichtum gekommen. Ich habe die fünf Mark dann in den Intershop gebracht. Daran musste ich denken, als ich folgenden Satz im Buch Diesseits der Mauer von Katja Hoyer gelesen habe:
Zum Reiz der Intershops mit all den ausländischen Waren trug zusätzlich bei, dass diese alles andere alles billig waren. Kassetten für die beliebten Rekorder kosteten 5, Matchbox-Autos 2,50 und eine Original-Wrangler-Jeans 50 D‑Mark.
Diesen Satz kann man nicht richtig einordnen, denn es fehlen Vergleichspreise. Auch fehlt der Zeitpunkt, zu dem diese Preise gegolten haben. Als ich über die fünf Mark verfügen konnte, kosteten Kassetten jedenfalls keine fünf Mark. Das weiß ich genau, denn ich hatte ja nur fünf Mark. Davon habe ich eine 90er Kassette gekauft (BASF, wenn ich mich recht erinnere, siehe auch Ostmusik / Westmusik) und einen Schlumpf für meinen kleinen Bruder. Dann blieb noch etwas übrig. In Intershops gab es kein Wechselgeld, so dass man dann bei Restbeträgen wie 60 Pfennig noch irgendwelchen Süßkram nehmen musste. Ich glaube, dass die Kassette so etwa drei DM gekostet hat.
Nachtrag
Peer hat auf Mastodon darauf hingewiesen, dass es ganz verschiedene Typen von Kassetten gab und dass diese unterschiedlich teuer waren. Also gab es vielleicht Super-duper-Bänder, die 5 DM gekostet haben. Aber typisch war das nicht.
Ich lese gerade das Buch Diesseits der Mauer von Katja Hoyer. Es gibt darin einen Abschnitt zu Ostrock im Kapitel 1971–1975.
Die anfängliche Anpassung der Puhdys an die Vorgaben des Regimes war nicht einfach nur ein Akt der Unterordnung, wie es ihnen viele kritischere Intellektuelle und Künstler in der DDR vorwarfen. Ihr Entschluss, auf Deutsch zu singen, war entscheidend für ihren Aufstieg als prägende Band der DDR-Rockmusik. Auf fast kuriose Weise zwang der Druck kleinlicher Bürokraten sie dazu, kreativer zu werden und ihre eigene Stimme zu finden. Ähnlich ging es auch anderen Musikern aus dieser Zeit. Insgesamt war der DDR-Ostrock der 1970er vom Sound her zwar vom Westen inspiriert, aber zugleich stark durch die Erfahrungen und Rahmenbedingungen der Musiker in ihrem Land geprägt. Ihre Popularität über die Grenzen der DDR hinaus spricht für die Qualität der Arbeit. Auch wenn der Ostrock politischem Druck ausgesetzt war, so ist er nicht durch ihn entstanden.
Hoyer, Katja, 2023. Diesseits der Mauer, S. 348–249.
Ich habe mich ab ca. 1980 intensiver für Musik interessiert und für mich war die DDR-Musik in weiten Teilen ungenießbar. Bands wie die Puhdys und Karat waren für mich Staatsbands und zumindest bei Karat ja irgendwie Schlagersänger.
Dass ihr Lied Über sieben Brücken musst Du gehn von einem „Rocker“ aus dem Westen gecovert wurde, macht aus dem Schlager immer noch keinen Rocksong.
Hoyer handelt auch Frank Schöbel im Abschnitt über Ostrock ab und der war nun eindeutig ein Schlagersänger (Heißer Sommer war lustig, aber eben so Musical-Kram).
Für mich war fast die ganze DDR-Rockmusik (Puhdys, Karat, Stern Meißen, Electra, Silly, Pankow, Rockhaus) totes Zeug. Das wurde erst ganz zum Schluss in den 80ern anders, als es einen offiziellen, will heißen, staatlich geduldeten, Untergrund gab.
Auf den Klassen- und Schuldiskos 1980–1986 wurde bei uns – soweit ich mich richtig erinnere – keine Ost-Musik gespielt. Das war einfach total unccol. Da gab es so was wie AC/DC, Queen (We will rock you), Alice Cooper, Wishful Thinking, Depeche Mode, Ultravox, Soft Cell.
Twist
Hoyer beschreibt in früheren Kapiteln (Kapitel 5, 1961–1965) Phasen der Lockerung und Zeiten, in denen Manfred Krug u.a. mit Twist Erfolge feierten (S. 262). Dann wurde es aber wieder strenger. In meiner Jugendzeit war Ostmusik spröde und langweilig. Ich habe mich redlich bemüht, Pankow und Silly gut zu finden. Es ist mir nicht gelungen. Silly und Pankow sind die einzigen Bands unter den oben genannten, von denen ich Platten habe. Diese habe ich damals fast nie gehört und in den letzten 35 Jahren überhaupt nicht.
Ich war an einer Schule (EOS) mit Funktionärskindern und Kindern von Parteimitgliedern in einer Klasse. Einer mit Opa im ZK, ein anderer mit einer besonderen Telefonnummer. Weiß nicht, was der Vater war. Wir haben uns getroffen und Musik überspielt. Kraftwerk habe ich von einem aus der Parallelklasse bekommen. Beatles, Pink Floyd, The Doors, Zappa, Beefheart von Klassenkameraden. Ich kann mich noch erinnern, wie wir The final Cut mit Hand ausgesteuert haben, weil der Geracord die hohe Dynamik gekillt hätte. Mein Freund immer kurz vor den entscheidenden Stellen: „Runter! Runter!“ Ein anderer Freund war für Hardrock und Heavy Metal zuständig. Von ihm bekam ich Scorpions und Judas Priest.
Tom Waits, Dire Straits bekam ich von einem Klassenkamerad, dessen Schwester nach Westberlin geheiratet hatte. Schlecht für ihn, weil er nicht zur internationalen Physikolympiade fahren durfte, gut für uns, weil wir die Platten überspielen konnten.
Eine Kassette kostete 20 Mark (= mehr als 20 Brote), war also sehr teuer. Auf die Ost-Kassetten gingen 60 Minuten (2*30 min), das war für das Überspielen von Langspielplatten ungünstig, weil die meistens 45 Minuten lang waren. Dafür brauchte man eigentlich 90er Kassetten, die es im Osten nicht gab. Ich habe viel Geld in Musik angelegt. Eigentlich alles, was ich hatte. Der Kassettenrecorder kostete 1100 Brote, war aber Mist, so dass ich mir ein Stereoradio (Rema Andante) und den Geracord gekauft habe. Das waren zusammen ungefähr 2000 Brote.
Sternrecorder und K90-Kassetten, DDR-Museum Eisenhüttenstadt, 02.08.2019
Lizenz-Platten: Amiga
Bei Amiga gab es Platten von Bruce Springsteen, Tina Turner, Tomita, Tangerine Dream usw. Auch von Udo Lindenberg gab es einige Platten.
Amiga-Platte von Udo Lindenberg 1982.
Das war Bückware, die Auflage betrug nur jeweils 10.000, die Bedürfnisse konnten nie vollständig befriedigt werden. Aber man konnte die Platten dann von Glücklicheren überspielen. Ich hatte mal Kate Bush ergattert, die habe ich dann gegen eine Jimmi Hendrix-Platte von Polydor (Westen) eingetauscht.
Bibliotheken
Neubau-Komplexe hatten meistens einen Dienstleistungskomplex mit Friseur, Jugendclub und Bibliothek. Die Amiga-Platten gab es auch in den Bibliotheken. Ich erinnere mich an Pink Floyd The dark side of the moon und eine Elivs-Platte. In die Pink-Floyd-Platte habe ich leider einen Kratzer reingemacht. Sorry an alle, die sie nach mir hatten.
Plattencover einer Amiga-Platte von Udo Lindenberg. Fotografiert mit einer Certo SL 110. Links unten sieht man die Beschriftung der Bibliothek aus der die Platte stammte.
Das Bild ist eine nicht ganz vollkommene Reproduktion des Bibliotheksexemplars der Udo-Lindenberg-Platte von Amiga. Fotografiert mit der Certo SL 110. Ich habe es in der Kassettenhülle der Kassette mit der überspielten Platte verwendet.
Duett: Musik für den Recorder
Auf dem Jugendsender DT64 gab es eine Sendung Duett: Musik für den Recorder, bei der Schallplatten zum Mitschneiden komplett gespielt wurden. Ob die DDR den Künstler*innen was dafür bezahlt hat, weiß ich nicht …
RIAS: Treffpunkt
Im RIAS Treffpunkt gab es am Sonnabend immer Wunschtitel zum Mitschneiden. Diese wurden ausgespielt. Es gab meist einen Titel von Udo Lindenberg. Ich weiß noch, dass es da bei uns immer Kaffee gab und ich eigentlich nur zu meinem Recorder wollte.
Es gab Tarnadressen, an die Ostdeutsche ihre Musikwünsche schicken konnten. Die Adressen änderten sich ständig und wurden jeweils in den Radiosendungen durchgesagt. Ich fand das merkwürdig, weil die Stasi ja auch Radio hören konnte. Ich habe natürlich nie an eine solche Adresse geschrieben.
Schlager der Woche
Schlager der Woche war eine Hitparade im RIAS, die der liebenswerte Chaot Lord Knud jede Woche veranstaltete. Es war keine Schlagersendung, sondern irgendwie so eine Hitparade, bei der die Hörerinnen sich etwas wählen konnten. Lord Knud hat leider oft in die Titel reingequatscht, aber wenn man es nicht besser hatte, musste auch das für Mitschnitte reichen.
Beatles-Jahr
Die Beatles-Alben wurden auch komplett im Rundfunk gespielt. Weiß nicht mehr, ob es SFB oder RIAS war. Es war jedenfalls im Lutherjahr 1983. Nach den Beatles kam immer „Wer Ohren hat, der höre.“ Ich hatte ja schon eine halbe Stunde gehört.
Kulturzentren
In Kulturzentren der verschiedenen Ostblockländer konnte man Platten kaufen. Ich habe im Polnischen Kulturzentrum eine Platte von den Dead Kennedys und einen Sampler mit Psychobilly-Stücken gekauft: Psycho Attac over Europe.
Ungarn und ČSSR
In Ungarn und in der ČSSR konnte man Schallplatten kaufen, die es in der DDR nicht unbedingt gab. Die Beträge, die man umtauschen konnte waren begrenzt. Wenn man Omas oder Kumpels mit Omas hatte, die einem Zollerklärungen aus dem Westen mitbrachten, dann konnte man in Ungarn noch mehr Geld umtauschen. Das musste man aber irgendwie ins Land bekommen. Die Plattenläden hatten Visitenkarten, die sich die Ungarnbesucher weitergaben. Ich habe mir eine Doors-Doppel-LP gekauft (100 Mark) und eine Beatles-Kassette.
Omas und Opas
Die mit den Omas und Opas haben diese Platten mitbringen lassen, entweder für sich selbst oder für den Weiterverkauf auf dem Schwarzmarkt. Diplomaten haben den Schwarzmarkt wohl auch gefördert.
Zusammenfassung
Es gab Mittel und Wege, an West-Musik zu kommen. Die Puhdys hat niemand von uns gehört. (oder wenn, dann heimlich =:-)
Einstufung
Was man wissen muss über die Ostmusik, ist: Man konnte nicht einfach so auftreten. Während das im Westen der Markt regelte, regelte das im Osten der Staat. Man brauchte eine Einstufung.
Einstufungen der Klaus-Renft-Combo, DDR-Museum, Eisenhüttenstadt, 02.08.2019
Das bedeutete, dass nur Menschen, die ihre Instrumente beherrschten, auftreten konnten. Und dass nur Menschen, die irgendwie zensurkonforme Texte hatten, eine Einstufung bekommen haben bzw. behalten haben. Ohne Einstufung blieben nur Konzerte in Kirchenräumen. Die Kirchen waren in diesem Bereich autonom, in ihren Räumen durften sie machen, was sie wollten. Die Stasi war zwar immer überall dabei bzw. stand – wie beim Frühlingsfest der Erlöserkirche außen drum rum –, aber ansonsten wurde diese Übereinkunft eingehalten.
Die anderen Bands
Gegen Ende der DDR gab es die anderen Bands. Die wurden sogar im Jugendradio DT64 gespielt. Im Parocktikum von Lutz Schramm (auf dem schlechtesten Sendeplatz). So was wie Sandow, die Art, FeelingB, Die Vision, Die Skeptiker, Herbst in Peking, Ich-Funktion, Die Firma, Freygang, Dekadance, Hard Pop, Steve Binetti, Rosengarten (Bessere Zeiten), Freunde der Italienischen Oper, Dritte Wahl. Die hatten eine Einstufung und konnten in Jugendklubs, Kreiskulturhäusern oder im Palast der Republik bei Veranstaltungen von Lutz Schramm auftreten. AG Geige gehörte auch dazu. Diese Formation war ein Sonderfall: Sie hatten keine Einstufung, durften aber nach Intervention einer Galeristin als „Volkskunstkollektiv der ausgezeichneten Qualität“ auftreten. =:-)
Kai-Uwe Kohlschmidt von Sandow bei der Aufführung der Platte “Entfernte Welten” zum 35ten Bandjubiläum in der Volksbühne, Berlin, 07.02.2018
Das war echt, das tat weh und ab und zu wurde mal eine von den Bands verboten oder hatte irgendwie Schwierigkeiten. Dekadance hatte Probleme mit der Zensur, weil die den Song Twenty Zigarillos nicht verstanden haben. Der Text bestand nur aus der Zeile „Twenty Zigarillos“. Herbst in Peking hatten 1989 eine Schweigeminute für die Opfer des Massakers am Tian’anmen-Platz gemacht und wurden verboten. Freygang war auch immer mal verboten.
Es gab in der DDR eine ziemlich aktive Tape-Szene. Auf Konzerten wurden Kassetten der jeweiligen Bands verkauft. Von meinem Klassenkamerad mit ZK-Opa habe ich auch Tapes von Gefahrenzone bekommen. Gefahrenzone hatte nie eine Einstufung und ist nur in kirchlichen Kontexten aufgetreten. Sie sangen über Perestroika und Glasnost. Ich habe das Band zu einem Zeitpunkt überspielt, als die Stasi schon Zersetzungsmaßnahmen gegen die Band laufen hatte. Aber davon wussten wir nichts. (Gefahrenzone bei TapeAttack)
Geh zu ihr und lass Deinen Drachen steigen, geh zu ihr, denn Du lebst ja nicht vom Moos allein
Die Puhdys-Songs im Film Paul und Paula sind auf jeden Fall legendär. Der Film steht ja auch auf meiner Liste mit den Filmempfehlungen und Lesetipps.
Nachtrag
24.12.2024 Es gibt von Amiga eine Zusammenstellung der hundert besten Ostsongs. Die ist sehr gut. Man findet darin einiges von dem, was ich schrecklich fand. Aber auch, und das meiner Meinung nach überproportional, den DDR-Untergrund.
Irrenhaus von Keimzeit hatte ich schon vergessen. Das war erstaunlich kritisch! Auch einige Lieder von Pankow. Die Zöllner mit Käfer aufm Blatt. Schrecklich!
Die Opfer der nationalsozialisitschen Diktatur und der Diktatur des Proletariats
(Vorweg: Ich habe die DDR, so wie sie war, abgelehnt und kann mit nostalgischer Verklärung nichts anfangen. Ich bin froh, dass sie Geschichte ist. Wie viele andere bin ich jedoch nicht glücklich damit, wie diese Geschichte von Westlern erzählt wird.)
In Beiträgen, in denen versucht wird, den Osten zu verstehen, wird oft davon gesprochen, dass die Ossis durch zwei Diktaturen geprägt wurden. Das ärgert mich immer wieder, weil es zwar faktisch richtig ist, dass Ostdeutsche in zwei Diktaturen gelebt haben, aber damit suggeriert wird, dass diese Diktaturen irgendwie von der gleichen Art sind. Meist wird das nicht explizit gesagt, aber hier in einem Leserbrief von Barbara Hartz aus Bremen zu einem Interview von Anne Fromm mit Anne Rabe und Katja Heuer findet man den Vergleich ziemlich offen:
Zur Meinung Katja Hoyers fällt mir meine politische Sozialisation in der Realschule ein: Unsere Lehrer machten uns durchgehend deutlich, dass all die gelobten Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierungszeit wie der viel gelobte Autobahnbau, die Kraft-durch-Freude-Ferien, die Gemeinschaftserlebnisse der Jugend und vieles mehr nicht gegen die generalstabsmäßig geplante und gnadenlos organisierte Ausrottung von Menschen und gegen die propagierte Menschenverachtung aufzurechnen sind.
Die Lehrer machten klar, dass diese Verbrechen so schlimm sind, dass sie durch nichts Gutes zu relativieren oder auszugleichen sind.
Wie fällt die Beurteilung der DDR aus, wenn man mit diesem moralischen Maßstab auf ihre Zeit blickt?
Ich bin in der DDR aufgewachsen und dazu erzogen worden, mit diesen Maßstäben auf die Welt zu sehen. Ich möchte dazu einige der Verbrechen auflisten, die in der Nazi-Zeit begangen worden sind. Nichts davon hat es in der DDR gegeben.
Nazi-Deutschland hat einen Weltkrieg begonnen, in dem 60 bis 65 Millionen Menschen gestorben sind. (Wikipedia: Tote des zweiten Weltkriegs)
Nazi-Deutschland hat systematisch und geplant und beschlossen 6 Millionen Juden ermordet.
Nazi-Deutschland hat 7 Millionen sowjetische Zivilisten ermordet.
Nazi-Deutschland hat 3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene ermordet.
Nazi-Deutschland hat 1,8 Millionen polnische Zivilisten ermordet.
Nazi-Deutschland hat 312.000 serbische Zivilisten ermordet.
Nazi-Deutschland hat 250.000 Behinderte ermordet.
Nazi-Deutschland hat 250.000 Sinti und Roma ermordet.
Nazi-Deutschland hat 1.900 Zeugen Jehovas ermordet, weil diese den Kriegsdienst verweigert haben.
Nazi-Deutschland hat 70.000 so genannte „Berufsverbrecher“ und „Asoziale“ ermordet.
Der entsprechende Teil des deutschen Volkes hat für sich Ariernachweise erstellt, um zu zeigen, dass sie irgend etwas Besseres waren, als Menschen anderer „Rassen“.
Nazi-Deutschland hat Euthanasie-Programme (Aktion T4) durchgeführt und psychisch Kranke und Behinderte ermordet oder verhungern lassen. Es wurde von „unwertem Leben“ gesprochen.
Krematorium im KZ Buchenwald mit kleiner Wolke darüber. Links standen die Baracken. Sie wurden nach der Befreiung des Lagers wegen Seuchengefahr abgerissen. Buchenwald bei Weimar, 13.08.2024
Hier kann man die Zahlen der Ermordeten noch einmal in einer Grafik sehen:
In der Aktion T4 wurden Psychiatrie-Patienten systematisch umgebracht. Nach deren Ende, das eventuell damit zusammenhing, dass die Mörder in den neu eingerichteten Vernichtungslagern für die Ermordung der Juden und sowjetischen Bürger*innen und Kriegsgefangenen benötigt wurden, gab es den Hungerkost-Erlaß.
Der Hungerkost-Erlaß des Bayerischen Staatsministers des Inneren vom 30. November 1942 schloss an die Einstellung der Aktion T4 an. Die Kost psychiatrischer Patienten, die insbesondere nicht mehr arbeitsfähig waren, wurde infolgedessen so weit reduziert, dass nach drei Monaten mit ihrem Tod zu rechnen war. Der Erlass führte zum Tod vieler tausender Psychiatrie-Patienten in Bayern.
Unterzeichnet wurde der Erlass von Walter Schultze, der von 1933 bis 1945 als Ministerialdirektor die Abteilung Gesundheitswesen im Bayerischen Innenministerium leitete. Schultze war außerdem von 1935 bis 1944 als „Reichsdozentenführer“ Leiter des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes (NSDDB).
Nach heutigem Kenntnisstand[2] ist der von Schultze unterzeichnete Erlass gleichzeitig „eine Art nachträglicher Rechtfertigung für Handlungsweisen […], die schon längst praktiziert wurden“ und die „Anordnung von neuen und brutaleren Maßnahmen, die aber in dem Erlaß selbst nicht angesprochen sind, im Grunde also […] ein Dokument der Tarnung und Verschleierung.“[3] Der Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren, Valentin Faltlhauser, hatte bereits 1941 die Einschränkung der Kost der nichtarbeitsfähigen Patienten angeordnet. Seit August 1942 ließ Faltlhauser arbeitsunfähigen Patienten eine völlig fettlose „Sonderkost“ verabreichen, die Kranken starben innerhalb von drei Monaten an Hungerödemen. Faltlhauser referierte über seine Erfahrungen bei einer Konferenz der Anstaltsdirektoren mit Schultze am 17. November 1942, auf die im „Hungererlass“ Bezug genommen wird.
Alles bis hierher Geschilderte zeugt von einer unglaublichen Brutalität und Unmenschlichkeit des NS-Regimes. Man möge den Eintrag zur Aktion T4 lesen. Daraus geht hervor, dass ein einziger Richter sich den mit der Ermordung verbundenen Anordnungen widersetzte. 90 höchstrangige Richter wurden dann in die Aktion eingeweiht, waren also mitschuldig.
Nichts, nichts davon gab es in der DDR. Die DDR hat keinen Krieg begonnen. Die NVA war als Verteidigungsarmee konzipiert, deren Aufgabe es war, potentielle Angriffe aus dem Westen für 24 Stunden aufzuhalten. Die DDR war komplett durchmilitarisiert (Sport, Wehrkundeunterricht, Gesellschaft für Sport und Technik) aber das lief alles unter „Der Friede muss bewaffnet sein“. Krieg stand nicht auf dem Programm, was in der Nazi-Zeit definitiv anders war. Die Kommunisten hatten vor den letzten Wahlen gewarnt: „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg.“ Die Erziehung in der DDR war antifaschistisch, die Verbrechen der Nazis inklusive Holocaust wurden im Schulunterricht und an vielen anderen Stellen thematisiert, obwohl das von Menschen wie Anetta Kahane und Ines Geipel geleugnet wird (siehe Blog-Beitrag Der Ossi und der Holocaust). Die Völkerfreundschaft wurde offiziell befürwortet, was natürlich mit dem Befreiungskampf der entsprechenden Völker verknüpft wurde, aber es gab von staatlicher Seite keinen über Rassenkonzepte motivierten Rassismus (für Belege aus der Bummi-Zeitung, der Für Dich, der NBI und der Wochenpost zur internationalen Solidarität und zur medizinischen Versorgung von Menschen aus Afrika in der DDR siehe „Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern“: Kommentare zu einem Aufsatz von Patrice G. Poutrus, Jan C. Behrends und Dennis Kuck). Zum Umgang mit Behinderten habe ich in Mein Gott, Walther! Die DDR als prä-faschistischer, post-faschistischer und faschistischer Staat und überhaupt. geschrieben. Ich bin in Buch aufgewachsen, dort gab es ab 1976 staatlich geplante barrierefreie Wohnungen für Menschen mit Rollstühlen.
Es gab Menschen, die Opfer des DDR-Regimes geworden sind. Dazu gehören ganz offensichtlich die Mauertoten, aber auch Systemgegner*innen, die nach fragwürdigen Prozessen hingerichtet wurden oder irgendwo in Gefängnissen verschwanden und nie wieder gesehen wurden. Zur Zahl der Toten gibt es nur Schätzungen. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags geht von einigen Hundert bis zu 4.000 aus (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages 2021). An der Mauer sind wohl weniger als 327 Menschen gestorben. Es gab 52 bis 72 Todesurteile für politisch Verfolgte. Ohne verlässliche Zahlen wird von bis zu 50 politisch motivierten Morden oder Mordversuchen durch das MfS (ohne Thüringen) ausgegangen. Die Todesursache für in der Haft Gestorbene lässt sich im Nachhinein nicht mehr rekonstruieren. Man geht von einigen Hundert bis 2.500 aus. Nimmt man jetzt die Obergrenze der Schätzung, also den für die DDR am ungünstigsten Fall von 4.000 Opfern des DDR-Regimes an, so sieht man, dass das in absolut anderen Größenordnungen liegt als die Verbrechen der Nazis. Wenn in den 40 Jahren der DDR 4.000 Menschen umgekommen sind, dann sind das 100 pro Jahr. Das ist eine große Zahl, ohne Zweifel, aber in der Schlucht von Babyn Jar hat die SS und die Wehrmacht in 36 Stunden 33.000 Juden (Frauen, Kinder und Männer) erschossen.
Hoyers Arbeit
Ich habe das Buch von Hoyer noch nicht ganz gelesen. Bisher nur das Kapitel über die Mauer und das folgende Kapitel über Urlaubsplätze. Hoyer schreibt an keiner Stelle, dass die Mauer eine dufte Sache war. Sie erklärt, warum sie gebaut wurde und beschreibt ausführlich tragische Todesfälle. Hoyer erklärt im Kapitel Hart arbeiten und das Leben genießen, das dem Mauerkapitel folgt, warum der Ausbau des Urlaubssystems notwendig war: Ab 1961, als die Mauer stand, konnte Ulbricht bzw. die Staatsführung Missstände nicht mehr auf Konterrevolutionäre schieben und musste selbst dafür sorgen, dass sich das Volk wohlfühlte. Das herauszuarbeiten ist notwendig, wenn man eine Geschichte der DDR haben will und wenn man die DDR und das Handeln ihrer Bewohner*innen in der Gegenwart verstehen will. Auch im Interview mit der taz gibt es nichts, was man Katja Heuer als Ostalgie oder Verklärung von Tatsachen vorwerfen könnte.
Die DDR war der Staat mit dem größten Spitzelnetz, mit der größten Dichte an Geheimdienstmitarbeiter*innen pro Einwohner, weltweit (Wikipedia-Artikel MfS: ein hauptamtlicher Mitarbeiter pro 180 Einwohner*innen). Die DDR hat sich mit einer Mauer Richtung Westen abgegrenzt und ihr dahinter eingesperrtes Volk bespitzelt und unterdrückt. Das gehört zur Geschichte der DDR. Es gehört aber auch dazu, dass der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund Urlaubsplätze verteilt hat. Über die von Frau Hartz angesprochenen Fakten (Autobahnbau, Kraft-druch-Freude, Volkswagen, usw.) wird auch jede Geschichte des Nationalsozialismus berichten und wird diese historisch einordnen.
Wer war Hitler? Relativierungen
Auf die Frage: „Wer war Hitler?“ gibt es drei mögliche Antworten. Die erste kann man hier in diesem Beitrag des Hessischen Rundfunks aus dem Jahr 1959 bestaunen.
Drei Antwort-Arten sind:
Hitler hat die Autobahnen gebaut und viele Menschen in Arbeit gebracht.
Hitler hat systematisch Millionen Menschen ermorden lassen, einen Krieg geführt, bei dem noch mehr umgekommen sind, aber er hat auch Autobahnen gebaut.
Hitler hat systematisch Millionen Menschen ermorden lassen, einen Krieg geführt, bei dem noch mehr umgekommen sind, und er hat Autobahnen gebaut.
Den Fall 1) kann man im Video sehen. Unakzeptabel. 2) Ist die Relativierung. Ebenfalls unakzeptabel. 3) mit und statt aber ist die Feststellung einer historischen Tatsache, die natürlich in einem Text entsprechend eingeordnet werden muss. Nach dem Muster 3) arbeitet Hoyer und das ist auch wissenschaftlich korrekt.
Schlussfolgerung
Nazi-Deutschland und die DDR sind unvergleichbar. Die Größenordnungen der begangenen Verbrechen ist um den Faktor 20.000 (80.000.000 zu 4.000) oder 133.000 (80 Mio zu 600) verschieden. In Nazi-Deutschland gab es eine größere Beteiligung der Bevölkerung schon allein durch die Kriegsbeteiligung aber auch durch die Konzentrationslager, den Umgang mit Zwangsarbeitern, Deportationen von Juden, die Euthanasie-Verbrechen.
Man sollte also Nazi-Deutschland und die DDR nicht in einen Topf werfen. Wer es tut, hat entweder keine Ahnung vom Umfang der Verbrechen in der DDR oder relativiert die Nazi-Verbrechen, die in den 1000 Jahren davor begangen wurden.
Vor einiger Zeit sind die Sächsischen Separatisten aufgeflogen. Eine Gruppe Rechtsextremer, die mit Waffen für den Tag X trainiert haben, wurde festgenommen. Einige von ihnen AfD-Funktionäre. Heute schreibt die taz zu dieser Gruppe:
Zu den Festgenommen gehören auch die Brüder Jörg und Jörn S. aus Brandis, deren Vater in den 1980er Jahren bereits in der militanten Neonazi-Szene in Österreich aktiv war. Jörg S. gilt der Bundesanwaltschaft als Anführer der Gruppe.
Das heißt, das wieder eine Gruppe von in den Osten gekommenen West-Nazis geleitet wird. Ich bitte, das zu berücksichtigen, wenn über „die Ossis“ berichtet wird und versucht wird, die Existenz von Nazis im Osten irgendwie auf Eigenschaften von Ossis zurückzuführen.
Übrigens hat Peter Kurth, früher Berliner CDU-Senator, den Terroristen den Kauf eines Hauses finanziert. Ost-Nazis verfügen normalerweise nicht über ausreichend Mittel zum Kauf von Häusern.
Johannes Geck, Doktorand am Institut für Zeitgeschichte München–Berlin, schreibt in einem Meinungsbeitrag in der taz, dass das rechtsextreme Institut für Staatspolitik ernster genommen werden sollte. Dem ist unbedingt zuzustimmen. Es gibt nur eine Kleinigkeit in seinem Beitrag, die mich extrem stört. Eigentlich sind es zwei Kleinigkeiten. Oder eine, die zweimal vorkommt.
Das Institut war eine rechtsextreme Denkfabrik, die rechtsextremen Politiker*innen der AfD zuarbeitete. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Landesverfassungsschutz Sachsen-Anhalt stuften die Gruppierung als „gesichert rechtsextrem“ und als verfassungsfeindlich ein. Es wurde 2024 aufgelöst, wohl um einem Verbot zuvorzukommen.
Geck schreibt:
In der deutschen Berichterstattung über das Umfeld des neurechten Verlegers Götz Kubitschek entsteht bisweilen der Eindruck, es handle sich um einen Kreis verwirrter Hochstapler. Zuletzt sprach etwa die Spiegel-Redakteurin Ann-Kathrin Müller schmunzelnd von „ganz viel pseudointellektuellem Gerede“, das aus dem sachsen-anhaltinischen Schnellroda zu vernehmen sei. Eine solche Verharmlosung des inzwischen formal aufgelösten Instituts für Staatspolitik verkennt jedoch dessen Bedeutung für die radikale Rechte und führt zu einer gefährlichen Unterschätzung der organisierten Gegner der liberalen Demokratie. Neben Maximilian Krah und Alice Weidel sind die Protagonisten der Wahlerfolge im Osten, Björn Höcke, Jörg Urban und Hans-Christoph Berndt, gern gesehene Gäste in der ostdeutschen „Denkfabrik“.
Johannes Geck verwendet die Wortgruppe ostdeutsche „Denkfabrik“ noch ein weiteres Mal in seinem Artikel. Es scheint ihm also wichtig zu sein, einen Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Ostdeutschland herzustellen. Das Fachwort dafür ist Framing und die Hebbsche Lernregel erklärt, was im Gehirn passiert: „What fires together wires together.“. Wenn Konzepte immer wieder in Beziehung zueinander gesetzt werden, reicht es irgendwann, eins der Konzept zu erwähnen. Im konkreten Fall wäre dann Ostdeutschland in den Gehirnen der Medienkonsument*innen untrennbar mit Rechtsextremismus verknüpft.
„Brandenburg zeigt Haltung“ Demoteilnehmerin bei „Wir sind die Brandmauer“ Kundgebung gegen den Faschismus, Berlin, 03.02.2024
Im gesamtdeutschen Diskurs ist es bequem, das Gruselige auszulagern und zu externalisieren. Die Nazis sind ostdeutsch. Sie sind alle so geworden, weil sie zu heiß gebadet wurden (Rabe)/nebeneinander auf dem Töpfchen sitzen mussten (Pfeifer, siehe Decker, 1999)/unter den Kommunisten gelitten haben (der ganze Rest, siehe Zeitung, Fernsehen, irgendwas). Leider ist das zu kurz geschossen, denn Nazis bzw. Nazi-Wähler*innen gibt es auch in Westdeutschland (und in Frankreich, Italien, Österreich und in den USA, wo ja nun kaum die Kommunisten Schuld gewesen sein konnten). Die Gründe für entsprechendes Wahlverhalten sind oft ähnlich und solange das nicht erkannt wird, rutschen wir weiter in Richtung Faschismus.
Westdeutsche Denkfabrik und westdeutsche Nazis
Hier noch kurz die Erklärung, warum mich die Phrase ostdeutsche „Denkfabrik“ ärgert. Das Institut für Staatspolitik wurde im Mai 2000 von Götz Kubitschek, Karlheinz Weißmann und dem Rechtsanwalt Stefan Hanz gegründet. Das Institut hatte seinen Sitz am Anfang in Bad Vilbel (Hessen) und ist erst 2003 nach Schnellroda in Sachsen-Anhalt umgezogen. Die Gründer kommen aus Ravensburg (Baden-Württemberg) und Northeim (Niedersachsen). Die Herkunft von Stefan Hanz ist mir nicht bekannt, ich vermute aber, dass er ebenfalls aus dem Westen kommt. Das Staatspolitik-Institut ist also eine westdeutsche Denkfabrik, die seit 2003 im Osten angesiedelt ist.
Auch die aufgezählten Politiker*innen sind fast zur Hälfte aus dem Westen: Höcke und Weidel sind beide aus NRW.
Lilane Eierdiebe und ultimative Attributionsfehler
In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.
Wenn über einen Eierdiebstahl berichtet wird, ist die Hautfarbe der Täter*in normalerweise irrelevant und soll nicht genannt werden. Der Grund dafür ist genau das, was ich oben ausgeführt habe: Wenn ständig von lilanen Eierdieben gesprochen wird, verfestigt sich das Bild, dass alle Menschen mit lilaner Hautfarbe Eierdiebe wären oder zum Eiderdiebstahl neigen. Es kommt dann zum ultimativen Attributionsfehler:
Erklärt man sich das Verhalten eines Menschen damit, dass er Mitglied einer sozialen Gruppe ist, spricht man seit Pettigrew (1979) vom „ultimativen Attributionsfehler“. Oft dient diese dispositionale Ursachenzuschreibung der Aufrechterhaltung von Vorurteilen („Er handelt so, weil er Ausländer ist“).
Folgt man diesen Grundsätzen (Ossis sind eine Minderheit, da es fünf mal mehr Wessis als Ossis gibt, und sie haben in der Presse keine Stimme) und bedenkt, worum es in diesem Meinungsbeitrag geht, wird klar, dass das Wort ostdeutsch in Gecks Aufsatz Fehl am Platze war. Die Lage des Instituts war für die Aussage, des Artikels irrelevant. Der Effekt des Wortes ist das Framing von Rechtsextremismus als spezifisch ostdeutsch. Ob das die Absicht Gecks war, weiß ich nicht, aber wenn einem Doktoranden in Neuerer und Neuester Geschichte das aus Versehen passieren würde, würde das auch nicht für ihn sprechen.
Axel Grafmanns und Miriam Tödter von „Wir packen’s an Nothilfe für Geflüchtete“ aus Berlin-Brandenburg sprechen auf der Veranstaltung „Wir sind die Brandmauer“ gegen Faschismus, die 1630 Organisationen miteinander organisiert haben. Reichstag, Berlin, 03.02.2024
Schlussfolgerung
Hört bitte auf damit, Rechtsextremismus als ostdeutsches Problem zu framen. Es ist unser aller Problem. Guckt nach unten auf Eure Füße, sie stehen schon jetzt im braunen Matsch.
Ich habe vor Kurzem das Buch Nackt unter Wölfen von Bruno Apitz erneut gelesen. Darin gibt es die folgende Passage:
Auszug aus Nackt unter Wölfen. Ein Gespräch zwischen zwei SS-Männern über ihr Abtauchen nach dem Krieg.
Ein SS-Mann legt einem zweiten nahe, dass er sich schon auf eine möglichst unauffällige Existenz nach dem Krieg vorbereiten sollte. Das hat mich an meine Recherche zum SS-Personal des KZ Lichtenburg erinnert und ich habe beschlossen, auch für Buchenwald mal nachzusehen, was aus dem Personal geworden ist.
Die Struktur und die Namen der SS-Verwaltung des KZs Buchenwald habe ich von der Wikipedia-Seite Personal im KZ Buchenwald übernommen. Die Daten zum Verbleib der SS-Männer nach 1945 sind aus den einzelnen Einträgen der Personen.
Abteilung I: Kommandantur
Lagerkommandant
Karl Otto Koch, Juli 1937 bis Dezember 1941, im April 1945 in Buchenwald von der SS hingerichtet
Hermann Pister, Januar 1942 bis April 1945, zum Tode verurteilt und im Gefängnis an Herzinfrakt gestorben
Adjutanten
Hartwig Block, 1937, unbekannt
Johannes Wellershaus, 1937, unbekannt
Hans Hüttig, 1938 bis 1939, 1954 in Metz durch ein französisches Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt, lebte bis 1980 in Wachenheim an der Weinstraße, Rheinland-Pfalz
Hermann Hackmann, 1939 bis 1940, vor 1945 mehrfach zum Tode verurteilt, wegen Buchenwald zum Tode verurteilt, 1948 begnadigt in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt, 1955 entlassen, gestorben 1994 in Uslar
Heinz Büngeler, 1941 bis 1942, 1943 in SS-Panzergrenadier-Division „Totenkopf“ in der Sovjetunion gefallen
Abteilung II: Politische Abteilung (Lager-Gestapo)
Wilhelm Frerichs, 1937 bis 1941, verbleib unbekannt, zuletzt im Sommer 1947 im Speziallager Nr. 2 Buchenwald lebend gesehen
Walter Serno, 1941 bis 1945, gestorben 1961 in Bremen
Abteilung III: Schutzhaftlagerführung
Arthur Rödl, 1937 bis 1940, Suizid im April 1945 mit Handgranate
Hermann Florstedt, 1940 bis 1942, Verbleib unklar, angeblich von SS hingerichtet, aber auch bei Schwägerin in Halle gesehen und dann untergetaucht, angeblich 1962 bei Kriminalpolizei in Mainz gearbeitet. Ermittlungen ergebnislos. Oberstaatsanwalt in Ludwigsburg sah Tod 1975 nicht als erwiesen an.
Max Schobert, 1940 bis 1942, 1942 bis 1945, 1948 nach Buchenwaldprozess hingerichtet
Jakob Weiseborn, 1937 bis 1938, 1939 Suizid wegen Unterschlagungen im KZ Buchenwald
SS-Sturmbannführer Hans Hüttig, 1938 bis 1939, 1954 in Metz durch ein französisches Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. 1956 entlassen, gestorben 1980 in Wachenheim, Rheinland-Pfalz.
SS-Obersturmführer Erich Gust, 1942 bis 1944, Gust betrieb ab 1966 das Lokal „Heimathof“ in Melle, Niedersachsen. Dort speisten bekannte Bonner Politiker (z.B. Kai-Uwe von Hassel und Willy Brandt). Die Stasi wusste, wo Gust sich aufhielt und wollte die Politikerkontakte ausnutzen. Die westdeutsche Justiz hat ihn nie gefunden. Gust ist 1992 in Melle gestorben.
Hans Merbach, 1945, wegen Verbrechen bei Evakuierung von Buchenwald zum Tode verurteilt und 1949 hingerichtet
Abteilung III/E: Arbeitseinsatz
Philipp Grimm, 1940 bis 1942, Im Buchenwald-Prozess zum Tod verurteilt, in lebenslänglich umgewandelt, 1954 entlassen, 1984 in Bayreuth, Bayern, gestorben.
SS-Hauptsturmführer Albert Schwartz, 1942 bis 1945, Im Buchenwald-Prozess zum Tod verurteilt, zu lebenslänglich umgewandelt, 1954 entlassen, in leitender Position in der Industrie tätig,1984 in Ahrensbök, Schleswig-Holstein, gestorben.
Abteilung IV: Verwaltung (SS-Standortverwaltung)
Christian Mohr, 1937
Karl Weichseldorfer, 1937 bis 1942
SS-Sturmbannführer Otto Barnewald, 1942 bis 1945, Im Buchenwald-Prozess zum Tod verurteilt, 1948 in lebenslänglich umgewandelt, 1954 entlassen, 1973 in Rheinhausen, NRW, gestorben.
Abteilung V: Sanitätswesen (Standortarzt)
Standortarzt
SS-Obersturmbannführer Werner Kirchert, 1937 bis 1938, Inhaftiert in Eichstätt, 1953 in München zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, Geschäftsführer bei der O.W.G‑Chemie in Kiel. Gestorben 1987 in Eitorf, NRW, Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Würzburg 1995 nach dem Tod Kircherts eingestellt
Hans Schlosser, 1939
Gustav Busse, 1939 bis 1941
SS-Hauptsturmführer Waldemar Hoven, 1942 bis 1943, 1945 von SS-Richter wegen Mord zum Tod verurteilt im April 1945 aber wegen Ärztemangels entlassen. 1947 im Nünberger Ärzteprozess zum Tode verurteilt und 1948 hingerichtet.
SS-Hauptsturmführer Gerhard Schiedlausky, 1943 bis 1945, 1947 zum Tod verurteilt und gehängt.
Weitere
Lagerärzte
SS-Hauptsturmführer Heinrich Plaza, nach 1945 Arzt in Altötting, Bayern, Leiter der Pathologie in Buchenwald und beteiligt am Massenmord, wegen Multipler Sklerose Ermittlungsverfahren 1952 von der Staatsanwaltschaft Traunstein eingestellt, 1954 in Frankreich in Abwesenheit zum Tod verurteilt, 1968 in Altötting gestorben.
Erwin Ding-Schuler, Menschenversuche, 1945 Suizid in amerikanischer Haft
Erich Wagner, 1948 aus Haft entflohen, lebte unter Pseudonym sechs Jahre in Bayern, ab 1957 arbeitete er in der Praxis seiner Frau, 1958 Festnahme und Anklage, 1959 Suizid.
SS-Hauptsturmführer Hans Eisele, 1943 im Dachau-Prozess zum Tod verurteilt, Umwandlung zu lebenslänglich, 1947 erneut Todesurteil im Buchenwald-Prozess, nach Überprüfung in zehn Jahre Haft umgewandelt, 1952 entlassen. Kassenarzt in München mit Existenzaufbauhilfe. 1958 andere Anschuldigungen und Flucht nach Ägypten. Wikipedia schreibt: „Unter dem ägyptischen Staatspräsidenten Gamal Abdel Nasser waren seit Mitte der fünfziger Jahre deutsche und österreichische, zum großen Teil ehemals nationalsozialistische Wissenschaftler ins Land gekommen, die in militärischen Forschungseinrichtungen an der Konstruktion von Kampfflugzeugen und Mittelstreckenraketen beteiligt waren, die Nasser für den Ausbau der ägyptischen Vorrangstellung im Nahen Osten und speziell für den Kampf gegen Israel benötigte. In diesen Kreisen tauchte auch Eisele unter, nachdem ein deutsches Auslieferungsgesuch abgelehnt worden war.“ Anschlag des Mossad schug fehl. 1967 in Ägypten gestorben.
SS-Untersturmführer Werner Greunuss, zu lebenslänglicher Haft verurteilt, auf 20 Jahre reduziert, 1949 geflohen, Verbleib unklar.
Carl Eisen,
Ludwig Ehrsam,
Herbert Gräff,
Heinz Gudacker,
Aribert Heim, 1945 verhaftet, 1947 im Zuge einer Weihnachtsamnestie entlassen, Entnazifizierung, Haftbefehle, 1962 Flucht nach Ägypten, 1992 in Kairo gestorben. Der Wikipedia-Eintrag ist wild, unbedingt dort lesen.
Peter Hofer,
Konrad Köbrich,
Richard Krieger,
Viktor Lewe,
SS-Hauptsturmführer Karl-Werner Maaßen „Nach Kriegsende betrieb er eine Arztpraxis in Kiel.“
Walter Pongs, ab 1945 betrieb er eine Zahnarztpraxis in Wiesbaden, Hessen.
Paul Reutter
SS-Sanitätsdienstgrade
SS-Untersturmführer Friedrich Karl Wilhelm, 1947 im Buchenwald-Prozess verurteilt, 1948 hingerichtet.
Wachkompanie KZ Buchenwald
Paul Kröger
Arnold Büscher
Otto Förschner, 1942 bis 1943, 1945 im Dachauer Prozess zum Tod verurteilt und 1946 gehängt
SS-Obersturmführer Guido Reimer, 1943 bis 1944, 1947 zum Tod verurteilt, zu lebenslänglicher Haft begnadigt, 1952 entlassen, Verbleib unbekannt
Offizier der Wehrmacht ab 1944
Zusammenfassung
Wie auch beim Personal von Lichtenburg gab es unter den Buchenwald-Nazis keinen einzigen, der in den Osten gegangen ist. Die SS-Männer sind alle hingerichtet worden, nach Ägypten geflohen oder nach Begnadigung (im Westen) und Entlassung im Westen geblieben. Es gibt einige, die geflohen sind und andere, bei denen der Verbleib unklar ist. Aber es steht zu vermuten, dass keiner von ihnen an die schöne Oder gezogen ist. Die Buchenwald-SS war auch an der systematischen Ermordung von Sowjet-Bürgern beteiligt und so ist es nicht verwunderlich, dass sie nicht in die SBZ bzw. die DDR zurück wollten.
Das sollte man bedenken, wenn man diese Behauptungen hört, dass es in der DDR auch Nazis gegeben habe. Ja, hat es, immerhin gingen die Mitgliedsnummern der NSDAP bis 10 Millionen. Aber die Frage ist natürlich, was für Nazis, in welchen Organisationen sie wie mitgearbeitet haben, welche Dienstgrade sie hatten, wenn es militärische Organisationen waren, und was aus ihnen dann später in der DDR im Vergleich zur BRD geworden ist.
Und eine HIAG gab es in der DDR nicht.
Nachtrag
03.11.2024: Mithilfe von Leide (2011) habe ich einen KZ-Arzt gefunden, der in den Osten gegangen ist: Horst Fischer
Als KZ-Arzt im KZ Auschwitz III Monowitz und Stellvertretender Lagerarzt im gesamten Konzentrationslager Auschwitz war er von 1942 bis 1945 an Morden von Gefangenen in tausendfacher Zahl beteiligt.
Er hat bis 1964 unentdeckt als Landarzt in Brandenburg praktiziert.
Quellen
Leide, Henry. 2011. NS-Verbrecher und Staatssicherheit: Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR (Analysen Und Dokumente: Wissenschaftliche Reihe Der Bundesbeauftragten Für Die Unterlagen Des Staatssicherheitsdienstes Der Ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) 28). 2nd edn. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Ein Mastodon-User hat mich um meine Meinung zu einem Post von Marius Sixtus gebeten.
Post von Marius Sixtus zu einer Entgleisung eines Mitglieds der Ost-CDU imLandtag von Sachsen-Anhalt. 25.10.2024
Im Post schreibt Sixstus:
Die Ost-CDU ist eine Blockpartei, die für Mauer und Schießbefehl der DDR historisch mitverantwortlich ist. Es gab keine Aufarbeitung, keinen personellen Bruch, und es gab nie eine Entschuldigung. Das nur, falls sich jemand fragt, woher diese moralische Verrohtheit rührt.
Ich habe darauf in zwei Tröts geantwortet. Hier kommt alles noch einmal etwas sortierter und verlinkt.
Alexander Räuscher war zur Wende 19, ist also wohl eher kein Gewächs einer Blockpartei. Die Blockparteien hatten im Osten nur eine Alibifunktion. Niemand hat die ernstgenommen. Wenn man irgendwie behauptet, dass die CDU mitschuldig am Schießbefehl sei, dann muss man merkwürdige Vorstellungen davon haben, was die Volkskammer war und was für Entscheidungsmacht, die Delegierten dort hatten. Hier die Zusammenfassung aus Wikipedia:
Nach dem Verständnis der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED war die Volkskammer kein Parlament im bürgerlichen Sinne einer repräsentativen Demokratie, sondern sollte eine Volksvertretung neuen Typs darstellen. Sie sollte den postulierten Ansprüchen nach die im bürgerlichen Parlamentarismus nicht gegebene Einheit zwischen politischer Führung und Bevölkerung herstellen und Parteienegoismus, Parteinahme für das Kapital, persönliche Bereicherungssucht und Selbstblockade durch Gewaltenteilung ausschließen.
Die Volkskammer war also ein Winke-Winke-Gremium. Nicht im Sinne der Teletubbies, sondern im Sinne des Durchwinkens von Beschlüssen. Die einzige Ausnahme war die Änderung des Gesetzes zur Abtreibung im Jahre 1972. Und da spielte sogar die CDU eine Rolle:
Die einzige Abstimmung der Volkskammer, in der Konflikte öffentlich bekannt wurden, war im März 1972 die Abstimmung über das Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft zur Einführung der Fristenlösung bei Schwangerschaftsabbrüchen, bei der 14 Abgeordnete der CDU nach Absprache mit ihrer Parteiführung gegen das Gesetz stimmten. Diese Gegenstimmen und einige Enthaltungen blieben jedoch ohne Wirkung auf den Gesetzgebungsprozess zur Fristenlösung, erhöhten auf der anderen Seite aber die Legitimation der Volkskammer, da in diesem Fall in der Öffentlichkeit der Eindruck eines echten, streitenden Gremiums entstand.
Faktisch war die Volkskammer weitgehend ohne Einfluss auf das politische Geschehen, denn der seit 1968 in der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik auch offiziell verankerte Führungsanspruch der SED verhinderte von Beginn an eine echte politische Einflussnahme des Parlaments.
Was ich bisher selbst nicht wusste (Es war ja letztendlich auch egal.), war dass die SED als Block nicht die absolute Mehrheit hatte. Diese wurde aber durch SED-Mitglieder in anderen Blöcken gesichert, denn die Massenorganisationen waren ebenfalls als solche in der Volkskammer vertreten. Das waren die Urlaubsorganisierorganisation Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB), der Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DFD), die Freie Deutsche Jugend (FDJ), und der Kulturbund. Wenn also Sixtus’ Behauptung, die CDU sei an der Mauer und am Schießbefehl mitschuldig, irgendeine argumentative Kraft haben würde, müsste man genauso sagen können, dass der FDGB, der Frauenbund und der Kulturbund an Mauer und am Schießbefehl mitschuldig gewesen seien. Letztendlich waren sie systemtragend und erhaltend, insofern ist da ein Quäntchen Wahrheit dran, aber es gibt in diesem kurzen Post von Sixtus auch noch ein ganz anderes Problem. Es gab nämlich in der DDR keinen Schießbefehl, der irgendwie von der Volkskammer beschlossen worden wäre. Der Umgang mit der Schusswaffe war ab 1982 gesetzlich geregelt. Interessanterweise war das Gesetz aber genauso formuliert, wie das West-Gegenstück:
Im Wortlaut stimmten Vorschriften der DDR, soweit sie den Schusswaffengebrauch an der innerdeutschen Grenze regelten, weitgehend mit den Vorschriften der Bundesrepublik in §§ 10–13 UZwG und §§ 15–17 UZwGBw überein.[30] Die weitgehende Anlehnung in der Formulierung war bewusst gewählt, um die DDR aus der Kritik zu bringen und die weiterhin unverändert geübte rechtswidrige Staatspraxis zu verschleiern.[31]
Das bedeutet also, dass weder die CDU noch der Kulturbund für die Mauertoten verantwortlich gemacht werden können, denn sie haben – Winke-Winke – ein Gesetz verabschiedet, das genau dem West-Gegenstück entsprach. Es gibt Dokumente, die Stasi-interne Anweisungen zum Schießen an der Grenze belegen (Zeit, 13.08.2007) und auch Aussagen von Honecker im Nationalen Verteidigungsrat von 1974 (mdr, 13.08.2023). Nur war der Nationale Verteidigungsrat per Gesetz nur mit SED-Mitgliedern und Angehörigen der bewaffneten Organe besetzt. Die CDU hatte damit also nichts zu tun.
Ein wichtiger Punkt noch: Liebe Wessis, Ihr könnt nicht einerseits behaupten, dass wir in einer Diktatur gelebt haben (Diktatur des Proletariats war die Eigenbezeichnung der SED) und andererseits den Scheinparteien, die da irgendwie mitgespielt haben, irgendeine Verantwortung zuweisen. Also eine Verantwortung, die über das Mitspielen im Allgemeinen hinausgeht. Ich würde als Ossi nie im Leben darauf kommen, von der Ost-CDU eine Aufarbeitung zu verlangen oder eine Entschuldigung. Diese Parteien waren zu DDR-Zeiten einfach absolut bedeutungslos und haben nach der Wende den Anschluss vollzogen.
Sixstus’ Post unterstellt ja irgendwie, dass die Ost-CDUler das Schießen an der Mauer gut gefunden hätten. Das war vermutlich nicht der Fall. Ich kenne nur zwei CDUler persönlich. Einer war mein Chef. Er ist in die Ost-CDU eingetreten, weil die SED ihn immer gefragt hat, ob er Mitglied werden wolle. Nachdem er in die CDU eingetreten war, war er ja in einer anderen Partei und hatte dann seine Ruhe. Ein Bekannter von mir war Christ und wollte den Sozialismus aufbauen. Er war in der CDU, aber ganz sicher gegen Schüsse an der Grenze. Diese Generation wollte noch die Wiedervereinigung.
Die Verantwortlichen und die Täter
Also: Stasi und Nationaler Verteidigungsrat. Die Befehle wurden innerhalb der bewaffneten Organe weitergegeben. Egon Krenz (SED) ist verurteilt worden und einige der Schützen.
Marienetta Jirkosky wurde im Alter von 18 Jahren an der Mauer erschossen. Der Schütze wurde 1995 wegen „Totschlags in einem minder schweren Fall“ zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.
94% der Offiziere der NVA waren in der SED. Verantwortlich für die Mauertoten sind neben der Staatsführung Offiziere der Grenztruppen. CDUler sind wahrscheinlich nicht zu den Grenztruppen gegangen. Zumindest zu meiner Zeit musste man das nicht und wenn man bei der Musterung bei der Erwähnung der Grenztruppen nicht in Begeisterung ausgebrochen ist, kam man da auch nicht hin. Der Staat war Christen gegenüber generell misstrauisch.
Die Ost-CDU
Sixstus sagt, dass es keinen personellen Bruch gegeben habe. Sicher gibt es in der CDU Menschen, die auch vor der Wende in der CDU waren. Ich würde gern mehr darüber erfahren, welche Ansichten sie damals vertreten haben, welche Rolle sie damals gespielt haben und welche Funktionen sie jetzt in der Partei spielen. Reiner Haseloff ist seit 1976 in der Ost-CDU. Aber die Ost-CDU war vor der Wende bedeutungslos. Es dürften nach der Wende viel, viel mehr Engagierte und Karrieristen in die CDU eingetreten sein, als vorher schon dabei waren. Zum Beispiel Angela Merkel (vorher Agitatorin in der FDJ) und Vera Lengsfeld (aus SED ausgeschlossen, Bürgerrechtlerin). Vielleicht gab es lokal Einflüsse von Einzelnen, aber es lässt sich wohl nicht leugnen, dass Angela Merkel die CDU in Ost und West zum Guten beeinflusst hat. Sie hat die CDU in die Mitte manövriert (vor ihr und nach ihr gab es Merz) und weniger rassistisch gemacht.
Auf die Schnelle konnte ich Folgendes herausfinden: Werner Münch (1991–1993), Thomas Webel (2004–2018), Holger Stahlknecht (2018–2020) waren Parteivorsitzende. Die Genannten sind allesamt aus dem Westen (Wikipedia CDU Sachsen-Anhalt#Personen). Joachim Auer (1990–1991) war Fraktionsvorsitzender und aus dem Westen. Das bedeutet insbesondere, dass 1991 sowohl Partei- als auch Fraktionsvorsitz in West-Hand waren. Von Kontinuität kann man wohl kaum sprechen. Die CDU war eine West-Partei geworden.
Gerd Gies (1990–1991 Parteivositzender) war seit 1976 in der CDU und in der Tat systemtreu. Karl-Heinz Daehre war von 1993–1998 Parteivorsitzender. Er ist aus Langenweddingen, aber erst 1990 in die CDU eingetreten. Wolfgang Böhmer ist aus Dürrhennersdorf bei Görlitz. Wikipedia schreibt: „In der DDR engagierte sich Böhmer in evangelischen Kirchenkreisen und wurde 1990 Mitglied der CDU der DDR. Von 1998 bis 2004 war er Landesvorsitzender der CDU Sachsen-Anhalt.“ Das bedeutet, dass Böhmer vorher in der Opposition war. Von 2002 bis 2011 war er außerdem Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt. Heike Brehmer trat 1989 in die CDU ein. André Schröder trat 1996 in die CDU ein. Marco Tullner trat 1996 in die CDU ein. Sven Schulze war zur Wende 10 Jahre alt. Er war mit 19 Gemeinderat. Das war 1998 und wahrscheinlich war er da schon in der CDU.
Christoph Bergner (1991–1993, 1994–2001 Fraktionsvorsitzender) ist seit 1976 Mitglied der Ost-CDU. Auch wie Gies systemtreu? Ungebrochene Kontinuität der Blockflöten? Hat Sixtus Recht? Nö. Denn Bergner war von September 1989 bis Januar 1990 im Neuen Forum in Halle (Saale). Das heißt er war in der Opposition und hat aktiv gegen die DDR-Regierung gekämpft. Jürgen Scharf (1993–1994, 2002–2011 Fraktionsvorsitzender) war seit 1976 in der CDU. Zu seinen Einstellungen während der DDR-Zeit steht nichts in Wikipedia. 2001–2002 war Wolfgang Böhmer Fraktionsvorsitzender, den ich oben schon besprochen habe. Er war Oppositioneller. Reiner Haseloff war 2011 Fraktionsvorsitzender. Er war seit 1976 in der CDU. Über seine Aktivitäten zu DDR-Zeiten steht nichts in Wikipedia. Andre Schröder (2011–2016) kam oben ebenfalls schon mal vor. Er ist erst 1996 in die CDU eingetreten. Siegfried Borgwardt (2016–2022) war ab 1979 in der CDU. Ab 1983 war er Regionalgeschäftsführer und Beisitzer in einem Kreisvorstand. Guido Heuer (seit 2022) ist 2009 in die CDU eingetreten.
Das heißt, dass die Liste der Parteivorsitzenden und der Fraktionsvorsitzenden mit Gies, Bergner, Scharf, Haseloff und Borgwardt fünf Ost-CDUler enthält. Davon war nur Gies erwiesenermaßen systemtreu. Borgwardt hatte eine niedrige Funktion innerhalb der Partei inne. Bergner war in der Opposition und von Haselhoff und Scharf weiß man nicht, was sie gemacht haben, außer Mitglied zu sein. CDU-Mitglied gewesen zu sein, war an sich noch nichts Verwerfliches. Vier Personen sind aus dem Westen, fünf erst nach der Wende eingetreten.
Jetzt da irgendwie eine Kontinuität ableiten zu wollen, ist an den Haaren herbeigezogen. Noch dazu, wo ja das, wozu die Kontinuität bestehen soll (Mitwirkung an Mauer und Schießbefehl), überhaupt nicht existiert.
Ich möchte hier nur noch schnell anmerken, dass ich kein CDU-Fan-Boy bin. Mir kommt es sehr komisch vor, dass ich hier quasi die CDU verteidige. Ich lehne die CDU in all ihren Formen und Varianten ab. 2021 bin ich deshalb gegen den Stefan Müller aus Erlangen angetreten. Leider hat er doch wieder gewonnen, aber wir hatten definitiv mehr Spaß als er.
Stefan Müller plakatiert in Erlangen im Wahlkampf gegen Stefan Müller mit Plakaten, die fordern: „Nie mehr Stefan Müller!“ Er hängt sein Plakat über das von Stefan Müller, Erlangen, 27.08.2021 Bild CC-BY: Marius Beyer, Die PARTEI Erlangen
2011hat Horst Seehofer, damals Bayrischer Ministerpräsident und später dann Bundesinnenminister, davon gesprochen, dass die Regierung sich bis zur letzten Patrone gegen Einwanderung (in die deutschen Sozialsysteme) wehren werde:
Horst Seehofer sollte es besser wissen. Vor vier Jahren handelte sich der CSU-Chef eine Anzeige wegen Volksverhetzung ein. Auch damals ging es um Migranten. „Bis zur letzten Patrone“ werde die Regierung sich gegen eine massenhafte Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme wehren, sagte der Bayer beim politischen Aschermittwoch am 9. März 2011. Auf den Tag genau 66 Jahre, nachdem Hitlers Generäle in Berlin mit genau dieser martialischen Wortwahl befahlen, die Reichshauptstadt „bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone“ zu verteidigen.
Inzwischen ist das Ausbau der Festung Europa weit fortgeschritten und Von der Leyen kuschelt mit der italienischen Postfaschistin Meloni.
Vor dem Hintergrund des Schießbefehls an der Mauer muss man sich die aktuellen Bemerkungen und die aktuelle Politik von CDU-Größen noch mal genau angucken. 1) Im Osten hat nie jemand öffentlich damit geprahlt, dass er Menschen an der Grenze erschießen will. Schon gar nicht CDU-Mitglieder. 2) Und jetzt muss ich Euch leider wehtun: Die Situation an der Grenze zwischen DDR und BRD ist leider mit der an den EU-Außengrenzen vergleichbar. Menschen fliehen, weil sie entweder politisch verfolgt werden oder weil es für sie ökonomisch in ihren Herkunftsländern keine Perspektiven mehr gibt. Das liegt zum Teil auch an der von uns im Norden verursachten Klimakatastrophe. Es handelt sich um so genannte Wirtschaftsflüchtlinge, denn die Klimakatastrophe ist kein anerkannter Fluchtgrund. Wirtschaftsflüchtlinge gab es auch bei DDR-BRD-Fluchten, nur dass es da um Farbfernseher und Videorecorder ging, während die Flüchtlinge aus dem Süden zum Teil aus Regionen kommen, die wegen der Erderhitzung unbewohnbar geworden sind. Beide Menschengruppen riskier(t)en ihr Leben, um in ein anderes Land zu kommen. An der DDR-BRD-Grenze sind von 1961–1989 327 Menschen gestorben, Grenzer eingeschlossen. Im Mittelmeer sind in den letzten zehn Jahren über 30.000 Menschen ertrunken (statista 2024). Das heißt 100 Mal so viele Menschen. Außerdem sterben schon jetzt Menschen bei Versuchen, die Grenzanlagen zu überwinden (23 Tote bei Versuch, Grenzanlagen bei Melilla zu überwinden, tagesschau. 29.06.2022).
Dass „wir“ die Tode von DDR-Flüchtlingen schlimmer finden als die an den europäischen Außengrenzen, ist Rassismus und Nationalismus.
Die DDR konnte ohne die Mauer nicht existieren. Die Menschen verließen einfach das Land. Gut ausgebildete Ärzt*innen und Ingenieur*innen. Auch mit Mauer gab es eine kontinuierliche Abwanderung. Ähnlich, mit anderem Vorzeichen, ist es jetzt an den EU-Grenzen. Menschen versuchen in Länder zu gelangen, in denen sie freier, ökonomisch besser oder einfach auch nur überhaupt leben können. Wenn „wir“ nicht bereit sind, mit ihnen zu teilen, müssen „wir“ sie erschießen.
Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem wir entscheiden müssen: Verrohung oder etwas von unserem Wohlstand bzw. dem unserer Milliardäre abgeben (durch Aufnahme von Flüchtlingen oder Finanzierung des Südens, zum Beispiel Schuldenerlass). Zur Zeit sieht es nach allgemeiner Verrohung aus. AfD, CDU/CSU und BSW arbeiten an der Festung Europa und SPD, FDP und Grüne helfen irgendwie mit. Einzig die sich in Selbstauflösung befindliche Linke hatte andere Vorstellungen und setzte die Seenotretterin Carola Rackete auf Platz 1 der Liste für die EU-Wahlen.
Carola Rackete, Kapitänin der Sea-Watch 3 und Unterstützerin von Extinction Rebellion beim Gespräch von Aktivist*innen der Letzten Generation mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Berlin, Friedrich-Ebert-Stiftung, 12.11.21
Das ist irgendwie interessant, wenn man darüber nachdenkt, wo die Wurzeln der Linken liegen, denn die haben ja das Vermögen der Mauer-Partei übernommen. Deprimierend an der Situation ist noch ein weiterer Punkt: 1961 hat eine Minderheit für den Rest der DDR den Mauerbau beschlossen, die Freiheit eines Volkes eingeschränkt und somit viele Tote auf dem Gewissen. Heute sind es demokratisch legitimierte Regierungen, die für Mehrheiten stehen, die für ein Vielfaches an Toten verantwortlich sind. Wir alle sind dafür verantwortlich und wir können nicht auf die SED oder irgendwen zeigen.
Ultimativer Attributionsfehler
Mario Sixtus unterläuft nicht zum ersten Mal ein Attributionsfehler. Er erklärt das Verhalten einer Person mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe:
Erklärt man sich das Verhalten eines Menschen damit, dass er Mitglied einer sozialen Gruppe ist, spricht man seit Pettigrew (1979) vom „ultimativen Attributionsfehler“. Oft dient diese dispositionale Ursachenzuschreibung der Aufrechterhaltung von Vorurteilen („Er handelt so, weil er Ausländer ist“).
Ich habe nach weiterem Nachdenken noch einen Tröt nachgeschoben: Letztendlich läuft der Beitrag von Sixtus nach dem alten Muster:
Ossi ist komisch.
Eigenschaft von Ossi wird pauschalisiert und mit irgendwas aus der Ost-Biografie zu erklären versucht.
Ich vermute, dass es im Westen fünfmal mehr schreckliche Menschen gibt als im Osten. Die Vermutung ist darauf begründet, dass die Bevölkerungszahl fünfmal so hoch ist.
Man stelle sich vor, ich würde immer, wenn sich einer schräg benimmt, das auf irgendeine Gruppenzugehörigkeit beziehen. In meinem Tröt habe ich Gauland als Beispiel gewählt. Gauland ist Mitgründer und Ehrenvorsitzender einer Nazipartei. Er war vorher in der (West-)CDU. Als CDU-Mitglied arbeitete er im Magistrat von Frankfurt/M. und im Bundesumweltministerium. Er leitete von 1987 bis 1991 die Hessische Staatskanzlei. Ich behaupte jetzt, dass der Gauland so komisch ist, weil er eben aus dieser West-CDU kommt, die alle Nazis sind, weil es im Westen zwar 1968 gab, aber das waren nur so ein paar links-grüne Hippie-Studenten, die Probleme mit ihren autoritären Eltern hatten. Die CDU-Familien sind einfach weiter Nazis geblieben. Wäre das eine gute Argumentation? Nö, irgendwie nicht, oder? Bisschen platt und pauschal, oder? Immerhin faktisch richtig, was Gauland angeht. Aber genauso platt sind die meisten Argumentationen gegen Ostler. Nur dann eben auch noch knapp an den historischen Fakten vorbei.
Das Beispiel, das ein Follower auf Mastodon gefunden hat, ist noch besser geeignet: Der ehemalige Kölner CDU-Bezirkspolitiker Hans-Josef Bähner hat drei Menschen rassistisch beleidigt und dann beschossen. „Das Projektil bohrte sich durch den rechten Oberarm und trat an der Schulter wieder aus.“ (Spiegel, 10.01.2022) Der Rassist und Fast-Mörder wurde zu zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Was nun? Wie wäre es, wenn ich schriebe:
Diese Tat ist das Ergebnis der Erziehung in einer rassistischen kalten Ellenbogengesellschaft, wie wir sie in den vergangenen 75 Jahren in der BRD beobachten konnten.
Oder: Hans-Josef Bähner war wahrscheinlich das Kind einer frustrierten Hausfrau. Er ist ohne Liebe aufgewachsen, weil seine Mutter sich beruflich nicht verwirklichen konnte. Das ist das Ergebnis einer durch und durch sexistischen und patriarchalischen Gesellschaft.
Oder: Hans-Josef Bähner ist ein Rassist, weil dieser Rassismus fest in der BRD verankert ist. Er kommt aus Nazi-Deutschland und wurde von Generation zu Generation weitergegeben.
Oder: Hans-Josef Bähner ist ein Rassist und Fast-Mörder. Um das zu verstehen, muss man sich nur ansehen, wo er herkommt. Er kommt aus Köln. Dort sind alle Rassisten und Nazis, also jedenfalls viele. Die tun immer so fröhlich, aber in Wirklichkeit sind sie alle Nachfolger von Faschisten, Menschen die Rassengesetze und Eugenik gut fanden und sich nie wirklich davon losgesagt haben.
Geht nicht? Warum nicht? Genau das ist es, was seit 35 Jahren mit Ossis gemacht wird. Sie sind angeblich komisch, weil sie gemeinsam auf dem Töpfchen saßen oder weil sie ihre Mutter zu heiß gebadet habe (Anne Rabe). Das wird permanent in allen Medien hoch und runtergetrötet. Und dann wundert sich jemand über das Ergebnis.
Was ist eigentlich passiert?
Aber dieser Ossi, der Alexander Räuscher, ist wirklich komisch. Er postet ein Foto mit Patronenhülsen als Mittel gegen Kopfschmerzen!?!
Christian Franke-Langmach postet diesen Tweet über seine Empfindungen beim Lesen von Tweets von Alexander Räuscher:
Tweet von Christian Franke-Langmach zu seinen Empfindungen beim Lesen von Tweets von Alexander Räuscher. 23.10.2024.
Alexander Räuscher gab ihm folgende Hinweise auf Mittel, die Schmerzen zu beenden.
Tweet von Räuscher, inzwischen gelöscht. Der Tweet war eine Antwort auf Franke-Langmach, der twitterte, dass die Tweets von Räuscher bei ihm Kopfschmerzen auslösen würden.
Patronen! Nein! Also wirklich! Dafür muss es doch eine Erklärung geben!
Räuscher war zur Wende 19. Seit dem sind 35 Jahre vergangen. Das heißt, er hat zwei Drittel seines Lebens in diesem Land verbracht, in dem wir nun alle gemeinsam leben. Vielleicht ist er so, wie er ist, weil dieses Land so ist, wie es ist. Die beste Erklärung für sein Verhalten liefert der Betroffene selbst:
Franke-Langmach sagte der MZ, er fühle sich durch das Patronenfoto zwar nicht bedroht. „Aber ich finde es einfach dumm, so ein Foto zu posten. Er präsentiert sich, wie er ist. Das ist ein Hilferuf nach Aufmerksamkeit, weil ihn niemand ernstnimmt.“
Jemand wollte auf Social Media Aufmerksamkeit. Das ist eine einfache Erklärung, die ganz ohne Schießbefehl auskommt. Knallt halt nicht so schön. Auf Social Media.
West-Block und Ost-Blog
Mein zweiter Post (der Gauland-Vergleich) brachte mir dann die Blockierung ein:
Und so bleibt ein Account mit 31.000 Followern, der ungestört das Verhalten von CDU-Wirrköpfen mit Ereignissen und Traditionen von vor 35 Jahren zu erklären versucht. Ein Mensch, der Jagdschütze ist, wird in Zusammenhang mit dem Schießbefehl an der Mauer gebracht, für den weder er noch irgendwer anders aus seiner Partei irgendwie verantwortlich ist.
Ich kann wenigstens hier im Ost-Blog und auf Mastodon darauf hinweisen. Viele Menschen im Osten haben diese Möglichkeit nicht. Sie sind einfach nur frustriert. Sie haben es einfach so satt. Denn es ist nicht nur Mario Sixtus, der seinen 31.000 followern so etwas eintrötet, Ähnliches findet man auch in vielen westdeutschen Medien. Ostdeutsche Medien mit entsprechender Reichweite gibt es kaum noch.
Das Ergebnis sind dann die Wahlerfolge von AfD und BSW im Osten. Der maximale Stinkefinger. Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo einzelne Bundesländer nicht mehr regierbar sind. Spätestens jetzt sollte man als Linke*r oder als Politiker*in seine Kommunikationsstrategie mal überdenken.
Danksagung
Dieser Post ist wieder mit Mithilfe meiner Mastodon-Freunde entstanden. Besonders die Hinweise auf Horst Seehofer, der bis zur letzten Patrone gegen Migrant*innen kämpfen will, und auf Hans-Josef Bähner, der wirklich auf Menschen mit Migrationshintergrund geschossen hat, waren wichtig. Danke Peer und Echo Zebra.
In den letzten Jahren gibt es mit dem Erstarken der AfD wieder eine größere Debatte zu Nazis in der DDR. Es wird immer wieder die offizielle Geschichte des nazifreien Landes zitiert. Dass die DDR nazifrei war ist sicher nicht richtig, aber dass die Nazi-Dichte geringer war und dass sie eben nicht – im Unterschied zu Nazi-Größen wie Hans Globke und Hans Filbinger – in Führungspositionen waren ist und bleibt wahr. Im Wikipdeia-Artikel zu Rechtsextremismus in der DDR werden drei Personen exemplarisch genannt: Arno von Lenski, Franz Fühmann oder Erhard Mauersberger. Personen wie Arno von Lenski habe ich schon in einem früheren Post besprochen. Lenski war in Stalingrad in sowjetische Gefangenschaft geraten und hat dann die Seiten gewechselt:
Wikipedia-Eintrag von Lenski, abgerufen 22.06.2024
Franz Fühmann war ebenfalls auf einer Antifa-Schule und hat dann als Assistenzlehrer an Antifa-Schulen gelehrt. Wenn wir über Faschismus und Faschisten reden, dann nicht über solche, die zu Antifaschist*innen wurden, sondern solche, die unbehelligt ihr Leben führen konnten und es zum Teil noch führen. Solche wie Karl M.:
Interessant ist, dass das Institut seine Mitarbeiter veröffentlicht hat, so dass man jetzt untersuchen kann, was aus den Nazis und Antisemiten, die bis 1945 im Osten gelebt haben, geworden ist. Wikipedia hat eine lange Liste mit Namen, von denen viele verlinkt sind. Um zu zeigen, dass nach dem Krieg weniger Nazis im Osten waren, muss man nur die Ost-Nazis anschauen und untersuchen, wie viele von ihnen in den Westen gegangen sind, denn es wird wohl kaum ein West-Nazi sein Leben aufgegeben haben, um zu den Russen in den Osten zu ziehen. (Das setzt natürlich eine Gleichverteilung von Nazis in Ost und West direkt nach dem Krieg voraus.)
Die Wikipedia-Seite listet die Mitarbeiter in drei Rubriken:
Mitarbeiter in kirchenleitender Funktion
Geistliche bzw. Pfarrer
Hochschullehrer bzw. Akademiker
Im folgenden sortiere ich die Listen nach Sterbe- oder Wohnort nach 1945 in West, Ost, unbekannt/irrelevant. Irrelevant ist der Sterbeort zum Beispiel bei Personen, die in Kriegsgefangenschaft gestorben sind. Irrelevant sind auch diejenigen, die schon vor Kriegsende im Westen waren.
In kirchenleitender Funktion
In den Westen gegangen
Bischof Friedrich Peter, Berlin, gestorben 1960, Gronau, NRW „Obgleich Peter 1948 aus dem Pfarramt entlassen wurde, blieben ihm die geistlichen Rechte erhalten. So erhielt er Beschäftigungsaufträge in der Evangelischen Kirche von Westfalen, zunächst in Oeding und seit 1953 in Gronau (Westf.).“
Landesbischof Walther Schultz, Schwerin, gestorben 1957 in Schnackenburg, Niedersachsen „Nach Kriegsende wurde Schultz, zusammen mit Konsistorialpräsident Hermann Schmidt zur Nedden, am 25. Juni 1945 von der britischen Besatzungsmacht verhaftet und interniert. Zwei Tage später legte er sein Amt nieder. Im Jahre 1948 wurde er aus dem Dienst der Landeskirche Mecklenburgs entlassen. Im Jahre 1950 wurde Schultz mit der pfarramtlichen Hilfeleistung in der St.-Dionysius-Kirchengemeinde Fallingbostel in der Lüneburger Heide beauftragt. Als für diese Aufgabe dort eine neue Pfarrstelle errichtet wurde, musste Schultz die Gemeinde verlassen und übernahm in Schnackenburg an der Elbe ein Gemeindepfarramt, das er bis zu seinem Tode innehatte.“
Oberkonsistorialrat Theodor Ellwein, Berlin, gestorben 1962 München „Nach der Entlassung im Dezember 1949 wurde er 1950 von kirchlicher Seite in den Ruhestand versetzt. Im Jahre 1951 wurde er Religionslehrer am Gymnasium Pasing und Lehrbeauftragter an der Lehrerbildungsanstalt München-Pasing. Von 1954 bis 1961 war er Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle der Evangelischen Akademie Bad Boll bei Göppingen. 1955 war er Mitglied der Studienkommission für Lehrerbildung („Tutzinger Empfehlungen“) in der Evangelischen Akademie Tutzing. 1961 trat er in den Ruhestand.“
Oberkonsistorialrat Hans Hohlwein, Eisenach, gestorben 1996 in Solingen „Nach 1945 wirkte Hohlwein als theologischer Hilfsarbeiter in der Propstei Halberstadt, und von 1947 bis 1951 verwaltete er die Pfarrstelle Heudeber in der Kirchenprovinz Sachsen. Im Jahre 1951 erfolgte seine Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland.“
Kirchenrat Wilhelm Bauer, Eisenach, gestorben 1969 in Bayern „In dem von ihm 1935 herausgegebenen Buch „Feierstunden Deutscher Christen“ kamen neben Bibelzitaten auch Autoren wie Adolf Hitler zu Wort. Zugleich betätigte er sich als Schriftleiter der Zeitschrift „Deutsche Frömmigkeit“, in der die Positionen der Deutschen Christen vertreten wurden. In einer ihrer Ausgaben bekundete er: „Wir sind Nationalsozialisten. Der Nationalsozialismus bedeutet uns die Wiederaufrichtung einer wahrhaften Volksordnung auf dem Grunde der ewigen Gesetze unseres Blutes und unserer Heimaterde.“ Im Jahre 1939 erklärte er seine Mitarbeit am Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben. Zu Beginn der 1940er Jahre wurde er stellvertretender Studienleiter des Thüringer Predigerseminars. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus lebte Bauer in der Bundesrepublik Deutschland, publizierte dort weiter und starb in einem Ort des Freistaats Bayern.“
Landessuperintendent Friedrich Kentmann, Güstrow, gestorben 1953 in Hamburg „Nach dem Ende von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg 1945 wurde er seines Amtes als Landessuperintendent enthoben und vom pfarramtlichen Dienst suspendiert. Sein Nachfolger als Landessuperintendent wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 1945 der Güstrower BK-Pastor Sibrand Siegert (1890–1954). 1950 erfolgte die Entlassung Kentmanns aus dem Dienst der mecklenburgischen Landeskirche.“
Superintendent Gerhard Spangenberg, Altenweddingen, gestorben 1975 in Dülmen, NRW „Bis zum Antritt der Pfarrstelle im westfälischen Dülmen, wo er bis zu seinem Tod lebte, arbeitete er als Verwalter einer Obstfirma und später als Krankenhausverwalter. Die Kirchenleitungen verlangten zur Wiederaufnahme in den Dienst zunächst die Wiederholung des Ordinationsgelübdes, ein Kolloquium und die zeitweilige Tätigkeit als Hilfsprediger, was er ablehnte. Dennoch stimmte 1955 die Kirchenleitung in Bielefeld seiner Wahl zum Pfarrer der Gemeinde in Dülmen zu, wo er nach seinem Ruhestand auch als Militärpfarrer wirkte.“
Im Osten geblieben
Reichsvikar Fritz Engelke, Schwerin, gestorben 1956 in Schwerin „Nach 1945 wirkte er als Pastor der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs in Schwerin. Ab 1950 vertrat er den im Gulag Workuta inhaftierten Aurel von Jüchen an der Kirche St. Nikolai (Schelfkirche) Schwerin.
Oberlandeskirchenrat Willy Kretzschmar, Dresden, gestorben 1962 in Dresden „Nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 erfolgte zunächst seine Entlassung aus dem aktiven Kirchendienst. 1946 stellte er den erfolgreichen Antrag auf Rehabilitierung, in dem er seine Mitarbeit im „Entjudungsinstitut“ in Eisenach extrem herunterspielte. In seinem Rehabiltierungsantrag an das sächsische Landeskirchenamt in Dresden stellte er sich selbst „als Verführten der NSDAP“ dar. Spätestens seit 1939 habe er sich „zu aktiven Gegner des NS-Regimes gewandelt“ und sich antinationalistisch und parteischädlich verhalten sowie Grundsätze der NSDAP bekämpft. 1959 ging Kretzschmar als kirchlicher Finanzverwalter der Landeskirche Sachsens in den Ruhestand.“
Oberlandeskirchenrat Heinrich Seck, Dresden, gestorben 1947 in Stadt Wehlen „In dieser Eigenschaft und als Mitglied der Deutschen Christen war er Mitarbeiter am Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben und wurde deshalb nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 aus dem aktiven Kirchendienst entlassen. Er zog in die Sächsische Schweiz, wo er im Alter von 51 Jahren in Stadt Wehlen starb.“
Oberkirchenrat Friedrich Buschtöns, Berlin, gestorben 1962 in Berlin „1945 übernahm er die Aufsicht über die kirchlichen Vermögenswerte im Schloss Ilsenburg und wenig später über das kirchliche Flüchtlingslager in Stolberg. 1946 wurde Buschtöns in den Ruhestand versetzt. Er hat aber auch danach noch pfarramtliche Dienste geleistet, so etwa in Kleinmachnow. 1955 gehörte er zum Herausgeber- und Redaktionskreis der vom ZK der SED angeregten Zeitschrift Glaube und Gewissen: eine protestantische Monatsschrift.“
Kirchenrat Erhard Mauersberger, Eisenach, gestorben 1982 Leipzig, Chorleiter, Leiter Bach-Komitee, 1972 bei politischer Säuberung aus Chorleitung entfernt.
Unbekannt / irrelevant
Landesbischof Martin Sasse, Eisenach, gestorben 1942 an Schlaganfall
Kirchenregierungsrat Erwin Brauer, Eisenach, gestorben 1946 Buchenwald „Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus verlor er seine Ämter und wurde von den sowjetischen Militärbehörden im Speziallager Nr. 2 in Buchenwald interniert, wo er am 19. Dezember 1946 verstarb.“
Zwischenfazit: Von den Nazi-Christen mit kirchlicher Funktion im Osten sind 7 in den Westen gegangen und 5 im Osten geblieben. Das bedeutet erstens, dass die Mehrheit in den Westen gegangen ist und zweitens, dass es im Osten sieben Nazis weniger und im Westen sieben Nazis mehr gab als vor der Befreiung.
Geistliche bzw. Pfarrer
Die Liste der Geistlichen ist lang. Nur wenige sind in Wikipedia verlinkt. Ich liste hier nur die verlinkten auf.
In den Westen gegangen
Pfarrer Hermenau, Potsdam, gestorben 1981 Wiesbaden „Im Jahre 1939 erklärte er seine Mitarbeit am Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben. In zahlreichen Publikationen vertrat er seine Überzeugung von der Rolle der deutschen Frau im Reich Adolf Hitlers. […] 1972: Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland“ Zur Entnazifizierung und zum Grund für das Bundesverdienstkreuz steht nichts in Wikipedia.
Pfarrer Hosenthien, Magdeburg, gestorben 1972 in Braunschweig „1949 folgte Albert Hosenthien seinem Sohn und zog nach Fort Bliss in El Paso (Texas), kehrte jedoch, da er mit den dortigen Gegebenheiten nicht zurechtkam, 1954 wieder nach Deutschland zurück. Da die Region Magdeburg jetzt in der DDR lag, siedelte er sich in Braunschweig, im westlichen Teil Deutschlands an. Er arbeitete hier auch wieder als Pfarrer.“
Pfarrer Hunger, Eisenach, gestorben 1995 Münster, NRW „Nach 1945 orientierte er sich auf das Gebiet der Sexualerziehung, was ihm den Spitznamen „Sex-Hunger“ eintrug. Bis Ende der 1960er Jahre publizierte er seine christlich-konservative Sexualmoral im Gütersloher Verlagshaus. Er wurde auch Redaktionsleiter der Zeitschrift Der evangelische Religionslehrer an der Berufsschule, die vom Schriftenmissionsverlag Gladbeck herausgegeben wurde.“
Pfarrer Kersten-Thiele, Köthen, gestorben 1988 Göttingen, Niedersachsen „Nach 1945 wirkte Kersten-Thiele im Vorstand der Deutschen Ostasien-Mission und publizierte in deren Sinne mehrere Bücher. 1948 war er Pfarrer in Göttingen-Grone und 1954 in Düsseldorf. Von 1960 bis 1964 war er Religionslehrer am Rethel-Gymnasium (bzw. Jacobi-Gymnasium) Düsseldorf und zwischen 1968 und 1973 war er als Pastor in Sereetz tätig. Anschließend ging er in die Rheinische Landeskirche zurück.“
Pfarrer Kuhl, Berlin, gestorben 1959 Kassel „Spätere Wohnsitze waren Nordkirchen, wo er von 1949 bis 1956 Pfarrer war. Hier gründete er einen Kirchbauverein, um in Nordkirchen ein Gemeindezentrum schaffen zu können. Im Jahr 1956 wurde ihm von der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn die Ehrendoktorwürde verliehen. Nachdem Kuhl 1957 in den Ruhestand gegangen war, lebte er bis zu seinem Tod 1959 in Kassel und hinterließ eine Frau und zwei Kinder. In seinen letzten Lebensjahren hatte er einen Lehrauftrag an der Georg-August-Universität Göttingen. Gemeinsam mit Bo Reicke arbeitete er ab 1958 am Biblisch-historischen Handwörterbuch für den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Kuhl war von 1921 bis zu seinem Tod Mitglied der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft.“
Pfarrer Schmidt-Clausing, Potsdam-Babelsberg, gestorben 1984 in West-Berlin „Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete Schmidt-Clausing den Wiederaufbau der Gemeinde von 1947 bis 1962 als Pfarrer an der Berliner Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche. In der Kirchenruine wurde die einzige verbliebene Glocke wieder gangbar gemacht und bis in die 1950er Jahre zum Begrüßungsläuten für die Berliner Russlandheimkehrer benutzt. Im beginnenden Kalten Krieg setzte Schmidt-Clausing damit ein politisches Zeichen und machte seine Gemeinde bekannt – bis hin zur US-amerikanischen Wochenschau, die das Thema dankbar aufnahm. Fritz Schmidt-Clausing starb in einem West-Berliner Pflegeheim und wurde auf dem Friedhof Wilmersdorf beigesetzt.“
Hans-Joachim Thilo hat sich neuorientiert, so dass ich ihn hier extra aufzähle. Prinzipiell ist das bei den sechs oben genannten Personen natürlich auch denkbar, es steht aber ncihts dazuin Wikipedia.
Pastor Thilo, Pirna, gestorben 2003 in Lübeck „Thilos Erfahrungen im Kriegsdienst, seine Verwundung bei Kiew und seine Kriegsgefangenschaft, zunächst in Kanada, dann in England, führten ihn zu einem Umdenken und Neuanfang. Im Dezember 1947 kehrte er nach Deutschland zurück und erhielt eine Pfarrstelle der Kirchengemeinde am Lietzensee in Berlin-Witzleben. Gleichzeitig baute er hier die kirchliche Beratungsarbeit auf. Von 1956 bis 1961 wirkte er an der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Genf. Anschließend war er Referent an der Evangelischen Akademie Bad Boll, bis er 1966 zum Pastor der Marienkirche in Lübeck berufen wurde, wo er bis zu seiner Pensionierung wirkte. 1973 habilitierte er sich an der Universität Hamburg für das Fach Praktische Theologie. Er blieb Gemeindepastor, hielt jedoch regelmäßig Lehrveranstaltungen in Hamburg. 1979 wurde ihm der Titel Professor verliehen.“
Im Osten geblieben
Oberpfarrer Ungern von Sternberg, Ronneburg, gestorben 1949 in Gera „Noch im Januar 1945 gehörte er zu den Thüringer Pröpsten, die den DC-Kirchenpräsidenten Hugo Rönck dazu drängten, den Bischofstitel anzunehmen.[2] Aufgrund des Gesetzes zur Überprüfung der Pfarrerschaft und der Verwaltung der Thüringer evangelischen Kirche (Reinigungsgesetz) vom 12. Dezember 1945 wurde Ungern-Sternberg aus dem Pfarrdienst entlassen und die Dienstbezeichnung „Superintendent im Wartestand“ wurde ihm aberkannt. Er wurde aber zunächst kommissarisch als Pfarrer in Ronneburg weiterbeschäftigt, ab dem 1. Dezember 1947 wurde er dann wieder offiziell als Pfarrer in Niederpöllnitz eingesetzt.“
Pfarrer Delling, Leipzig, gestorben 1986 in Halle „Im Jahre 1945 geriet Delling in Dänemark in Kriegsgefangenschaft und wirkte bis 1947 als Seelsorger im Internierungslager Aarhus. Nach seiner Entlassung ging er nach Pommern und erhielt 1947 einen Lehrauftrag an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 1948 habilitierte er sich hier mit der Schrift Gottesdienst im Neuen Testament (gedruckt 1952) für das Fach Neues Testament. Im Jahre 1950 wurde Delling als Professor mit Lehrauftrag an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg berufen, 1952 bekam er den vollen Lehrauftrag, die Beförderung zum Professor mit Lehrstuhl für spätantike Religionsgeschichte erfolgte 1953. 1955 erhielt er durch Kurt Aland, dem Leiter der Kommission für spätantike Religionsgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, eine Stelle zur Reorganisation des Corpus Hellenisticum. 1955/56 übernahm Delling eine Gastprofessur an der Universität Leipzig, eine Berufung kam jedoch ebenso wenig zustande wie die von Teilen der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in den 1960er Jahren gewünschte Versetzung nach Berlin. An der Universität Halle baute Delling das Institut für spätantike Religionsgeschichte auf, dem er seit 1963 als Direktor vorstand. Nach der IV. Hochschulreform wurde Delling 1969 zum ordentlichen Professor ernannt und 1970 emeritiert. Delling forschte vor allem zur Überlieferungsgeschichte des Neuen Testaments und zum antiken Judentum (Das Zeitverständnis des Neuen Testaments, 1940; Jüdische Lehre und Frömmigkeit in den paralipomena Jeremiae, 1967; gesammelte Aufsätze: Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum, 1950–1968, 1970; Studien zum Frühjudentum, 1971–1987, 2000). Außerdem gab er Bibliographien zur jüdisch-hellenistischen Forschung heraus und arbeitete am Corpus Hellenisticum Novi Testamenti mit. Die Universität Greifswald verlieh ihm 1964 die Ehrendoktorwürde. Delling verstarb am 18. Juni 1986, im Alter von 81 Jahren, in Halle.“
Pfarrer Ohland, Unkeroda (Thüringen), gestorben 1953 in Friedelshausen, Thüringen „Im Jahre 1946 verlor Ohland sein Amt, durfte aber seit 1948 in Behrungen als Pfarrvikar wieder amtieren, seit 1952 als Pfarrer in Friedelshausen.“
Pfarrer Joseph Roth, Diersheim, gestorben 1941 Tirol
Pastor Dungs, Weimar, gestorben 1947 durch Hinrichtung oder 1949 in Haft
Zwischenfazit: Von den Nazi-Pfarrern im Osten sind 7 in den Westen gegangen und 4 im Osten geblieben. Zählt man Hans-Joachim Thilo zu den irrelevanten Fällen, weil es bei ihm ein Umdenken und Neuanfang gab, bleiben 6 in den Westen gegangene, die zu den Nazis, die ohnehin aus dem Westen waren, dazugekommen sind und den Osten verlassen haben.
Hochschullehrer bzw. Akademiker
In den Westen gegangen
Johannes Hempel, Berlin, gestorben 1964 in Göttingen „Er übernahm die Herausgeberschaft der Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft. Im Jahre 1937 wurde er nach Berlin berufen und leitete das Institutum Judaicum zur Erforschung des Judentums „vom Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung aus“. Im Jahre 1939 erklärte Hempel seine Mitarbeit am Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben als Leiter der Arbeitsgruppe Altes Testament. Auf der Arbeitstagung im März 1941 referierte er über Die Aufgabe von Theologie und Kirche von der Front her gesehen. Während des Zweiten Weltkrieges fungierte er als Militärpfarrer. Das Kriegsende erlebte er 1945 in einem Lazarett an der Nordsee. Im Jahre 1947 wurde Hempel Pfarrverweser in Salzgitter-Lebenstedt, einem Ort im Gebiet der Braunschweigischen Landeskirche. Im Jahre 1955 wurde er Honorarprofessor in Göttingen und betrieb ab 1958 als Emeritus seine wissenschaftliche Arbeit weiter, besonders für die von ihm betreute Zeitschrift.“
Wolf Meyer-Erlach, Jena, gestorben 1982 in Idstein, Hessen „Im Jahre 1945 ging er aller Ämter verlustig, auch eine Wiedereinstellung in der bayerischen Landeskirche blieb ihm versagt. 1950 flüchtete Meyer-Erlach aus der DDR. Von 1951 bis 1963 wurde er Pfarrverwalter in Wallrabenstein und Wörsdorf bei Idstein im Taunus (Evangelische Kirche in Hessen und Nassau). Von ihm wurden historische Sujets wie das Stück „Anno 1634“ aufgeführt.“
Max Adolf Wagenführer, Jena, gestorben 2010 irgendwo im Westen „Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam er an die Lutherkirche nach Köln-Nippes und wurde zunächst in den Pfarrdienst der Rheinischen Kirche übernommen. 1949 wurde er wegen seiner fehlenden Ordination vorübergehend suspendiert und wechselte in den Schuldienst. 1953 kam er zurück in den Pfarrdienst, wurde ordiniert und erhielt eine Berufung an die neuerbaute Erlöserkirche in Weidenpesch. Von 1970 bis 1982 war er Pfarrer in Prien am Chiemsee.“
Im Osten geblieben
Richard Barth, Jena, gestorben nach 1946 „Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus verlor er sein Amt. Ab 1946 arbeitete er als Grundschullehrer in Jena.“
Paul Fiebig, Leipzig, gestorben 1949 in Kalbe Sachsen Anhalt
Reinhard Liebe, Freiberg (Sachsen), gestorben 1956 in Freiberg. Der Wikipedia-Eintrag lässt zu wünschen übrig.
Heinz Erich Eisenhuth, Jena, gestorben 1983 Pferdsdorf/Werra, Thüringen „Nachdem er 1945 aus dem Universitätsdienst entlassen worden war, wurde er 1946 zunächst kommissarisch, später im Hauptamt Pfarrer in Jena-Zwätzen. 1952 wurde er Superintendent in Eisenach. Anders als in der Forschungsliteratur bisweilen behauptet wird, übernahm er jedoch nie die Leitung der Evangelischen Akademie Thüringen. Er gehörte aber zeitweise der Synode an und erhielt mehrere Lehraufträge am Theologischen Seminar Leipzig. Nachdem er 1967 in den Wartestand getreten war, ging er 1969 in den Ruhestand.“
Wilhelm Knevels, Rostock, gestorben 1978 in West-Berlin „Im Jahre 1950 erhielt er einen Lehrauftrag an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Nach seiner Emeritierung lebte er in West-Berlin und wirkte dort weiter an der Freien Universität Berlin. Er ist auf dem Waldfriedhof Dahlem bestattet. Auf dem Grabstein steht unter den Lebensdaten: „Theologe des dritten Weges / = Selbstbesinnung des Glaubens / zwischen Fundamentalismus / und Existenzialtheologie / Unser Glaube ist der Sieg / der die Welt überwindet“.“ Knevels ist 1897 gebohren, die Emeritierung muss also gegen 1962 gewesen sein. Ich liste ihn hier unter Im Osten geblieben, weil er sein gesamtes Berufsleben im Osten verbracht hat.
Wilhelm Koepp, Greifswald, gestorben 1965 Kleinmachnow „1952 erhielt er den Lehrstuhl an der Universität Rostock. 1954 emeritiert, lehrte er noch bis zu seinem Tode an der Universität Rostock weiter.“
Johannes Leipoldt, Leipzig, gestorben 1965 in Leipzig „Nach 1945 war er Domherr des Hochstifts Meißen und erhielt eine Professur mit Lehrstuhl für Neutestamentliche Wissenschaft in Leipzig. Er wurde als ordentliches Mitglied in die Sächsische Akademie der Wissenschaften aufgenommen und 1954 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Silber und 1960 in Gold ausgezeichnet. […] Leipoldt war von 1953 bis 1963 als Vertreter der CDU Abgeordneter der Volkskammer.“
Herbert von Hintzenstern, Eisenach, gestorben 1996 in Weimar „Seit August 1945 war er in Lauscha, ab 1948 als Pfarrer. Dort trat er der DDR-CDU bei, sein Parteiaustritt erfolgte zum 1. Mai 1947. Im Jahre 1952 wurde er zum Landesjugendpfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen berufen. Seit 1956 leitete er die Evangelische Akademie Thüringen und die Pressestelle der Kirche. Gleichzeitig wurde er zum Chefredakteur der Kirchenzeitung Glaube und Heimat berufen. 1962 wurde er zum Kirchenrat ernannt. Von 1968 bis 1986 war er nebenamtlicher Leiter des Pfarrhausarchivs im Lutherhauses in Eisenach. 1981 ging er in den Ruhestand.“
Rudolf Meyer, Leipzig, gestorben 1991 in Jena, Thüringen „Im Jahre 1947 wurde er außerplanmäßiger Professor und 1948 […] Ordinarius für Altes Testament an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Hier unterrichtete er Generationen von Theologiestudenten in Hebräisch, der Geschichte des Volkes Israel und der Theologie des Alten Testaments. Zusammen mit […] wurde ihm 1952 von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin die Ehrendoktorwürde verliehen. Meyer war seit 1959 ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und seit 1978 korrespondierendes Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.“
Siegfried Morenz, Leipzig, gestorben 1970 Leipzig „Morenz wurde 1946 Dozent an der Universität Leipzig und habilitierte sich im selben Jahr bei Wilhelm Schubart mit einer Schrift zu Ägyptens Beitrag zur werdenden Kirche. Ab 1948 leitete Morenz, zunächst kommissarisch, das Ägyptologische Institut der Universität Leipzig. Im Februar 1952 wurde er Professor mit Lehrauftrag, im September des Jahres mit vollem Lehrauftrag und zwischen 1954 und 1961 schließlich als Lehrstuhlinhaber für Ägyptologie und hellenistische Religionsgeschichte. Zwischen 1952 und 1958 nahm Morenz zudem nebenamtlich die Leitung der Ägyptischen Abteilung der Staatlichen Museen zu Berlin in Ost-Berlin wahr. Zwischen 1961 und 1966 lehrte Morenz als Lehrstuhlinhaber an der Universität Basel, leitete jedoch im Nebenamt weiterhin das Leipziger Ägyptologische Institut. Danach kehrte er nach Leipzig zurück, wo er bis zu seinem Tod 1970 wieder den Lehrstuhl für Ägyptologie innehatte.“
Konrad Weiß, Berlin, gestorben 1979 in Rostock „1946 wurde Weiß außerordentlicher Professor für neutestamentliche Theologie an der Universität Rostock, 1948 wurde er dort auf eine ordentliche Professur berufen und 1972 emeritiert. Die Universität Kiel zeichnete Weiß 1961 mit der Ehrendoktorwürde aus.“
Unbekannt / irrelevant
Adolf Bartels, Weimar, gestorben März 1945 in Weimar
Die Auswertung der Lebensdaten der Hochschullehrer ist verblüffend. Nur drei sind in den Westen gegangen. 11 sind im Osten geblieben. Man müsste die Einzelfälle näher ansehen und erforschen, wie intensiv ihre Mitarbeit im Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben war und was davon zu Lebzeiten bekannt war. Teilweise hatten die Wissenschaftler Ehrendoktortitle von Universitäten in Ost und West.
Weitere Nazis aus dem Umfeld der Deutschen Christen / dem Institut
In den Westen gegangen
Hugo Rönck deutscher evangelischer Pfarrer und Bischof, gestorben 1990, bis 1976 Pastor in Eutin, Schleswig-Holstein. „Im Jahre 1945 nahm er „kurz vor dem Einmarsch der amerikan[ischen] Truppen“ den Titel Landesbischof an. Im April 1945 wurde er von den Vertretern der innerkirchlichen Opposition um Moritz Mitzenheim, Erich Hertzsch und Gerhard Kühn zum Amtsverzicht gedrängt und wenige Tage später von US-amerikanischen Truppen verhaftet. Im August 1945 entließ ihn die Thüringer Kirche aus dem kirchlichen Dienst. Später war er von 1947 bis 1976 Pastor in Eutin.“
Im Osten geblieben
Johannes Klotsche gestorben 1963, Stadt Wehlen, Pirna, Sachsen, „Der „fanatische Antisemit“ Klotsche unterzeichnete im April 1939 gemeinsam mit zehn anderen Landeskirchenleitern die Bekanntmachung über Gemeinschaftsarbeit von Landeskirchenleitern, deren erste Maßnahme in der Gründung des Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben bestand. Im Dezember 1941 wurden Christen jüdischer Herkunft aus der Landeskirche ausgeschlossen, womit das Sakrament der Taufe in Sachsen partiell außer Kraft gesetzt war. Bis 1942 gehörte er dem Verwaltungsrat des sog. Entjudungsinstituts an. Nach Kriegsende absolvierte er 1951/52 eine Ausbildung zum volksmissionarischen Dienst an der Predigerschule Paulinum in Ost-Berlin.“
Walter Grundmann gestorben 1976 in Eisenach „1930 wurde er Mitglied der NSDAP und 1933 aktives Mitglied der Deutschen Christen, deren im ganzen Deutschen Reich gültige Richtlinien er verfasste. 1939 wurde er zum akademischen Direktor des neu gegründeten Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben in Eisenach ernannt, das im Dienst des staatlichen Antisemitismus die „Entjudung“ der Bibel und der theologischen Ausbildung betrieb. Ungeachtet seiner NS-Vergangenheit erlangte Grundmann in der DDR als Theologe erhebliches Ansehen: 1954 erteilten ihm das Katechetische Oberseminar Naumburg (Saale) und das Theologische Seminar Leipzig Lehraufträge und er wurde Rektor des Eisenacher Katechetenseminars; seine ab 1959 erschienenen Evangelienkommentare waren Standardliteratur und werden bis heute (2022) zitiert. Er arbeitete für das Ministerium für Staatssicherheit, unter dem Decknamen GI Berg. […] In der DDR galt Grundmann bis zu seiner Emeritierung 1975 trotz seiner NS-Vergangenheit als angesehener theologischer Lehrer. 1974 verlieh die Kirchenleitung ihm nochmals den Titel eines „Kirchenrats“, um seine Arbeit anzuerkennen und um seine Pension zu erhöhen.“ Seine Wikipedia-Seite enthält eine ausführlichere Schilderung der Stasi-Tätigkeit.
Irrelevant
Friedrich Coch gestorben September 1945 in amerikanischer Gefangenschaft „Führer der Glaubensgemeinschaft Deutsche Christen in Sachsen und Herausgeber der Monatszeitschrift Christenkreuz und Hakenkreuz.“
Schlussfolgerung
7 + 6 + 3 der Personen, die in der NSDAP waren und sich öffentlich zum Antisemitismus bekannt hatten, sind vom Osten in den Westen gegangen. Dazu noch mindestens ein leitendes Mitglied der Deutschen Christen. Damit hat sich die Anzahl der Antisemiten und Nazis im Osten verringert und im Westen erhöht. Von einigen dieser Personen ist klar, dass sie wirklich harte Nazis und Rassisten waren. Andere waren eventuell weniger involviert, einige haben sich vielleicht gewandelt. Das geht aus Wikipedia nicht hervor.
In Der Ossi und der Holocaust habe ich die Behauptungen von Anetta Kahane und Ines Geipel zum Umgang der DDR mit dem Holocaust untersucht und bin zum Schluss gekommen, dass beide Autorinnen entweder keine Ahnung haben oder lügen.
Die West-Gesellschaft des direkten Nachkriegs, die sich manisch schönputzte, die schier märchengleich Kohle machte und sich in ihrer Unfähigkeit zu trauern verpuppte. Die postfaschistische DDR der fünfziger Jahre dagegen wurde zur Synthese zwischen eingekapseltem Hitler und neuer Stalin-Diktatur, planiert durch einen roten Antifaschismus, der einzig eine Heldensorte zuließ: den deutschen Kommunisten als Überwinder Hitlers. Mit dieser instrumentellen Vergessenspolitik wurde im selben Atemzug der Holocaust für 40 Jahre in den Ost-Eisschrank geschoben. Er kam öffentlich nicht vor.
Im Blog-Post zeige ich recht deutlich, dass die Verbrechen an den Juden überall thematisiert wurden. In den Geschichtsbüchern der neunten Klasse, im Literaturunterricht, in Büchern, Filmen, Straßennahmen usw.
Beim taz-Lab gab es eine Podiumsdiskussion mit der Historikerin Katja Hoyer und dem Schriftsteller Marco Martin, bei der letzterer sagte, das mit der Geschichtsschreibung durch die Sieger im Vereinigungsprozess sei doch eine Mär, denn es gäbe doch auch ostdeutsche Stimmen wie Ines Geipel und Anne Rabe. Ich habe dann im Diskussionsteil darauf hingewiesen, dass Anetta Kahane und Ines Geipel keine glaubwürdigen Quellen seien, da sie entweder keine Ahnung hätten oder lügen würden, was zu großer Entrüstung führte. Leider kannte ich zu diesem Zeitpunkt eine Dokumentation des MDRs noch nicht, denn aus dieser geht hervor, dass Ines Geipel erhebliche Probleme mit der Wahrheit in Bezug auf ihr eigenes Leben hat. Auch die Zahlen der Dopingbetroffenen, die sie als Chefin der Dopingopferhilfe vertreten hat, hielten einer Überprüfung nicht stand.
Das ist der MDR-Beitrag:
Doping und Dichtung: Beitrag vom MDR über Behauptungen von Ines Geipel
Ines Geipel hat behauptet, dass die Stasi bei einer Blinddarm-Operation ihre Bauchmuskulatur und all ihre Organe zerschnitten habe.
Eine Unterleibsoperation 1984 bot die Gelegenheit, „sie zumindest für längere Zeit auf Eis zu legen“, wie sie aus den Akten zitierte. Ein Chirurg der Virchow-Klinik in Berlin stellte 2004, zwanzig Jahre nach der perfiden Tat, fest, was die Ärzte in der DDR ihr angetan hatten. „Mein gesamter Bauch war samt Muskulatur durchschnitten worden“, erfuhr sie. „Alle inneren Organe waren verletzt.“
In der Dokumentation wurde sie bei einem Sprint-Wettbewerb zwei Monate nach der OP gezeigt. Mit verletzten Organen läuft man keine 100m, weil man auch vor dem Wettkampf trainieren muss.
Den kompletten Bauch aufschneiden, wer glaubt in so einen Unsinn? Da könnte man nicht mehr laufen. Ich habe ja erst vor ein paar Tagen wieder gelesen, dass alle innere inneren Organe wurden verletzt. Das ist ein Unding. Das geht nicht und da kann man vor allen Dingen nicht sechs Wochen oder acht Wochen später laufen. Schlecht wie immer – aber gelaufen ist sie.
Bezüglich ihrer Blinddarmoperation gibt sie an, dass sie als Folge der durch die Stasi durchgeführten Operation keine Kinder mehr bekommen konnte (Einzelkämpfer bei 1:24:15). Laut MDR-Faktencheck (2023: 60) steht im OP-Bericht vom 17.01.2003 nichts von Verletzungen anderer Organe oder Verletzungen, die Kinderlosigkeit hätten verursacht haben können.
Geipel gibt mit Weltrekorden an und damit Olympionikin gewesen zu sein, sie hat aber nie eine gewonnen, ja, sie hat nicht einmal an einer Olympiade teilgenommen. Bei Sprint-Wettkämpfen landete sie trotz hoher Dopingwerte auf hinteren Plätzen. In die nationale Auswahl der Sprintstaffel kam sie nicht, weil es bessere Läuferinnen gab.
Nach Ausstrahlung der MDR-Doku legte Ines Geipel eine Programmbeschwerde ein (dokumentiert auf ihrer Web-Seite: Programmbeschwerde Doping und Dichtung). Diese ist eigentlich noch schlimmer, als das, was man aus der Doku erfährt, denn sie zeigt, wie Ines Geipel arbeitet. Mit bewussten Auslassungen, Verdrehungen und Manipulationen. Der MDR hat die Programmbeschwerde durch zwei renommierte Sportjournalist*innen prüfen lassen und auf 101 Seiten ist die ganze Ungeheuerlichkeit des Vorgangs dokumentiert. Die Autor*innen nennen Geipel darin eine Lügnerin und Hochstaplerin, die Wörter Unverfrorenheit und Dreistigkeit kommen vor. Nur ein Beispiel: In Geipels Stasi-Akte steht:
Dieser Darmverschluss ergab sich jedoch, da dies bei jungen Menschen noch der Fall ist oder möglich ist; ansonsten wäre eine weitere Operation nötig gewesen. Danach sollte Geipel wieder in ein Krankenhaus wegen ihrer .… Geschichte. Dies wäre die Chance gewesen, sie für längere Zeit auf Eis zu legen. Sie ist jetzt z.Z. in einer Phase der Rehabilitation …
BStU, nach Screenshot aus MDR-Doku.
BStU, Screenshot aus MDR-Doku.
Diese Aussage belegt, dass das eine Chance gewesen wäre, d.h. das Auf-Eis-Legen ist nicht erfolgt. Geipel lässt in ihren Zitaten das Wort gewesen einfach weg: „Das ist die Chance, sie für längere Zeit auf Eis zu legen.“ (In Einzelkämpfer, 2013: 1:26:15 kann man sehen, wie sie die Passage „vorliest“).
Man kann also schließen, dass Ines Geipel keine glaubwürdige Zeugin in Bezug auf die DDR-Geschichte ist.
Denn der verantwortungsvolle Umgang mit der Wahrheit gehört augenscheinlich nicht zu den Stärken der 62 Jahre alten Berlinerin.
Ich hatte ja in der Auseinandersetzung über den Umgang mit dem Holocaust in der DDR als Ergebnis die beiden Möglichkeiten „keine Ahnung“ und „lügen“. Theoretisch ist es immer noch möglich, dass Ines Geipel keine Ahnung in Bezug auf das Thema Holocaust hatte bzw. hat, aber die Lügen-Möglichkeit erhält mit dieser Information über Ines Geipel mehr Plausibilität.
Nachtrag
Die Dokumente auf Ines Geipels Web-Seite sind mir bekannt. Sie werden im Faktencheck in der Erwiderung auf die Programmbeschwerde gegen den MDR besprochen. Die von Geipel beigebrachten Dokumente widerlegen nichts von dem, was oben aus den Dokumentationen zitiert wurde.
Nachtrag 2: Manipulative Darstellung Nazis vs. Neulehrer
In ihrem Buch Umkämpfte Zone: Mein Bruder, der Osten und der Hass schreibt Geipel auf S. 33 der e‑Book-Ausgabe: „Anfangs waren 80 Prozent der Lehrer im #Osten ehemalige Mitglieder der NSDAP.“ Diese Aussage ist eventuell wahr, wenn man die Zeit direkt nach dem Krieg betrachtet. Sie ist jedoch hochgradig manipulativ, da nichts weiter zu den Leher*innen gesagt wird. Es gab jedoch nach dem Krieg ein umfangreiches Neulehrer-Programm. Die Nazi-Lehrer*innen wurde entlassen. Manche durften nie wieder, andere erst erst Jahre später wieder als Lehrer*innen arbeiten. In Wikipedia steht unter Angabe von Quellen das Folgende zu Neulehrern:
Wurden im ersten Schuljahr noch einige Lehrer mit nationalsozialistischer Vergangenheit geduldet, so wurden die Richtlinien für den Verbleib im Schuldienst schrittweise verschärft. In den westlichen Besatzungszonen konnten einige Lehrer mit zweifelhaftem Hintergrund nach sogenannten „Entbräunungskursen“ ab 1947 wieder in den Schuldienst eintreten, während in der sowjetischen Besatzungszone das Neulehrerprogramm so umfangreich gestaltet wurde, dass große Teile der bisherigen Lehrerschaft von den rund 40.000 Neulehrern ersetzt wurden. Obschon die alte Lehrerschaft die Qualität einer höchstens einjährigen Umschulung anzweifelte, war aufgrund des zumeist akademischen Hintergrundes der Neulehrer das Ergebnis hinreichend gut und ermöglichte den sonst im Nachkriegsdeutschland aufgabenlosen Berufen eine feste Anstellung. Die große Mehrzahl der Neulehrer blieb auf Dauer im Schuldienst tätig.
In der sowjetischen Besatzungszone diente die Einstellung der Neulehrer auch dazu, die Kontrolle der SED über die Schulausbildung sicherzustellen. 1949 waren bereits 67,8 Prozent aller Lehrerstellen mit Neulehrern besetzt. 47,7 Prozent dieser Neulehrer gehörten der SED an, 13 Prozent der LDPD und 10 Prozent der CDU, die zu Blockparteien gleichgeschaltet waren. Damit war die Kontrolle der SED über das Schulwesen weitgehend erreicht.
Wikipediaeintrag zu Neulehrer, abgerufen am 11.11.2024.
Geipel schickt Ihre Leser*innen also bewusst auf den Holzweg.
Quellen
Geipel, Ines. 2019. Umkämpfte Zone: Mein Bruder, der Osten und der Hass. Stuttgart: Klett-Cotta.